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Die Gegenwart Jesu Christi...- Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 2003/2004
8
. Jahresreihe - 7. Katechese,
2004-04-18

Die Gegenwart Jesu Christi
in der Eucharistie

Die Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie

Christos vaskresje! – Vaistinu vaskresje!, sagen unsere russischen Brüder und Schwestern. Christos aneste! Alethinos aneste! – Er ist wahrhaft auferstanden. Christus ist erstanden! Er ist wahrhaft auferstanden, Halleluja, Halleluja!

Es freut mich besonders, dass wir an diesem Sonntag der Barmherzigkeit zur Katechese zusammenkommen und miteinander über das Geheimnis der Gegenwart des Herrn in der Eucharistie nachsinnen können. Ich bin vor 10 Minuten mit dem Auto aus Krakau, aus Lagiewniki angekommen. Vor am 17. August zwei Jahren hat der Heilige Vater die große Basilika eingeweiht. Sie ist der Barmherzigkeit Jesu geweiht. Damals hat er dort die so wichtige Botschaft von der Hoffnung der Welt, die in der Barmherzigkeit Gottes liegt, verkündet. Er hat ausdrücklich gesagt: Es gibt keine andere Hoffnung als die Barmherzigkeit Gottes. Er möchte, dass alle Menschen diese Botschaft, diese Wahrheit kennen lernen. Seid Zeugen der Barmherzigkeit! So war sein Aufruf am Schluss. Dort durfte ich heute mit dem Erzbischof von Krakau und Zehntausenden Pilgern den Sonntag der Barmherzigkeit feiern. Es ist ein ganz enger Zusammenhang zu dem, was wir heute Abend bedenken.
Wir glauben, dass der Herr in der Eucharistie gegenwärtig ist. Diese Gewissheit im Glauben, die in so vielen Formen auch zum Ausdruck kommt, etwa wenn wir vor dem Allerheiligsten die Kniebeuge machen, durchzieht wie ein roter Faden alle Katechesen. Aber wie ist diese Gegenwart geartet? Welcher Art ist sie? Darüber möchte ich heute Abend sprechen.

I.
Ich möchte mit einer Erinnerung an den Pfarrer von Ars beginnen, der ein großer Verehrer der eucharistischen Gegenwart war. Bei seinen Katechesen hat er sich immer wieder umgedreht oder zum Tabernakel hingewandt. Er sagte einfach: „Il est là!“ – „Er ist da!“ Der Glaube weiß, was das heißt, auch wenn es der Vernunft unbegreiflich ist. Der Glaube erfasst es. Ich möchte am Anfang ein Zeugnis nennen. Die inzwischen verstorbene Benediktinerin von St. Gabriel-Bertelstein Mirjam Prager, jüdischer Herkunft, erzählt es in ihrer Lebensgeschichte (Das Buch meines Lebens, Graz 1981). Sie war junge Lehrerin bei Maria Montessori in Belgien, in einer Montessorischule bei der berühmten Pädagogin. Sie war ungläubig in einem säkularisierten jüdischen Ambiente aufgewachsen. Sie kommt in die Kapelle der Schwestern dort. Sie weiß nicht, was da stattfindet, sieht nur, es ist irgendeine Art Gottesdienst. Plötzlich hat sie die Gewissheit: Ich muss mich taufen lassen. Nachher erfuhr sie, dass es eine sakramentale Andacht war. Der Segen wurde mit dem Allerheiligsten erteilt. Sie wusste nicht, was das war. Sie hat nur die klare innere Stimme vernommen, sich taufen zu lassen. – Der Herr ist da.

Ein zweites Zeugnis: Frère Roger von Taizé schreibt einmal in einem Tagebuch über die kleine romanische Kirche in Taizé, die katholische Kirche des Ortes. – Taizé ist eine ökumenische Gemeinschaft, mit Katholiken aber auch Evangelischen, Roger Schutz ist reformierter Christ. – Er beschreibt, wie er gerne in diese kleine romanische Kirche beten geht. Dann sagt er nur diesen ganz kurzen Satz: „Dieser Ort ist bewohnt.“

Welcher Art ist die Gegenwart des Herrn? Ich beginne mit einem Text, den das Zweite Vatikanische Konzil uns geschenkt hat in seiner Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, 4. Dezember 1963, Artikel 7, wo es um die Frage geht: Wie ist Christus in der Liturgie, in der Kirche, unter den Menschen gegenwärtig? Das Konzil sagt: „Um dieses große Werk [sein Heilswerk] voll zu verwirklichen, ist Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen. Gegenwärtig ist er im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht – denn ‚derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat‘ –, wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten.“ – Über dieses „vor allem“ werden wir dann nachdenken.“ – „Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so dass, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft. Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: ‚Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt 18,20).“ Ergänzen müssen wir noch, was hier im Liturgietext nicht steht, aber Kern des Evangeliums ist: Gegenwärtig ist der Herr besonders in denen, die er „seine geringsten Brüder“ nennt: „Ich war krank und du hast mich besucht. Ich war im Gefängnis und du bist zu mir gekommen. Ich war hungrig, und du hast mich genährt. Ich war nackt, du hast mich bekleidet. – Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (vgl. Mt 25,35-36.40) – das Sakrament des Nächsten, besonders des Not leidenden Nächsten.
Vor allem, so sagt das Konzil, ist er in den eucharistischen Gestalten gegenwärtig. Darüber soll es heute gehen. Was heißt dieses „vor allem“? Warum suchen wir in besonderer Weise die Gegenwart Christi im Sakrament? Ich werde am Schluss auch etwas über die eucharistische Anbetung sagen. Was ist ihr Sinn?

II.
Beginnen wir einfach mit der Frage: Wie ist jemand oder etwas gegenwärtig? In einem ersten, unmittelbaren Sinn können wir sagen: Ich bin jetzt für Sie gegenwärtig und Sie sind hier gegenwärtig. Wir sind da, hier in diesem wunderbaren Dom. Wir sind hier zusammengekommen, jetzt sind wir da. Nennen wir das einfach einmal die körperliche, leiblich Gegenwart, die physische Präsenz. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass man da ist. Wenn ich im Stau stecken geblieben wäre auf der Fahrt von Krakau nach Wien, wäre ich jetzt nicht da, aber Sie wären da. Wenn man zu Hause geblieben wäre, weil man zu müde war, um zur Katechese zu kommen, wäre man auch nicht da. Da sind immerhin die Bänke. Sie sind auch da, aber nicht so, wie wir da sind. Auch die Pfeiler, das Bauwerk, das Dach des Domes sind da. Das ist vorhanden. Ich denke, wir sind hier nicht einfach vorhanden, sondern wir sind da, wir sind anwesend. Von den Bänken sagen wir nicht, dass sie anwesend sind. Sie stehen da. Was heißt das? Anwesend ist nicht einfach ein bloßes Dasein, sondern ein Für-etwas-Dasein oder Für-jemanden-Dasein. Anwesend, das heißt gegenwärtig sein, dabei sein, bei einer Sache sein, aufmerksam sein, in einer Beziehung stehen. Wenn zum Beispiel zwei Menschen in einem Gespräch sind, sind sie für einander anwesend. Es kann auch so sein, dass wir einfach vorhanden sind. Wenn ich in die U-Bahn steige, bin ich einfach vorhanden und die anderen sind vorhanden. Natürlich besteht auch eine Art Beziehung, aber sie ist nicht sehr ausdrücklich und kommt einem nicht zum Bewusstsein. Zumindest früher war das so üblich, als noch nicht jeder nur für sich da war, entstand bei der Bahnfahrt meistens ein Gespräch mit den Mitfahrenden, und plötzlich wird aus einem beziehungslosen Nebeneinander ein Miteinander. Zwei, drei, mehrere Menschen reden miteinander und sind plötzlich für einander anwesend.

Was ist dieses andere, das da dazu kommt? Es ist die Aufmerksamkeit. Sie richtet sich auf jemanden. Zur leiblichen Gegenwart kommt noch die seelische Gegenwart. Wenn Sie es philosophisch nennen wollen, können Sie sagen die intentionale Gegenwart, die Ausgerichtetheit auf einen anderen. Erst wenn beides zusammenkommt, dass man körperlich da ist und seelisch da ist, kommt es zu einer persönlichen Gegenwart. Am schönsten kommt das zum Ausdruck in der Freundschaft. Man ist miteinander da und gleichzeitig füreinander. Es ist ein seelisches Miteinander, nicht nur ein räumliches Nebeneinander. Der hl. Thomas nennt das wunderbar, wenn er die Freundschaft als mutua inhaesio bezeichnet, wörtlich heißt das ein „gegenseitiges Innesein“. Man ist einander inne, man wird einander inne. Es ist eine lebendige und intensive Gegenwart. „Ich in dir und du in mir“ – so sagt Jesus von seiner Liebe zum Vater, ihrem gegenseitigen Innesein (Joh 17,21). Das ist sicher die stärkste Form der Gegenwart, die wir haben können. Ohne sie ist eine rein leibliche Gegenwart irgendwie farblos, leblos, sie kann sogar lieblos sein. Wenn zwei Menschen einander lieben oder einander Freund sind, dann sehnen sie sich auch danach, zusammen zu sein. Dann ist es etwas besonders Wertvolles, wenn man miteinander zusammen ist.

Manchmal kann auch das Zusammensein unerträglich sein. Die Bibel weiß darüber. Ich zitiere einen „bösen“ Spruch aus dem Alten Testament. Es gibt viele schöne Worte im Alten Testament, aber im Buch der Sprichwörter steht einmal: „Besser in einer Ecke des Daches wohnen, als eine zänkische Frau im gemeinsamen Haus“ (Spr 21,9; 25,24). Natürlich hat das ein Mann geschrieben. Wenn es eine Frau geschrieben hätte, würde sie wahrscheinlich etwas Ähnliches schreiben können.
Es gibt auch die Situation, in denen die leibliche Gegenwart nicht geschenkt ist. Freunde, die sich lange nicht sehen, Liebende, die voneinander getrennt sind, aber im Gedächtnis ist man einander nahe, in der Absicht, in der Zuwendung des Herzens. Man kann einander sehr stark gegenwärtig bleiben, auch wenn man sich leiblich gar nicht oder ganz selten sieht und sehr weit von einander weg ist. Gegenwärtig bleiben ist dabei durchaus etwas ganz Wirkliches. Die beiden Liebenden, die durch die äußeren Umstände getrennt sind, sind trotzdem einander ganz nahe, aber geistig, seelisch liebend nahe, auch wenn die leibliche Gegenwart fehlt. Es ist eine ganz wirkliche Gegenwart, nur eben keine leibliche.
Vielleicht erinnern sich manche daran, es hat mich damals tief bewegt, als vor mindestens 20 Jahren die Nachricht durch die Medien ging, ein kubanischer Schriftsteller war unter Fidel Castro 22 Jahre lang im Gefängnis gewesen. Als junger Mann, jung verheiratet kam er ins Gefängnis. Seine Frau hat 22 Jahre auf ihn gewartet, 8.000 Tage und Nächte. Das ist eine ganz starke Form von Gegenwart, etwas sehr Reales, etwas sehr Wirkliches. Umso schmerzlicher ist das Fehlen der leiblichen Gegenwart.
Versuchen wir es noch tiefer zu fassen. Das Entscheidende an der persönlichen Gegenwart ist die des Herzens, die seelische Gegenwart. Das ist sozusagen die persönliche Dimension der Gegenwart. Aber diese seelische Gegenwart strebt zur leiblichen Gegenwart. Man will die Freunde wieder sehen, Liebende, die getrennt sind, wollen beieinander sein. Leibliche und räumliche Trennung kann die seelische Gegenwart nicht zerstören, aber sie wird trotzdem als Störung empfunden.
Nun gibt es noch eine dritte Form der Gegenwart. Nennen wir sie einmal die Zeichengegenwart. Man hat vom Geliebten, von der Geliebten, vom Freund, von der Freundin zwar nicht die leibliche Gegenwart, aber ein Photo. Warum zeigen junge Väter ganz stolz Photos ihrer Kinder? Warum hat man das Photo? Es ist ein Zeichen, eine Erinnerung. Es belebt die seelische Gegenwart. Und in gewisser Weise ist es manchmal ein Ersatz für die leibliche Gegenwart. Leonardo Boff, dessen Theologie ich sonst nicht immer teile, hat ein sehr schönes kleines Büchlein über die Sakramente geschrieben (Kleine Sakramentenlehre, Düsseldorf 162002). Dort beschreibt er eine Erinnerung aus der Zeit, als er in Deutschland studiert hat. Er stammt aus Brasilien. Seine Schwester schreibt ihm, der Vater liegt im Sterben. Er kann nicht zurückfahren. Dann kommt ein zweiter Brief, der Vater ist gestorben. Und sie schickt ihm einen Zigarettenstummel, die letzte Zigarette des Vaters. Für ihn persönlich hatte das etwas sehr Bewegendes: ein Zeichen. Für jeden, der diesen Zigarettenstummel sonst irgendwo findet, sagt das überhaupt nichts. Der alte Hut des Großvaters, den man ehrfürchtig aufhebt, für Fremde ist es einfach ein zerbeulter Hut, den man wegwerfen würde, weil er keinen Wert mehr hat. Für die Kinder, die Enkel ist das vielleicht ein ganz wichtiges Zeichen. Durch ein solches Zeichen entsteht eine Beziehung oder wird durch ein solches Zeichen wach gehalten. Ein Erinnerungsstück, ein Bild, ein Photo – das Zeichen vergegenwärtigt. Es vergegenwärtigt freilich nur für den, der das Zeichen lesen kann. Vor einigen Jahren erhielten wir ein uraltes Photoalbum, irgendwelche Ahnen, Vorfahren, alte Tanten, Onkel – keine Ahnung, wer sie waren. Gott sei Dank lebte damals noch die uralte Großtante, schon 100jährig. Sie konnte viele Photos identifizieren. Plötzlich haben diese Photos eine Bedeutung bekommen. Sie hätten sie nicht gehabt, wenn sie nicht identifiziert worden wären.

Die Zeichengegenwart ist nur in dem Maß lebendig, wie wir das Zeichen identifizieren können, wissen, was es bedeutet. Dann wird das Zeichen ganz stark und macht gegenwärtig. Eine Zeichengegenwart kann sehr stark sein oder ganz bedeutungslos. Ich hebe kostbar einen Löffel auf, den mein Vater im Krieg, im Feld immer bei sich hatte. Für jemand der das nicht weiß, hat er überhaupt keine besondere Bedeutung, für mich hat er eine große Bedeutung – Zeichen der Gegenwart.
Im Grunde ist auch die Reliquienverehrung so etwas wie der Sinn für die Zeichen, ein Stück vom Leib oder vom Gewand eines Menschen, der in besonders enger Verbindung zu Gott, zu Christus gestanden hat. Mit der Reliquie sind wir schon an der Schwelle zu einem Miteinander dieser drei Arten von Gegenwart, der leiblichen, der seelischen und der Zeichengegenwart.

III.
Wie ist es jetzt mit der Eucharistie? Vorweg müssen wir sagen: Wir glauben, dass Christus wirklich gegenwärtig ist. Aber wirklich gegenwärtig sind eigentlich alle diese drei Formen. Ein Zeichen ist eine wirkliche Gegenwart, nicht eine leibliche, doch aber eine starke seelische Gegenwart. Und die gedankliche, seelische, liebende Gegenwart ist etwas sehr Starkes, Wirkliches. Nicht allein die leibliche macht es aus. Was heißt also, was die Lehre der Kirche die Realpräsenz nennt, die wirkliche Gegenwart?

Versuchen wir dem etwas näher zu kommen. Die seelische Gegenwart drängt zur leiblichen Gegenwart. Wirklich leiblich gegenwärtig sein, ist sicher das, was wir wünschen. Man wünscht es, wenn man liebt. Aber Christus ist nicht mehr physisch, leiblich unter uns gegenwärtig. Er ist nicht in seinem irdischen Leib gegenwärtig. Ist es möglich, mit ihm seelisch in Verbindung zu treten? Sicher, in der Erinnerung, im Gebet, in der Liebe. Wie ist es mit der Zeichengegenwart? Auch die ist möglich. Wenn wir bei der Zeichengegenwart ansetzen, ist das gar nicht so einfach. Wie ist denn dieses Zeichen? Jemand kommt in den Dom herein, vorne wird die Messe gefeiert, dann hebt der Priester ein Stück Brot, alle werden still, der Priester kniet nieder – wer das Zeichen nicht versteht, kann auch keine Beziehung dazu bekommen.
Ein Einwand, der immer wieder formuliert wurde: Wie soll Christus real, wirklich gegenwärtig sein, leiblich auf dem Altar? Er ist doch im Himmel und kann doch nicht leiblich bei uns sein. Wie sieht das im Glauben der Kirche aus? Die Lehre der Kirche sagt uns, die Sakramente sind Zeichen: die Taufe – Wasser und Worte; die Firmung – Salbung, Handauflegung; die Priesterweihe – Handauflegung; die Krankensalbung. Alle Sakramente sind Zeichen, die nur verständlich sind, wenn man weiß, was sie bezeichnen. Darum gibt es für alle Sakramente eine Vorbereitung. Wir haben also in der Erstkommunionvorbereitung gelernt: Brot und Wein sind Zeichen. Was für Zeichen sind das? Wie können sie uns Christus nahe bringen? Wie ein Photo ist es sicher nicht. Wir sehen nicht Christus in seiner Gestalt. Das Brot hat nicht seine körperliche Gestalt. Er ist nicht körperlich gegenwärtig, wie wir jetzt hier im Dom gegenwärtig sind. Aber das Brot war offensichtlich ein ganz wichtiges Zeichen. Wir haben vor wenigen Tagen im Emmausevangelium gehört: Sie erkannten ihn am Brotbrechen (Lk 24,30-31). Das war ein Zeichen, das offensichtlich für die Jünger sehr viel bedeutet hat. Wenn er das Brot brach, war das etwas, das sie an ihn erinnert hat. Daran haben sie ihn erkannt.

Nun sagen wir in der Sprache des Glaubens: Christus ist gegenwärtig in der Gestalt des Brotes. Wir glauben, dass es wirklich sein Leib geworden ist, aber es ist die Gestalt des Brotes. Vielleicht hilft uns das Nachdenken über das Zeichen, zu verstehen, wie Jesus in der Eucharistie gegenwärtig ist. – Jesus schenkt uns in der Eucharistie nicht einen Blumenstrauß. Das wäre auch ein Zeichen. Wenn ich zu jemandem auf Besuch komme und Blumen mitbringe, ist das ein Zeichen. Wenn ein Ehepaar Streit hatte und der Mann nach Hause kommt mit Blumen, die nicht einfach so abgibt, sondern mit einer liebevollen Geste, dann hat dieser Blumenstrauß eine ganz starke Zeichenbedeutung. – Aber Jesus hat uns nicht ein solches Zeichen gegeben, sondern das Brot. Speziell in diesem Zeichen will er gegenwärtig sein. So fragen wir: Was zeigt denn dieses Zeichen? Brot ist Nahrung. Wenn Jesus gesagt hat: „Nehmt und esst“, und uns Brot gereicht hat, aber dazu gesagt hat: „Das ist mein Leib!“, wollte er offensichtlich mit dem Zeichen etwas zeigen. Er will uns zeigen, wie er gegenwärtig ist, nämlich so, dass wir von ihm leben können, als ein Lebensmittel, als das Lebensmittel. Christus weist durch das Zeichen des Brotes, das Zeichen des Weines auf die Art und Weise hin, wie er für uns gegenwärtig sein will. Indem er uns das Brot bricht, sagt er auch etwas über seine seelische Gegenwart, wie er uns gegenwärtig sein will, nicht nur leiblich sondern auch seelisch. Er will uns Lebensmittel sein. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,56) – Freundschaft. Er will uns so sehr nahe sein, dass er sich uns als Nahrung gibt. Das Zeichen ist hier entscheidend. Deshalb trennen wir uns auch nie von diesem Zeichen. Deshalb verlangt die Kirche, dass es Brot ist, nicht Reis, nicht Polenta. Er ist gegenwärtig in der Gestalt des Brotes. Deshalb wird auch in Afrika und Asien die Heilige Messe mit Brot gefeiert, nicht mit Maniok, weil Er dieses Zeichen gewählt hat. So will er sich uns schenken, mit einem Zeichen, das an eine bestimmte Geschichte gebunden ist, an einen bestimmten Ort, an eine bestimmte Tradition und das eine bestimmte Bedeutung hat: Speise, die von uns aufgenommen wird. So will er von uns aufgenommen sein. So will er uns aufnehmen.

Der Ausdruck „ich habe dich zum Fressen gerne“ ist nicht ganz katechetisch geeignet für die Eucharistie, aber vielleicht doch ein bisschen. „Ich habe dich zu fressen gern“, wenn eine Mutter ihr Kind so richtig herzt, scheint in unserer Sprache auch etwas von der Zeichengegenwart durch.
Ist es aber nur Zeichengegenwart? Manche haben gemeint: Ja, das Brot ist ein Erinnerungszeichen, wie der Hut des Großvaters ein Erinnerungszeichen ist oder das Photo, das man auf der Kredenz stehen hat, um sich an die Oma zu erinnern. Nein, es ist ein Zeichen, das etwas bewirken will. Jedes Zeichen will etwas bewirken. Wenn auf der Straße ein rundes Schild steht und darauf steht „80“, ist das ein deutlicher Hinweis, dass man nicht 160 fahren soll. Das ist ein Zeichen, das etwas bewirken will. Alle Zeichen, die wir setzen, wollen etwas bezeichnen. Christus will mit dem Zeichen des Brotes etwas bezeichnen. Er will bezeichnen, dass er für uns so sehr da ist, dass er sich uns zur Speise gibt, leiblich. Welche Art von Gegenwart ist das? Hier können wir nicht anders, als auf den Glauben zurückkommen und müssen sagen: Dieses Zeichen ist einzigartig. Alle Zeichen, die wir kennen, verweisen auf etwas anderes. Dieses Zeichen enthält, was es bezeichnet. Es verweist gewissermaßen auf sich selber. Dieses Zeichen des Brotes verweist auf den, der gesagt hat: „Das ist mein Leib.“ Es ist deshalb ein einmaliges, einzigartiges Zeichen. In diesem Zeichen verbindet der Herr beides, nämlich seine leibliche und seine seelische Gegenwart. Leiblich meint freilich nicht in seinem irdischen Leib, er ist ja auch nicht in seiner leiblichen Masse vorhanden, sondern, und hier sagt uns die Lehre der Kirche ein ganz wichtiges Wort, der Herr ist wesenhaft anwesend in diesem Zeichen, nicht in seinem physischen Leib, sondern mit seinem ganzen Wesen. Vere, realiter, substantialiter, sagt die Lehre der Kirche, wahrhaftig gegenwärtig, wirklich, nämlich auch wirksam gegenwärtig und in seinem Wesen, er selbst mit Leib und Seele und mit seiner Gottheit (vgl. KKK 1374). Am Schluss stehen wir wieder vor dem Zeichen. Für den, der diesen Glauben nicht teilen kann, bleibt es ein vielleicht bedeutsames Zeichen der Erinnerung: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ So haben es manche Reformatoren in der Reformationszeit verstanden, ein Erinnerungszeichen. Für uns sagt der Glaube mehr. Der Herr ist in diesem Zeichen durch die Wandlung wirklich, wahrhaft, wesenhaft selber anwesend.

Das erkennt nur der Glaube. Aber es ist nicht ein blinder Glaube, sondern einer, der durch das Zeichen zur Wirklichkeit hingeführt wird. „Nehmt und esst! Das ist mein Leib.“ Das Zeichen sagt uns, was der Herr tun will. Esst, nehmt es, empfangt mich, mich selber, meinen Leib, meine Seele, meine Gottheit, mich ganz und gar. Nehmt und trinkt, das ist mein Blut, für euch für die Vergebung der Sünden vergossen. So ist das Zeichen also nicht einfach die Aufforderung zu einem blinden Glauben, sondern durch das Zeichen zeigt uns der Herr, was er uns schenken will und wie er gegenwärtig ist.

IV.
Ich komme zu drei Schlussbemerkungen, drei kleinen Ergänzungen zur kirchlichen Lehre.
1. Wie lange dauert die Gegenwart in der Eucharistie? Die Antwort können wir jetzt ganz einfach aus dem Gesagten ermessen. Der Glaube der Kirche sagt ganz klar: So lange das Zeichen da ist. Denn diese Gegenwart des Herrn ist an das Zeichen gebunden. Er schenkt sich uns in der Gestalt von Brot und Wein. Wenn es nicht mehr Wein ist, wenn es nicht mehr Brot ist, ist auch diese Gegenwart des Herrn nicht mehr gegeben (vgl. KKK 1377). Wenn ich den Herrn in der Kommunion empfange, so lange das Brot sozusagen nicht verdaut ist, währt die sakramentale Gegenwart des Herrn. Seine gnadenhafte Gegenwart bleibt natürlich darüber hinaus bestehen. Ich kann immer mit ihm in Verbindung treten, im Gebet, in der Fürbitte, in einem Akt der Liebe und der Zuwendung. Aber sakramental ist der Herr gegenwärtig, so lange die sakramentale Gestalt besteht. Daher eine ganz einfache praktische Schlussfolgerung: Wir gehen, so lange die Kommunion sozusagen in uns noch da ist, nicht einfach zur Tagesordnung über. Darum hat es so einen großen Sinn, nach dem Empfang der Kommunion eine Weile in Stille, in Anbetung, in Dankbarkeit zu verweilen: Jetzt habe ich dich im Sakrament empfangen. Jetzt verweile ich bei dir, wie du bei mir verweilst. Darum ist es so wichtig. Darum habe ich so gebeten, dass in den Gottesdiensten in unserer Diözese nach der Kommunion eine Zeit der Stille ist, der innigen Beziehung zu Christus, den ich in der Kommunion empfangen habe. Deshalb ist es schön, wenn es möglich ist, auch nach der Heiligen Messe es ausklingen zu lassen, nicht einfach davon zu stürmen und in den Alltag überzugehen.

2. Die „eucharistische Reserve“, der Tabernakel. Die Gegenwart ist an die Gestalt, das Zeichen des Brotes, des Weines gebunden. Den Wein behält man normalerweise nicht auf, aber das eucharistische Brot, die Brotgestalt, für die Kranken. So war es am Anfang, damit man auch nach der Messe den Kranken die Kommunion bringen konnte. Schon sehr früh haben die Christen gemerkt, wir können die eucharistischen Gestalten, das eucharistische Brot nicht einfach wie normales Brot in der Schublade lassen. Es ist der heilige Leib des Herrn, auch über die Dauer der Messe hinaus. So entstand allmählich die Verehrung der Gestalten des Herrn in der Eucharistie über die Zeit der Messe hinaus. Der Tabernakel soll nach kirchlicher Auffassung einen besonderen Ehrenplatz in der Kirche haben, damit wir auch vor dem eucharistischen Herrn verweilen können (vgl. KKK 1379).

3. Wie wichtig ist diese ganz schlichte Form der Anbetung in der Eucharistie. Manche sagen: Wieso anbeten in der Eucharistie, er hat doch gesagt: „Nehmt und esst“? Er hat doch nicht gesagt: „Nehmt und schaut mich an!“ oder: „Nehmt und betet die eucharistische Gestalt an!“ Mit diesem Argument hat man immer wieder gegen die eucharistische Anbetung polemisiert. Die Brotgestalt ist natürlich zum Essen da. Aber wenn wir den Herrn in der eucharistischen Gestalt des Brotes verehren, anbeten, dann ist er ja für uns gerade in der Gestalt da, in der er sich uns schenken will. Die eucharistische Anbetung erinnert uns daran: „Seht, so sehr bin ich für euch da, dass ich für euch zum Essen da bin. Ich in euch und ihr in mir“ (vgl. KKK 1379-1380). Nächstes Mal werde ich etwas über die eucharistische Anbetung im Rahmen der Kommunion sagen, die dann unser Thema ist.

Zum Schluss komme ich noch einmal auf das „Il est là“ des Pfarrers von Ars zurück: „Er ist da.“ Eine der berühmten Bekehrungsgeschichten des 20. Jahrhunderts ist die von André Frossard. – Manche mögen sein Buch gelesen haben „Gott existiert, ich bin ihm begegnet“, es war eine große Sensation damals, Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Der bekannte französische Journalist André Frossard, aus einer atheistischen Familie stammend und atheistisch aufgewachsen besucht als Student in der Rue d’Ulm, in der Ulmerstraße in Paris, die berühmteste französische universitäre Eliteschule, die Ecole normale supérieure, ein brillanter junger intellektueller Akademiker. Er hat einen Freund gesucht und erfahren, er ist gegenüber der Schule in die Kapelle eines Klosters dort gegangen. André Frossard sucht diesen Freund, geht in die Kapelle hinein. Er erzählt: „Ich bin hineingegangen und nach 10 Minuten als Christ zurückgekommen.“ Es war eine dieser umstürzenden Bekehrungen, die immer wieder geschehen. Im Rückblick konnte André Frossard auch das Geheimnis dieser Bekehrung entschlüsseln. Dort, bei den Schwestern in der Rue d’Ulm in Paris war ewige Anbetung. Später hat er verstanden, dass der, der da so plötzlich in sein Leben getreten ist, da war, gegenwärtig in der Eucharistie. Er hat ihn gerufen. „Il est là.“ – „Er ist da.“ Einfacher, glaube ich, können wir das Geheimnis nicht ausdrücken, als es der einfache Pfarrer von Ars getan hat.

 

 



 

 

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