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Katechesen
2003/2004
8. Jahresreihe - 5. Katechese,
2004-02-01
Eucharistie: Gedächtnis –
Opfer – Mahl
Die Messe – ein Opfer? |
Vier Schlüsselworte zur Eucharistie stehen in der Mitte dieser
Katechesen: Gedächtnis, Opfer, Wandlung, Gegenwart.
Über das Wort „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ haben wir in
der vergangenen Katechese ausführlich gesprochen. Heute geht es um die Frage:
In welchem Sinn ist die Eucharistie Opfer? In der nächsten Katechese möchte
ich das Thema Wandlung ansprechen: Was heißt es, dass Brot und Wein gewandelt
werden? Schließlich folgt in der Aprilkatechese das Thema Gegenwart: Was heißt
es, dass der Herr im Sakrament, in der Eucharistie wirklich, wahrhaft, real
gegenwärtig ist? Die beiden letzten Katechesen möchte ich dann der Kommunion
zuwenden, dem Empfangen des Herrn in der Eucharistie.
Wie gehen wir diese Themen an? Es gibt verschiedene
Möglichkeiten. Ich wähle die, die ich bisher schon schrittweise zu gehen
versucht habe: Indem wir auf das schauen, was die Kirche tut. Wenn wir wissen
wollen, was die Kirche glaubt, dann müssen wir schauen, was sie feiert. Ein
uraltes christliches Wort sagt: lex orandi, lex credendi. Die Kirche betet,
die Kirche glaubt. Was sie betet sagt etwas über das, was sie glaubt. Das
Gesetz ihres Betens ist auch das Gesetz ihres Glaubens. „Die Kirche glaubt so,
wie sie betet“, fasst es der Katechismus zusammen (1124). Schauen wir also auf
das Beten der Kirche, wenn wir uns fragen, in welchem Sinn die Messe ein Opfer
ist. Im Beten der Kirche spricht die Kirche gewissermaßen ihr Herz aus, drückt
sie ihr innerstes Herzensanliegen aus. Die Liturgie der Kirche sagt uns
deshalb so viel über den Glauben der Kirche.
I.
Deshalb vorweg eine Bemerkung über das Feiern der Kirche, das uns alle
betrifft, die der Eucharistie vorstehen und die mitfeiern. Es ist grundlegend
wichtig, dass wir die Liturgie der Kirche feiern und nicht eigene, persönliche
Ideen aufzuführen versuchen. Das gilt natürlich für den Vorsteher der
Eucharistie, den Priester, den Bischof, das gilt aber auch für die
Liturgieausschüsse in unseren Pfarrgemeinden. Sie sind nicht dazu da,
Experimente mit der Liturgie zu machen, sondern diese würdig und ihrem
innersten Sinn entsprechend zu gestalten und zu feiern. Manchmal sind allzu
subjektive Anmutungen von Liturgiegestaltern eine Zumutung für die Gläubigen.
Wie kommt eine ganze Gemeinde dazu, dass sie sich hineinzwängen muss in die
sehr subjektiven, manchmal auch eigenwilligen Ideen von Liturgiegestaltern?
Das gilt natürlich vor allem und ganz besonders von der Heiligen Messe. Sie
ist das Herz der Kirche, das Herz der Liturgie, und hier ist größte Ehrfurcht
gefordert. Das heißt nicht Starrheit, ängstliches Festhalten, sondern große
Ehrfurcht. Es geht um das Allerheiligste der Kirche. Daher ist es so wichtig,
dass wir die Liturgie der Kirche nicht freihändig, eigenwillig umgestalten.
Aber auf der andern Seite heißt das nicht, dass wir ängstlich und starr
Gottesdienst feiern müssen, sondern eher in dem Sinn, dass wir uns
gewissermaßen loslassen, hinein geben in die Feier der Liturgie. Ich sehe das
so, dass die Liturgie so etwas wie eine Mystagogie ist, eine Einführung ins
Geheimnis. Wer sich von der Liturgie leiten lässt, wird gewissermaßen von der
Kirche an der Hand genommen und hinein geführt in das Geheimnis des Glaubens.
Das erfordert einerseits eine große Treue zum Ritus, zu dem, was uns als
liturgische Gestalt überliefert ist, anderseits aber auch eine große
Verfügbarkeit, sich von der Liturgie gestalten, formen, prägen zu lassen. Das
setzt auch voraus ein gewisses Loslassen von der eigenen Subjektivität und ein
Sich-hinein-Geben in den Gottesdienst. Ich gestehe, mir fällt das besonders
deutlich in der ostkirchlichen Liturgie auf. Unsere lateinische Liturgie ist
meist so kurz, geht so schnell, dass man kaum Zeit hat, sich wirklich
loszulassen. Eine ostkirchliche Liturgie, die zwei, zweieinhalb, drei Stunden
dauert, ist ein langsames Einschwingen in den Gottesdienst. Allmählich wird
man mitgenommen, an der Hand genommen, hineingeführt, und die Seele hat Zeit,
mit der Feier des Geheimnisses mitzukommen. Ich denke, hier haben wir in der
lateinischen Liturgie und Kirche viel von der Ostkirche zu lernen.
Eines ist auf jeden Fall dringend zu vermeiden, sowohl für die
Gemeinde wie für den Vorsteher: die Versuchung der Selbstdarstellung. Es geht
nicht darum, eine Liturgie möglichst originell zu gestalten, sondern Christus
Raum zu geben, dass sein Wort hörbar wird, dass sein Kommen in der Eucharistie
wirklich im Mittelpunkt steht. Er ist der eigentliche Liturge. Wir, der
Bischof, der Priester sind Diener Christi oder, wie Paulus einmal sagt,
„Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1). Auch die Gemeinde versammelt
sich ja nicht um den Priester, erst recht nicht um sich selbst, sondern um
Christus.
II.
Lassen wir uns in Frage nach dem Opfercharakter der Messe von der Feier der
Liturgie leiten. Der Gottesdienst selber soll uns sagen, inwiefern die Messe
ein Opfer ist, inwiefern es berechtigt ist, vom Messopfer zu sprechen, wie man
es früher selbstverständlich getan hat – heute ist dieser Ausdruck etwas
weniger vertraut. Ich nehme dazu einmal das dritte Hochgebet zur Hand, eines
der neu gestalteten Hochgebete, das aber ganz aus traditionellen Elementen der
altkirchlichen Liturgie besteht, eines jener Hochgebete, die nach dem Konzil
in der Kirche Heimatrecht bekommen haben. Wahrscheinlich ist das dritte
Hochgebet das, das man am häufigsten am Sonntag hört. Ich nehme also das
dritte Hochgebet zur Hand und frage: Was sagt uns die Liturgie über das
Messopfer?
Es beginnt gleich nach dem Sanctus: „Ja, du bist heilig,
großer Gott, und alle deine Werke verkünden dein Lob.“ – Perspektive der
Schöpfung. – „Denn durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, und in der
Kraft des Heiligen Geistes erfüllst du die ganze Schöpfung mit Leben und
Gnade.“ – Dann folgt ein Wort, auf das wir heute noch zurückkommen werden, wir
haben es oft gehört: –„Bis ans Ende der Zeiten versammelst du dir ein Volk,
damit deinem Namen das reine Opfer dargebracht werde vom Aufgang der Sonne bis
zum Untergang.“ – Da wir alle das Alte Testament sehr gut kennen, ist uns
vertraut, dass das ein Zitat aus dem Propheten Maleachi / Malachias ist. Der
Prophet donnert gegen den verweltlichten, oberflächlichen Kult im Tempel. Er
kündigt an, dass es einen Tag, eine Zeit geben wird, da Gott ein reines Opfer
dargebracht werden wird bei den Völkern, vom Aufgang der Sonne bis zum
Untergang (Mal 1,11). Dieses reine Opfer, die oblatio munda, sagt der
lateinische Text, ist, so deutet es uns die Liturgie, die Eucharistie. Die
Eucharistie ist ein Opfer, das dem Namen Gottes überall vom Aufgang der Sonne
bis zum Untergang dargebracht wird. Nun haben wir aber, bibelfest wie wir
sind, auch gehört: Es gibt nur ein Opfer. Ein für alle Mal hat Christus sich
als das vollkommene Opfer dargebracht. Es gibt nur ein Opfer, und mit diesem
einen Opfer hat er alle Opfer erfüllt, die es je gegeben hat. Was soll also
das Messopfer?
Hören wir weiter. Nach den Einsetzungsworten, den
Wandlungsworten, über die wir nächstes Mal sprechen werden, folgt die so
genannte Anamnese, das Gedenken. Wir haben letztes Mal darüber gesprochen: Die
Kirche gedenkt der großen Taten Gottes, besonders derer, die mit Jesus
Christus zu tun haben. „Darum, gütiger Vater, feiern wir das Gedächtnis deines
Sohnes. Wir verkünden sein Heil bringendes Leiden, seine glorreiche
Auferstehung und Himmelfahrt und erwarten seine Wiederkunft.“ – Und jetzt
heißt es im Text weiter: „So bringen wir dir mit Lob und Dank dieses heilige
und lebendige Opfer dar.“ – Wovon redet die Liturgie hier: dieses heilige und
lebendige Opfer? Die Liturgie sagt: Wir bringen es dar. Aber im Neuen
Testament haben wir doch gelesen, dass Christus ein für alle Mal das Opfer
dargebracht hat. Hier heißt es: Wir bringen das Opfer dar. Dann geht das Gebet
weiter: „Schau gütig auf die Gabe deiner Kirche.“ – Lateinisch noch
deutlicher: „in oblationem Ecclesiae tuae“ – Das Opfer, die Opfergabe deiner
Kirche. Es ist also doch ein Opfer der Kirche. – „Denn sie stellt dir das Lamm
vor Augen, das geopfert wurde“ – Christus, das Lamm, das geopfert wurde – „und
uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat …“ – Hier ist wieder die Rede vom
Opfer. Lateinisch heißt es: „… agnoscens hostiam cuius voluisti immolatione
placa-re“ – „Erkenne das Opferlamm, durch dessen Darbringung du versöhnt
werden wolltest“.
Dann geht das Gebet noch weiter: „Er mache uns auf immer zu
einer Gabe, die dir wohl gefällt …“ – jetzt sollen wir ein Opfer werden: „Ipse
nos tibi perficiat munus aeternum“ – Er mache uns zu einer ewigen Opfergabe.
Es war also die Rede vom Opfer Christi, von dem, was die Kirche darbringt, und
jetzt sollen wir selber ein Opfer werden.
Und dann kommt, fast wie eine Zusammenfassung, ein gewaltiges Wort:
„Barmherziger Gott, wir bitten dich: Dieses Opfer unserer Versöhnung bringe
der ganzen Welt Frieden und Heil.“ – „Haec Hostia nostrae reconciliatio-nis“ …
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Wenn ich diesen Text spreche oder höre in
der Feier der Eucharistie, dann reißt es mich manchmal. Wenn man versucht, zu
bedenken was für eine gewaltige Dimension die Eucharistie hier bekommt, die
der ganzen Welt Frieden und Heil bringt. Entweder wird hier furchtbar
übertrieben, oder es ist ein Opfer von einer unvorstellbaren, gewaltigen
Kraft. Welche Kraft muss ein solches Opfer, ein solches Geschehen haben, dass
man ihm eine solche Wirkung zusprechen kann. Worum handelt es sich? Was ist
mit diesem „Opfer unserer Versöhnung“ gemeint, das Opfer Christi, das
Messopfer, unsere Hingabe? Es heißt hier nur: „dieses Opfer“.
Das ist hier nur an einem Hochgebet gesehen. Wir könnten, wenn
wir viel Zeit hätten, die anderen Hochgebete anschauen, es ist dort nicht
anders. Ganz selbstverständlich ist vom Opfer die Rede: das Opfer Christi, das
Opfer der Kirche, jeder von uns soll Opfer werden. Dieses Opfer, was immer
damit gemeint ist, soll der ganzen Welt Frieden und Heil bringen.
III.
Jetzt stellt sich die Frage: Was heißt überhaupt Opfer? Was heißt Opfer
bringen? Verlangt Gott Opfer? Sofort kommen uns Missbrauchsmöglichkeiten in
den Sinn. Die Opferhaltung kann ein Vorwand sein, Problemen auszuweichen, sich
nicht zu bemühen, sie zu lösen. Man bringt eben Opfer. Ist das Opfer nicht
eine Flucht vor der Tat, in eine Opferhaltung zu gehen, statt die Dinge zu
ändern? Kann das Opfer nicht Ausdruck von Selbstgerechtigkeit sein: Schaut,
was ich leiste, welche Opfer ich bringe, wie ich mich für euch aufopfere? – Es
gibt durchaus die Gefahr, dass Mütter, manchmal auch Väter, ihre Hingabe für
ihre Familie als Druckmittel verwenden: Seht, was ich für euch alles tue! Was
tut ihr für mich? Das kann bis hin zur seelischen Erpressung gehen: „Ich
opfere mich auf für dich, und du liebst mich nicht…“ – Ist Opfer nicht ein
Ausdruck von Lebensverneinung, Leben ablehnender Haltung? Ist das nicht
Ausdruck einer Furcht vor dem Leben? Diese psychologischen Einwände sind
vielfach bekannt und uns vielleicht auch schon selber begegnet. Statt Opfer
sollte ich mich selber durchsetzen.
Aber es gibt nicht nur psychologische Einwände gegen das
Opfer, auch theologische, massive Einwände: Hat Christus nicht gegen die Opfer
polemisiert? Hat er nicht ganz klar gesagt, dass viel wichtiger als alle Opfer
die Barmherzigkeit ist (vgl. Mt 9,13; 12,7)? Was soll das Opfer bringen, wenn
die Liebe fehlt? Hat Jesus nicht die Opfer des Alten Bundes durch das Gebot
der Liebe ersetzt? Ein anderer theologischer Einwand ist: Wenn Christi Tod ein
Opfer ist, dann ist es das einzige Opfer, ein für alle Mal. So sagt es zum
Beispiel der Hebräerbrief: Er hat sich ein für alle Mal für uns dargebracht
(7,27). Dann braucht es aber doch nicht neue Opfer, Messopfer, dass man Messen
„bestellt“, Messopfer feiern lässt. Die Reformation polemisiert heftig gegen
das Messopfer, gegen die Messopferpraxis, dass man 30 Messen hintereinander
bestellt, eine so genannte „gregorianische Messe“. Das Mittelalter war tief
überzeugt davon, dass das Messopfer wirksam ist, besonders für die
Verstorbenen, daher die vielen, vielen Messstiftungen. Viele solcher
Messstiftungen für Verstorbene hat es hier im Dom gegeben, damit ihnen das
Messopfer zugute kommt. In meiner Jugend war es noch sehr viel
selbstverständlicher, dass man für die Verstorbenen Messen lesen hat lassen.
Heute habe ich größte Schwierigkeiten, wenn mir ein Bischof aus einem armen
Land schreibt: Haben Sie nicht Messstipendien für uns? Unsere Priester haben
nichts zu essen, zu leben. Sie leben von den Messstipendien, und ich muss
ihnen sagen, in Österreich werden viel weniger Messen bestellt. Manche
Theologen sagen: Gott sei Dank! Das war ein Missbrauch. Dazu kommt dann noch
die ganze Polemik über den Ablass, der auch mit dem Messopfer verbunden ist.
Alle diese Themen hat die Reformation kritisiert, zum Teil zu Recht, zum Teil
müssen wir auch sagen, von unserem Standpunkt aus, zu Unrecht. Martin Luther
hat massiv gegen das Messopfer gekämpft. Er hat das als, wie er einmal sagt,
„fast der ergist mißbrauch“ bezeichnet: Der ärgste Missbrauch ist, dass „nu
fast alle Welt auß der messe hatt ein opffer gemacht“ (WA 6,365). Luther
polemisiert heftig dagegen, dass die Messe ein Opfer sein soll. Ein wenig
möchte ich zitieren, es ist die kräftige Sprache des 16. Jahrhunderts, seien
sie unbesorgt, die katholischen Polemiker haben nicht weniger polemisch zurück
geschossen. Luther bezeichnet das Messopfer als einen „Trachenschwantz“, „viel
unzifers und geschmeis mancherlei Abgoette-rey“ habe das Messopfer „gezeugt“
(WA 50,204). Und als es dann um die Frage ging: Könnte man sich vielleicht
doch wieder einigen? Könnte man vielleicht doch ein Konzil miteinander machen?
Da hat Luther ganz klar und deutlich gesagt: In dieser Frage „sind und bleiben
wir ewiglich gescheiden und widereinander. Sie fuelens wol, wo die Messe
fellet, so ligt das Bapsttum“ – mit der Messe fällt auch das Papsttum (ebd.;
vgl. W. Averbeck Der Opfercharakter des Abendmahls, Paderborn 1967, 33). Für
ihn war es klar, dass er nicht darauf verzichten kann, die Messopferidee
abzulegen. Das war nicht eine billige Polemik, auch wenn es sehr polemisch
vorgetragen wurde, sondern dahinter stand eine tiefe Überzeugung. Luther war
überzeugt: Was uns erlöst hat, ist nicht Menschenwerk. Gott hat uns erlöst.
Christus hat uns erlöst. Sein Opfer ist nicht Menschenwerk, sondern
Gotteswerk. Die Idee, dass wir teilnehmen am Opfer Christi, dass wir selber
etwas darbringen, opfern können, das würde ihm etwas Wesentliches wegnehmen
von dem, was für ihn der Kern des christlichen Glaubens ist, dass Gott es
macht und nicht der Mensch. Das Messopfer ist für ihn deshalb Menschenwerk.
Der Mensch tut etwas, bringt Gott etwas dar. Die Gefahr, die er wittert, ist,
dass der Mensch dann selbstgerecht wird, sich etwas auf seine Leistungen
einbilden könnte.
So ist die Frage des Messopfers nicht nur in der Reformationszeit sondern im
Grunde bis heute eine Frage, die uns in die Mitte unseres Glaubens
hineinführt. Geht es beim Messopfer um menschliche Leistungen, um etwas,
worauf wir uns etwas einbilden können? Macht das Opfer das Werk Gottes
überflüssig? Müssen wir Gott überhaupt Opfer bringen? Braucht Gott das? Ist
Gott nicht der, der unendlich viel größer ist, als alle unsere Opfer je sein
können? Schließlich die Frage, die heute so viele Menschen stellen: Hat Jesus
selber ein Opfer gebracht? Was ist das für eine Gottesvorstellung, dass Gott
durch ein Opfer sich versöhnen lässt? Wir haben es eben im dritten Hochgebet
gehört: „Schau auf die Gabe deiner Kirche“ – oblationem ecclesiae tuae – „sie
stellt dir die Hostia, das Opfer, das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und
uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat.“ Du wolltest also durch ein Opfer
versöhnt werden. Was ist das für ein Gottesbild? Braucht Gott wirklich Opfer,
um uns wieder anzunehmen? Hat Gott uns nicht grundlos und bedingungslos
geliebt und uns sein Erbarmen geschenkt, ohne dass wir etwas leisten? Das sind
die großen Fragen, die auch heute im Raum stehen.
IV.
Gehen wir einmal einen Schritt zurück und fragen wir, wie es überhaupt mit dem
Wort Opfer steht. Was sagt die Alltagssprache? Ich hoffe, dass wir morgen in
der Zeitung nicht wieder von neuen Opfern des Terrors lesen werden. Opfer des
Verkehrs. Das Wort Opfer kommt ständig vor und meint, dass jemand getroffen
ist, durch Gewalt – wir hören immer wieder von Missbrauchsopfern und
unterscheiden Opfer und Täter – das ist also offensichtlich etwas, was dem
Menschen widerfährt als Gewalt, die ihn zutiefst betrifft, verletzt, bis hin
zur Vernichtung des menschlichen Lebens. Das Wort Opfer kommt auch in einem
Zusammenhang vor, von dem wir auch aus der Bibel wissen, der aber in der
Alltagssprache durchaus auch vorhanden ist. Wenn ich sage, etwas kostet mich
Überwindung, kann ich auch sagen: Es ist mir wirklich ein Opfer. Heute Abend
hier im kalten Dom zu sein, statt gemütlich zu Hause zu sitzen, ist mir
wirklich ein Opfer. Ich musste mich überwinden, mich auf den Weg machen. Es
kostet mich etwas. Es ist ein Opfer. Wenn am Sonntag gesammelt wird, nennt man
das das Kirchenopfer. Das Opfer wird eingezogen für diesen oder jenen Anlass,
für dieses oder jenes Anliegen. Opfer hat also den Beigeschmack, es kostet
etwas. Es fordert Überwindung. Ein Opfer bringen, das hat durchaus auch einen
negativen Beigeschmack. Ich erinnere mich an eine liebe Bekannte, die erzählt
hat, ihre Großmutter war eine strenge Puritanerin. Sie musste Klavier spielen
lernen. Sie hat es gehasst. Als sie dann vierzehn war, hat sie am
Klavierspielen Geschmack gefunden. Da hat die Großmutter, streng puritanisch,
es ihr verboten, weil man doch nicht etwas tut, was Lust bereitet.
Opfer nur negativ – schauen wir einmal hinein in die
christliche Tradition. Da gibt es eine große Überraschung. Der hl. Augustinus
(†430) hat die klassische Definition des Opfers formuliert, die dem ganzen
Abendland mitgegeben worden ist, leider oft vergessen wurde. Da klingt Opfer
ganz anders. In seinem großen Werk „Über den Gottesstaat“ sagt er: „Ein wahres
Opfer ist jedes Werk, welches dazu beiträgt, dass wir in heiliger Gemeinschaft
Gott anhangen“ (De civitate Dei X,6). Eher überraschend, eine sehr weite und
offene Definition des Opfers. Der Kern des Opfers ist das Herstellen einer
Gemeinschaft. Opfer ist das, was uns – im religiösen Sinne – in sancta
societate [heiliger Gemeinschaft] mit Gott verbindet. Das Lob ist in diesem
Sinne ein Opfer. Deshalb sprechen die Psalmen ja auch vom Opfer des Lobes
(50,23). Das Lob bringt uns mit Gott in Verbindung. Es schafft Gemeinschaft
zwischen uns und Gott. Es ist nicht verwunderlich, dass in der Bibel das Mahl
als Opfer bezeichnet wird, weil es als heiliges Mahl Gemeinschaft schafft mit
Gott und unter den Menschen. Das kann auch den Charakter der Überwindung
haben. Wo ein Hindernis ist muss ich ein Opfer der Versöhnung bringen, ein
Opfer der Buße. Aber das ist nicht das Wesentliche am Opfer. Das Wesentliche
ist, dass es Gemeinschaft stiftet. Wenn wir schauen: Was ist die
Selbstüberwindung, das kleine tägliche Opfer der Aufmerksamkeit, der
Freundlichkeit, des Lächelns, des Zuhörens, des Zeithabens? Das ist das, was
Gemeinschaft stiftet. Das kann eine Überwindung bedeuten. Das kann sich aber
auch als etwas sehr Freudiges erweisen. Die Freude ist oft viel größer als die
Überwindung. Die Überwindung ist nur der erste Schritt, dann kommt die Freude.
Opfer ist also alles, was uns in Gemeinschaft mit Gott bringt.
Fragen wir noch einmal zur Bibel zurück: Was ist eigentlich
der Kern des Opfers? Denken wir an den Psalm 51, den großen Bußpsalm: „Das
Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und
zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen“ (51,19). Ein Geist, der
sich wieder Gott zuwendet, das ist das wahre Opfer. Das reine Opfer, von dem
der Prophet Maleachi (1,11) spricht, ist nicht so sehr, dass wir möglichst
viele äußere Opfer bringen. Es ist die Barmherzigkeit. Wenn Jesus sagt: Ich
will nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit (vgl. Mt 9,13; 12,7), dann ist die
Barmherzigkeit das wahre Opfer, das Jesus sucht, weil es Gemeinschaft stiftet.
Kommen wir zurück zur Eucharistie, zur Messe. Im dritten
Hochgebet hat es am Anfang geheißen: Damit dir „vom Aufgang der Sonne bis zum
Untergang ein reines Opfer dargebracht werde“. Was ist dieses reine Opfer? Wir
glauben, dass das die Eucharistie ist. Für die, die die ersten zwei Katechesen
gehört haben, eine kleine Nebenbemerkung. In einem frühchristlichen Disput
zwischen einem Rabbiner und einem christlichen Meister, Theologen, Justin dem
Märtyrer († um 165), sagt der Rabbiner: „Das reine Opfer, das überall, vom
Aufgang der Sonne bis zum Untergang dargebracht wird, sind unsere jüdischen
Segnungen.“ – Ich habe über die Berachot (Brochen) gesprochen. – Justin
antwortet ihm: Nein, das reine Opfer, von dem hier der Prophet spricht, sind
Brot und Wein, das ist die Eucharistie, die überall auf Erden dargebracht
wird. Die Eucharistie als das reine Opfer, was heißt das? Ist die Eucharistie
ein Opfer? Schauen wir uns einfach an, wie die Messe abläuft. Es gibt so etwas
wie einen Opfergang. Bei feierlichen Gottesdiensten wird der feierlich
gestaltet. Die Gaben werden gebracht. In Afrika habe ich das erlebt in einer
sehr anschaulichen Weise. Da wurden ganze Säcke von Maniok, Früchte und mir zu
Ehren sogar eine lebende Ziege zum Altar gebracht, Hühner und als Höhepunkt
einmal sogar ein ganzes lebendes Kalb. Die Gaben werden zum Altar gebracht,
konzentriert in den Gaben von Brot und Wein. Wir nennen diesen Teil die
Gabenbereitung, das Offertorium. Es ist tatsächlich eine Darbringung von Brot
und Wein. Aber wenn wir hineinhorchen in die Texte – wir haben es eben im
dritten Hochgebet getan – dann sind auch wir selber Gabe: „Er mache uns auf
immer zu einer Gabe, die dir wohl gefällt.“ Wir bringen uns ein. Aber allen
voran ist es natürlich die Gabe: der Leib und das Blut des Herrn selbst.
Nun stellt sich die Frage: Ist das die Gabe, die wir
darbringen? Können wir Brot und Wein gewandelt in Leib und Blut Christi Gott
als Opfer darbringen? Oder ist es nicht umgekehrt so, dass der Vater uns das
schenkt, dass Gott der Urheber dieser Gabe ist? Opfert die Kirche Christus?
Dürfen wir in der heiligen Messe Christus als Gabe Gott zurück schenken? So
versteht die Kirche jedenfalls ihr Beten. Wie immer die Diskussion mit Luther
und mit der Reformation weitergeht, vom Sinn der Liturgie her ist klar: Die
Kirche versteht sich als die, die Christus dem Vater darbringt. Aber wir haben
doch gehört und sagen es noch einmal: Das Opfer Christi ist doch einmalig.
Wird das jetzt wiederholt? Ist das Messopfer ein neues Opfer?
Wenn man ratlos wird, schaut man im Katechismus nach. Dazu hat
man ihn ja, dass man nachschauen kann. Er sagt: Ja, die Eucharistie ist ein
Opfer. Jetzt aber das Überraschende: Die Eucharistie ist ein Opfer, weil sie
Gedächtnis des Opfers Christi ist (KKK 1365-1366). Gedächtnis und Opfer.
Letztes Mal waren wir beim Gedächtnis. In welchem Sinne ist die Messe Opfer?
Weil sie Gedächtnis ist. Ich zitiere noch einmal das dritte Hochgebet: „Darum,
gütiger Vater, feiern wir das Gedächtnis deines Sohnes … So bringen wir dir
mit Lob und Dank dieses heilige und lebendige Opfer dar.“ Im Lateinischen ist
es noch klarer, es ist nur ein Satz: „Memores igitur“ (eingedenk, gedenkend) –
„offerimus“ (opfern wir). Weil wir in der Messe des Opfers Christi gedenken,
wird dieses Opfer gegenwärtig.
Sie erinnern sich, letztes Mal habe ich aus dem jüdischen
Seder von dem Ritus erzählt, wie der Hausvater bei den sefardischen Juden die
Mazzen um die Schulter nimmt und am Tisch eine Gehbewegung beginnt, um
sichtbar zu machen: Wir, die wir jetzt den Seder feiern, ziehen mit aus aus
Ägypten. Wir sind mit dabei. Wir, die wir des Abendmahls Jesu, seines Todes
gedenken, sind mit dabei. Deshalb sagt der Katechismus in der nächsten Nummer:
„Das Opfer Christi und das Opfer der Eucharistie sind ein einziges Opfer“ –
damals und heute. Christus hat sein Leben gegeben, und wenn wir dessen
gedenken, dann ist das jetzt Gegenwart. Und der Katechismus erklärt: „Denn die
Opfergabe ist ein und dieselbe; derselbe, der sich selbst damals am Kreuze
opferte, opfert jetzt durch den Dienst der Priester; allein die Weise des
Opferns ist verschieden“, damals blutig, heute unblutig (KKK 1367).
Jetzt stellt sich zum Schluss noch die Frage: Ist das dann
auch Opfer der Kirche? Da sagt wieder der Katechismus: Die Kirche Christi
„nimmt am Opfer ihres Hauptes teil. Mit ihm wird sie selbst ganz dargebracht“
(KKK 1368). Die Kirche und Christus sind eine Einheit. Wenn Christus sich
schenkt, für alle Menschen dem Vater, dann schenkt sich die Kirche mit. Ich
lese zum Schluss einen wunderschönen Text aus einer Predigt des hl. Augustinus
vor, der das so schön sagt, wie ich es sicher nicht selber sagen könnte: „Wenn
also ihr der Leib Christ und seine Glieder seid, ist euer Mysterium auf den
Tisch des Herrn niedergelegt. Ihr empfangt euer Mysterium [euer Geheimnis].
Auf das, was ihr seid, antwortet ihr: Amen … Du hörst nämlich: ‚Der Leib
Christi‘ und du antwortest: ‚Amen‘. Sei ein Glied Christi, damit dein Amen
wahr ist.“ Dann sagt er weiter: „Hört, was der Apostel sagt: ‚Ein Brot, ein
Leib sind wir, die vielen‘ (1 Kor 10,17). Versteht das und freut euch … Ein
Brot! Wer ist dieses eine Brot? Ein Leib die vielen! Erinnert euch: Brot wird
nicht aus einem Korn gemacht, sondern aus vielen! Ihr seid exorziert worden
[in der Taufe], damals wurdet ihr sozusagen gemahlen. Als ihr getauft wurdet,
wurde ihr gewissermaßen geknetet. Als ihr das Feuer des Heiligen Geistes
empfingt, wurdet ihr gewissermaßen gebacken.“ Jetzt seid ihr Leib Christi,
Brot Christi. Und Augustinus fügt hinzu: „Seid also, was ihr seht, und
empfangt, was ihr seid“ (Predigt 272). Ich lade Sie ein, dass beim Empfang des
Leibes des Herrn zu bedenken: Seid, was ihr seht, Leib Christi! Empfangt, was
ihr seid: Leib Christi!
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