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Katechesen
2003/2004
8. Jahresreihe - 3. Katechese,
2003-12-07
Jesus Christus – Wie ist er
gegenwärtig im Wort, in Brot und Wein |
Jesus Christus – Wie ist
er gegenwärtig im Wort, in Brot und Wein
„Das ist mein Leib“ – „Das ist mein Blut“
Lasst uns beten! – Herr, Jesus Christus, du hast uns dein
Kostbarstes geschenkt, dich selbst in deiner Eucharistie. Lass uns tiefer
erkennen, was uns der Glaube sagt. Lass uns tiefer leben, was du uns selber
schenkst. Amen.
Am heutigen Fest des hl. Ambrosius (†397), der vom Sonntag verdrängt wurde
aber nicht vergessen ist, am Vorabend, an der Vigil des großen Festes der
unbefleckten Empfängnis Mariens dürfen wir uns dem Wort Jesu zuwenden, das er
im Abendmahlssaal gesprochen hat und das seither bei jeder Eucharistiefeier
wiederholt wird: „Das ist mein Leib.“ – „Das ist mein Blut.“ Ich möchte heute
diese beiden Worte, die so genannten Einsetzungsworte oder, wie wir auch
sagen, Wandlungsworte, mit Ihnen ein wenig betrachten. Wir schauen auf die
Anfänge der Eucharistie zurück, wo kommt sie eigentlich her. Wir haben in den
beiden ersten Katechesen sehr stark in die jüdischen Wurzeln hinein gehorcht.
Wir haben gesehen, wie sehr der Abend, an dem Jesus zum ersten Mal diese Worte
gesprochen und uns den Auftrag gegeben hat, das zu seinem Gedächtnis immer
wieder zu wiederholen, geprägt war vom jüdischen Pesach, vom jüdischen
Osterfest, von seinen Gebeten und Riten, und welche Bedeutung das auch hat, um
die Eucharistie besser zu verstehen. Wir erinnern uns, am Anfang des
Pesachmahles steht der Brotsegen, die Broche über das Brot, und da, an dieser
Stelle sagt Jesus das Wort, das wir seither in jeder Heiligen Messe hören:
„Das ist mein Leib, hingegeben für euch.“ Dann, als das Pesachmahl vorbei ist,
die Worte über den so genannten dritten Becher, den Segensbecher: „Das ist
mein Blut des Bundes“ – wir werden auch die etwas umfassendere andere Form des
Wortes uns noch näher anschauen.
I.
Heute möchte ich die Frage stellen: Was hat Jesus damit gemeint? Können wir
überhaupt wissen, was er gemeint hat? Können wir nach 2000 Jahren wissen, was
Jesu Absicht damals wirklich war, als er diese Worte gesprochen hat? Wissen
wir überhaupt mit Sicherheit, ob er sie so gesprochen hat? Die ganz große
Frage, seit 2000 Jahren immer wieder eine Streitfrage, ist: Hat Jesus diese
Worte wörtlich gemeint oder symbolisch? Hat er von „dem da“, was er gebrochen
hat, dem Brot, im symbolischen Sinn als von seinem Leib gesprochen oder war es
wirklich sein Leib, den er ausgeteilt hat? Wie wollen wir das heute noch, nach
2000 Jahren überprüfen können? Wir haben drei Zugänge. Wenn wir feststellen,
dass diese drei Zugänge sich überschneiden, sich gegenseitig ergänzen, dann
kommen wir auch zu einer starken Gewissheit, sagen zu können, was Jesus
wirklich damit gemeint hat.
1. Fragen wir zuerst einmal: Was bedeuten überhaupt die Worte,
die Jesus gesprochen hat? Was heißt das, was er da gesagt hat? Was sagen uns
die Philologie, die Sprachwissenschaft, die Bibelwissenschaft, die Exegese
dazu? Was bedeuten die Worte und Gesten Jesu. Das möchte ich heute ein wenig
erfragen. Freilich haben wir eine ganz große und bekannte Schwierigkeit: Es
gibt keine Tonbandaufnahmen und natürlich erst recht keine Videoaufnahmen vom
Abendmahl. Wir haben vier verschiedene Berichte, bei Matthäus (26,26-29),
Markus (14,22-25), Lukas (12,15-20) und beim Apostel Paulus (1 Kor 11). Jeder
der vier berichtet diese Worte ein bisschen anders. Jetzt kann man sagen: Das
ist ein Zeichen dafür, wie der Wiener sagt: „Nix Genaues weiß man nicht.“ Was
wissen wir schon? Jeder sagt es ein bisschen anders. Aber man kann das auch
umgekehrt sehen: Jeder sagt genau dasselbe mit ein bisschen anderen Worten.
Gerade das bezeugt, dass die Kernaussage zuverlässig ist. Wenn vier
verschiedene Zeugen etwas bezeugen, was in der Sache ganz klar übereinstimmt,
dann ist es auch glaubwürdig. Dann sind aus diesen vier Berichten wirklich die
Worte Jesu herauszuhören. Dann sind sie ein klarer Spiegel, in dem wir Jesu
Absicht lesen können.
2. Es gibt einen zweiten Zugang über die Überlieferung der
Kirche, das was wir die Tradition nennen. Vom ersten Anfang hat die Kirche
getan, was Jesus aufgetragen hat. Was Jesus im Abendmahlssaal getan hat, das
hat die Urgemeinde in Jerusalem von Anfang an weiter gemacht. Es heißt:
„Reihum brachen sie in ihren Häusern das Brot“ (Apg 2,46). Brotbrechen war der
Ausdruck für das, was man dann auch in der frühen Kirche das Herrenmahl
genannt, was Jesus damals im Abendmahlssaal getan hat. Die vier Texte bei
Matthäus, Markus, Lukas und Paulus sind später geschrieben. Die Gelehrten
streiten darüber, wann sie geschrieben worden sind, Paulus in den
Fünfzigerjahren. Von den drei Evangelien sagen manche sie sind vor 70
entstanden, andere sagen sie sind nach 70 entstanden. Auf jeden Fall ist schon
eine ganze Zeit vorüber gegangen. Wir spüren in diesen Texten auch schon etwas
von dem, wie man in den Kirchen, in den Gemeinden das Abendmahl, die
Eucharistie gefeiert hat. Ganz schön sieht man das beim Apostel Paulus. Er
schreibt der Gemeinde von Korinth. Ich habe darüber schon erzählt. Da gibt es
Streit. Die Leute kommen beim Abendmahl zusammen, die einen essen viel, die
andern haben nichts zu essen. Manche, sagt Paulus, sind schon betrunken,
während andere noch hungern. Es ist also eine ziemliche Unordnung in Korinth.
Da erinnert sie Paulus daran, was er ihnen beigebracht hat und was er selber
vom Herrn gelernt hat. Er sagt in sehr einfachen und klaren Worten: „Ich aber
habe euch überliefert, was ich vom Herrn empfangen habe.“ – Wie er das vom
Herrn bekommen hat, wissen wir nicht. Paulus war beim Abendmahl nicht dabei.
Aber er hat das sehr früh gehört und gelernt, was Jesus damals getan hat und
das gibt er jetzt weiter. – „Der Herr Jesus, in der Nacht, in der er
überliefert wurde, nahm das Brot, sagte Dank, brach es und sagte: Das ist mein
Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er den Becher nach
dem Essen und sagte: Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut. Das tut,
so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,23-25 wörtl.). So
hat Paulus es seiner Gemeinde überliefert, mit diesen Worten hat man in
Korinth Abendmahl gefeiert. Auch die drei anderen Berichte spiegeln etwas von
dem wieder, wie in der frühen Kirche Eucharistie gefeiert wurde, mit welchen
Worten, Markus wahrscheinlich das, was er von Petrus gehört hat, Matthäus das,
was in Palästina in den Gemeinden üblich war, Lukas fast wörtlich dasselbe wie
der Apostel Paulus. Was die frühe Kirche überliefert hat, war schon Tradition.
Was wir in den Evangelien finden ist das, was die Kirche seit damals, seit 20,
30, 40 Jahren gelebt hat, was in der Liturgie der frühen Kirche üblich war.
Nun fällt uns eines auf: Nichts wurde so kostbar und genau
überliefert, wie die Worte Jesu, besonders die zum Abendmahl, die wir die
Wandlungsworte nennen. Deshalb ist auch bei der Eucharistie, bei der Messfeier
kein Moment so feierlich, wie der Moment, wo der Priester die Worte Jesu
wiederholt. Als Bischof muss man darauf schauen, dass die Liturgie in unseren
Gemeinden ordentlich gefeiert wird. Mitunter behandeln Zelebranten, Priester
manches allzu großzügig. Aber ein Punkt ist unerbittlich streng und klar, da
darf man nicht daran herumexperimentieren, das sind die Worte der Wandlung. –
Man soll auch sonst mit der Liturgie nicht herumexperimentieren, aber die
Wandlungsworte, die Worte Jesu, die wir im Herz der Heiligen Messe sagen, sind
wirklich heilig, nicht nur weil der Wortlaut, sondern vor allem weil die
Bedeutung wichtig ist. An der darf nichts herum geändert werden. Wir feiern
das, was Jesus im Abendmahlssaal gefeiert hat. Deshalb ist auch die
Überlieferung sehr zuverlässig. Da ist im Lauf der Jahrhunderte nichts
„herumgebastelt“ worden. Die Messe hat sich sehr stark entwickelt. Ich weiß
nicht, ob die Gemeinde von Korinth sich in der Messe im Stephansdom zurecht
gefunden hätte, oder wir in der Gemeinde in Korinth. Aber eines ist sicher:
Die Worte, die der Vorsteher der Eucharistie über Brot und Wein gesprochen
hat, waren sicher dieselben, so wie Paulus sie überliefert, wie die Evangelien
sie überliefern, unverändert in großer Treue. Nun das erstaunliche: Durch 2000
Jahre hat man auch die Bedeutung dieser Worte gedeutet. Was bedeuten sie? Wenn
Jesus sagt: „Das ist mein Leib“ – „das ist mein Blut“, dann hat die Kirche in
ihrer großen Überlieferung das nicht nur als eine symbolische Handlung
verstanden, sondern wörtlich: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, nicht eine
einfache Erinnerung. – Ich werde auf die Frage noch zurückkommen, warum Jesus
sagt: „Tut das zu meinem Gedächtnis!“ – Nein, es war nicht bloß ein Zeichen
zur Erinnerung, sondern es geht genau um das, was die Worte sagen. So hat die
Kirche in ihrer großen Mehrheit das durch alle Jahrhunderte verstanden.
Deshalb sagen wir auch in jeder Heiligen Messe: „Geheimnis des Glaubens.“
Manchmal sagt dann ein Zelebrant: Das ist ein Geheimnis des Glaubens. Nein,
das stimmt nicht: Es ist das Geheimnis unseres Glaubens. Deshalb sagen wir es
so, wie es die Liturgie vorsieht. Und wir knien nieder. Der Priester macht
eine Kniebeuge. Die macht er sicher nicht vor einem bloßen Symbol. Wir werden
uns damit noch ausdrücklicher befassen, wenn es um die Frage geht: Was heißt
Wandlung? Was geschieht da wirklich?
3. Ich möchte noch einen dritten Weg nennen, wie wir uns
sicher werden können, was Jesus gemeint hat: die Erfahrung. Durch 2000 Jahre
machen Menschen immer wieder die Erfahrung, dass die Worte Jesu wirklich
stimmen. Da gibt es bisweilen außergewöhnliche Erfahrungen, Menschen, die über
lange Jahre nur von der Eucharistie leben. Ein berühmtes Beispiel ist die hl.
Katharina von Siena (†1380), die sich durch Jahre nur von der Eucharistie
ernährt hat, der hl. Bruder Klaus von der Flüe (†1487) in der Schweiz, und in
unserer Zeit besonders eindrucksvoll die stigmatisierte Marthe Robin (†1981),
sie hat Jahrzehnte lang nur von der Eucharistie gelebt. Solche
außergewöhnliche Situationen sind uns als Zeichen gegeben, dass der Herr hier
nicht einfach von einem Symbol spricht, sondern dass er selber sich uns zur
Speise gibt, dass er Lebensmittel ist. Aber neben diesen ganz großen
mystischen Erfahrungen gibt es auch die ganz alltägliche Erfahrung, dass der
eucharistische Leib Jesu für uns wirklich Nahrung ist und unser Leben erhält,
dass Jesus in der Eucharistie wirklich zu uns kommt und uns Leben schenkt.
Für mich ist unvergesslich, wie ich als junger
Theologiestudent einmal einer mir sehr lieben Tante gesagt habe: „Ja, mit der
Eucharistie, mit der Messe habe ich meine Schwierigkeiten.“ Da waren so viele
Theorien im Umgang damals, in den Sechziger Jahren, dass das eigentlich nicht
eine wirkliche Wandlung sei, sondern nur eine andere Bedeutung, ein Versuch
die Messe, die Eucharistie symbolisch zu deuten. Ich habe das als junger
Student aufgesogen und ganz stolz dieser Tante erzählt. Sie hat mich nur
traurig angeschaut und gesagt: Wenn ihr uns die Eucharistie nehmt, dann nehmt
ihr uns alles. Das war jetzt nicht eine theoretische Aussage, weil man das
irgendwie gelernt hat, sondern das war ihr Leben. Ich werde das nicht
vergessen.
Wer also sagt uns, was Jesus mit diesen Worten wirklich gemeint hat? Letztlich
der Heilige Geist. Der Heilige Geist, der zu uns spricht durch die Schrift,
durch das vom Geist eingegebene Wort der Heiligen Schrift, der in der
Überlieferung der Kirche am Werk und in unserer Erfahrung da ist, der in den
Gläubigen das Verständnis für die Eucharistie lebendig hält.
II.
Ich möchte jetzt auf der Grundlage dieser drei Zugänge mit Vertrauen
hinhorchen auf die Worte, die Jesus gesagt hat, die Einsetzungsworte. Jesus
hat also, wahrscheinlich auf Aramäisch oder auf Hebräisch, über das Brot, das
er gebrochen und verteilt hat, gesagt: „Das ist mein Leib.“ Wahrscheinlich mit
dem Zusatz: „für euch“ oder gar: „hingegeben für euch“. Aufs erste ist das
klar und einfach. Jesus nimmt das Brot, segnet es, bricht es, reicht es den
Jüngern und meint das, was er sagt. Was er ihnen gibt ist sein Leib. Das Brot
ist sein Leib geworden, eben der Leib, den er dann, wenige Stunden später am
Kreuz für uns hingeben, opfern wird. Das gebrochene und verteilte Brot ist er
selber, sein für uns in den Tod gegebener Leib, der für uns gegeben wurde,
damit wir an ihm Anteil bekommen.
Ich vermute, die meisten Menschen, die am Sonntag zur Messe
gehen, verstehen die Worte Jesu in der Wandlung, in den Einsetzungsworten so.
Aber natürlich gibt es Einwände, Schwierigkeiten, denen wir uns zuwenden
müssen, denn der Glaube will auch erprobt sein und muss sich Schwierigkeiten
stellen. Da sind einmal ganz einfache sprachliche Schwierigkeiten. Im
Hebräischen gibt es das Wort ist nicht. Jesus hat nicht gesagt: „Das ist mein
Leib.“ Er hat gesagt: „Das mein Leib.“ Aber damit kann man noch zurecht
kommen.
Die Frage wird oft und nachdrücklich gestellt: Was Jesus da getan hat, ist
doch eine symbolische Handlung. Er wollte mit einer Geste und mit einem Wort
etwas zeigen. Es gibt in der Bibel, im Alten Testament viele solche
symbolische Handlungen. Offensichtlich hat sich auch Jesus auf diese
symbolischen Handlungen bezogen. Ich nenne drei Beispiele vom Propheten
Ezechiel. Ezechiel musste immer wieder solche symbolischen Handlungen setzen,
um damit etwas zu sagen. Einmal sagt Gott zu ihm: „Schnüre dir einen Rucksack,
ein Gepäck eines Exilanten. Mache dir ein Gepäck fürs Exil.“ Er macht das, und
am Abend dieses Tages sagt Gott zu ihm: „Jetzt mache ein Loch in die Wand,
nimm deinen Sack auf die Schulter und krieche durch dieses Loch hinaus.“
Ezechiel tut, was Gott ihm aufträgt (Ez 12,1-5). Er macht das vor den Augen
der Leute in Jerusalem. Sie kommen und sagen: Was machst du denn da? Ein Loch
in die Wand und ein Fluchtgepäck? Gott sagt zu Ezechiel: „Sage ihnen: Ich bin
ein Mahnzeichen für euch. Was ich getan habe, wird mit euch geschehen. In die
Verbannung, in die Gefangenschaft werdet ihr ziehen“ (12,11). Mit einer
symbolischen Handlung sagt er den Leuten: Das wird euch passieren. War das
Abendmahl Jesu nicht genau so eine Handlung? Hat Jesus nicht das Brot
gebrochen, um zu sagen: Genau das wird mir passieren. So wie dieses Brot jetzt
gebrochen wird, wird mein Leib gebrochen im Tod. So wie dieses Brot verteilt
wird, so gebe ich mein Leben für euch. Das ist doch ein schönes Symbol.
Vielleicht wird das in einer anderen Stelle deutlicher.
Ezechiel bekommt folgenden Auftrag: „Du, Menschensohn, nimm dir ein scharfes
Schwert! Als Schermesser sollst du es benutzen und dir damit über dein Haupt
und deinen Bart fahren. Dann nimm dir eine Waage und teile die Haare. Ein
Drittel verbrenne im Feuer inmitten der Stadt, wenn die Tage der Belagerung zu
Ende sind. Ein Drittel nimm, schlage es mit dem Schwert rings herum, und ein
Drittel streue in den Wind. Ich will das Schwert zücken hinter ihnen her. Dann
nimm davon eine kleine Anzahl und binde sie in den Zipfel deines Gewandes.
Auch von diesen nimm nochmals weg und wirf sie mitten ins Feuer und verbrenne
sie im Feuer. Davon wird Feuer ausgehen“ (Ez 5,1-4). Es ist eine eigenartige
Symbolik. Er schneidet sich mit einem scharfen Schwert die Haare und den Bart
ab und beginnt, die Haare zu verteilen. Ein Drittel wird verbrannt, ein
Drittel wird mit dem Schwert geschlagen, und ein Drittel wird verstreut. Ein
paar bleiben übrig, in sein Gewand eingewickelt. Dann sagt Gott zu Ezechiel:
„Sage zum Haus Israel: So spricht der Herr, euer Gott: Das ist Jerusalem“ (Ez
5,5). Genau dieselbe Art zu formulieren, wie Jesus gesagt hat: „Das ist mein
Leib.“ „Das ist Jerusalem.“ Dann erklärt er: „Mitten unter die Völker habe ich
es gestellt und es mit Ländern umgeben. Aber es lehnt sich gegen meine Rechte
auf, schlimmer als die Heiden, und gegen meine Satzungen ärger als die Länder“
(5,5-6). Deshalb werden sie zerstreut, so wie diese Haare, die Ezechiel
verstreut. „So spricht der Herr: Das ist Jerusalem.“ Ist das nicht eine
ähnliche Situation wie das, was Jesus mit dem Brot getan hat: Eine
prophetische Geste, eine symbolische Handlung, das zerbrochene, zerteilte
Brot, das ist er. „Das bin ich. Das ist mein Leib.“ Symbolisch, spricht nicht
dafür auch, dass Jesus gesagt hat: „Tut das zu meinem Gedächtnis“, sozusagen:
Wiederholt dieses Zeichen zur Erinnerung an mich?
Wenn wir dieses Zeichen des Propheten Ezechiel mit den Haaren
anschauen, dann kann auch ein Zweifel kommen, ob das wirklich nur symbolisch
ist. Indem der Prophet das mit seinen eigenen Haaren tut, was einmal mit
Jerusalem geschehen wird, wenn sie alle ins Exil zerstreut, durch den Krieg
vernichtet, und nur einige wenige gerettet werden, und Gott dazu sagt: das ist
Jerusalem, dann sind ja seine Haare auch schon ein kleiner Teil von Jerusalem.
Was mit den Haaren geschieht, ist wirklich ein Stück Jerusalem. Wir würden
heute in unserer kirchlichen Sprache sagen, das ist ein Sakrament Jerusalems.
Was im Kleinen mit den Haaren geschieht, wird mit Jerusalem im Ganzen
geschehen. Dieses ist Zeichen ein Hinweis auf das, was kommen wird. Hat nicht
Jesus vor seinem Leiden genau das gemacht? Er hat gesagt: Das wird mit mir
passieren. Das ist mein zerbrochener Leib. Was jetzt mit mir am Kreuz
geschehen wird, ist für euch. Also doch eine symbolische Handlung? – Aber die
Haare des Propheten waren schon ein Stück von Jerusalem. Es ist also etwas
mehr als ein Zeichen. Was Jesus getan hat, bezeichnet zweifellos seinen Tod.
Er bricht das Brot, was man bei jedem jüdischen Essen macht, und er sagt:
Schaut, das hat eine neue Bedeutung. Das ist mein Leib, er wird jetzt
gebrochen im Tod. Aber es ist nicht nur ein Zeichen. Was Jesus ihnen da gibt,
ist schon ein Stück von dem, was jetzt passieren wird. Er gibt ihnen jetzt
schon Anteil an seinem eigenen Leib. So haben die Christen das verstanden.
Freilich ist da ein wichtiger Unterschied. Beim Propheten war
es nur ein kleiner Teil von Jerusalem, einige Haare, die er da verteilt oder
mit denen er die symbolische Geste durchgeführt hat. Wir glauben, dass Jesus,
wenn er das Brot bricht und es den Jüngern gibt, sich selber ganz gibt, nicht
nur einen Teil. Das ist wirklich er selber. Sein Leib, seine Person, er in
Person.
III.
Bisher hat uns das Wort über dem Brot beschäftigt. Jetzt schauen wir ein
bisschen auf das Wort über den Becher, über den Wein. Auch da hilft es, wenn
wir genauer auf den Wortlaut schauen. Beim Becherwort ist es etwas
schwieriger, weil der Wortlaut so verschieden ist. Bei Markus und Matthäus
lautet das Wort über den Becher mit dem Wein so: „Das ist mein Blut des
Bundes, das vergossen wird für die Vielen“ (Mk 14,24), Matthäus ergänzt: „zur
Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28). Die andere Form bei Paulus und Lukas: „Das
ist der Kelch des Neuen Bundes in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (Lk
22,20), oder noch kürzer bei Paulus: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem
Blut“ (1 Kor 11,25). Natürlich stellt sich die Frage: Was hat jetzt Jesus
wirklich gesagt? Welche der beiden Formen? Aber die Elemente in beiden Formen
sind dieselben: Blut, Bund, vergossen, für euch / für viele.
Schauen wir uns das etwas näher an. Da ist wieder das Alte
Testament. Wir kommen ohne die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens nicht aus.
Es sind vor allem drei Worte, drei Texte aus dem Alten Testament die hier für
jeden gläubigen Juden damals sozusagen mitgeklungen sind. Da ist die Rede vom
Blut des Bundes. Wir werden gleich schauen, was da mit anklingt. Dann ist die
Rede vom Neuen Bund. Dann ist vom Bund im meinem Blut die Rede.
1. Eines klingt deutlich und klar an. Im Buch Exodus tut Mose
folgendes. Als Gott ihm das Gesetz, die zehn Worte gegeben hat, antwortet das
ganze Volk: „Alle Worte, die der Herr gesagt hat, wollen wir halten.“ Mose
macht einen Altar aus zwölf Steinen für die zwölf Stämme Israels. Es werden
Opfer dargebracht auf dem Altar. Mose nimmt das Blut der Opfertiere in eine
Opferschale. Dann heißt es, die andere Hälfte des Blutes sprengt er an den
Altar. – Auf der einen Seite die Opferschale mit dem Blut, das er noch behält,
auf der anderen Seite der Altar, der besprengt wird mit Blut. – Dann sagt das
Volk: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und befolgen.“ Dann
nimmt Mose aus dieser Schale das Blut, besprengt damit das Volk und sagt: „Das
ist das Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch
geschlossen hat“ (Ex 24,3-8). Das Blut am Altar, das Blut, das er auf die
Gläubigen, auf das Volk sprengt, was heißt das? Der Bund wird geschlossen mit
Blut. Das Blut ist das Leben. Wenn das Blut weg ist, ist das Leben weg. Wo das
Blut ausgeschüttet wird, stirbt der Mensch. Blut ist Leben. Deshalb wird der
Bund mit dem Blut geschlossen. Im Alten Bund ist der Altar das Symbol Gottes,
wie er für uns Symbol Christi ist. Deshalb wird der Altar von Mose mit dem
Blut der Opfertiere besprengt, und die Leute werden besprengt, um zu zeigen:
Zwischen euch besteht ein Bund, ein Lebensbund, ein fester Bund. Gott und sein
Volk sind verbunden durch das Leben Gottes. Es ist ein Bund für immer, den
Gott mit seinem Volk geschlossen hat.
„Blut des Bundes“ ist eindeutig eine Erinnerung an dieses
Geschehen am Berg Sinai. Jesus schließt einen Bund mit seinen Jüngern, indem
er Blut nimmt – sein Blut! – und es mit ihnen teilt, es ihnen zu trinken gibt.
Wir werden sehen, dass das nicht so leicht im geistlichen Sinne anzunehmen
ist.
2. Der Bund ist immer wieder gebrochen worden. Immer wieder
sind die Menschen untreu geworden. Gott hat den Bund geschlossen, aber sein
Volk hat ihn nicht gehalten. Da kommt der zweite Text. Der Prophet Jeremia
verheißt: Es wird einmal eine Zeit kommen, da wird es einen neuen Bund geben,
einen Bund, der nicht mehr gebrochen wird. „Siehe“, sagt Gott durch den
Propheten, „es kommen Tage, da werde ich mit dem Haus Israel einen neuen Bund
schließen, nicht wie der Bund, den ich mit den Vätern geschlossen habe, damals
als ich sie bei der Hand nahm und aus Ägypten herausführte.“ Einen neuen Bund,
den ersten haben sie gebrochen. „Einen Bund werde ich mit ihnen schließen in
jenen Tagen, ich werde mein Gesetz in ihr Herz legen, es in ihr Inneres
schreiben. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“ (Jer
31,31-32). Einen neuen Bund. Jesus sagt: Das ist das Blut des Bundes. Er sagt:
Das ist der neue Bund in meinem Blut.
3. Besonders eindrucksvoll ist, dass Jesus sagt: Das ist mein
Blut. Er identifiziert sich mit diesem Blut, weil das Blut das Leben ist. Mein
Blut, das heißt, das bin ich selber. Er selber stiftet den neuen Bund. Er ist
selber dieser neue Bund. Es gibt nur eine Stelle im Alten Testament, wo ein
Mensch Bund genannt wird. Es ist eine ganz bekannte Stelle, die wir jedes Jahr
am Karfreitag in aller Länge lesen: Jesaja 53, der große Text über den
Gottesknecht. Von diesem Gottesknecht heißt es schon etwas früher beim
Propheten: „Ich, der Herr, rief dich in Güte. Ich fasste dich bei der Hand und
behütete dich. Ich machte dich zum Bund für das Volk und zum Licht für die
Heiden“ (Jes 42,6). Der Gottesknecht ist der Bund in Person. Was hat Jesus
sozusagen im Ohr und im Herzen gehabt, als er diese geheimnisvollen Worte über
Brot und Wein gesprochen hat? Wir dürfen annehmen, vor allem diese
rätselhaften Worte über den Gottesknecht. Sie erinnern sich vielleicht am
Karfreitag an diese großen Worte aus dem Gottesknechtlied. Dort heißt es: Der
Gottesknecht wird „von Leiden zermalmt“. Der Gottesknecht hat sein Leben
hingegeben. Dort steht auch das Wort, das für die Messe so wichtig geworden
ist: Er gab sein Leben hin als Sühneopfer. Dann heißt es von ihm: „Er trug die
Sünden der Vielen.“ – Wir kennen das: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde
der Welt.“ – „Er trat fürbittend für die Sünder ein.“ „Er hat sein Leben in
den Tod gegeben“ (Jes 53,10.12). Das alles steht schon beim Propheten Jesaja.
Wenn wir das zusammenschauen, was aus dem Alten Testament bei dem Wort, das
Jesus über den Becher spricht, mitklingt, dann ist klar: Er selber ist der
Bund, der jetzt in seinem Blut geschlossen wird, das er für uns, für die
Vielen hingibt.
IV.
Ist das symbolisch zu verstehen, oder ganz realistisch? Eine kleine Bemerkung
beim Evangelisten Markus macht stutzig. Dort heißt es: Jesus reichte ihnen den
Becher und „alle tranken daraus“ (Mk 14,23). Man kann sagen: Natürlich trinken
sie daraus. Warum sagt er das eigens? Er sagt es eigens, weil es Juden sind.
Stellen Sie sich vor, wir sitzen als gläubige Juden beim Abendmahl, Jesus
nimmt den Becher und sagt: „Das ist mein Blut“, oder: „Das ist der neue Bund
in meinem Blut“, reicht den Becher und alle trinken daraus. Wir spüren, wie
ungeheuer schwer das für einen gläubigen Juden ist, der von den ersten Seiten
der Bibel an weiß: Blut darf man nicht trinken. Das Blut ist heilig. Das Blut
ist das Leben. Das Blutverbot gehört zu den strengsten des Alten Bundes.
Blutgenuss ist ein Frevel. Wir können verstehen, dass es gar nicht
selbstverständlich war, dieses Wort anzunehmen. Manchmal denke ich mir: Wie
geht es Menschen, die in den Dom hereinkommen, vielleicht sind jetzt welche
hier, die noch nie an einer Messe teilgenommen haben, dann hören sie dieses
Wort: „Das ist der neue Bund in meinem Blut.“ Man trinkt daraus. „Blut
Christi“ wird dazu gesagt. Man versteht, dass dann manche davor
zurückschrecken und sagen: Bitte, das muss aber doch symbolisch zu deuten
sein. Das kann doch nicht wörtlich gemeint sein. Man kann doch nicht Blut
trinken.
Wenn wir schauen, wie die frühe Kirche, die Menschen in der
Frühzeit auf das reagiert haben, was ihnen da begegnet ist, dann stellen wir
drei Reaktionen fest. Die jüdische Reaktion finden wir klar ausgedrückt im
Johannesevangelium, als Jesus noch in Galiläa, in Kafarnaum davon spricht,
dass er selber „das Brot des Lebens“ (6,48) ist, und dazufügt: „Wer mein
Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“
(6,56). Dann sagt er verstärkend dazu: „Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise,
und mein Blut ist wahrhaft ein Trank“ (6,55). Die Reaktion ist ganz klar:
„Seine Rede ist hart, wer kann sie ertragen?“ (6,60). Und viele seiner
Zuhörer, seiner Sympathisanten hören auf, im zuzuhören. Aber auch seine
Jünger, selbst seine Jünger sagen: „Diese Rede ist hart.“ Und sie verlassen
ihn. Sie gehen nicht mehr mit ihm. So sehr, dass Jesus dann den engsten Kreis,
die zwölf am Schluss fragt: „Wollt auch ihr gehen?“ (6,67). Und die Reaktion
der Heiden, derer die nicht aus der jüdischen Tradition kommen, ist auch
schockiert oder mokierend. Man macht sich lustig darüber. Der römische
Satyriker Petronius schreibt im Satyrikon eine Parodie auf das Abendmahl, so
vermutet man, und sagt, die Christen sind Menschenfresser. Sie essen das
Fleisch und trinken das Blut ihres Gottes – eine seltsame Religion.
Was Jesus im Abendmahlssaal getan hat, ist nicht einfach
verständlich. War das nur symbolisch gedacht oder ganz realistisch? Die
christliche Tradition hat es immer ganz real verstanden. Aber sie hat immer
auch klar dazu gesagt: Dieses Zeichen, das es bleibt, Brot und Wein, ist
wirklich sein Leib und sein Blut. Der Glaube nimmt das an. Ich lade Sie ein,
dass wir in den nächsten zwei Katechesen uns fragen: Was sagt der Glaube über
diese Wandlung, über das, was wir da im Glauben bekennen? Aber eines muss ich
schon jetzt sagen: Den Glauben hat der Herr uns nicht erspart. Er hat auch uns
gewissermaßen die Frage gestellt: „Wollt auch ihr gehen?“ Oder könnt ihr das
als ein wunderbares, ja das wunderbare Geschenk meiner Liebe annehmen? Ich
gebe mich euch so sehr, dass ihr von mir leben könnt.
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