I.
Beginnen wir ohne Umschweife mit dem Erlebnisbericht eines ständigen Diakons
unserer Erzdiözese Wien: „Die junge Dame empfängt mich am Flughafen der
chinesischen Hauptstadt und stellt sich als meine Begleiterin vor. Sie ist
akademische Übersetzerin, ihr Englisch wirkt, soweit das hier möglich ist,
fast akzentfrei. Mit ihrem uniformähnlichen Kostüm und ihrer sachlichen
Freundlichkeit wirkt sie ein wenig gefroren. Während der Fahrt zum Hotel
bietet sie mir vor dem abendlichen Begrüßungsessen eine kleine Stadtrundfahrt
an. Die Dämmerung des Sonntagnachmittags bricht herein, Schneewolken hängen in
der Luft. Ich möchte kein Sightseeing-Programm, sondern eine katholische
Abendmesse und äußere diesen Wunsch. Nach einer kurzen Beratung mit dem Fahrer
und einigen Handytelefonaten bringt uns das Auto zu einer hell erleuchteten
Kirche. Viele Leute, vor allem Jugend, strömen hinein. Die Messe sei
chinesisch, meint meine Begleiterin, und ich verstünde doch die Sprache nicht.
‚Der Vorgang ist auf der ganzen Welt der gleiche‘, antworte ich und verlasse
das Fahrzeug. Als sie im Wagen sitzen bleiben will, sage ich: ‚Sie sind zu
meiner Begleitung bestellt und werden jetzt mit mir die Messe besuchen.‘
Daraufhin kommt sie mit, nur der Fahrer bleibt im Auto. Ich betrete die
Sakristei, werfe einen raschen Blick auf das Madonnenbild und das Foto des
Heiligen Vaters und weiß, dass ich am rechten Ort bin. Der Priester spricht
nicht englisch, ich spreche nicht chinesisch, aber ich zeige ihm meine Stola,
er umarmt mich, gibt mir eine Albe und wir feiern gemeinsam die Messe. Viele
Leute kommen zur Kommunion, darunter zahlreiche Katechumenen, die gesegnet
werden wollen. Es ist ein würdiger und gleichzeitig fröhlicher Gottesdienst.
Beim Verlassen der Kirche schaut meine Begleiterin weniger gefroren drein und
beginnt Fragen zu stellen, wobei sie sich vor jeder Fragestellung
entschuldigt: ‚Ist das Gott, der da zu Ihnen kommt?‘ ‚Ja, das ist Gott.‘ ‚Ist
Gott in den goldenen Gefäßen drinnen, die Sie am Altar aufheben?‘ ‚Ja, da ist
er drinnen, nicht symbolisch, sondern wirklich. Der Priester wandelt Brot und
Wein in Fleisch und Blut unseres Herrn.‘ Langes Schweigen. Dann fragt sie
weiter und entschuldigt sich zweimal vor der Frage: ‚Und das .... das essen
Sie dann?‘ ‚Ja, das essen wir, das ist, soweit es auf der Erde Vollkommenheit
gibt, die vollkommenste Vereinigung zwischen Mensch und Gott. Und das gleiche
geschieht, wo immer sich ein katholischer Priester befindet, jede Minute auf
der ganzen Welt.‘ Wieder Schweigen. Erst als wir vor dem Hotel angelangt sind,
stellt sie noch eine letzte Frage: ‚Wie leben Sie mit dieser Religion?‘ Darauf
erfolgt keine Antwort mehr, denn in der Zwischenzeit sind wir in der Lärm
erfüllten Hotelhalle angelangt. Aber eine Woche später, als sie mich zum
Flughafen begleitet, sagt sie beim Abschied vor der Passkontrolle: ‚Schreiben
Sie mir bitte und schicken Sie mir Material über diesen Gott.‘ Ich verspreche
es, dann gehe ich durch die Sperre. Im Menschengewühl verliere ich sie bald
aus den Augen. Noch im Flugzeug erfüllt mich die Freude über diesen Glauben,
der uns erlaubt, auf solche Fragen solche Antworten zu geben. Ich denke auch
an die letzte, unbeantwortete Frage, auf die nur das Leben selbst und Gottes
Gnade Antworten geben können. Wir fliegen über die Mongolei, das Land unter
uns ist schneebedeckt, mondbeschienen und weit. „Ein kostbarer Schatz in
zerbrechlichen Gefäßen“, denke ich und schlafe ein“ (Franz Eckert).
„Ein kostbarer Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ – beides will ich in den
kommenden Katechesen gemeinsam betrachten, den Schatz selber, das „Geheimnis
des Glaubens“, und das Gefäß, das ihn enthält: die Liturgie, der Gottesdienst.
Woher kommt die Feier der Eucharistie? Wie hat sie sich entwickelt? Was
bezeichnet und bedeutet sie? Vom „woher“ soll in der ersten Katechese die Rede
sein. Die Eucharistie, die Heilige Messe – über die verschiedenen Namen werden
wir in den nächsten Katechesen sprechen – ist „typisch“ christlich. Eines ist
gewiss über allen Zweifel erhaben: Jesus selber hat sie beim letzten
Abendmahl, in der Nacht vor seinem Leiden und Tod gestiftet, und er hat den
Auftrag gegeben, dass dies zu seinem Gedächtnis weiter getan werden soll. Die
Eucharistie ist unverwechselbar sozusagen Eigengut der christlichen Religion,
des christlichen Glaubens, der christlichen Kirche. Aber, so neu sie ist, so
unverwechselbar, so sehr Besonderheit Jesu Christi, ist sie doch ganz tief in
der Vorgeschichte, im Alten Bund und darüber hinaus in der ganzen Menschheit
verwurzelt. Durch die Zeichen, die sie verwendet, ist sie in den Kosmos hinein
verwoben, Brot und Wein, die Gaben der Erde, Frucht des Weinstocks, Gaben der
Schöpfung. Sie ist unverwechselbar hinein verwoben in die jüdische Geschichte,
in die Geschichte des Alten Bundes. Von dieser Geschichte möchte ich heute in
dieser ersten Katechese vor allem sprechen. In welchen Gefäßen wurde dieser
kostbare Schatz vorbereitet, in denen er auch weiterhin getragen und
vermittelt wird? Es gehört zu den spannenden Episoden in der Geschichte der
christlichen Kirchen und der christlichen Theologie, dass in den letzten
fünfzig, hundert Jahren die jüdischen Wurzeln unseres Gottesdienstes stark neu
und wieder entdeckt worden sind, dass viel durchsichtiger und einsichtiger
geworden ist, wie sehr unser Gottesdienst aus den tiefen Wurzeln des Alten
Bundes, des Gottesvolkes des Alten Bundes stammt. Für mich selber gehört es
immer wieder zu den spannenden Abenteuern, sowohl was das Wissen, die
Forschung, als auch den Glauben selber betrifft, zu entdecken, wahrzunehmen,
wie sehr wir von der Wurzel getragen sind, aus der wir stammen. Paulus sagt
den Heidenchristen in Rom: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel
trägt dich“ (Röm 11,18). Diese Wurzel ist das Judentum, ist das erwählte Volk.
Diesem Wurzelstock sind wir, die wir aus den Heidenchristen stammen,
eingepfropft, sagt Paulus (Röm 11,17). Von dieser Wurzel soll also heute und
auch nächstes Mal noch die Rede sein. Es gehört zu den großen Freuden, diese
Wurzeln zu entdecken, freilich ist damit auch der tiefe Schmerz verbunden,
dass das so lange verkannt worden ist, verdeckt, vergessen, sogar verleugnet.
Dass Juden und Christen in dieser tiefen Gemeinsamkeit sind, verdanken wir
keinem anderen als Jesus selber. Der Messias Israels, der Sohn Gottes, er ist
zugleich der, der uns verbindet und uns trennt. Wir können, wenn wir ihn
lieben und seinen Weg gehen, ihn nicht trennen von dem Volk aus dem er, wie
Paulus sagt, „dem Fleische nach“ geboren ist (Röm 1,3).
II.
Ein lieber Mitbruder von mir, Dominikaner, langjähriger Kollege in der
Schweiz, hat bereits 1977 ein Buch herausgebracht, das mir eine große
Orientierungshilfe war. Es trägt den bescheidenen Titel: „Das Abendmahl Jesu
als Brennpunkt des Alten Testaments“. (Es ist leider nicht mehr auf dem
Buchmarkt zu haben.) In diesem Buch zeigt P. Adrian Schenker, Professor für
Altes Testament, wie sehr die Eucharistie in allen ihren Zügen, Riten, in
allem, was sie ausmacht, tiefe Bezüge zum Alten Testament hat. Ja, er zeigt
sogar, dass das Alte Testament gewissermaßen wie in einem Brennglas sich im
Abendmahl Jesu konzentriert und verdichtet. Ein wenig möchte ich heute Abend
durch dieses Brennglas schauen.
Jesus hat in der Nacht vor seinem Leiden die Eucharistie gestiftet. Dies war,
so ist zumindest die Überzeugung der drei ersten Evangelien, ein Paschamahl.
Bei diesem nächtlichen Mahl erinnert sich das erwählte Volk wie in keiner
anderen Nacht des Jahres in Freude der Befreiung, der Rettung. Es ist die
„Nacht aller Nächte“, für uns nur vergleichbar mit der Osternacht, die ja ganz
starke Bezüge zur Nacht des jüdischen Pesach hat. In diesem Mahl ist das
nächtliche Abschiedsmahl vor der Flucht, dem Auszugs aus Ägypten lebendig. Es
ist die Nacht, in der Israel der großen Rettungstat Gottes gedenkt, der
Befreiung aus der langen der Sklaverei in Ägypten. Der so genannte Seder, das
feierliche Mahl, ist mit vielen Riten ausgestattet. – Wir werden uns dem auch
ein wenig zuwenden, wahrscheinlich erst das nächste Mal. – Jesus hat in diesem
Mahl Brot und Wein genommen an Stellen, die in dem jüdischen Pesachmahl, im
Seder, ganz genau vorgesehen sind: am Anfang das Brot und nach dem
Sättigungsmahl den Becher mit dem Wein. Er hat darüber den Lobspruch
gesprochen, „den Lobpreis“, so sagt es der Evangelist Markus (14,22) und dann
die neuen Worte: „Nehmt, das ist mein Leib!“. Am Ende des Mahls hat er den
Becher genommen, wieder einen Spruch, ein Gebet darüber gesprochen – Markus
sagt: Er „sprach das Dankgebet“ (14,23) – und hat dazu gesagt: „Das ist mein
Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (14,24).
Um es vorweg zu sagen: Die Kirche hat diese Worte immer, durch alle
Jahrhunderte, so verstanden, wie sie gesagt wurden: Das ist mein Leib, das ist
mein Blut. Generationen von Gläubigen haben die Eucharistie, die Kommunion in
dieser Überzeugung empfangen: Das ist der Leib des Herrn, das ist sein Blut.
Manche haben den Leib des Herrn nicht nur empfangen, sondern sogar
ausschließlich davon gelebt, ich denke hier an die hl. Katharina von Siena
(†1380) und den hl. Bruder Klaus von der Flüe (†1487), von denen das
ausdrücklich bezeugt ist. Für sie war der Leib des Herrn das Lebensmittel.
Aber darüber werden wir später handeln.
Heute möchte ich auf die Wurzeln schauen. Es sind vor allem zwei
Wurzelstränge, die es zu betrachten gilt. Der erste ist: Was ist dieses Gebet,
das Jesus da gesprochen hat? Markus nennt es den Lobpreis und das Dankgebet.
Dann werden wir fragen: Was bedeutet es, dass Jesus das im Rahmen des
Pesachmahles gesagt, getan und eingesetzt hat (2. Katechese)?
III.
Ich möchte heute Abend über etwas Wunderschönes sprechen, das ich leider viel
zu wenig aus der Erfahrung kenne, weil ich nicht so verwurzelt bin in der
jüdischen Tradition. Aber ich habe viel darüber gehört und gelesen: das
jüdische Lob- und Dankgebet als einer der beiden Wurzelstämme der Eucharistie.
Was heißt das, wenn Markus uns sagt: Jesus hat über das Brot das Lobgebet
gesprochen? – Manchmal werde ich auch griechische oder hebräische Wörter
gebrauchen müssen, das soll Sie nicht schrecken. – Markus sagt hier: eulogésas,
er hat die Eulogie gesprochen. Eulogie wird übersetzt: das Lobgebet. Über den
Becher, sagt Markus, habe er eucharistésas, die Eucharistie, das Dankgebet
gesprochen. Jesus hat sicher das jüdische Tischgebet gesprochen, das auch
heute noch gebetet wird. Es dürfte seit der Zeit Jesu weitgehend unverändert
sein. Damals war entweder das einfache oder, beim Pesachmahl in der Nacht der
Befreiung, das feierliche Tischgebet üblich. Dieses Gebet hat der Eucharistie
einen der Namen gegeben.
Diese jüdischen Gebete der Danksagung und des Lobpreises haben eine ganz
eigene Spiritualität. Ich würde fast sagen, sie haben einen eigenen „Geruch“,
einen eigenen „Geschmack“. Diesem Wurzelboden gilt es ein wenig
nachzuforschen. Aus welcher geistigen Wurzel kommt die Eucharistie? Vielleicht
wird es uns gelingen hineinzuhorchen auch in die Hochgebete, die wir Sonntag
für Sonntag hören, das Römische (I.), das kurze zweite, das längere dritte,
das ganz lange vierte, sie alle haben, wenn man in die jüdische Tradition
hineinhorcht, plötzlich einen ganz anderen Klang. Sie klingen ganz vertraut
und dem jüdischen Beten nahe. Sie sind Lob- und Dankgebete. Auf jiddisch –
auch das gehört dazu – nennt man sie die „Broche“. (Wir haben in unserer
Alltagssprache nicht wenige jiddische Worte, besonders im Wienerischen, wenn
man vom Mazel spricht, das ist das Glück, wenn man „einen guten Rutsch“ ins
neue Jahr wünscht, dann hat das nichts mit rutschen zu tun, sondern mit Rosch
Haschana, mit dem jüdischen Neujahrsfest, „das Haupt des Jahres“. Rosch ist
das Haupt, Haschana ist das Jahr.) Broche, wie man auf jiddisch sagt, kommt
vom hebräischen Wort beraka. Es wird schwierig, wenn wir das zu übersetzen
versuchen. Eine Broche ist ein Segen. Wer zum Rabbi geht und eine Broche
erbittet, erbittet einen Segen, wie es bei uns auch üblich ist, wenn man einen
Segen erbittet. Aber das Eigenartige an diesem Wort ist, dass es nicht nur
eine Bewegung von Gott zu uns ist – Gott segnet und wir erbitten den Segen
Gottes – sondern dass es auch eine Bewegung des Menschen zu Gott ist. Nicht
nur Gott kann uns eine Broche, einen Segen geben, sondern auch wir können Gott
eine Broche sprechen, wir können Gott segnen. Das ist für uns überraschend,
aber es führt uns tief hinein in das Geheimnis vom kostbaren Schatz, den wir
in irdenen Gefäßen tragen, die Eucharistie.
Das Gebet, das bei der Darbringung von Brot und Wein gesprochen wird, im so
genannten Offertorium, bei der Gabendarbringung, ist eine Broche, nämlich fast
ganz wörtlich jene Segnung oder Preisung (je nachdem wie man es übersetzt),
die heute noch Tag für Tag als jüdisches Tischgebet gebraucht wird. Dort heißt
es in der uns vertrauten Übersetzung, die nicht ganz glücklich ist: „Gepriesen
bist du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die
Frucht der Erde [Papst Paul VI. hat hinzugefügt:] und der menschlichen Arbeit.
Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens
werde. [Alle:] Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr unser Gott.“ Das ist ganz
schlicht und einfach die Broche, das Segensgebet über das Brot. Die hebräische
Form würde übersetzt in etwa so lauten: „Gesegnet bist du, Herr, unser Gott,
Schöpfer der Welt, der du das Brot aus der Erde hervorbringst … Gesegnet bist
du in Ewigkeit, Herr, unser Gott.“ Wir trauen uns nicht zu sagen, dass wir
Gott segnen, das kommt uns etwas anmaßend vor. Aber schon im Lateinischen
(viele von uns können doch zumindest ein paar lateinische Worte) ist das
erhalten geblieben. „Benediktion“ – Segnung, „benedizieren“ – segnen, das „Benedictus“,
das im Morgengebet der Kirche täglich gebetet wird, ist jenes Gebet, das
Zacharias nach der Geburt des Johannes des Täufers, als ihm der Mund wieder
aufgegangen ist, er wieder sprechen konnte, ganz spontan gesprochen hat (Lk
1,68-79). Es ist ein Lobpreis, der in der lateinischen Fassung beginnt: „Benedictus
Dominus Deus Israel …“ – eine klassische Broche, ein ganz typisches jüdisches
Segnungsgebet. Zacharias segnet Gott: „Gesegnet ist der Herr, der Gott
Israels.“ Natürlich trauen wir uns nicht, das so zu übersetzen, sondern
übersetzen „gepriesen…“ Segen geht immer von Gott aus. Alles Gute verdanken
wir seinem Segen. Aber wir können Gott gegenüber unseren empfangenen Segen
verdanken und ihn gewissermaßen zurückgeben. Im jüdischen Verständnis ist das,
was ich zurück gebe an Segen Gottes auch wieder ein Segnen. Gott segnet mich,
Gott segnet uns und wir dürfen ihn zurück segnen. Übrigens sagt man im
jiddischen zum benedizieren bentschen. Das kommt aus dem Lateinischen, wurde
im jiddischen übernommen. Die Einladung in der Synagoge zum Gebet heißt:
„Meine Herrn, lasst uns bentschen!“ Das ist dieselbe Einladung, die der
Priester zu Beginn der Präfation sagt: „Lasset uns danksagen dem Herrn,
unserem Gott!“ Genau das, was man auch in der Synagoge bis heute tut. Wir
benedizieren Gott, wir geben ihm gewissermaßen den Segen zurück, den wir von
ihm bekommen haben. Denn, und das wird uns in das Geheimnis der Eucharistie
tiefer hineinführen, der Auftrag des Menschen ist es, als einziges unter den
Geschöpfen den Segen Gottes nicht nur zu empfangen, sondern gewissermaßen als
Priester der Schöpfung diesen Segen Gott wieder zurück zu geben mit allem, was
er auf Erden bewirkt hat.
Die Broche des Zacharias, das Benedictus beginnt: „Gepriesen sei der Herr, der
Gott Israels!“ Dann gibt er den Grund an: „denn er hat sein Volk besucht und
ihm Erlösung geschaffen“ (Lk 1,68). Es gehört immer zur Benediktion, zur
Broche, zum Dankgebet dazu, dass man den Grund angibt. Man preist Gott zuerst,
dann nennt man den Grund, warum man ihn preist, man erinnert sich an das, was
man bekommen hat und, das ist nicht ganz unklug, ich würde sogar sagen, das
ist strategisch ganz gut gedacht, dann erst fügt man eine Bitte an. Man hat
sozusagen zu Gott gesagt: Schau, soviel haben wir schon von dir bekommen.
Jetzt dürfen wir auch noch um etwas bitten. Man schließt die Bitte immer mit
einem neuerlichen Lobpreis: „Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott“,
sagen wir nach dem Offertoriumsgebet, nach der Darbringung von Brot und Wein.
In jedem jüdischen Dankgebet, in jeder jüdischen Broche kommt am Schluss immer
wieder noch einmal der Lobpreis, mit der Gewissheit: Was ich jetzt erbeten
habe, das hat Gott zugesagt und er wird es auch geben. Deshalb kann ich ihn
jetzt schon dafür preisen.
Wie tief das im Alten Testament wurzelt, möchte ich an einem schönen Text aus
dem Buch Exodus verdeutlichen. Wir finden in der Bibel, im Alten Testament
eine Fülle von solchen Segensgebeten, Brochen. Ich nenne nur eine als
Bei-spiel. Es ist die Geschichte, wo Mose nach dem Auszug aus Ägypten wieder
zu seinem Schwiegervater zurückkommt. Er hat vierzig Jahre in der Wüste
gelebt, nachdem er flüchten musste, weil er den Ägypter erschlagen hatte. Er
kommt zu seinem Schwiegervater Jitro zurück, nun nicht mehr alleine sondern
mit dem ganzen Volk, das Gott aus Ägypten und durch das Rote Meer gerettet
hat. Und jetzt heißt es im Kapitel 18 des zweiten Buches Mose, des Buches
Exodus: „Mose erzählte seinem Schwiegervater alles, was der Herr dem Pharao
und den Ägyptern um Israels willen angetan hatte.“ – Das muss ziemlich lang
gedauert haben, diese Erzählung, aber im Orient hat man etwas mehr Zeit als
bei uns. – Er erzählte „auch von allen Schwierigkeiten, denen sie unterwegs
begegnet waren“ – also die Geschichte von den ersten Wo-chen des Auszugs aus
Ägypten, was sie alles da erlebt hatten – „und wie der Herr sie gerettet
hatte.“ Die Reaktion seinen Schwiegervaters: „Jitro freute sich über alles,
was der Herr an Israel Gutes getan hatte, als er es aus der Hand der Ägypter
rettete. Jitro sagte“ – jetzt übersetze ich so, wie es richtig übersetzt sein
sollte: „Gesegnet sei der Herr, der euch aus der Hand der Ägypter und des
Pharao gerettet hat. Jetzt weiß ich: Der Herr ist größer als alle Götter. Denn
die Ägypter haben Israel hochmütig behandelt, doch der Herr hat das Volk aus
ihrer Hand gerettet. Dann holte Jitro, der Schwiegervater des Mose, Tiere für
Brandopfer und Schlachtopfer zur Ehre Gottes. Aaron und alle Ältesten Israels
kamen, um mit dem Schwiegervater des Mose vor dem Angesicht Gottes ein Mahl zu
halten“ (18,8-12). Da ist das Ganze der Eucha-ristie schon vorweggenommen. Es
beginnt sozusagen mit einem langen Wortgottesdienst. Mose erzählt dem Jitro,
seinem Schwiegervater, was Gott alles getan hat, wie unglaublich diese Rettung
geschehen ist, zuerst aus Ägypten unter vielen Schwierigkeiten, dann durch das
Rote Meer und schließlich ihre Zeit in der Wüste. Als Jitro das alles hört,
ist seine Antwort darauf ein Lobpreis. Er stimmt das Gloria an, den Dank, ja
er gibt Gott zurück im Segen, was Gott seinem Schwiegersohn Mose und dem
ganzen Volk Gutes getan hat. Und der Ausdruck dieser Dankbarkeit, dieser
Freude ist das Opfer. Sie bringen Opfer dar. Diese Opfer haben nicht den Sinn,
Gott zu besänftigen, sondern Gott zu danken. Es sind Opfer des Lobes. Das
ganze mündet in ein freudiges Mahl. Wortgottesdienst, Opfergottesdienst und
eucharistisches Mahl – vorweggenommen schon der ganze Ablauf der Eucharistie.
Was daran besonders auffällt ist, dass hier das Hören auf die Taten Gottes der
Anfang ist. Die Atmosphäre, in der die beraka, die Broche zu Hause ist, ist
der Dank dafür, der Lobpreis dafür, dass Gott so Großes wirkt. – Wenn Sie
schauen wollen, wo man das im Alten Testament besonders schön lesen kann, dann
schauen Sie ins Buch Tobit hinein. Dort kommt immer, wenn irgendetwas ganz
besonders Schwieriges zu überwinden war, wenn Tobit und Sara die Hilfe Gottes
erfahren haben, eine Broche: „Gepriesen, gesegnet sei der Herr, der Gott
Israels“, der uns aus dieser oder jener Situation gerettet hat, der uns seine
Treue gezeigt hat, der uns nicht vergessen hat in unserer Not. Ja, gesegnet
sei der Herr, der Allmächtige (vgl. Tob 3,11-15; 8,5-8; 11,14-15). Diese
Spiritualität der Broche ist sozusagen der Mutterboten, aus dem die
Eucharistie gewachsen ist.
Wenn Sie sich einmal die Zeit nehmen, das vierte eucharistische Hochgebet
herzunehmen, das lange (das man deshalb so selten hört, weil es lange dauert
und die Messe ja immer kurz sein muss), da erleben wir genau das, was Mose dem
Jitro erzählt hat. Die ganze Geschichte wird erzählt, wie Gott am Anfang die
Schöpfung gemacht hat, wie der Mensch seine Freundschaft verloren hat und ihn
Gott trotzdem nicht verlassen hat, wie er immer wieder den Menschen seinen
Bund angeboten hat, wie er die Propheten gesandt hat, um die Menschen zu
lehren, das Heil zu erwarten, wie er schließlich seinen Sohn gesandt hat, um
alle zu retten. Darauf folgt die Antwort, der Lobpreis, das Sanctus, dann
kommt die Vergegenwärtigung des Opfers, wie wir es im Folgenden immer wieder
sehen werden.
Zuerst also erinnern, das ist urbiblisch und urjüdisch, das Gedächtnis, das
Erinnern an die Taten Gottes. Wenn man sich so erinnert, was Gott getan hat,
dann wird einem bewusst, was er früher getan hat, wird er auch in Zukunft tun,
denn er ist treu und deshalb dürfen wir vertrauen, dass er es auch jetzt tun
wird. Vergangenheit – Zukunft – Gegenwart: Genau das erleben wir immer in der
Eucharistie. Wir erinnern uns, was Gott getan hat, wir schauen auf das, was er
tun wird, bis er kommt in Herrlichkeit, und das wird jetzt gegenwärtig. Ganz
gewiss ist der Herr jetzt da. Diese Gebetsatmosphäre ist sozusagen der Raum,
der Gebetsraum, die Luft in der die Eucharistie zu Hause ist. Es ist eine
Atmosphäre tiefen Vertrauens, nicht die Angst vor Gott, sondern die Zuversicht
in die Treue Gottes. Was den Menschen befähigt Gott zu segnen, ist, wie das
Alte Testament ständig sagt: Dieser Gott ist unglaublich nahe. Wie nahe er
ist, konnte das Alte Testament noch nicht ahnen. Erst Jesus hat uns gezeigt,
dass diese Nähe noch so viel weiter geht, viel weiter, als man es sich
vorstellen konnte, bis dahin, dass er sich uns zu essen gibt.
IV.
Ich werde jetzt noch ein wenig aus der jüdischen Frömmigkeitsgeschichte, aus
dem jüdischen Leben über die Bedeutung der Broche sagen. Sie ist nämlich nicht
nur wichtig für die Liturgie, für den Gottesdienst in der Synagoge, bei den
großen Festtagen wie dem Pesach, sondern gehört auch ganz in den Alltag. Ich
würde sagen: „eucharistische Frömmigkeit im Alltag“. Es gibt bei den Juden
eine Tradition, die sicher nicht von allen gelebt wird, aber doch sehr bekannt
ist. Der fromme Jude soll am Tag hundertmal Gott bentschen, Gott eine Broche
sprechen. Vom Aufwachen in der Früh bis zum Schlafengehen bei jeder
Gelegenheit, wenn er einen Goj, einen Nichtjuden auf der Straße sieht; wenn er
eine Frau sieht, soll er sagen, dass er Gott dankt, dass er keine Frau
geworden ist – es gibt aber auch eine Broche, die die Frauen sprechen sollen,
die danken dafür, dass sie nicht ein Mann geworden sind –; wenn man ein
seltsames Phänomen sieht, eine Sternschnuppe, soll man eine bestimmte Broche
sprechen; wenn man irgendein besonderes Naturphänomen sieht, gibt es eine
eigene Broche. Ich nenne nur so ein paar, wie sie in der jüdischen
Frömmigkeitstradition weitergegeben werden: Beim Aufwachen soll der gläubige
Jude sprechen: „Gepriesen seist du; Herr unser Gott, König der Welt“ – so
beginnt immer die Broche – „der du die Seelen ihren sterblichen Leibern
zurückgibst und so das morgendliche Erwachen verbindest mit der Aussicht auf
die Auferstehung.“ Das morgendliche Aufstehen ist eine Erinnerung an die
Auferstehung. Wenn er den ersten Blick auf seine Umgebung wirft, soll er
sagen: „Gepriesen seist du, Herr unser Gott, König der Welt, der du die Augen
der Blinden öffnest.“ Wenn er aus seinem schwankenden Bett heraus steigt, den
festen Boden unter den Füßen findet, soll er sagen: Gepriesen seist du, Herr
unser Gott, König der Welt, der du die Erde auf den Wassern befestigt hast.“
Und so geht es weiter, den ganzen Tag hindurch bis zum Schlafengehen. Beim
Apostel Paulus steht ein Satz, der uns von dieser Frömmigkeit her einen ganz
anderen Klang bekommt: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, nichts ist
verwerflich, wenn es mit Preisung [im Griechischen steht hier: mit
Eucharistie] genommen wird, ist es doch geheiligt durch Gottes Wort und das
Gebet“ (1 Tim 4,3-4). Alles soll Eucharistie sein, alles soll Gott
zurückgegeben werden in der Preisung, in der Broche. Ganz ähnlich heißt es im
Talmud, im großen jüdischen Werk in vielen, vielen Bänden, in denen die
jüdischen Traditionen überliefert und festgehalten sind, in dem Traktat über
das Bentschen, über die berakot: „Es ist dem Menschen verboten, irgendetwas
von dieser Welt ohne Benediktion zu genießen“ (b Ber 35a). Nichts sollen wir
also zu uns nehmen, nichts sollen wir annehmen, empfangen, ohne Gott zu „eucharistieren“,
Gott zu preisen oder, wie wir wörtlich sagen dürfen, Gott zu segnen.
Wenn wir in das Leben Jesu hinein schauen, merken wir, wie viele solche
Brochen, solche Benediktionen es auch bei ihm gibt. Ich nenne nur eine ganz
eindrucksvolle, die im Matthäusevangelium steht. Es bricht so richtig aus
Jesus hervor, eine jubelnde Benediktion an Gott: „Ich preise dich [wörtlich:
ich segne dich], Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies [das
Motiv, warum?] vor Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber
geoffenbart hast.“ Am Schluss, ganz klassisch wie in jedem jüdischen Gebet,
noch einmal eine lobende Zusammenfassung: „Ja, Vater, so hat es dir gefallen“
(Mt 11,25-26). Wir sehen, wie tief auch Jesu eigene Frömmigkeit in der
Frömmigkeit der Synagoge beheimatet ist. Persönliche und liturgische
Frömmigkeit, beide gehören eng zusammen, wie ja auch für uns das
eucharistische Beten und das persönliche Gebet ganz in einander verwachsen
sein sollen.
V.
Nun muss ich zum Abschluss eine Erklärung versuchen, warum das so eine eigene
Frömmigkeit ist. Im ersten Petrusbrief steht ein Zitat aus dem Buch Exodus,
der Apostel sagt zu den Gläubigen: „Ihr seid ein auserwähltes Volk, ein
königliches Priestertum“ (2,9). Das Volk Gottes, des Alten und den Neuen
Bundes, hat eine große Berufung, eine priesterliche Berufung. Worin besteht
die? Was tut der Priester? Er vermittelt den Segen Gottes und gibt den Segen
an Gott zurück. Genau das ist die Aufgabe aller Getauften, ist die Aufgabe des
ganzen Volkes Gottes. Alles, was Gott uns schenkt, sollen wir im Lobpreis, in
der Eucharistie Gott zurückgeben. Das ist nicht nur eine Aufgabe der geweihten
Priester, sondern das ist Aufgabe des ganzen Volkes Gottes, „Opfer des Lobes“
nennt das die Bibel (Ps 50,23; Hebr 13,15). Es ist ein priesterlicher Dienst.
Gott hat uns gesegnet, und er wartet darauf, dass die Welt Gott zurückgegeben
wird, dass sie ihm im Lobopfer, in der Benediktion zurückgegeben wird.
Es gibt eine frühchristliche Diskussion zwischen einem Rabbiner und einem
Christen, aus dem 2. Jahrhundert. Der Rabbiner hieß Tryphon und der Christ
Justin, dann später als Märtyrer gestorben (†um 165). Die beiden diskutieren
miteinander über eine Stelle, die wir alle gut kennen, weil sie im dritten
Hochgebet vorkommt, das man am Sonntag sehr oft hört: „Vom Aufgang der Sonne
bis zum Untergang werde das reine Opfer dargebracht …“ Das ist ein Wort aus
dem Propheten Maleachi, der sagt: „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem
Untergang ist mein Name groß unter den Völkern, und an jedem Ort wird meinem
Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe“ (1,11). Wir kennen
dieses Wort aus der Eucharistie, und wir glauben, dass überall auf Erden, wo
die Eucharistie dargebracht wird, dieses reine Opfer dargebracht wird. Der
Rabbiner sagt zum Christen: Unsere Brochen, unsere vielen Segensgebete, die
wir überall auf der Welt sprechen, sind dieses „reine Opfer“. Auf diese Weise
bringen wir die Schöpfung Gott zurück im Lobpreis. Darauf antwortet ihm der
Christ und sagt: Nein, wir glauben, dass das die Eucharistie Jesu ist. Das ist
das reine Opfer, das überall auf Erden vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang
Gott dargebracht wird. Jesus ist der, der die vollkommene Broche für uns ist
und für uns darbringt. Jesus ist der Segen Gottes an die Welt. „So sehr hat
Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn für uns gegeben hat“ (Joh 3,16).
Jesus ist der, der Gott die vollkommenste Broche gesprochen hat, nicht nur
durch Worte, sondern durch sein ganzes Leben. Er ist der vollkommene Priester.
Er hat alles Gott zurückgebracht. Das ist der Sinn der Eucharistie, das
vollkommene Lobopfer. Darüber werden wir das nächste Mal weiter nachdenken,
wenn wir schauen: Wie hat nun Jesus selber das Abendmahl gefeiert und was sagt
das für den Sinn dieses kostbaren Schatzes, den wir in irdenen Gefäßen tragen?