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Katechesen
2002/2003
7. Jahresreihe - 6. Katechese, 02.03.2003
Paulus – Freud und Leid des
Missionars |
Paulus – Freud und Leid
des Missionars
Paulus schreibt an die Gemeinde in Philippi: „Was mir damals
ein Gewinn war, das habe ich um Christi Willen als Verlust erkannt. Ja noch
mehr: ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines
Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es
für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene
Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die
durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des
Glaubens schenkt. Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung
und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe
ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. Nicht dass ich es schon
erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es
zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin“ (Phil
3,7-12).
I.
Warum ich ein zweites Mal Paulus thematisiere in diesen Katechesen über die
Mission? Aus einem ganz einfachen Grund, weil ich letztes Mal nicht fertig
geworden bin. Aber es liegt auch daran, dass es über Paulus als Missionar so
viel zu sagen gibt, so viel kennen zu lernen gilt, dass auch die zweite
Katechese kaum reichen wird. Was will ich mit dieser Katechese? Paulus hat es
oft und oft gesagt: „Ahmt mich nach“ (Phil 3,17), wie auch ich Christus
nachahme! Ahmt mich nach. Aber wenn wir Paulus nachahmen sollen, dann müssen
wir ihn kennen. Man kann nur nachahmen, was man kennt. Ihn besser kennen zu
lernen, das ist das Anliegen dieser Katechese. Nicht dass Sie ihn nicht
kennen, aber vielleicht hilft die Katechese, das eine oder andere noch
deutlicher zu sehen und vor allem, dass das Verlangen wächst, ihn nachzuahmen.
Denn es gibt wohl keinen besseren und stärkeren Patron für unsere Stadtmission
als den großen Missionar, den Apostel Paulus.
„Weil ich von Christus ergriffen worden bin“, das ist die
feste Überzeugung, das ist sozusagen der Impetus, von dem Paulus ausgeht, der
ihn bewegt. Die Liebe Christi drängt ihn, weil er von Christus ergriffen ist.
Diese Gewissheit kommt immer wieder zum Ausdruck, so etwa in der großen Stelle
im Römerbrief, wo er seine Gewissheit uns sagt, dass nichts, nichts uns
scheiden kann von der Liebe Christi: „Was ergibt sich nun, wenn wir das alles
bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn
nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit
ihm nicht alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist
es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben
ist, mehr noch: der auferweckt worden ist, sitzt zur Rechten Gottes und tritt
für uns ein. Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not
oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? … All das überwinden
wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten
der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der
Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,31-35.37-39).
Die Liebe Christi drängt uns also zur Mission. Sie drängt uns,
anderen zu sagen, wie groß die Liebe Christi zu allen Menschen ist. Aber diese
Liebe hat eine ganz konkrete Gestalt. Paulus will nicht irgendeine abstrakte
Liebe verkünden, sondern die gekreuzigte Liebe. Den Korinthern sagt er, dass
er unter ihnen niemanden anderen, nichts anderes kennen will, „als Christus
und zwar den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). Aber was heißt das für die Mission,
wenn der Gekreuzigte die Mitte ist? Paulus liegt das so am Herzen, dass er
einmal den Philippern sagt, dass es „unter euch einige gibt, die als Feinde
des Kreuzes Christi leben“. Paulus sagt, er spricht davon „unter Tränen“ (Phil
3,18). Er hat große Sorge, dass das Kreuz nicht entleert wird, dass das Wort
vom Kreuz nicht die Mitte ist. Er weiß natürlich, es ist den Juden ein
Ärgernis, den Heiden, den Griechen, eine Torheit (1 Kor 1,23). Er weiß selber,
wie sehr ihm das Kreuz ein Ärgernis war. Aber er hat erkannt, dass das Kreuz
Gottes Kraft und Weisheit ist (1 Kor 1,24). Deshalb will er unter den
Korinthern und unter uns allen nur Jesus Christus als den Gekreuzigten kennen.
Aber was heißt das für die Mission? Was heißt das für unsere Stadtmission? Bei
den Volksmissionen wurde früher immer das Volksmissionskreuz mit einem Datum
versehen, wann die letzte Volksmission stattgefunden hat. Wir wollen heute
versuchen, bei Paulus nachzufragen, was das bedeutet für ihn, das Kreuz in der
Mitte. Irgendwie hat man den Eindruck, dass ist ja nicht eine Perspektive, die
die Menschen einfach begeistert, wenn man mit dem Kreuz kommt. Und doch, ohne
das Kreuz wäre Paulus nicht der, der er ist.
II.
So möchte ich beginnen mit einer großen Vision. Wie hat Paulus seine Mission
verstanden? Sicher nicht als privates Anliegen, etwas was nur er betreibt, was
seine Idee ist, sondern er hat es in der großen Vision des Alten Testaments
gesehen, der Propheten, vor allem des Propheten Jesaja. Als Paulus auf dem Weg
nach Damaskus Christus begegnet ist, dem Licht Christi, dem Licht des Messias,
da ist ihm aufgeleuchtet, dass die großen Prophetien des Alten Testaments sich
jetzt verwirklichen. Und er hat selber gesehen, dass er mitten hinein gestellt
ist in diese große Vision der Propheten. So lesen wir etwa bei dem Propheten
Jesaja, zwei Texte, die wir immer wieder hören, vor allem im Advent, einen vom
Anfang des Propheten Jesaja und einen vom Schluss, beide mit einer ganz großen
Vision der Mission. Im zweiten Kapitel heißt es: „Am Ende der Tage wird es
geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster
der Berge.“ – Der Zionsberg ist gemeint. – „Er überragt alle Hügel. Zu ihm
strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt,
wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige
uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die
Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht Recht im Streit der
Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus
ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das
Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus
Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,2-5).
Paulus dürfte in diesem großen Text, in dieser großen Vision
des Propheten eine Ankündigung dessen gefunden haben, was die Mission für ihn
selber und für die Kirche bedeutet. Zweierlei wird da gesagt: Erstens ist das
jüdische Volk das erwählte Volk aber nicht für sich alleine, sondern für alle
Völker, einmal werden alle Völker zusammenströmen und im Licht des Herrn, im
Licht seiner Weisung wandeln. Schon zu Abraham hatte Gott gesagt: „Durch dich
werden alle Völker, alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,3). Die
Weltmission ist also nicht erst mit den Christen gekommen, sondern sie ist
Auftrag des alttestamentlichen Gottesvolkes, des erwählten Volkes, das von
Anfang an für alle Völker da war. Die christliche Mission ist nur zu
verstehen, wenn man sie in dieser großen Vision des Propheten im Alten
Testament sieht. Dieses kleine Volk, dieses unscheinbare kleine Volk soll Bote
Gottes für alle Völker sein. Vom Zion geht die Weisung aus für alle Völker.
Gottes Licht geht durch dieses Volk an alle Völker. Nur von daher verstehen
wir, dass Jesus anknüpfend an diese große Vision seinen Aposteln den Auftrag
gegeben hat: „Geht zu allen Völkern und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (Mt
28,19). Die Mission ist also nicht eine neue Idee, sondern sie bekommt eine
neue Mitte in Jesus Christus. Aber Paulus wusste schon vom Alten Testament
her, dass einmal alle Völker von Gott versammelt werden sollen durch das eine
erwählte Volk.
Ein zweites: Das jüdische Volk wusste sehr gut, und die
Propheten haben es ihm immer in Erinnerung gerufen: Wenn ihr diese universale
Sendung habt, dann müsst ihr auch dieser Sendung gemäß leben. „Ihr vom Haus
Jakob kommt, wir wollen unseren Weg gehen im Licht des Herrn“, sagt der
Prophet (Jes 2,5). Leben nach der Weisung Gottes, nach seinem Gesetz, das ist
Teil der Mission. Das jüdische Volk hat das schon sehr früh erfahren, als es
begonnen hat, zerstreut zu werden unter die Völker. Die so genannte Diaspora
bedeutet, nicht mehr nur im Heiligen Land zu leben, sondern unter die Völkern
zerstreut. Israel hat den Auftrag bekommen, den Namen Gottes unter die Völker
zu tragen, dass der Name Gottes allen Völkern bekannt wird. Die jüdische
Diaspora und die vielen jüdischen Gemeinden, in Ost und West, in Nord und Süd,
waren bereits ein Teil dieser großen Missionsvision der Propheten. Der Name
Gottes sollte unter die Völker gebracht werden durch die Juden, die unter den
Völkern leben. Nicht so sehr, dass sie direkt missionarisch waren, sicher
nicht so missionarisch, wie die christlichen Gemeinden es dann waren, aber sie
haben doch Menschen angezogen. Wir hören immer wieder von den so genannten
Proselyten, die angezogen waren von der Lebensweise der jüdischen Gemeinden,
die Gott durch das Leben der Juden kennen gelernt haben und sich dann selber
zum jüdischen Glauben bekehrt haben. Oder es gab um die jüdischen Gemeinden
die so genannten „Gottesfürchtigen“, die Heiden blieben aber gewissermaßen
Sympathisanten waren. Im Grunde ist das bis heute so geblieben. Unsere
christlichen Gemeinden leben heute gerade in der Großstadt mehr und mehr in
einer Art Diaspora, kleine Minoritäten in der großen Stadt. Die erste und
grundlegendste Form der Mission ist, wie damals schon im Alten Testament,
einfach das Dasein dieser Gemeinden und das Zeugnis, das sie geben durch ihr
Leben. Das erfordert freilich, dass sie sich dessen bewusst sind, dass wir als
christliche Gemeinden die Verantwortung haben, dass der Name Gottes bekannt
wird, dass Christus bezeugt wird durch unser Leben. Diese universale
Perspektive war also schon im Alten Testament und schon für den jüdischen
Glauben vertraut. Sie ist im innersten des jüdischen Glaubens: Gott will sein
Licht, seine Offenbarung, seine Weisung zu allen Völkern bringen durch das
eine erwählte Volk.
Der zweite Text, wieder vom Propheten Jesaja, steht ganz am Schluss des
Jesaja-Buches, im allerletzten Kapitel. Diesen Text hatte Paulus im Herzen,
als er sich selber aufmachte, um Missionar zu werden. Dort heißt es: „Ich
komme“ – spricht Gott – „um die Völker aller Sprachen zusammenzurufen, und sie
werden kommen und meine Herrlichkeit sehen. Ich stelle bei ihnen ein Zeichen
auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern
…“ Dann kommt eine lange Liste von Völkern, zu denen Gott seine Boten schicken
wird, bis „zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine
Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den
Völkern verkünden.“ Jetzt achten Sie auf dieses Wort, dass der hl. Paulus
aufgreifen wird: „Sie werden aus allen Völkern eure Brüder als Opfergabe für
den Herrn herbeiholen auf Rossen und Wagen, in Sänften, auf Maultieren und
Dromedaren, her zu meinem heiligen Berg nach Jerusalem, spricht der Herr“ (Jes
66,18b-20).
Es mag etwas befremdlich klingen, aber Paulus sagt etwas ganz
Ähnliches. Auch er bekommt Weisung für sein Leben gleich nach seiner
Bekehrung, in der Apostelgeschichte lesen wir das. Hananias in Damaskus ist
ganz erschrocken: Dieser Saulus verfolgt uns doch und jetzt soll ich zu ihm
hingehen und ihm die Hände auflegen? Da sagt Jesus zu Hananias in einer
Vision: „Dieser Mann [Saulus] ist mein auserwähltes Werkzeug: Er soll meinen
Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels tragen. Ich werde ihm auch
zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss“ (Apg 9,15-16). Paulus soll
also den Namen Jesu vor Völker und Könige tragen. Genau so hat Paulus sofort
seinen Dienst verstanden, ist nicht in Damaskus oder in Jerusalem sitzen
geblieben, sondern nach einer Zeit der Prüfung, nach einer Zeit des Zuwartens
ist er hinaus und wirklich zu allen Völkern in die damalige Welt gegangen, um
den Namen Jesu vor Völker und Könige zu bringen. Paulus hat also diese große
Vision, dass sein Verkündigungsdienst, seine Mission den Namen Jesu zu allen
Völkern bringen soll. Am Ende des Römerbriefs nimmt Paulus dieses Wort vom
Propheten Jesaja auf und sagt: „Mir ist die Gnade von Gott gegeben worden,
damit ich als Diener Christi Jesu“ – wörtlich sagt er: als „Liturge Christi
Jesu“ – „für die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester
verwalte, denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt,
geheiligt im Heiligen Geist“ (Röm 15-16). Diese Vision mag uns ein bisschen
fremd und seltsam erscheinen, aber horchen wir ein wenig hinein.
III.
Was Paulus macht mit seiner Verkündigung, wenn er das Evangelium hinausträgt,
das ist wirklich Gottesdienst. Wenn er Menschen zum Glauben führt, dann ist es
genau das, was der Prophet Jesaja geschaut hat: dass die Völker wie eine
Opfergabe zu Gott gebracht werden, dass Menschen wie eine Gabe zu Gott
gebracht werden durch den priesterlichen Dienst des Apostels. Paulus hat also,
wenn man sich das vorstellt, eine ungeheure Hoffnung, eine Hoffnung, die
eigentlich menschlich gesehen ganz unmäßig ist. Wie soll dieses kleine Volk
der Juden alle Völker erreichen? Und erst recht: Wie soll dieser Apostel zu
allen Völkern und Nationen gehen und dort den Namen Jesu hinbringen, um die
Völker dann Gott zurückzubringen als Opfergabe? Aber wir müssen noch ein Stück
tiefer hinein gehen in diese aufs erste gesehen befremdliche Vision, denn sie
steht für Paulus ganz eng in dem Zusammenhang mit dem tiefen Schmerz über sein
eigenes Volk. Paulus hat tief darunter gelitten, dass seine Volksgenossen, die
Juden, nicht wie er Jesus als Messias erkannt haben, dass sie ihn abgelehnt
haben, so wie Paulus es ja selber getan hat, entschieden und kämpferisch. Es
stellt sich ihm die Frage: Was ist da geschehen? Warum hat das jüdische Volk,
warum hat mein Volk die Stunde nicht erkannt, die Gott ihm geschenkt hat, mit
Jesus seinem Sohn? Als Paulus auf dem Weg nach Damaskus Jesus begegnet war, da
brannte in ihm die Frage: Warum haben die anderen diese Gnade nicht? Warum
sind die Herzen vieler meiner Volksgenossen verblendet und verhärtet gegenüber
Jesus, dem Christus? Er hat eine Antwort gefunden. Diese Antwort erklärt uns,
warum Paulus ein so leidenschaftlicher Missionar geworden ist. Im Römerbrief
sagt er: „Ihr sollt dieses Geheimnis wissen, Brüder: Verstockung liegt auf
einem Teil Israels, so lange, bis die volle Zahl der Heiden das Heil erlangt
hat. Dann wird auch ganz Israel gerettet werden“ (Röm 11,25-26).
Paulus hat also die Hoffnung, dass sich diese große Vision
erfüllt, einmal werden alle Völker kommen, werden Gott erkennen. Und jetzt
weiß er nicht nur: Sie werden Gott erkennen, sie werden Jesus Christus
erkennen, und dann, wenn das geschehen ist, wird auch „mein Volk“, das
jüdische Volk, schließlich und endlich Jesus als den Messias erkennen. Eine
ungeheure Hoffnung bewegt Paulus. In dieser Hoffnung fängt er an, durch
Kleinasien, dann durch Europa und schließlich will er bis nach Spanien gehen,
bis an die damaligen Grenzen der Erde, um überall den Heiden Jesus zu
verkünden, damit die Heiden zu Gott finden und dann schließlich, wenn alle
Heiden zu Gott gefunden haben, zu Christus, dann werden auch die Juden, seine
Volksgenossen heimkehren zum Messias, zu Christus.
Das mag alles etwas überraschend klingen, aber es ist wirklich
die Vision, die der Apostel hat. Und mir wäre das ganze nicht so brennend im
Herzen, wenn ich nicht selber in den letzten Jahren und vor allem in den
letzten Wochen und Tagen dieser Wirklichkeit in ganz neuer Weise begegnet wäre
durch die Wirklichkeit, die immer deutlicher wird: die Messianischen Juden. Es
gibt im jüdischen Volk, ich sage es mit großer Behutsamkeit, weil es wirklich
geheimnisvoll ist, im wachsenden Maß Juden, Tausende, Zigtausende, die sich zu
Jesus als Messias bekennen, die zur Erkenntnis kommen, dass wirklich Jesus von
Nazaret der Messias, der Sohn Gottes ist. Ich hatte immer wieder in den
letzten Jahren Gelegenheit mit solchen jüdischen Brüdern und Schwestern zu
reden und ihr Zeugnis zu hören, wie sie Christus begegnet sind. Man kann, wenn
man diese Erfahrungen hört, ein wenig ahnen, welche ungeheure Sehnsucht im
Herzen des Paulus gelebt hat, sozusagen möglichst schnell allen Heiden das
Evangelium zu bringen, damit möglichst schnell auch sein eigenes Volk den
Messias erkennt.
IV.
Eine große Vision kann natürlich leicht eine Illusion sein, eine Täuschung,
eine Phantasie. Deshalb die Frage: Wie hat den Paulus das konkret umgesetzt?
Wie hat Paulus das in seinem Alltag gelebt? Das muss ja übersetzt werden in
die Wirklichkeit. Wie ist er also hinausgegangen um zu missionieren? Gleich
nach seiner Bekehrung heißt es: „Sogleich verkündete [Saulus] Jesus in den
Synagogen und sagte: Er ist der Sohn Gottes“ (Apg 9,20). Paulus dürfte einige
Zeit in Arabien verbracht haben, wie er selber sagt (Gal 1,17); wir wissen
nichts über diese Zeit: War es eine Zeit der Stille, der Zurückgezogenheit,
der Verborgenheit?; dann einige Zeit in Tarsus, in seiner Heimat. Schließlich
holt ihn Barnabas nach Antiochia und dort beginnt seine große
Missionstätigkeit, dort, wo die Jünger Jesu zum ersten Mal Christen genannt
wurden (Apg 11,25-26). Wie hat Paulus missioniert? Ich möchte drei Elemente
nennen, natürlich viel zu kurz und zusammengefasst.
1) Er hat immer einen Anknüpfungspunkt gesucht. Das ist bis
heute so. Bei der Mission muss man einen Anknüpfungspunkt haben. Der normale
Anknüpfungspunkt für ihn waren die jüdischen Gemeinden, die es überall damals
gab, in vielen Städten und größeren Gemeinden. Dieses Netz der jüdischen
Gemeinden war ein erster Anknüpfungspunkt. Dort konnte er seine Botschaft
zuerst einmal in den Kreis seiner jüdischen Volksgenossen bringen, etwa wenn
es von seiner ersten Missionsreise nach Zypern heißt: „Als sie in Salamis
angekommen waren, verkündeten sie das Wort Gottes in den Synagogen der Juden“
(Apg 13,5). Wie sah das konkret aus? Paulus ist ausgegangen vom Wort Gottes,
das gelesen wurde, hat es ausgelegt und gezeigt, dass diese Verheißungen des
Alten Testaments in Jesus ihre Erfüllung bekommen haben. Was geschieht? Sein
Wort löst Zustimmung und Widerspruch aus. Es kommt überall, wo er hinkommt,
zur Scheidung. Das wird sein großes Kreuz, sein großes Leid sein. Er ist ein
Zeichen, dem widersprochen wird. Überall, wo er Christus verkündet, kommt es
zur Zustimmung, Leute schließen sich ihm an, bilden mit ihm Gemeinden. Und
die, die es ablehnen, werden sehr oft seine Verfolger, bis hin zu Steinigung,
Schlägen, Gefängnis und schweren Verfolgungen.
Was macht Paulus, wenn er sich den Heiden zuwendet? Da ist die
Frage: Wo hat er eine gemeinsame Basis? Es gibt eine köstliche aber auch
dramatische Szene, wie Paulus mit seinem Begleiter Barnabas in eine Stadt
namens Lystra kommt. Sie heilen dort einen Gelähmten und die heidnische
Bevölkerung glaubt, die Götter sind unter sie gekommen, Zeus und Hermes. Sie
wollen ihnen Opfer darbringen. Paulus ist entsetzt, springt unter die Menschen
und sagt: Um Gottes willen, wir sind nur Menschen wie ihr, wir sind keine
Götter (Apg 14,8-15). Was tut er? Er sagt kein Wort über Jesus. Auffallend in
diesem 14. Kapitel der Apostelgeschichte: kein Wort von Jesus, nur: Glaubt an
Gott, den Schöpfer – Anknüpfungspunkt, ich glaube auch heute. Vielfach ist das
Neuheidentum so stark, dass man die Verkündigung Jesu Christi gar nicht
beginnen kann, wenn nicht zuerst der einfache Glaube an Gott da ist. Erst wenn
der Glaube an Gott da ist, kann auch Christus verkündigt werden.
Eine weitere Erfahrung macht Paulus ein wenig später in Athen.
Dort versucht er, nicht beim Schöpfer anzuknüpfen sondern bei der Kultur, auch
das eine Erfahrung, die wir heute durchaus kennen. In Athen macht er so etwas
wie Straßenmission. Auf dem Markt von Athen spricht er die Leute einfach an.
Weil man in Athen interessiert ist an allen Neuigkeiten, lädt man ihn ein und
sagt, er soll auf den Marktplatz, auf die Agora kommen und dort erzählen, was
er denn für eine Lehre zu verbreiten hat. Paulus versucht, ihnen ausgehend von
ihrer Kultur zu sagen, was er ihnen zu sagen hat. Aber der Erfolg ist sehr
gering, denn als es ernst wird, als er ihnen sagt, worum es wirklich geht,
nämlich dass Jesus gestorben und auferstanden ist, da lachen die Leute über
ihn und sagen: „Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hören“ (Apg 17,16-34;
Zitat V. 32).
Was ich jetzt ganz kurz zusammengefasst habe, drei
Anknüpfungspunkte: Bei denen, die das Wort Gottes als Grundlage haben, kann
von der Bibel ausgegangen werden, bei den Juden; bei denen, die nicht einmal
an Gott glauben, geht Paulus von einer ganz einfachen Verkündigung des
Schöpfers aus, „an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ zu glauben;
und in Athen versucht er es mit der damaligen Kultur, ausgehend von den
Dichtern, den Philosophen der Griechen, Menschen für das Evangelium
aufzuwecken. Wenn man sich das näher anschaut, dann stellt man fest: Wirklich
erfolgreich war nur die Verkündigung des Kreuzes. Als Paulus von Athen
wegging, dort hatte er wirklich wenig Erfolg, ein paar Leute nur haben sich
ihm angeschlossen, ging er nach Korinth. Er hatte aus dieser Erfahrung
gelernt: „Unter euch wollte ich nichts anderes wissen als Jesus Christus und
zwar den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). Er sagt ausdrücklich: Die Torheit des
Kreuzes will ich euch verkünden, das ist die Weisheit Gottes. In Korinth ist
eine große Gemeinde entstanden, in Athen nicht.
Das macht uns nachdenklich auch für die Frage, wie wir Mission
zu verstehen haben. Anknüpfungspunkte sind wichtig, aber noch wichtiger ist
die Torheit des Kreuzes, das Evangelium sozusagen in seiner starken und zu
Herzen gehenden Form, die Verkündigung der Liebe Christi, die bis zum Kreuz
geht. Von daher verstehen wir auch, warum Paulus als den innersten Kern seiner
Mission eben die Liebe Christi genommen hat. Nicht die Methode ist wichtig,
sondern die Liebe Christi. Er sagt es den Korinthern in einem wunderbaren
Wort: „Ich habe mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu
gewinnen. Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen,
die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz
stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem
Gesetz stehen. Den Gesetzlosen war ich sozusagen ein Gesetzloser – nicht als
ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi –, um die
Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen wurde ich ein Schwacher, um die
Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige
zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner
Verheißung teilzuhaben“ (1 Kor 9,19-23). Für mich ist dieses Wort: „Allen bin
ich alles geworden, um möglichst viele zu gewinnen“, die Art und Weise, wie
Paulus anknüpft. Das ist die richtige Anpassung, nicht eine Gleichmacherei,
sondern die Liebe drängt Paulus, zu jedem dorthin zu gehen, wo er steht. Es
ist keine schlaue List, sondern von Herzen kommende Zuwendung: „Die Liebe
Christi drängt mich.“
2) Ein zweites gehört wesentlich zur Mission. Auch das macht
uns ein wenig Kopfzerbrechen. Paulus sagt immer wieder: „Das, woran man den
Apostel erkennt, wurde mit großer Ausdauer unter euch vollbracht: Zeichen,
Wunder, machtvolle Taten“ (2 Kor 12,12). Paulus hat sein Wort durch Zeichen
bestätigt, oder genauer: Gott hat sein Wort durch begleitende Zeichen
bestätigt. Paulus hat Wunder gewirkt, er hat Tote auferweckt, Kranke geheilt,
einen Gelähmten, wir haben es eben in Lystra gesehen, einen dramatischen
Schiffbruch hat er erlebt und da sind manche Wunder geschehen. Immer wieder
wird von Heilungen berichtet. Wie steht es mit solchen Zeichen heute? Ich
glaube, wenn es heute nicht solche Zeichen gäbe, dann wäre unsere Verkündigung
nicht glaubwürdig. Diese Zeichen sind zwar nicht ein Beweis für den Glauben,
aber wenn es sie nicht gäbe, dann wäre doch die Glaubwürdigkeit des
Evangeliums sehr in Frage gestellt.
Für jede Heiligsprechung braucht es Wunder, und es gibt sie.
Nicht nur in Lourdes, es gibt sie auch in Wien, die stillen, die weniger
bekannten, verborgenen Wunder der Gnade. Ohne solche Erfahrungen wäre die
Verkündigung, die Mission wohl nicht wirklich glaubwürdig.
3) Mission ist untrennbar verbunden mit dem Kreuz. Paulus hat
immer wieder seinen Gemeinden von seiner Leidenserfahrung gesprochen, nicht um
sie zu bestürzen, nicht um ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um
ihnen zu sagen, wie intensiv seine Teilnahme am Weg, am Leiden, am Leben
Christi ist. Ich möchte Ihnen das kurz vorlesen, die so genannte Narrenrede,
wo Paulus sagt, was er alles auf sich genommen hat, um des Evangeliums willen.
Den Korinthern, mit denen er so viele Sorgen und so viele Nöte gehabt hat,
schreibt er: „Womit aber jemand prahlt - ich rede jetzt als Narr -, damit kann
auch ich prahlen. Sie [die Gegner] sind Hebräer – ich auch. Sie sind
Israeliten - ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch. Sie sind
Diener Christi – jetzt rede ich ganz unvernünftig –, ich noch mehr: Ich ertrug
mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in
Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe; dreimal
wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch,
eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war oft auf Reisen,
gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene
Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste,
gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal
und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten,
Kälte und Blöße. Um von allem andern zu schweigen, weise ich noch auf den
täglichen Andrang zu mir und die Sorge für alle Gemeinden hin. Wer leidet
unter seiner Schwachheit, ohne dass ich mit ihm leide? Wer kommt zu Fall, ohne
dass ich von Sorge verzehrt werde? Wenn schon geprahlt sein muss, will ich mit
meiner Schwachheit prahlen. Gott, der Vater Jesu, des Herrn, er, der gepriesen
ist in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge“ (2 Kor 11,21b-31).
Das Kreuz im Leben des Paulus, viel wäre darüber zu sagen: das
Leiden an den Konflikten, wie viele Konflikte hat Paulus durchzustehen gehabt;
die Verdächtigungen, weil er doch ehemals ein Verfolger war; der Neid auf
seinen Erfolg als Missionar; die Konflikte bis hinein in den engsten Kreis mit
Petrus, damals in Antiochien (Gal 2,11-21), mit Barnabas, von dem er sich
trennt in einem sehr schmerzlichen Konflikt (Apg 15,36-41); und vor allem die
Sorge um die Gemeinden. In jedem der Briefe spürt man, wie Paulus brennt vor
Sorge für seine Gläubigen, die frisch Bekehrten, die oft noch so schwach auf
ihren Beinen stehen und denen er das Abc des christlichen Lebens erst
beibringen muss.
Es wäre jetzt schön, wenn wir noch etwas über die Gemeinden sagen könnten, wie
Paulus seine Mission verstanden hat als das Bilden von Gemeinden. Denn
nachhaltig wird die Mission erst, wenn Gemeinden entstehen. Wie sehr er um die
Gemeinden gesorgt hat, zeigen die Briefe, wenn er etwa den Thessalonichern
sagt: „Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, so waren wir euch zugetan und
wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an
unserem eigenen Leben“ (2 Thess 2,7-8).
Kommen wir zum Schluss. Hat Paulus seine Vision verwirklicht,
diese große Vision, dass die Völker durch ihn das Evangelium bekommen? Als er
im Gefängnis in Rom war, musste er feststellen, dass vieles Stückwerk
geblieben ist. Seinem Schüler Timotheus sagt er: „Die Zeit meines Aufbruchs
ist nahe.“ Bald werde ich aufgelöst, das heißt sterben. Aber, fügt er hinzu:
„Ich habe den guten Kampf gekämpft, … den Glauben bewahrt. Jetzt harrt meiner
der Siegeskranz“ (2 Tim 4,6-7). Am Schluss steht nicht Enttäuschung, dass das,
was er gemacht hat, so Stückwerk geblieben ist, sondern am Schluss steht die
Überzeugung: Das letzte und größte, was er für die Mission tun kann, ist die
Hingabe seines Lebens. Wir glauben als Christen, die größte Fruchtbarkeit der
Mission ist das Martyrium. Die Märtyrer haben die Kirche weitergebracht,
obwohl es menschlich schien, dass sie gescheitert sind.
Wir sind letztes Mal vom 2. Korintherbrief ausgegangen von der
Stelle, wo Paulus sagt: „Die Liebe Christi drängt uns.“ Warum drängt ihn die
Liebe Christi? Er sagt es: „Einer ist für alle gestorben. Er ist für alle
gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich, sondern für den leben, der
für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5,14-15). Aus dieser Gewissheit hat
Paulus seine Mission betrieben: Die Liebe Christi drängt uns. Wenn auch alles
Stückwerk geblieben ist und er nur kleine Gemeinden gründen konnte, so hat er
doch die Liebe Christi in gewisser Weise in die ganze Welt hinausgetragen,
letztlich durch die Hingabe seines Lebens mit Christus. Das gilt wohl auch für
unsere Stadtmission. Wir werden nicht die ganze Stadt umkrempeln, aber wenn
die Liebe Christi uns drängt, dann wissen wir, sie gilt jedem Menschen, jedem
Menschen in dieser Stadt. Sie wird sicher auch zu jedem Menschen kommen, durch
uns oder auf anderen Wegen. Sicher ist die Liebe Christi jedem Menschen in
dieser Stadt zugesagt. In dieser Gewissheit dürfen wir auch das Stückwerk der
Mission auf uns nehmen, auch wenn nicht alles so gelingen wird, wie wir es
vielleicht in einer großen Vision uns erhoffen.
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