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Die Liebe Christi drängt uns...- Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 2002/2003
7
. Jahresreihe - 5. Katechese, 02.02.03

"Die Liebe Christi drängt uns"
Paulus als Missionar

"Die Liebe Christi drängt uns" – Paulus als Missionar

In unseren Katechesen zur Stadtmission kann einer nicht fehlen, der Missionar schlechthin, der Apostel Paulus. Er sagt einmal: „Die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5,14-15). Die Liebe Christi drängt mich, heute zu Ihnen über den Apostel Paulus zu sprechen. Er ist der Missionar schlechthin. Wir sehen in ihm wie in keinem anderen das Bild des Missionars, die Wirklichkeit der Mission. Wir wollen fragen: Was hat ihn bewegt? Wie kam er dazu? Was ist mit ihm geschehen, dass er zu so einem großen Missionar wurde? Was ist mit ihm geschehen auf dem Weg nach Damaskus? Seine Erkenntnis: Er, Christus ist für mich gestorben und auferstanden. Also kann ich nur mehr für ihn leben, der für mich gestorben und auferstanden ist. Das ist der tiefste Grund, warum Paulus Christus verkündigt. Mission kann nichts anderes sein als Christus verkündigen.
Diese Liebe Christi drängt ihn, möglichst vielen zu sagen, was er erfahren hat, sie zu der Erkenntnis und zu der Liebe Christi zu führen, und zwar, wie er ganz ungeniert immer wieder sagt, nach seinem Vorbild: „Ahmt mich nach!“ (Phil 3,17; 4,9; 1 Kor 1,11; 4,16). Ahmt mich nach, weil ich Christus nachahme! Schaut auf mich, wie ich auf Christus schaue! Diesen Missionar also möchte ich heute mit Ihnen betrachten. Was sagt er uns für unseren missionarischen Auftrag? Wie können wir ihn nachahmen, wozu er uns ja auch ausdrücklich auffordert?

Ich möchte beginnen mit der Frage, wer überhaupt dieser Paulus war und wie es dazu kam, dass er zum Missionar wurde. Und wohl erst das nächste Mal wird es dann um die Frage gehen: Wie hat Paulus das praktisch gemacht? Wie hat seine Mission ausgeschaut? Und wie hat er andere dazu aufgefordert und eingeladen? Dann, in einem dritten Schritt möchte ich schauen: Wie hat Paulus die Früchte der Mission eingebracht, dass es nicht ein Strohfeuer bleibt, dass es nachhaltig wirkt? Warum hat er Gemeinden gegründet, Gemeinschaften? Warum hat er Menschen in der Liebe Christi zu Gemeinschaften zusammengebracht?

I.
Ich muss gestehen, ich habe vor dieser Katechese einen ziemlichen „Bammel“, weil es nicht leicht ist, über einen so großen wie Paulus zu sprechen. Es geht mir ein bisschen wie Paulus, als er zu den Korinthern kam, wo er sagte: „Ich kam zu euch nicht mit gewandter Rede, sondern in Schwäche und mit Furcht und Zittern. Ich wollte unter euch nur Christus kennen und zwar Christus, den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,1-2). Also will ich auch versuchen, über den Apostel Paulus zu sprechen, und sicher genügen die Worte alleine nicht. Aber ich bin sicher, dass der Heilige Geist am Werk ist, wenn der Apostel zu Wort kommt. Wir werden ihn immer wieder zu Wort kommen lassen. Seiner geliebten Gemeinde in Korinth, mit der er auch so viel Sorgen hatte, wie er überhaupt mit seinen Gemeinden an frisch bekehrten Gläubigen viele, viele Sorgen hatte, schreibt er: „Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,1-2).
Bevor wir fragen, wer der Apostel ist, muss ich eine Vorbemerkung machen. Nicht alle lieben diesen Apostel. Er hat bei manchen Christen eine schlechte Presse und auch außerhalb der Kirche, des Christentums. Manche betrachten ihn als den großen Störenfried, der eigentlich alles verfälscht hat, Jesus habe eine viel einfachere Lehre gehabt. Es stimmt, die Briefe des Apostels sind manchmal schon recht schwierig und kompliziert. Das hat schon der Apostel Petrus gemeint, als er davon sprach, dass „unser Bruder Paulus“ in seinen Briefen manchmal recht schwierige Dinge sagt (1 Petr 3,15-16). Manche haben behauptet, der Apostel Paulus habe überhaupt das Christentum verfälscht. Eigentlich sei Jesus ein ganz einfacher Prediger gewesen, der in Galiläa und in Judäa von Gott Vater und seiner Liebe gesprochen hat, und Paulus habe daraus eine ganze komplizierte Lehre gemacht. Manche meinen, er sei eigentlich der „Verursacher“ des Christentums. Das sehen sie negativ und kritisieren es. Natürlich stimmt es, dass Paulus kein einfacher Charakter war. – Ein ganz starker Trost für alle schwierigen Charaktere: Man kann ein Heiliger werden, auch mit einem schwierigen Charakter, siehe den hl. Hieronymus, der sicher ein furchtbar schwieriger Charakter war. – Natürlich ist es nicht einfach, mit seiner Lehre umzugehen. Was will er wirklich sagen? Was ist eigentlich der Kern der Lehre des Apostels Paulus? Für mich war es als junger Student ein großer Schock, als ich zum ersten Mal dieser Kritik am Apostel Paulus begegnet bin. Ich kann mich noch gut erinnern, ein katholischer Alttestament-Professor, ist nach Strich und Faden über Paulus hergezogen. Ich war sehr schockiert darüber. Es hat Jahre gedauert, bis ich diesen gewissen Verdacht, der einem da gegen den Apostel eingeimpft wurde, überwinden konnte. Immer wieder war es vor allem die ansteckende Leidenschaft für Christus, die einen bei Paulus mitreißt.

Ich möchte zu Beginn ein Wort eines großen, großen Liebhabers des hl. Paulus vorlesen. Der hl. Johannes Chrysostomus, der Goldmund, wie man ihn nannte, wirklich ein begnadeter Prediger, auch viel verfolgt, ein leidenschaftlicher Liebhaber des Apostels Paulus, dessen Briefe er in seinen Predigten ausführlich kommentiert hat, schreibt einmal über ihn: „Immer, wenn ich eine Lesung aus den Briefen des hl. Paulus höre, wöchentlich zweimal, dreimal ja viermal, wenn wir nämlich das Gedächtnis der Märtyrer feiern“ – damals hat man offensichtlich bei diesen Gelegenheiten die Apostelbriefe gelesen – „dann freue ich mich an dem Klang dieser geistlichen Posaune. Ich gerate in Begeisterung und empfinde ein heißes Verlangen. Wenn ich die liebe Stimme vernehme, meine ich fast, ihn vor mir zu sehen und seine Erklärungen zu hören. Aber es bedrückt und schmerzt mich, dass nicht alle diesen Mann so kennen, wie er es verdient. Manche wissen so wenig von ihm, dass sie nicht einmal die genaue Anzahl seiner Briefe wissen.“ – Ich frage jetzt nicht, ob wir auswendig können, was wir im Religionsunterricht gelernt haben: RoKoKoGalEphPhi und so weiter, wie man sich die Briefe des Apostels merkt. – „Das kommt nicht von geistiger Unfähigkeit, sondern sie versäumen, sich mit seinen Schriften unablässig zu beschäftigen. Auch ich verdanke was ich weiß, wenn ich etwas weiß, nicht einer besonderen Begabung oder Geistesschärfe. Sondern ich liebe diesen Mann und beschäftige mich dauernd mit seinen Schriften. Wer jemand liebt, weiß mehr von ihm, als alle anderen, eben weil er ihm wichtig ist“ (Lektionar zum Stundenbuch I/4, 10-11). Chrysostomus liebt den Apostel, deshalb befasst er sich so mit ihm. Man wird Paulus nicht schätzen, wenn man ihn nicht liebt. Und wer diesen leidenschaftlichen Liebenden Christi, der seine Gemeinden in so vorbildlicher Weise geliebt hat, nicht kennt, der kann ihn auch nicht lieben. Aber je mehr man ihn kennen lernt, desto mehr liebt man ihn auch.

II.
Wer also war dieser Paulus? Ein Jude aus der Diaspora, aus Tarsus in Zilizien in der heutigen Türkei. Er sagt von sich selber: „Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin“ – darum heißt er wahrscheinlich Saul, von seinen Eltern so genannt, weil König Saul ein Benjaminit war –, „ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt“ (Phil 3,5-6). Nicht anders heißt es in der Apostelgeschichte in einer Rede des Paulus: „Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Zilizien, hier in dieser Stadt [in Jerusalem] erzogen, zu Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid“ – so sagt er damals in Jerusalem seinen Anklägern – „Ich habe den Weg bis auf den Tod verfolgt“ – mit diesem Wort „Weg“ bezeichnet er das Christentum, so hat die christliche Gemeinschaft sich am Anfang bezeichnet, „der Weg“ – , „habe Männer und Frauen gefesselt und in die Gefängnisse eingeliefert“ (Apg 22,3-4). Den Galatern schreibt er: „Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein“ (Gal 1,13-14). Paulus ist also ein überzeugter, gläubiger, leidenschaftlicher Jude.

Was brachte diesen maßlosen Eiferer für Gesetz und Überlieferungen der Väter dazu, seinen Blickwinkel völlig zu ändern? Es muss etwas ganz Radikales geschehen sein, eine Blickwende, die ihm plötzlich alles in einem neuen Licht erscheinen ließ und zwar so, dass das, was ihm vorher zum Widerspruch wurde, was ihn zur Verfolgung und zur radikalen Ablehnung gereizt hat, ihm jetzt plötzlich als ganz richtig und ganz sinnvoll erscheint. Wir nennen das eine radikale Bekehrung. Was ist da bei Paulus passiert? Ich hatte einen Lehrer in der Heiligen Schrift, ich glaube, ich haben ihn schon gelegentlich erwähnt, er ist im Jahr 2000 verstorben, Paul Dreyfus, ein Jude der Herkunft nach, er war mein Professor für Neues Testament. Er hat immer wieder davon gesprochen, dass man selber Jude sein muss, um zu begreifen, was für eine radikale Wende das bei Paulus war, vor allem der Anspruch Jesu, nicht nur der Messias, sondern der Sohn Gottes zu sein. Das geht doch nicht zusammen mit dem Glauben an den einen Gott. Das muss einem gläubigen Juden als Gotteslästerung erscheinen. So sah es Paulus, und so sehen es wohl auch viele seiner Glaubensgenossen bis heute. Ja es war überhaupt die größte Gotteslästerung, dass ein Mensch zu Gott gemacht wird, dass Jesus Gottes Sohn sein soll. Plötzlich leuchtet das dem Paulus ein. Es wird für ihn sinnvoll, stimmig: Ja, so ist es. Nicht nur in einer blinden Zustimmung, sondern mit der ganzen Zustimmung seiner Vernunft und seines Herzens kann er sagen: Ja, so ist es, das ist die Wahrheit und sie ist herrlich und schön. Es stimmt mit dem Leben überein. Was ist da passiert? Warum stellen wir überhaupt diese Frage? Ist sie so wichtig? Ich glaube, sie ist deshalb so wichtig, weil dadurch beleuchtet wird, was in der Mission geschieht. Wir nennen diesen Vorgang Bekehrung. Vor wenigen Tagen war das Fest der Bekehrung des Apostels Paulus, am 25. Jänner. Für die Vorbereitung unserer Stadtmission ist es eine ganz wichtige Frage, zu schauen: Wie geht das? Wie kommen Menschen zum Glauben? Wie ist ein Paulus dazu gekommen? Bei ihm kann man es gewissermaßen wie in einem Brennglas oder wie in einem Vergrößerungsglas besonders deutlich sehen.

III.
Es fällt auf, wenn man in die Geschichte der Bekehrung des Apostels hineinschaut, dass sie nicht die Frucht einer direkten Missionsbemühung war. Da waren nicht irgendwelche Missionare unterwegs und haben den Paulus sozusagen erwischt. Ich habe sogar den Verdacht, dass die Jerusalemer Christengemeinde, dieses kleine Häuflein von Christen, gar nicht daran gedacht hat, Paulus zu bekehren, sie haben ihn ja gefürchtet. Sie haben ihn gefürchtet, als einen ausdrücklichen Feind der Christen (Apg 9,13.26). Er hat den Weg „wutschnaubend“, heißt es einmal, verfolgt (Apg 26,11). Und die Gefahr bis heute bei uns ist, dass wir bei solchen entschiedenen Gegnern des Glaubens von vorn herein sagen: Da ist nichts zu machen, ja im Gegenteil, dass man sich da sogar abwendet und gar nicht daran denkt, dass vielleicht Gott mit gerade diesem Menschen einen besonderen Plan hat, dass er gerade die, die so leidenschaftlich dagegen sind, besonders ins Herz geschlossen hat. Paulus war gefürchtet und wahrscheinlich haben die meisten in der Urgemeinde gar nicht daran gedacht, dass das möglich sein könnte, dass er sich bekehrt und dass er selber Christ wird. Ich lade ein dazu, einmal darüber nachzudenken, ob uns dieser Gedanke vielleicht auch vertraut ist, oder dass wir es unbewusst so machen, dass wir gar nicht daran denken, dass es diese Möglichkeit gibt, gerade dort, wo es uns unmöglich erscheint.

Etwas ganz Wichtiges folgt daraus: Die Bekehrung des Apostels ist reine Gnade. Das hat er selber immer so gesehen und er hat das verteidigt. Seine Bekehrung war nicht das Werk seiner eigenen Klugheit, nicht seines eigenen Nachdenkens, sondern die Gnade hat ihn getroffen, Christus hat ihn erfasst. Es war Gottes Werk in seinem Leben. Das ist natürlich ganz wichtig auch für die Frage der Stadtmission. Die Initiative zu einer Bekehrung liegt eindeutig bei Gott. Bekehrungen produziert man nicht. Heißt das, dass wir die Stadtmission abblasen sollen, dass wir sagen: Also wenn das so ist, dann tun wir gar nichts? Sicher nicht, wie wir gleich noch am Fall Paulus sehen werden. Bekehrung lässt sich nicht produzieren. Sie ist nicht machbar, aber sie wird vorbereitet. Sie wird von Menschen vorbereitet, natürlich auch wieder unter der Führung der Gnade. Menschen sind Werkzeuge der Bekehrung, oft ohne es zu wissen, aber es bedarf solcher Werkzeuge. Gott bedient sich der Werkzeuge, um sein Werk zu tun. Letztlich werden wir erst „drüben“, hinter dem Vorhang des Todes, sehen, was alles dazu beigetragen hat, dass uns die Gnade des Glaubens geschenkt wurde. Aber ahnen können wir jetzt schon manches. Ich möchte drei Elemente herausgreifen, von denen ich glaube, dass sie die Bekehrung des Paulus vorbereitet haben.

1. Das erste ist sein eigener Eifer. Wir haben vorhin gehört, im Philipperbrief sagt er selber von sich, er sei „untadelig in der Gerechtigkeit“ gewesen (Phil 3,6). „Untadelig in der Gerechtigkeit“, das ist keine Anmaßung. Paulus hat als Eiferer für den Glauben gelebt und hat sicher ein vorbildliches Leben geführt. Pharisäer, das heißt ja nicht Heuchler. Jesus kritisiert die Pharisäer sehr oft wegen der Gefahr der Heuchelei. Aber er sagt nirgendwo, dass das Gute, das sie tun, Heuchelei ist. Sie sind immer wieder in Gefahr, sich auf ihre Gerechtigkeit etwas einzubilden. Aber es gibt diese Geradheit, diese Gutheit im Leben, und Paulus ist ein solcher. Er ist ein Eiferer für das Gesetz. Das ist sicher nicht negativ zu verstehen, sondern etwas Schönes, etwas Freudiges. Paulus hat ordentlich gelebt – sagen wir es ganz einfach – und das mit Eifer. Dass Jesus eine Freude an solchen Menschen hatte, das sehen wir beim reichen Jüngling. Als dieser reiche junge Mann zu Jesus kommt und ihn fragt: „Meister, was muss ich tun, um das Leben zu haben?“, sagt Jesus zu ihm: „Halte die Gebote.“ – „Welche?“ – Dann zählt sie Jesus auf. Dann sagt dieser junge Mann: „Das habe ich alles von Jugend an praktiziert.“ – Jetzt könnte man denken, Jesus sagt zu ihm: Du Heuchler, in Wirklichkeit hast du böse Gedanken gehabt. – Nein: Jesus blickt ihn liebevoll an. Markus sagt es ausdrücklich: „Jesus liebte ihn“ (Mk 10,17-21). Es ist etwas Wunderschönes darin. Paulus ist sicher für seine Bekehrung dadurch vorbereitet worden, dass er die Gebote gehalten hat. Es ist kein Zufall, dass Paulus in jedem seiner Briefe einen langen Abschnitt über die Tugenden hat, über ein anständiges Leben. Man nennt das die „Paränese“, die sittliche Ermahnung des Apostels. Er weiß von sich selber, wie wichtig das als Grundlage für seine Bekehrung war. Das heißt natürlich nicht, dass Gott durch seine Gnade nicht auch Menschen aus dem Laster heraus, aus tiefer Sünde heraus retten kann. Aber die Bekehrung des Apostels Paulus war sicher auch vorbereitet durch sein Tugendleben.

Ich habe eine für mich sehr berührende Erfahrung gemacht mit einer Bekehrung. Am 9. Oktober 2002 am Abend, vor der Priesterweihe unserer Germaniker, es war schon halb zwölf Uhr Nacht, sprach mich am Petersplatz ein junger Mann an, er möchte beichten. Ich war etwas grantig und habe ihm gesagt: Morgen Früh gibt es Beichtgelegenheit im Petersdom, nicht jetzt um halb zwölf Uhr Nacht. Obendrein, wer weiß, ich hatte Zweifel, ob das ernst war, und ging weiter. Dann habe ich mich umgedreht und doch gedacht: Vielleicht ist es ernst, bin noch einmal zurückgegangen und habe gefragt: Wollen Sie wirklich beichten? Das wollte er, hat gebeichtet. Es war ganz offensichtlich ein ganz wichtiger Moment in seinem Leben. Am Schluss habe ich ihm gesagt: Jetzt hast du gebeichtet, gehe doch morgen zur Kommunion, Jesus empfangen, und habe ihn eingeladen zum Weihegottesdienst. Tatsächlich kam er und hat kommuniziert. Ich erzähle das, weil ich vor wenigen Tagen einen Anruf von ihm bekommen habe aus Mexiko. Er hat mir erzählt, wie sehr das für ihn ein Gnadenmoment war, wo wirklich eine Wende in seinem Leben geschehen ist. Er hat mir erzählt, das wusste ich nicht, dass er an diesem 9. Oktober, wo er in Rom herumgeirrt ist, sehr verzweifelt war und nicht wusste, wie sein Leben weitergehen soll, einer alten Frau geholfen hat, die irgendetwas Schweres getragen hat. Das hat ziemlich lange gedauert, deshalb kam er so spät auf den Petersplatz. So haben wir uns so spät getroffen dort und es kam zu dieser Begegnung. Dann habe ich ihm gesagt: Siehst du, die gute Tat an diesem 9, Oktober am Nachmittag, das war die Vorbereitung für die Gnade Gottes. Ich denke, sehr oft geschehen Bekehrungen dadurch, dass jemand einen einfachen Schritt hin zum Guten tut. Das bereitet den Boden für die Gnade. Ich denke, bei Paulus war es so. Sein Eifer für das Gute, für die Tugenden, für ein gerechtes und gerades Leben war Vorbereitung für seine Bekehrung.

2. Ein zweites Element der Vorbereitung. Paulus war ein Schüler des Gamaliël. Gamaliël, ein berühmter Rabbiner in Jerusalem, ein weiser Mann, hat im Hohen Rat den berühmten Rat gegeben, man solle doch die Apostel gehen lassen. „Da erhob sich im Hohen Rat ein Pharisäer namens Gamaliël, ein beim ganzen Volk angesehener Gesetzeslehrer; er ließ die Apostel für kurze Zeit hinausführen. Dann sagte er: Israeliten, seht euch vor, was ihr mit diesen Leuten anfangen wollt.“ Und er erzählt einige Beispiele von Aufständen oder von begeisterten Volksführern, die einige Leute verführt haben, aber nach kurzer Zeit, haben sich die Anhänger wieder verlaufen. „Darum rate ich euch jetzt: Lasst ab von diesen Leuten und gebt sie frei; denn stammt dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen, so geht es von selbst zu Grunde, stammt es aber von Gott, so könnt ihr es nicht zerstören. Ihr könntet sonst als Widersacher Gott gefunden werden. Sie gaben ihm recht“ (Apg 5,34-35.38-39). Die Apostelgeschichte sagt uns nicht, was Paulus von diesem Rat gehalten hat. Er war Schüler des Gamaliël. Ich stelle mir die Frage: Was hat sich Paulus dabei gedacht, als er von diesem Rat gehört hat, denn sicher war er damals in Jerusalem, sicher hat er davon gehört. Gamaliël rät dazu, sich zurückzuhalten: Schau, ob das von Gott ist oder nicht! Eine weise Haltung: Ist es von Gott, wird es sich bewähren, falls nicht, wird es vergehen.

Aber Saulus lässt sich nicht mit diesem Rat abspeisen. Ich glaube, das muss bei Paulus die Frage verschärft haben: Ist jetzt Jesus der Messias oder nicht? Ist er es oder nicht? Die Frage war ja da. Gamaliël hat geraten: Weicht der Frage aus, überlasst es Gott. Saulus war radikal. Und er war überzeugt: Das kann nicht stimmen. Das kann nicht von Gott sein. Vielleicht hat Paulus sich die Frage gestellt: Ist der alte Gamaliël schwach geworden, mein früherer Lehrer, den ich so verehrt habe, zu dessen Füßen ich gesessen bin? Ist Gamaliël schwach geworden? Ich werde nicht schwach werden. Ich werde diesem Galiläer, und seinen Jüngern nicht auf den Leim gehen. Nein, ich bleibe fest. Ich werde nicht schwach werden und mich von diesem Irrlehrer Jesus aus Nazaret nicht betören lassen. Gegen den Rat des Gamaliël bleibt oder wird sogar Paulus ein radikaler Verfolger. – Ich muss gestehen, das ist mir erst vor kurzem zum ersten Mal bewusst geworden, dass das ein eigenartiger Konflikt ist. Seinem Lehrer will Paulus nicht vertrauen. Er will radikal bleiben, so radikal, dass er beginnt, wild um sich zu schlagen. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Radikalität bei Paulus der Angelhaken Gottes schon in seinem Herzen sitzt. Ist das nicht oft die Dynamik der Verfolger? Den Lauen ist das alles „wurscht“ – Paulus war es nicht „wurscht“. Paulus hat sich auch nicht zurücklehnen können in der sehr weisen aber doch sehr liberalen Haltung des Gamaliël: Schauen wir einmal. Nein, Paulus wollte wissen. Es kann nicht ungeklärt bleiben. Wenn das wirklich eine Sekte ist, dann muss man sie bekämpfen. Damit steckt natürlich schon der Stachel in seinem Herzen, dass es vielleicht doch wahr ist. Aber er kämpft dagegen, mit aller Energie. Und ich denke an das Wort, das Jesus dem Johannes in Patmos gesagt hat über die eine Gemeinde [von Laodizea], dass „du heiß wärst oder kalt, aber da du lau bist … bin ich daran, dich auszuspeien“ (Offb 3,15-16). Paulus war sicher nicht ein Lauer.
Ich glaube, das ist ein zweites, ganz wichtiges Kriterium für die Mission: Die Lauen sind schwierig. Die Brennenden, die kann Gott erreichen. Oft ist es bei den Verfolgern so, dass sie im Grunde schon die Frage im Herzen haben: Vielleicht ist es doch wahr. Ich denke mir das bei manchem der scharfen Kirchenkritiker, an denen wir manchmal auch leiden, die oft ungerecht sind, aber wenn man tiefer fragt: Wo kommen sie her?, dann ist es doch sehr oft auch die Frage: Es kann doch nicht wahr sein – vielleicht ist es doch wahr.

3. Eine dritte Vorbereitung auf die Bekehrung des Paulus ist sicher Stephanus, und da wieder zwei Aspekte. Stephanus war jung, in Wien würde man sagen, er war fesch, er hatte ein strahlendes Gesicht, sein Antlitz „leuchtete, wie das eines Engels“, sagt die Apostelgeschichte (6,15). Er war sehr begabt, blitzgescheit. Er konnte gut argumentieren, genau alles das, was Paulus auch kann. Paulus war auch jung, sagt die Apostelgeschichte ausdrücklich, ein „junger Mann namens Saulus“ (7,58), er war blitzgescheit, leidenschaftlich. Da ist jetzt dieser Stephanus und macht genau das Gegenteil von dem, was Paulus macht. Er macht es nicht mit einem griesgrämigen Gesicht, sondern strahlend und mit einer hinreißenden Kraft der Überzeugung. In der Apostelgeschichte wird über Stephanus gesagt: Er war „voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk“ (6,8). Dann entsteht der Streit um ihn, und er wird vor den Hohen Rat geführt. Dann heißt es: „Und alle, die im Hohen Rat saßen, richteten ihren Blick auf ihn und sahen sein Antlitz leuchten wie das eines Engels“ (Apg 6,15).

Wie muss es dem Paulus gegangen sein, als er diesen Stephanus erlebt. Stephanus hält dann eine große Bekehrungspredigt, eine sehr radikale, sehr zu Herzen gehende, die damit endet, dass er seinen eigenen Volksgenossen sagt: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, gleich wie eure Väter widersteht auch ihr dem Heiligen Geist.“ – Man muss sich vorstellen: Das hört Paulus alles. – „Wo war ein Prophet, den eure Väter nicht verfolgt haben? Sie haben jene getötet, die die Ankunft des Gerechten weissagten, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid, ihr, die ihr das Gesetz durch die Vermittlung von Engeln empfangen, aber nicht gehalten habt.“ Dann heißt es: „Als sie das vernahmen, packte sie die Wut und sie knirschten mit den Zähnen“ gegen Stephanus (Apg 7,51-54). Es kommt zum Martyrium des Stephanus. Man schleift ihn hinaus vor die Stadt und steinigt ihn. „Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7,58-60).

Der unmittelbare Anlass für die Steinigung war, dass Stephanus gesagt hat: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,56). Wie muss es dem Paulus gegangen sein, dieser junge, begeisterte, überzeugende Jude, der sagt: Dieser Jesus von Nazaret, den du, Paulus, verfolgst, ich sehe ihn zur Rechten Gottes stehen. Natürlich, der Blasphemie-Vorwurf ganz massiv: Du hast Gott gelästert, du musst sterben! Aber eines sitzt tief im Herzen des Saulus: diese strahlende, überzeugende Kraft des Stephanus. Irgendwo muss in seinem Herzen da schon der Stachel gesessen haben: Dieser Stephanus sieht eine Wirklichkeit, die ich nicht sehe. Später wird Paulus selber sagen, dass seine Worte nicht menschliche Klugheit und schlaue Reden sind, sondern „Erweis von Geist und Kraft“ (1 Kor 2,4), genau das, was er bei Stephanus erlebt hat.

Dann diese Fürbitte des Stephanus: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7,60). Ich glaube, diese beiden Elemente, das Zeugnis des Stephanus und seine Fürbitte, sind ganz entscheidend zur Vorbereitung für die Bekehrung. Es gibt keine größere Vorbereitung der Mission als die Hingabe des eigenen Lebens. Das heißt jetzt nicht, dass wir alle Märtyrer werden müssen. Aber das Geheimnis der Bekehrung des Paulus ist sicher entscheidend bestimmt durch die Lebenshingabe des Stephanus, die Sühnehingabe, dass Stephanus sein Leben als Sühne für seine Feinde hingegeben hat: „Herr Jesus, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Ich gebe mein Leben für die, die jetzt etwas so Böses tun. Paulus wird das zutiefst begreifen. Das wird die entscheidende Verkündigung bei Paulus, die Kraft des Kreuzes. Das wird die Mitte seiner Predigt, wenn er etwa im 2. Korintherbrief sagt: „Die Liebe Christi drängt uns …“ – ich habe es am Anfang zitiert – „Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5,14-15). – Einer ist für alle gestorben. An Stephanus hat er es gesehen, nachher hat er es begriffen. Stephanus hat sein Leben gegeben wie Jesus. Das ist der Kern der Mission. An Stephanus hat Paulus gesehen und später auch begriffen, was das Geheimnis Jesu ist. Darum konnte er später immer sagen, fast könnte man sagen im Blick auf Stephanus: „Ahmt mich nach!“, so wie er an diesem jungen Mann gesehen hat, was Jesus will, was es heißt, sein Jünger zu sein. Stephanus ist Vorbild der Nachfolge Christi für Paulus. Hier hat Paulus den Schlüssel bekommen für das, was Mission ist, natürlich viel Aktivität, viel Verkündigung, viel Bemühen, Begegnungen, aber im Innersten diese Teilhabe am Kreuz Jesu, Hingabe mit Jesus.

IV.
Wie kam es also zur Wende im Leben des Saulus? Ich möchte wiederholen, was in der Apostelgeschichte über die Bekehrung des Paulus geschrieben ist. Drei Mal wird davon berichtet. Wir kennen alle den Bericht über seine Bekehrung, wie er am Weg nach Damaskus von einem Licht überwältigt wird, eine Stimme hört und Jesus zu ihm sagt: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich? … Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (Apg 9,4-5; 22,7-8; 26,14-15). Wir haben ja Gott sei Dank das Zeugnis des Apostels selber, wie er von seiner Bekehrung spricht, wie er das selber erlebt hat. Es gibt eine ganz kurze Variante, wo er sagt: „Ich habe Jesus gesehen“ (1 Kor 9,1). Und dann zählt er die Erscheinungen Jesu auf, Kephas (Petrus), dann die Zwölf, dann mehr als 500 Brüder auf einmal, von denen einige schon gestorben sind, danach Jakobus, dann alle Apostel, und dann sagt er: „Zuletzt von allen ist er auch mir erschienen, gleichsam einer Fehlgeburt. Ich bin der geringste der Apostel … denn ich habe die Kirche verfolgt“ (1 Kor 15,5-8). Er hat Jesus gesehen und gehört. Jesus ist plötzlich für ihn der geworden, den Stephanus gesehen hat, nicht ein Lügner, ein Betrüger, sondern der Sohn Gottes. An dieser Stelle gebraucht Paulus ein seltsames Wort. Er sagt: „Jesus hat sich sehen lassen“. Er hat sich gezeigt, dem Kephas und den anderen. „Am Schluss hat er sich mir gezeigt“, sichtbar gemacht. Ganz klar: Die Initiative liegt bei Jesus. Aber wir haben gesehen: Der Boden ist vorbereitet. Ich denke, für die Mission ist das ganz wichtig, beides zusammen zu sehen: Die Gnade ist immer voraus. Nicht wir machen es. Aber es gibt Vorbereitungen.
Was ist der innerste Kern dieses Geschehens? Was ist mit Paulus passiert? Wir können es in ein Wort fassen: Er ist von Christus ergriffen. Warum er Missionar geworden ist, warum er Jesus verkündigt hat, hat nur einen Grund: Er ist von Christus ergriffen. Die Liebe Christi hat ihn erfasst. Wir werden in der nächsten Katechese schauen, wie die Mission konkret gelaufen ist, wie er das gemacht hat. Aber heute geht es zuerst und vor allem um das, was die Mitte ist, die leidenschaftliche Liebe des Paulus zu Jesus. Ich denke, es war ähnlich wie bei Maria von Magdala zu Ostern, sie erinnern sich, wie sie ihn sucht, das Grab ist leer, sie dreht sich um, glaubt, es ist der Gärtner, fragt ihn: Wo hast du ihn hingelegt? Dann spricht er sie an und sagt nur: „Maria“. Da erkennt sie ihn (Joh 20,15-16). Jesus hat ihn angesprochen: „Saulus!“ Ich glaube, das ist das innerste Geheimnis der Bekehrung. Jesus hat ihn beim Namen gerufen. So wie Petrus für sein Leben ein Bekehrter war, weil Jesus ihn nach dem Verrat angeschaut hat, so muss es für Paulus gewesen sein, dass Jesus auch ihn angeschaut hat: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Gehört und gesehen, er hat ihn angesprochen und er hat ihn angeschaut. Das ist der Grund, warum sein Leben ein grundlegend anderes geworden ist. „Die Liebe Christi erkennen, die alles Erkennen übersteigt“, sagt er einmal (Eph 3,19), darum geht es. Anderswo sagt er: „Ich lebe, doch nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir. So weit ich jetzt noch im Fleisch lebe“ – also im irdischen Leben – „lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,19-20). Weil ihn das erfasst hat, deshalb will er es allen weitersagen. Das ist der Grund der Mission.

 

 



 

 

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