|
Katechesen
2002/2003
7. Jahresreihe - 4. Katechese, 12.01.03
Wie Schafe mitten unter die
Wölfe
Jesu Jünger in seiner Mission |
I.
"Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige", sagt der Herr zu seinen
Jüngern, als er die 72 aussendet. „Bittet daher den Herrn der Ernte, dass er
Arbeiter in seine Ernte sende.“ Dann fügt er hinzu: „Geht, siehe ich sende
euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“ (Mt 10,16; Lk 10,3)
Es ist keine sehr gute Werbung, die der Herr da für die
Mission macht. Einerseits sagt er, wir sollen den Herrn der Ernte um Arbeiter
für die Ernte bitten, denn sie sei riesengroß, aber dann sagt er: „Ich sende
euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ Keine gute Werbung für Mission. Ist
es verantwortbar vom Herrn, unter diesen Bedingungen Menschen auszusenden, in
diese Situation hinein, die, man stelle es sich plastisch vor, eine tödliche
Situation ist? Aber der Herr hat selber seine Mission mit diesem Bild
bezeichnet. Er hat sich im biblischen Bild des Lammes gesehen. Das Schicksal
dieses Lammes hat der Prophet Jeremia vorgezeichnet: Es wird zur Schlachtbank
geführt, also ein Bild, das im Leben Jesu blutiger Ernst wurde. Dass es vielen
seiner Jünger so gegangen ist und bis heute so geht, das zeigt nicht nur die
ganze Kirchengeschichte sondern im besonderen die Geschichte des 20.
Jahrhunderts, das man das „Jahrhundert der Wölfe“ genannt hat. Tatsächlich,
wie viele, Tausende, Millionen Menschen, sind wie Schafe unter diese Wölfe
geraten. Aber Jesus fügt dann hinzu: „Seid klug wie die Schlangen und
einfältig wie die Tauben“ (Mt 10,16). Er schickt sie also nicht einfach
blindlings hinein, sozusagen auf ein Himmelfahrtskommando, sondern er rät
ihnen zugleich, klug zu sein und auch behutsam, vorsichtig, umsichtig. Was ist
also die Situation des Missionsauftrags Jesu? Das möchte ich in der heutigen
Katechese ansprechen.
Ich muss gestehen, je näher man sich den Missionsauftrag Jesu
anschaut, desto verwirrender wird das Bild, desto vielfältiger, vielleicht
sogar unübersichtlicher. Ich hoffe, dass die Katechese heute nicht zur
Verwirrung beiträgt, sondern eher dazu, unser Bild zu weiten, was alles im
Sinn Jesu zu seiner Mission gehört und wie viele wissend oder sogar unwissend
an seiner Sendung teilnehmen. Wenn wir nach dem Missionsauftrag fragen, den
Jesus seinen Aposteln, seiner Kirche gegeben hat, denken wir natürlich sofort
an Mt 28, den Schluss des Matthäusevangeliums, wo Jesus den Elf – es sind ja
nur mehr Elf, Judas ist ausgefallen – auf dem Berg in Galiläa begegnet und
ihnen sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum
geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern. Tauft sie auf den Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu halten,
was ich euch aufgetragen habe. Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende
der Welt“ (Mt 18,18-20 vgl. KKK 849). Es ist klar, dieser Missionsauftrag ist
universal: Ihm ist alle Macht gegeben, sie sollen zu allen Völkern gehen, sie
sollen alle Menschen zu Jüngern Jesu machen und er ist bei ihnen alle Tage –
ganz umfassend.
Aber wie soll das geschehen? Was heißt dieser Auftrag konkret?
An wen richtet er sich? Wem gilt er? Hier richtet er sich an die Elf. Heißt
das, dass nur die Apostel beauftragt mit der Mission sind? Aber die Apostel
sind gestorben. Hat dann der Auftrag aufgehört? Nein, denn Jesus sagt: „Ich
bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“ Also gilt dieser Auftrag auch
über den irdischen Tod der Apostel hinweg. Deshalb lehrt die Kirche, dass die
Bischöfe, als die Nachfolger der Apostel, diesen Auftrag weiterführen, bis der
Herr wiederkommt. Alle Tage ist er bei ihnen, auch bei ihren Nachfolgern. Das
heißt zweifellos, die Bischöfe als Nachfolger der Apostel haben den
Missionsauftrag. Haben nur sie diesen Auftrag? Haben alle anderen ihn nicht?
Das kann es wohl nicht sein, denn es gibt viele Stellen in der Heiligen
Schrift, wo von einer Mission auch anderer gesprochen wird, etwa die Stelle,
die ich eben zitiert habe aus dem Lukasevangelium (10,1-16), wo er die 72
aussendet, also nicht nur die Zwölf, sondern einen weiteren Kreis von Jüngern.
Aber anderseits stellen wir fest, schon im Neuen Testament, es sind nicht alle
Missionare geworden. Es sind nicht alle aufgebrochen, haben Haus, Familie,
Besitz und alles verlassen, um mit Jesus als Missionare zu ziehen. Was ist mit
den anderen, die zu Hause bleiben? Das ist der Großteil auch derer, die an
Jesus glauben, bis heute. Sind sie nicht Missionare? Sind die sozusagen
„sitzen geblieben“ daheim, während „die wahren“ die sind, die aufgebrochen
sind? Das Bild wird sich sehr differenzieren, wenn wir näher hinschauen.
II.
Vollmissionare im Sinne der aktiven, hinausgehenden, verkündenden Mission war
sicher nur ein kleiner Prozentsatz schon damals, die Zwölf, die 72, die mit
den Zwölf hinausgegangen sind, die eben auf Mission unterwegs waren. Heißt
das, dass der Missionsauftrag nur für die Spezialisten da ist? Versuchen wir
das ein wenig auseinander zu legen und zu schauen, wie sich das von Jesu
eigener Absicht her darstellt. Wie engagierte er andere in seine Mission, in
seine Sendung?
Zuerst hat Jesus nicht zur Mission aufgerufen, sondern zur
Bekehrung. Der erste Ruf Jesu ist der Ruf zur Umkehr, der letzte Ruf wird der
zur Mission sein. Im ersten Kapitel bei Markus lesen wir, dass Jesus nach der
Taufe und der Versuchung in der Wüste in Galiläa auftritt und mit den Worten
beginnt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe gekommen. Kehrt um,
und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Fragen wir also eher: Wie kommt das
Reich Gottes nahe? Was heißt das: „Das Reich Gottes ist nahe gekommen“? Worum
beten wir, wenn wir im Vaterunser beten: „Dein Reich komme“? Ist das der
Weltuntergang, das Ende der Zeit? Sind das die apokalyptischen Ereignisse, von
denen in der geheimen Offenbarung die Rede ist? Sicher ist das auch ein
Aspekt. Aber Jesus sagt einmal: „Schaut nicht dahin oder dorthin, denn das
Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21). Jesu Mission, Jesu Sendung
war, das Reich Gottes mitten unter uns zu bringen. Das Reich Gottes soll
Wurzel fassen, es soll wachsen, wie die Gleichnisse immer wieder sagen, es
soll wie ein Baum werden, der den Vögeln des Himmels Platz gibt. Das Reich
Gottes ist schon da, „mitten unter euch“.
Wo ist das Reich Gottes? Ganz einfach: dort wo Jesus ist. Wo
er ist, ist Gottes Reich, ist Gottes Herrschaft gekommen. Wo er ist, ist Gott
am Werk. Deshalb geht es darum, dass Menschen sich um ihn sammeln. Er ist die
Mitte des Reiches Gottes. Sie haben den Auftrag, das Reich Gottes zu pflanzen,
zu verkünden, zu befestigen durch nichts anderes als dadurch, dass sie
Menschen zu Jesus führen. Eintreten in das Reich Gottes heißt nichts anderes,
als mit Jesus in Verbindung treten. Katechese hat keinen anderen Sinn, als
Menschen dazu zu helfen, dass sie mit Jesus in Verbindung treten. Das ist die
Mission: Einladung zum Festmahl des Reiches Gottes, wie Jesus es gerne in
Gleichnissen sagt. Was ist dieses Festmahl? Er ist der Bräutigam – so nennt er
sich selber. Es ist sein Festmahl, das er uns bereitet hat. Das heißt: Tretet
ein, kommt dazu, kommt in Gemeinschaft mit mir! Aber was heißt das: in
Gemeinschaft mit Jesus treten? Das heißt mit ihm leben oder, wie er immer
wieder sagt, ihm nachfolgen. „Wenn einer mir nachfolgen will, dann nehme er
sein Kreuz auf sich“ (vgl. Mt 16,24), heißt es zum Beispiel.
"Macht alle Völker zu meinen Jüngern", bringt sie mit mir in
Verbindung! Wie wird man sein Jünger? Wozu sollen die Boten Jesu, die
Missionare einladen? Wir können es noch mit einem anderen Bild sagen, das
Jesus gerne gebraucht. Einmal stehen seine Mutter und seine Verwandten vor der
Tür, viele Leute sind da, man kann nicht herein zu ihnen. Jemand sagt Jesus:
„Draußen stehen deine Mutter und deine Brüder.“ Jesus antwortet aufs erste
gesehen sehr barsch: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Er
zeigt auf die, die um ihn sitzen und sagt: „Wer den Willen meines Vaters tut,
der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 3,32-35*). Jesus lädt also
ein, wenn er ins Reich Gottes einlädt, in seine Familie einzutreten, ihm
Bruder und Schwester und Mutter zu werden, so wie er Gott seinen Vater nennt.
In diese Familie Jesu einzutreten, das ist die Einladung der Mission. Dem
möchte ich heute ein wenig nachgehen: Wie kommt man in die Familie Jesu? Wer
gehört da eigentlich dazu?
Wenn wir ein wenig ins Neue Testament schauen, dann fällt auf,
dass Jesus seiner eigenen Familie gegenüber nicht immer sehr charmant war, sie
ihm gegenüber auch nicht. Markus ist hier besonders ausdrücklich: „Als er nach
Hause kam“ – Kapharnaum – „lief wiederum das Volk zusammen, so dass sie nicht
einmal essen konnten.“ – Das Essen ist ja immer das wichtigste. – „Als die
Seinen davon hörten, zogen sie aus, um sich seiner zu bemächtigen, denn sie
sagten: Er ist von Sinnen“ (Mk 3,20-21). Jetzt spinnt er völlig, jetzt hat er
nicht einmal mehr Zeit zum Essen. Sie wollen sich seiner bemächtigen, das
heißt ihn zurückholen in die Familie, dass er wieder ein ordentliches Leben
führt. Ein wenig später heißt es, eben die Stelle, die ich gerade zitiert
habe: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ – „Das sind meine
Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, ist mir Bruder, Schwester
und Mutter.“ Jesus hat offensichtlich eine andere Familie im Sinn, jene
Familie, die sich um den Willen des Vaters sammelt. Diese Familie will er
bilden, das ist seine Mission.
Es ist interessant, dass dieses Bild für die Kirche, Familie
Gottes, bei uns nicht so vertraut ist. Aber in Afrika haben die Bischöfe
gesagt, es gibt kein Bild, das so treffend das Wesen der Kirche ausspricht wie
das Bild der Familie, vielleicht in Afrika besonders spürbar, wo die Familie
eine so starke Wirklichkeit ist. Diese neue Wirklichkeit, die Familie Jesu,
soll sichtbar werden in der Welt. Durch das, was die Brüder und Schwestern
Jesu leben. Das ist der Sinn der Mission: zur Familie Jesu einzuladen. Aber
noch einmal: Wie kommt man in diese Familie? Wer gehört dazu? Hier zeigt sich
ein verwirrendes Bild. Wir lieben Klarheit, aber das Evangelium hilft uns da
nicht unbedingt. Offensichtlich gibt es verschiedenste Zugehörigkeiten zur
Familie Jesu und damit auch verschiedenste Formen von Jüngerschaft, von
Beziehung zu Jesus und dementsprechend natürlich auch verschiedenste Formen
von Mission. Das wird uns im Folgenden beschäftigen: wie groß diese Bandbreite
der Familie Jesu ist. Dazu gehören sicher sozusagen die „Intensivjünger“, der
enge Jüngerkreis, die Zwölf, aber auch die Frauen, die Jesus begleiten, die
ihn mit ihrem Geld unterstützen. Dazu gehört ein Freundeskreis, ein Kreis von
Sympathisanten wie Nikodemus oder die Freunde in Betanien, Lazarus, Maria,
Marta, dazu gehören aber auch ganz offensichtlich „anonyme“
Familienmitglieder, die es gar nicht wissen, wenn Jesus in Mt 25, im großen
Weltgericht, sagt: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt
ihr mir getan“ (Mt 25,40). Wer sind sie, diese Brüder: die Nackten, die
Kranken, die Gefangenen, die Obdachlosen? – Jesu Familie.
III.
Was heißt das, wenn wir an die Stadtmission denken? Heißt das nicht, dass es
die unterschiedlichsten Wege der Jüngersuche gibt, der Mission, dass es nicht
einfach nur eine Straße gibt, auf der Mission sich abspielt, sondern dass es
eine erstaunliche Vielfalt von Zugehörigkeiten zu Jesus gibt und damit auch
von Wegen, dazu zu kommen? Schauen wir uns die ein wenig an. Beginnen wir bei
dem engsten Jüngerkreis. Petrus hat einmal zu Jesus gesagt: „Herr, wir haben
alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Und er hat hinzugefügt: „Was werden
wir dafür bekommen?“ (Mt 19,27). Es gibt zweifellos einen ganz engen Kreis von
Jüngern, die Jesus selber gerufen hat und die ihren bisherigen Lebensraum,
alles verlassen haben, Familie, Beruf, Besitz, um Jesus nachzufolgen in einer
Lebensform, die der Lebensform Jesu selber gleicht. Sie haben das oft unter
heftigem Widerstand getan, Widerstand ihrer eigenen Familien, wie man bei
Jesus sieht. Sicher war Zebedäus nicht glücklich, als seine beiden Söhne
plötzlich aufbrachen, die Fischer, die Taglöhner mit dem Vater zurückließen
und einfach mit Jesus weggingen. Sie führten ein Wanderleben mit Jesus in
Armut. Es hungerte sie, demnächst hören wir dieses Evangelium, wie sie am
Sabbat Ähren rupften, nicht aus Zerstreutheit, sondern weil sie wirklich
hungerten, wie Jesus selber sagt (Mk 2,23-28), oder wenn wir erfahren, dass
sie als einzigen Proviant für ihre Reise, für mehrere Tage waren sie
unterwegs, fünf Brote und zwei Fische hatten. Was ist das, für zwölf
erwachsene Männer, dreizehn mit Jesus? Sie kannten Armut. Sie lebten von der
Hand in den Mund, vom Vertrauen auf die Vorsehung. Ganz real baten sie: „Gib
uns unser tägliches Brot heute.“ Und sie lernten mit Jesus, in seiner
Gemeinschaft, dass sie bis zu 77mal am Tag dem Bruder verzeihen sollen – eine
ganz andere Lebensweise als sie bisher gewohnt waren – und vor allem, dass sie
dienen sollen, so wie Jesus sich zum Diener gemacht hat. Diese kleine Familie
Jesu ist gewissermaßen der Grundstock, die Kernfamilie. Jesus hat diese
Kernfamilie, diesen Grundstock ausgewählt aus einer größeren Schar von
Jüngern, von Menschen, die von ihm fasziniert waren und ihm nachgefolgt sind.
Diese Zwölf sind ganz bewusst gewählt als Wiederherstellung der zwölf Stämme
Israels, ein Zeichen für sein Volk, dass jetzt die Zeit ist, Israel
wiederherzustellen, das Volk Gottes wieder aufzurichten. Diese Zwölf haben
einen besonderen Auftrag und unter ihnen noch einmal Petrus, der erste, von
dem Jesus sagt: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche
bauen“ (Mt 16,18).
Wie kommt es zur Wahl dieser Zwölf? Nicht sie haben ihn
gesucht, sondern er hat sie sich ausgesucht. Markus sagt es uns sehr
eindrucksvoll: „Jesus stieg auf den Berg hinauf und rief die zu sich, die er
selbst wollte“ (Mk 3,13) – nicht die, die ihn ausgesucht haben, sondern er
ruft sie. Bis heute ist es so geblieben. So sehr Berufungen dieser speziellen
Art natürlich auch bedingt oder geprägt sein mögen von familiären
Voraussetzungen, von einer guten Gemeinde, von Menschen, die zu einer solchen
Berufung ermutigen, alles das, was die Berufungspastoral macht, wenn sie sich
bemüht, geistliche Berufungen zu wecken. Alle diese menschlichen Elemente gibt
es, aber im tiefsten ist Berufung etwas souverän von Gott, von Jesus
Ausgehendes. „Komm, folge mir nach!“ – Dieser Ruf trifft Levi an der
Zollstelle (Mk 2,14), Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes als souveräne
Verfügung Jesu.
Warum tut Jesus das? Wozu beruft er diese Zwölf? Markus sagt
es uns: „Dass sie mit ihm seien“ (Mk 3,14), dazu ruft er sie. Ist das nicht
etwas wirklich Berührendes, dass der Herr, der immer mit dem Vater ist, doch
einfach Menschen um sich haben will, „dass sie mit ihm seien“? Er sucht
Gemeinschaft und er ist immer in Gemeinschaft. Man sieht Jesus eigentlich nie
alleine, entweder ist er mit dem Vater oder mit Menschen umgeben, so sehr,
dass er sie dann auch Freunde nennt. Wie schön und berührend ist es, dass
Jesus diese Freundschaft sucht und Menschen dazu einlädt. Er ist der
Sammelpunkt dieser Gemeinschaft, dieser Familie, die sich um ihn bildet. Wie
schmerzlich berührt es, dass gerade diese Kernfamilie Jesu ihn verlässt in der
Stunde der Bedrängnis, der Passion. Was der Jünger Jesu braucht ist zuerst und
allem vorweg: mit ihm sein. Ich glaube, wenn wir an die Stadtmission denken,
ist das schlichtweg das Wichtigste, dass sich viele bereit finden, mit Jesus
zu sein, im Gebet, in der Anbetung, in der Verbundenheit mit ihm, in seiner
Vertrautheit. Dann erst folgt: „und damit er sie aussende“ (Mk 3,14), zuerst
damit sie „mit ihm seien“ und dann „damit er sie aussende“. An erster Stelle
steht „mit ihm sein“. Aus diesem „mit Jesus sein“ heraus kann er sie dann
senden. Aber auch auf ihrer Mission, auf ihrer Sendung werden sie mit ihm sein
und er wird mit ihnen sein: „Ich bin bei euch, alle Tage“ (Mt 28,20).
IV.
Was ist der Auftrag, den er ihnen gibt für die Sendung? Zwei Dinge: dass sie
verkündigen und dass sie Vollmacht haben, Dämonen auszutreiben. Beides ist
Urauftrag Jesu: verkündigen, also ihn bekannt zu machen, seine Botschaft
bekannt zu machen – wir werden das nächstes Mal beim Apostel Paulus sehen, der
nicht Augenzeuge Jesu war aber Apostel und der diesen Auftrag sich so zu
Herzen genommen hat, dass er gesagt hat: „Wehe mir, wenn ich nicht
evangelisiere, wenn ich nicht das Evangelium verkünde“ (1 Kor 9,16). Der
zweite Auftrag: Vollmacht Dämonen auszutreiben – im Wirken Jesu nicht
wegzudenken. Kann man sich Jesus vorstellen ohne diesen Kampf gegen die
Dämonen, ohne sein Wirken als Exorzist, als der, der die Dämonen austreibt?
Diese Vollmacht hat er ausdrücklich den Zwölf gegeben. Die Kirche muss diesen
Dienst bis heute ernst nehmen, denn es gehört zum Dienst Jesu, zu seiner
Sendung, dass er uns „aus der Macht der Finsternis befreit“ (vgl. Kol 1,13).
Diesen Auftrag hat die Kirche. Aber gerade an diesem letzten Beispiel stellt
sich die Frage: Haben alle diesen Auftrag? Oder haben nur ein paar diesen
Auftrag? Wer hat die Sendung Jesu? Die Bischöfe? Alle Gläubigen? Die Praxis
der Kirche sagt uns: Dämonen austreiben, das ist im ganz strikten Sinne des
Exorzismus Auftrag des Bischofs bzw. dessen, den der Bischof damit beauftragt.
Es gibt, natürlich auch in unserer Diözese, beauftragte Exorzisten. Es ist
eine Realität, das ist ein Dienst, den wir vom Herrn selber bekommen haben und
vor dem wir uns nicht drücken dürfen. Aber heißt das, dass nur ein paar wenige
diese Sendung haben, und Sie alle nicht? Jeder, der zur Familie Jesu gehört,
hat den Auftrag gegen das Böse zu kämpfen, gegen den Bösen. Jeder von uns
betet im Vaterunser um die Befreiung von dem Bösen. Petrus sagt in seinem
ersten Brief: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender
Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Ihm widersteht tapfer im Glauben“ (1
Petr 5,8-9). Das ist Auftrag an alle, auch wenn nicht alle die Vollmacht
haben, im Namen Jesu Dämonen auszutreiben. Alle sind gerufen in die Familie
Jesu. Alle sind gerufen zu verkünden, nicht alle haben denselben feierlichen
Auftrag, den die Zwölf bekommen haben. Nicht alle haben die Vollmacht zum
Exorzismus wie die Zwölf. Aber alle haben den Auftrag, zur Familie Jesu zu
gehören, die Einladung dazu, und damit Zeugnis von Jesus zu geben und gegen
die Macht des Bösen zu kämpfen.
Wie ist das im Leben Jesu selber? Hat er selber differenziert
zwischen den verschiedenen Berufungen? Ganz offensichtlich. Der Zöllner Levi,
Matthäus, später Evangelist, wird von der Zollstelle weggerufen. „Folge mir
nach!“ Er steht auf, lässt seinen Beruf, hinterlässt wahrscheinlich seine
Familie und folgt Jesus nach. Ein anderer Zöllner, Zachäus, bleibt in seinem
Beruf. Er wird als Bekehrter in seinem Beruf das Evangelium leben. Er wird das
Unrecht wieder gut machen und wird obendrein ein gerader und gerechter Zöllner
sein. Zu den engsten Freunden Jesu gehören Lazarus, Maria und Marta, diese
drei Geschwister, die ihm nicht nachgefolgt sind, die zu Hause geblieben sind,
die auch ihren Besitz behalten haben – sie dürften eher wohlhabend gewesen
sein, aber Jesus wird dort einkehren und ausrasten. Er wird bei ihnen ein
bergendes Zuhause finden, fast möchte ich sagen so etwas wie einen
„Stützpunkt“ für seine Mission. Wenn wir schauen, wie oft Jesus davon spricht,
dass die Missionare sich in den Häusern, in denen sie aufgenommen werden,
aufhalten sollen, dann denkt man unwillkürlich daran: Da gibt es ein weiteres
Netz, nicht nur die unmittelbaren Missionare, sondern die vielen, die bereit
sind, ganz praktisch die Missionare aufzunehmen, ihnen ein Dach über dem Kopf
zu geben. Da heißt es in der Aussendungsrede: „Wenn ihr in ein Haus eintretet,
so sprecht zuerst: Friede diesem Haus. Ist dort ein Sohn des Friedens, so wird
euer Friede auf ihm ruhen. Wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren.
Bleibt in diesem Haus. Esst und trinkt, was man euch gibt, denn der Arbeiter
ist seines Lohnes wert“ (Lk 10,5-7).
Es hat schon im Leben Jesu offensichtlich solche Stützpunkte
gegeben, wir würden sagen Sympathisanten der Mission, die mitgeholfen haben,
dass die Missionare tätig sein können. Sie sind in dieser Weise auch
Missionare, aber sie sind nicht gerufen mitzugehen. Ein ganz berührendes
Beispiel dafür ist der Besessene von Gerasa im Heidenland, den Jesus aus einer
schweren, schrecklichen Besessenheit geheilt, befreit hat. Als die Leute Jesus
drängen wieder wegzufahren von ihrem Ort, da bittet dieser von der Legion
Dämonen befreite, er möge mit Jesus mitfahren dürfen und bei ihm bleiben
dürfen, wörtlich ist es genau dasselbe Wort, das es von den Aposteln geheißen
hat, „damit er mit ihm sei“ (Mk 5,18). Dieser Geheilte möchte nachfolgen. Er
möchte sozusagen wie die Apostel mit Jesus mitgehen, in der Mission Jesu dabei
sein. Überraschend: Jesus lässt ihn nicht mitgehen. Er sagt: „Kehre nach Hause
zurück zu den Deinen und berichte“ – das Wort im Griechischen ist fast
dasselbe wie Evangelium: verkünde, berichte – „das, was der der Herr dir getan
hat“ (Mk 5,19). Das wird er eifrig tun. Mission, die darin besteht einfach zu
Hause zu bleiben und Zeugnis zu geben von dem, was sich in seinem Leben durch
die Begegnung mit Jesus geändert hat.
V.
Ziehen wir einige Schlüsse für die Mission daraus. Allen Menschen gilt der Ruf
umzukehren, „denn das Reich Gottes ist nahe“. Aber nicht allen Menschen gilt
der Ruf, ihm so nachzufolgen, wie es die Zwölf tun. Allen gilt der Ruf, ihr
Leben zu ändern und durch ein geändertes Leben missionarisch zu sein, aber
nicht unbedingt durch die direkte Mission, sondern indem sie Salz der Erde und
Licht der Welt sind. Ein Leben, das nach dem Evangelium gelebt wird, das sich
vom Evangelium verändern lässt, das wird leuchten, das wird sichtbar sein, wie
eine Stadt auf dem Berg. Was heißt das für die Mission bei uns? Mission
besteht nicht nur darin, dass möglichst viele ausschwirren und missionieren,
sondern zuerst einmal, dass ich lebe, was ich erfahren habe, dass mein Glaube
mein Leben verändert. Ein Beispiel aus dem Leben des hl. Pachomius, ein früher
Christ, ein früher Mönchsvater, er war Heide, Bauernsohn: Die römischen
Soldaten haben unter den Bauern in Ägypten, unter den jungen Männern Soldaten
zwangsrekrutiert und diese armen Rekruten wurden eingepfercht in ein Gefängnis
und haben dort elend auf ihren Abtransport nach Rom gewartet. Am Abend kommen
Leute und bringen diesen armen, ausgehungerten Burschen zu essen und zu
trinken und reden mit ihnen. Pachomius fragt: Wer sind die? Man sagt ihm: Das
sind die Christen. So wurde er selber ein Christ. Das war im 3. Jahrhundert.
Die gelebte Caritas ist Mission, auch wenn sie nicht missionarisch tätig ist.
Ein letzter Einwand: Aber es gibt doch viele Menschen, die
nicht Christen sind und doch, sagen wir, das Evangelium leben, die
Bergpredigt. Das stimmt und das macht die Frage der Mission noch verwirrender.
Denn Jesus zögert nicht, solche Menschen als seine Brüder und Schwestern zu
bezeichnen. Gehören die also auch zur Familie Jesu? Braucht man die dann
überhaupt zu bekehren, wenn sie das, was wir vom Evangelium her leben sollen,
längst schon leben? Ich denke, dass Jesus uns hier zu einer sehr weitherzigen
und großherzigen Sicht einlädt. Es gibt eine kleine Episode im Evangelium, die
ich zum Schluss kurz nennen möchte, auch wenn sie verwirrend ist. Johannes,
der Apostel, kommt zu Jesus und sagt: „Wir haben einen gefunden, der in deinem
Namen Dämonen austrieb; und wollten es ihm verbieten.“ Daraufhin sagt Jesus:
„Lasst ihn gewähren. Denn wer in meinem Namen Wunder wirkt, wird nicht so
schnell schlecht von mir reden.“ Und er fügt hinzu: „Wer nicht gegen uns ist,
der ist für uns“ (Mk 9,38-40). Auch die gehören zur Familie Jesu.
Hier gäbe es noch viel zu sagen. Ich denke etwa an die vielen
nichtkatholischen Missionare, die nicht zu uns gehören, die nicht zur
Katholischen Kirche gehören, aber die sehr wohl im Namen Jesu tätig sind.
Jesus lädt uns ein zu sagen: Auch die gehören zu meiner Familie, auch die sind
nicht gegen mich. Paulus wird es uns sagen, wir werden es das nächste Mal
hören: „Wenn nur Christus verkündigt wird“.
Aber es gibt einen noch weiteren Kreis von Menschen, die
vielleicht gar nichts wissen von Jesus, vom Evangelium, und die es doch leben.
Das sind die, von denen Jesus im großen Gerichtsgleichnis spricht: „Ich war
nackt und du hast mich bekleidet. Ich war im Gefängnis und du hast mich
besucht. Ich war hungrig und du hast mir zu essen gegeben. – Wann, Herr, haben
wir dich gesehen? – Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt
ihr mir getan.“ (Mt 25,35-40*). Also gehören die auch zur Familie Jesu, die im
weitesten Sinne „anonyme“ Familienmitglieder sind. Wenn wir missionarisch sein
wollen, dann rät uns Jesus und stößt uns darauf hin zu sehen, wie viele
Menschen mit dem Licht des Evangeliums im Herzen, ohne es vielleicht zu
kennen, unterwegs sind. Wenn wir dann fragen: Worum geht es eigentlich in der
Mission? Dann müssen wir sagen: Es geht doch nicht darum, Menschen zu
indoktrinieren, ihnen irgendetwas aufzuzwingen, eine Lehre, eine Doktrin, eine
Weltanschauung. Es geht doch darum, dass genau das passiert, was uns
vielleicht bei der eigenen Umkehr immer wieder passiert und was wir vorhin im
Lied gesungen haben, dass uns aufleuchtet: Ja, das ist doch wahr, das ist doch
richtig, das stimmt doch, was du uns sagst. Das Evangelium ist das Licht, das
ich gesucht habe.
Hat die Mission nicht letztlich den Sinn, dass das Licht
Christi in einem Menschen aufleuchtet, vielleicht ein Licht, das er längst
schon gekannt hat? Denn, so sagt uns Johannes: Jesus ist das Licht, das jeden
Menschen erleuchtet. Es ist das Licht der Wahrheit, dieses Licht der Liebe,
das in so vielen Menschenherzen brennt und leuchtet, ohne dass sie wissen wo
es herkommt, Jesus sagt: Diese sind meine Brüder und Schwestern. So ist
Mission sicher nicht das Vergrößern einer Sekte, das Indoktrinieren von
Menschen mit seltsamen Lehren, sondern dass sie das Licht der Frohbotschaft
ausdrücklich erkennen, dass sie den finden, dem sie vielleicht schon längst
auf der Spur waren, den sie vielleicht ein Leben lang gesucht haben, dass sie
dann sagen können: Du bist der, den ich immer schon gesucht habe, und dass sie
erkennen können: Du bist der, der mich schon längst gefunden hat, noch lange
bevor ich dich gekannt habe. Wenn wir Mission so sehen, dann wird sie sehr
spannend, weil wir selber dann immer wieder neu Jesus begegnen, überraschend,
wo wir es gar nicht vermutet hätten.
|