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Katechesen
2002/2003
7. Jahresreihe - 2. Katechese, 03.11.02
Jesus - Sohn Gottes in
heikler Mission |
Jesus - Sohn Gottes in
heikler Mission
Im Hinblick auf die Stadtmission, die im Mai 2003 in Wien
stattfinden wird, werden die Katechesen dieses Arbeitsjahres das Thema Mission
behandeln. Zuerst geht es um die Frage: Was ist Mission überhaupt und was sind
die inneren Kräfte, die den Christen antreiben, missionarisch zu sein?
Herr, wir loben dich und preisen dich und danken dir für diesen Tag, diesen
Sonntag, den Tag deiner Auferstehung. Wir bitten dich um deinen Heiligen
Geist, den du verheißen und geschenkt hast, dass er auch in dieser Stunde uns
begleite, uns das Herz öffne, dass wir deinen Weg erkennen, dich suchen und
finden und dass wir die Freude, dich zu finden, weitersagen, weitergeben durch
unser Wort, durch unser Leben. Amen.
I.
Die heutige Katechese hat einen etwas seltsamen Titel: „Jesus – Sohn Gottes in
heikler Mission“. Das Wort „Mission“, ich habe es letztes Mal schon
angesprochen, löst Ängste, Befürchtungen aus: Es ist ein Wort, das mit Zwang
in Verbindung gebracht wird, Indoktrination, Proselytismus (darunter versteht
man, Menschen durch materielle Anreize zur Bekehrung zu drängen oder gar zu
nötigen). Heute sei Dialog angesagt und nicht Mission, so ist oft zu hören.
Aber wenn ich den weltlichen, profanen Sprachgebrauch anschaue, dann stelle
ich fest, dass das Wort Mission sehr oft vorkommt, vor allem natürlich im
Englischen, aber auch im Deutschen. Ich erinnere mich an die Anfänge der
Weltraumfahrt, da sprach man von der Voyager-Mission, der Explorer-Mission und
ich weiß nicht, wie sie alle hießen, die Missionen der Raumschiffe, der
Sonden, der Satelliten. Ich bin kein sehr erfolgreicher und fleißiger
Krimileser, aber es gehört mit zu den Grundfiguren eines Krimis oder eines
Spionageromans, dass man auf heikle Missionen mitgenommen wird. Ein Spion wird
auf eine heikle Mission geschickt, mit einer geheimen Botschaft, mit einem
besonderen Auftrag, in eine gefährliche Situation. Wenn alles gut gegangen
ist, dann kehrt er zurück – „Mission erfüllt“, und dann ist die Story zu Ende.
Geheime Missionen gehören zum Geschäft der Diplomaten, wie überhaupt der
Begriff Mission in der Diplomatensprache sehr häufig vorkommt. Es gibt eine
„Ständige Mission“ bei den Vereinten Nationen, nicht nur des Heiligen Stuhls,
sondern auch von anderen Staaten und Institutionen. „Gesandtschaft“, das Wort
ist ja nichts anderes als „Mission“. Ein Gesandter ist ein „Emissär“ eines
Staates oder einer Organisation. Also ist das Wort Mission durchaus in unserem
profanen Sprachgebrauch reichlich vorhanden.
Was gehört zu einer Mission: ein Auftrag, ein Beauftragender,
ein Beauftragter, eine Vollmacht, um den Auftrag auszuführen, und natürlich
oft auch delikate, heikle Situationen, die es zu bewältigen gilt und für die
es vielleicht einen Sonderauftrag braucht, einen geheimen oder einen
öffentlichen Sonderauftrag. Es bedarf natürlich auch des entsprechenden Mutes
und der entsprechenden Ausrüstung des Gesandten, dass er seine Mission
wahrnehmen kann. Noch ein Kontext ist mir eingefallen, in dem das Wort
„Mission“ heute häufig vorkommt, vor allem im angelsächsischen Raum. Jede
Institution, die etwas auf sich hält, entwickelt heute ein Leitbild, wir haben
das auch in der Erzdiözese gemacht, das gehört sozusagen zum guten Ton.
Ministerien, Institutionen, Spitäler, Sozialeinrichtungen, auch große Konzerne
haben ihre Leitbilder. Auf Englisch nennt man das Leitbild ein „mission
statement“, also eine Erklärung über die Ziele einer Einrichtung. Man versucht
zu formulieren: Was sind unsere Ziele? Was sind unsere Mittel? Was sind unsere
Prioritäten? Das ist nicht nur eine Mode, sondern das hat durchaus auch zu tun
mit dem Gespür dafür, dass es gut tut und auch notwendig ist, eine gewisse
Betriebsphilosophie zu formulieren, Ziele, Aufgaben, Prioritäten, Mittel, die
eingesetzt werden.
Warum also sollen wir nicht von unserer Mission sprechen? Es
ist kein Missbrauch, wenn wir dieses Wort gebrauchen. Auch die Kirche hat
einen Auftrag, sie hat einen Auftraggeber, sie hat Beauftragte, sie hat Ziele,
sie hat Prioritäten, sie hat Mittel. Warum sollen wir nicht unser „mission
statement“ formulieren? Was ist also unser Ziel, was sind unsere Mittel? –
Keine Angst vor dem Wort Mission! Es wird uns noch oft in diesem Jahr
begleiten. Es geht also in diesen Katechesen im Laufe des Jahres immer am
ersten Sonntag des Monats (außer im Jänner, da ist es der zweite), um „our
mission“. Was ist our mission?
II.
Die Antwort ist sehr einfach. Our mission, unsere Mission haben wir von Jesus
erhalten. Heute geht also unser Blick auf die Mission Jesu: Was ist seine
mission und sein mission statement? – Man muss ja heute alles, wenn man es
anbringen will, auf Englisch sagen, dann klingt es gleich besser. – Jesus hat
selber sehr oft davon gesprochen, dass er gesandt sei. Ich nenne ein paar
Worte aus den Evangelien, sie sind Ihnen vertraut, ich rufe sie nur in
Erinnerung. Da gibt es ein Wort, das in verschiedenen Varianten immer wieder
vorkommt, etwa wenn Jesus sagt: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und
wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Mt 10,40). Wir
werden auf das noch zurückkommen, immer wieder, denn es zeigt die Nähe unserer
Sendung zur Sendung Jesu. „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich
aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Ein andermal heißt es:
„Wer dieses Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich
aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Lk 9,36). Jesus weiß sich
also als Gesandter in einer Mission. Noch anders lautet dieser Text: „Wer
eines von solchen Kindern in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf, und
wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt
hat“, so heißt es im Evangelium des Markus (Mk 9,36). Bei Lukas lesen wir
dieses beachtliche, bewegende Wort: „Wer euch verachtet, verachtet mich. Wer
aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16). Nun hat
Jesus immer wieder auch davon gesprochen, dass sein ganzer Weg eine Sendung
ist, etwa wenn er sagt, ganz am Anfang des Evangeliums: „Ich muss auch in
andere Städte gehen, um die Frohbotschaft zu verkünden, denn dazu bin ich
gesandt“ (Lk 4,43). „Ich bin“, sagt er der heidnischen, syro-phönizischen
Frau, „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“ (Mt 15,24).
Das ist seine Mission.
Manchmal spricht Jesus auch davon, dass er gekommen ist, er
ist dazu gekommen, zum Beispiel, wenn er sagt: „Ich bin nicht gekommen,
Gerechte zu berufen, sondern Sünder“ (Mt 9,13). Da stellt sich die Frage:
Woher ist er denn gekommen? Er hat offensichtlich eine Sendung, in deren Namen
er kommt, und einen, der ihn gesandt hat. Wenn er am Anfang der Bergpredigt
sagt: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen“
(Mt 5,17); einmal sagt er: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen,
sondern das Schwert“ (Mt 10,34); oder er sagt: „Ich bin gekommen, Feuer auf
die Erde zu werfen“ (Lk 12,49) – immer heißt es: „Ich bin gekommen …“ Wer ist
der, der ihn gesandt hat? Was ist sein mission statement, seine Aufgabe, die
er mitgebracht hat? Es wird noch deutlicher, wenn er sagt: „Der Menschensohn
ist gekommen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein
Leben als Lösegeld für viele hinzugeben“ (Mt 20,28); oder wenn er sagt: „Ich
bin gekommen, das Verlorene zu suchen und zu retten“ (Lk 19,10). Und ganz
besonders ausdrücklich ist es dann im Johannesevangelium, wo Jesus an vielen
Stellen davon spricht, dass er vom Vater gekommen ist. Da sagt er es dann ganz
ausdrücklich, er verschweigt nicht, wer ihn gesandt hat. Jesus ist also
ausgegangen, gekommen, gesandt (Vgl. dazu H. U. v. Balthasar, Theodramatik
II/2, S. 139-141).
Niemand sendet sich selber. Niemand gibt sich selber eine
Mission. Wir sprechen nicht von einer Mission, wenn jemand im eigenen Namen
redet. Wir setzen voraus, dass in einer Sendung auch ein Sendender und auch
ein besonderer Auftrag da ist. Versuchen wir also heute, den Ursprung dieser
Sendung, dieser mission Jesu etwas näher anzusehen. Ich habe in einer früheren
Katechese einmal schon das Gleichnis von den bösen Winzern gebracht. Ich
möchte es heute noch einmal besprechen, im Markusevangelium, Kap. 12, weil da
in einer ganz außerordentlich starken Weise die Sendung Jesu von ihm selber
formuliert ist: „Ein Mann legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun,
hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an
Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Zeit dafür gekommen war,
schickte er einen Knecht zu den Winzern, um bei ihnen seinen Anteil an den
Früchten des Weinbergs holen zu lassen. Sie aber packten und prügelten ihn und
jagten ihn mit leeren Händen fort. Darauf schickte er einen anderen Knecht zu
ihnen; auch ihn misshandelten und beschimpften sie. Als er einen dritten
schickte, brachten sie ihn um. Ähnlich ging es vielen anderen; die einen
wurden geprügelt, die andern umgebracht.“ Jetzt der entscheidende Satz:
„Schließlich blieb ihm nur noch einer: sein geliebter Sohn. Ihn sandte er als
letzten zu ihnen, denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.
Die Winzer aber sagten zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn
töten, dann gehört sein Erbgut uns. Und sie packten ihn und brachten ihn um
und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus.“ (Mk 12,1-8) Zuletzt also sandte er
ihnen seinen geliebten Sohn. „Vor ihm werden sie Achtung haben“, sagte sich
der Vater. Hier kommt der zur Sprache, der gesendet hat. In diesem Gleichnis
spricht Jesus von sich und von dem, der ihn gesandt hat. Gott hat Jesus als
letzten gesandt. Er hat dabei einen sehr hohen Einsatz riskiert. Nachdem er
diese vielen schlechten Erfahrungen gemacht hat mit den Knechten, denkt er
sich: Ich riskiere es, ich sende auch noch meinen Sohn. Damit hat Jesus in
unvergleichlich klarer Weise gesagt, wer er ist aber auch was seine Sendung
ist. Nun stellt sich die Frage: Warum wagt Gott diesen Einsatz? Ich möchte
fast sagen: Warum hat sich Gott das angetan? Warum hat Gott seinen Sohn in
eine so heikle, so gefährliche Mission geschickt? Sie endete ja tatsächlich,
wie es Jesus vorausgesagt hat in dem Gleichnis, damit, dass sie ihn umbringen.
Jesus hat dem Nikodemus, diesem Ratsherrn von Jerusalem,
gegenüber in einem langen Nachtgespräch ganz klar gesagt: Warum wagt Gott
diesen Einsatz? Ich erinnere an das, was im 3. Kapitel im Johannesevangelium
steht, wo Jesus zu Nikodemus sagt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er
seinen einzigen Sohn dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht
verloren geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in
die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn
gerettet wird“ (Joh 3,16-17). In diesem vertraulichen nächtlichen Gespräch hat
Jesus dem Nikodemus drei ganz entscheidende Worte gesagt: 1. Es geht um die
Rettung der Welt, nicht mehr und nicht weniger. 2. Es liegt offensichtlich
Gott am Herzen, dass die Welt gerettet wird, dass sie nicht zugrunde geht. Und
diese Haltung Gottes, dieses Verlangen Gottes nennt Jesus: „So sehr hat Gott
die Welt geliebt …“, so wichtig ist sie ihm. 3. Offensichtlich erfordert diese
Rettung einen enormen Einsatz. Gott muss seinen eigenen Sohn riskieren.
III.
Schauen wir uns ein Wenig diese Aussagen näher an. Wenn Ihnen jetzt
Science-Fiction-Romane in den Sinn kommen, seien Sie nicht erschreckt darüber,
sie sprechen Situationen an, die durchaus auch etwas mit der Heilsgeschichte
zu tun haben, mit dem Drama, um das es hier geht. Es geht um eine
abenteuerliche Rettungsaktion. Es geht um eine wirkliche Rettungsaktion.
Offensichtlich ist die Welt in Gefahr. Wenn nicht etwas geschieht, ist sie
verloren. Das ist die Ausgangslage. So hat Jesus die Lage der Welt gesehen. So
hat Gott die Lage der Welt gesehen. Weil er sie so gesehen hat und weil sie
ihm wichtig war, hat er alles darangesetzt, dass sie nicht verloren geht.
Ausgangspunkt also ist eine dramatische Situation: Es steht um die Welt
schlecht. Sie ist in höchster Gefahr. Damit sind nicht nur die aktuellen
Gefährdungen der Welt gemeint, die Tragödien, von denen wir Tag für Tag hören.
– Ich habe dieser Tage einen Bischof aus Sudan zu Gast, aus dem Südsudan, und
ich hatte jetzt mehrere Tage die Gelegenheit ihm zuzuhören über die Lage der
Christen, die Lage der Bevölkerung im Südsudan. Es ist eine unfassbare
Tragödie, die sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ohne dass
man einen Finger rührt. Denn es geht um Öl, das ist wichtiger als Menschen.
Christen werden hier einfach preisgegeben, und die Christenheit des Westens
rührt sich nicht. – Nein, es geht nicht nur um die aktuellen Tragödien,
sondern es geht um die Lage der Welt, sozusagen von Anfang an. Der alte
Apostel Johannes, der so viel von der Liebe sprach, war nicht unbedingt ein
Pessimist. Aber er sagt einmal, im ersten Brief: „Wir wissen, dass die ganze
Welt im Bösen liegt“ (1 Joh 5,19). Dieses Wissen um die Lage der Welt ist
verbunden mit dem Wissen um eine Urkatastrophe. Wir nennen sie den Sündenfall.
Die Welt ist in Verstörung geraten. Sie ist in einem Zustand, der nicht der
Zustand ist, den Gott für die Welt wollte. Das hat er nicht gewollt. Das hätte
nicht geschehen dürfen, hätte nicht geschehen sollen. Die heikle Mission des
Sohnes Gottes ist erst durch diese Katastrophe überhaupt notwendig geworden.
Worin besteht sie? Die Katastrophe besteht darin – ich gebrauche eine ganz
biblische Sprache –, dass eine feindliche Macht die Herrschaft über die Welt
erlangt hat. Das ist nicht Science Fiction, sondern das ist Licht der
Offenbarung. Dass es in der Welt nicht rosig zugeht, sieht, glaube ich, jeder,
der in seine Umgebung, ins eigene Herz und in die Weite Welt schaut. Das ist
nicht zu leugnen. Der desolate Zustand der Welt, über den sich niemand
hinwegtäuschen kann, wird aber erst durch das Licht der Offenbarung wirklich
erhellt. Erst wenn Gott sein Licht in die Welt leuchten lässt, wird uns
bewusst wie schwerwiegend die Lage der Welt ist. Die Welt ist unter eine
Fremdherrschaft geraten. Einer, der darauf kein Anrecht hat, hat die
Herrschaft über die Welt und die Menschen an sich gerissen, usurpiert. Die
Menschen haben ihm Raum gegeben. Sie haben ihn hereingelassen. Wir haben ihm
die Tür geöffnet. Er hat diese Gelegenheit wahrgenommen, um die Herrschaft an
sich zu reißen und die Menschen zu Sklaven zu machen. Seither ist die
Menschheit in Knechtschaft. Die Instrumente dieser Versklavung, sagt uns die
Bibel, sind zwei: die Sünde und die Angst vor dem Tod. Die Sünde, sie täuscht.
Sie verspricht uns Glück und Freiheit, aber sie macht unfrei und unglücklich.
Seit der Ursünde ist das die tragische Erfahrung der Menschheit. Die
Verstrickung ist umso tragischer, als es ja nie bei einer Sünde bleibt, denn
die Sünde zeugt weitere Sünden, lässt immer eine Spur des Schadens zurück, oft
nicht nur kleine Schaden, sondern Verwüstungen. Sünden verfestigen sich und
bilden, wie Paul VI. gesagt hat, „sündige Strukturen“, Strukturen der
Ungerechtigkeit, die ganze Völker versklaven können, die ganze Menschengruppen
in ungerechte Situationen zwängen, Verhärtungen von Unrechtsformen, die aus
einzelnen Sünden entstanden sind. Wenn ein Land in der Korruption versinkt,
das sind Einzelsünden, die dann zu einem Ganzen von sündigen Strukturen
geworden sind, von Strukturen der Sünde. Ein Blick in die tragische Situation
im Heiligen Land zeigt uns, wie diese Verstrickung in ein unlösbar völlig
ausweglos scheinendes Böses vor sich gehen kann. Das zweite
Herrschaftsinstrument dessen, der die Welt beherrscht, ist die Angst vor dem
Tod. Der Hebräerbrief spricht das ganz ausdrücklich an, wenn er sagt, dass die
Menschheit durch Todesfurcht ihr ganzes Leben lang in Knechtschaft gehalten
wird. Das kommt daher, sagt der Hebräerbrief, dass der Teufel die Gewalt des
Todes habe (Hebr 2,15). Sünde, Tod und Teufel, das klingt nicht ungeheuer
zeitgemäß, aber es ist ganz und gar biblisch, sehr nüchtern betrachtet.
Nun kann man fragen: Ist das nicht eine viel zu einseitige
Betrachtung der Welt? Es gibt doch so viel Gutes in der Welt. Muss man so
pessimistisch auf die Welt sehen? Aber diese Analyse, diese Sichtweise ist
nicht einfach das Resultat unserer Beobachtung. Die Bibel zeigt uns eines sehr
deutlich: Erst wenn Gott durch seine Offenbarung uns das Licht seiner Weisheit
schenkt, beginnen wir die Lage der Welt wirklich klar zu sehen. Wir täuschen
uns sehr leicht über uns selber, über die Welt, wenn nicht das Licht Gottes
sie erleuchtet. Erst in diesem Licht der Offenbarung Gottes sehen wir, warum
es diese geballte und erdrückende Macht des Bösen und des Todes gibt. Wir
können zwar mit dem Licht unserer Vernunft vieles Einzelnes erkennen, Ursachen
sozialer, gesellschaftlicher, psychischer Übel. Wir können vieles verstehen,
warum es so schlecht funktioniert und wie es vielleicht zu verbessern ist.
Aber diese tiefe Verstörtheit der Welt, die kann erst erkannt werden, wenn
Gottes Wort und Licht sie aufhellt. Das ist der Grund, warum es einer
besonderen mission bedurfte, um die feindliche Herrschaft zu brechen. Erst
durch die Sendung Jesu ist wirklich klar geworden, wie es um die Welt steht.
Erst als man gesehen hat, welchen Einsatz es braucht, welchen Einsatz Gott
riskiert hat, um uns zu retten, erst dadurch wird uns bewusst, wie ernst die
Lage war. Wenn man bei einem Verkehrsunfall einen Hubschrauber sieht – das ist
mir neulich auf der Südautobahn passiert, wir sind in einem Stau gesteckt,
plötzlich kam ein Hubschrauber und auf der Pannenspur ein Rettungswagen nach
dem anderen – daraus schließt man: Das muss etwas sehr ernstes sein. Der
Einsatz an Rettungsmitteln zeigt uns, dass hier offensichtlich etwas Ernstes
geschehen ist. Wenn Gott so weit gehen muss, dass er seinen Sohn schickt, dann
muss es schon etwas sehr Ernstes sein. Wenn das der Preis der Rettung der Welt
ist, dann bedurfte es offensichtlich wirklich einer dramatischen
Rettungsaktion. Gott allein hat wirklich gewusst, wie ernst die Lage ist.
Das Eigene der Sünde ist ja, dass sie uns auch täuscht, dass
wir sie verharmlosen, ihre Tragweite unterschätzen. Ich glaube, nur so
verstehen wir, warum Heilige oft so ein akutes, so scharfes Sündenbewusstsein
haben. Das ist nicht, weil sie besonders viel mehr sündigen als wir. Die hl.
Katharina von Siena hat am Ende ihres Lebens von sich gesagt: „Ich bin schuld
an allen Übeln der Welt.“ Fromme Übertreibung, oder im Licht der Nähe Gottes
die Einsicht, dass auch die kleinste Sünde ein großes Gewicht hat, weil sie im
Grunde als Abwendung von Gott, als Abwendung von seinem Willen immer eine
Katastrophe ist? Erst wenn wir im Licht Gottes sehen, welches Gewicht die
Sünde hat, dann begreifen wir, warum es eines so großen Einsatzes bedurfte.
Wir sind ein bisschen wie Wanderer über Gletscherspalten, von denen wir nichts
wissen oder die wir nur ahnen. Wir ahnen nicht, wie gefährlich es ist. Es
bedarf großer Klarsicht, vieler Erfahrung, um zu wissen, in welche Gefahr man
sich begibt. Wie oft sind die Eltern in dieser Lage, dass sie sehen, in
welchen Gefahren sich die Kinder befinden. Die Kinder merken es nicht. Deshalb
konnte auch nur Gott selber den Rettungsplan ersinnen, denn er alleine wusste
genau, wo der wunde Punkt ist, wo es wirklich der Rettung bedurfte. Ohne eine
genaue Kenntnis der Gefahr, ohne eine Durchsicht, eine Klarsicht über die
Ursachen einer Katastrophe ist Hilfe und Rettung gar nicht möglich. Die Ärzte
in Moskau konnten am Anfang – ich weiß nicht, ob es inzwischen gelöst ist –
gar nicht helfen, weil sie nicht wussten, was für ein Giftgas die Opfer
eingeatmet hatten. Man kann nur retten, wenn man die Ursachen kennt. Und wer
kennt sie besser, als Gott selber.
Im Rückblick können wir zugleich erschreckend und dankbar
erkennen und sagen: Wie ernst muss die Lage gewesen sein, dass Gott seinen
eigenen Sohn gewissermaßen ins Feuer geschickt hat, um uns zu retten.
Tatsächlich ging es so. Erst durch das Erfassen des Unfassbaren, nämlich dass
Gott seinen eigenen Sohn zu unserer Rettung gesandt hat, wurde das ganze
Ausmaß des Dramas bewusst. Wir können das ganz genau in der Bibel verfolgen,
wie erst durch das Licht Christi auch die Wirklichkeit, die tragische
Wirklichkeit der Ursünde, der Erbsünde und ihrer Konsequenzen bewusst wurde.
Christus ist nicht nur unser Retter, er offenbart auch, wie dringend die
Rettung war. Ich frage mich manchmal: Ist es nicht so, dass wir erst durch das
Finden Gottes, das Finden Jesu auch darauf kommen, wie ernst die Lage war, aus
der er uns befreit hat durch die Umkehr zu ihm?
IV.
Wie sieht der Rettungsplan Gottes aus? Sicher ist es nicht nur einfach eine
„kosmetische“ Verbesserung, sondern eine radikale Rettung, die an die Wurzel
geht, das Übel bei der Wurzel fasst. Noch einmal der alte Apostel, Evangelist
Johannes, er schreibt: „Dazu ist der Sohn Gottes gekommen, dass er die Werke
des Teufels zerstöre“ (1 Joh 3,8). So einfach, so radikal sagt es Johannes. Es
ist uns aus der Offenbarung klar: Gott hat seinen Sohn gesandt, um die Welt
aus der Knechtschaft zu befreien. Das ist die mission, die er aufgetragen
bekommen hat. Aber wie soll Jesus diese mission erfüllen? Davon hängt auch ab,
wie wir unsere mission erfüllen. Was heißt für uns Mission? Eines ist klar:
Die Befreiungsaktion, um die es hier geht, kann nicht eine Zwangsaktion sein,
denn sie muss ja frei machen. Das heißt, sie muss die Ursachen der Unfreiheit
an der Wurzel packen und heilen. Im Rückblick auf den Weg, den Gott gewählt
hat, um uns zu befreien, können wir nur staunend, dankend sagen, wie wunderbar
er alles gefügt hat, wie groß das Wagnis seiner Liebe ist. Er hat einen
unerhörten, einen unahnbaren Weg gewählt, um uns im innersten frei zu machen.
Gott hat sich ganz auf unsere Situation eingelassen. „Gott hat seinen Sohn
gesandt in der Gestalt des Fleisches“, sagt die Bibel (Röm 8,3), das heißt in
Fleisch und Blut, als Mensch, wie wir. Ich kann mir denken, ich weiß es nicht,
aber ich glaube es doch, dass es für den Beherrscher der Welt, den Jesus den
„Fürst dieser Welt“ nennt (Joh 12,31; 14,30; 16,11), den Widersacher, den
Menschenfeind, den Teufel, völlig überraschend und schockierend gewesen sein
muss, dass Gott nicht imposant und mächtig, nicht mit der ganzen Schubkraft
seiner Allmacht gekommen ist, sondern, Paulus sagt es in einem Hymnus, in
einem Lied: „Er hat sich selbst entäußert“ (Phil 2,7), ganz wörtlich: „Er hat
sich selber leer gemacht“, in voller Freiheit, niemand hat ihn dazu gezwungen.
Seine mission bestand darin, dass er alles weggeben hat. Er ist Knecht und
Sklave geworden, um uns ganz gleich zu sein, außer der Sünde, ganz und gar dem
Vater gehorsam.
Seine Mission war also: herabsteigen, sich klein machen, einer
von uns werden, ganz real. Deshalb, sagt der Hebräerbrief mehrmals, konnte er
mit uns fühlen. Er wurde in allem versucht wie wir, nur hat er nicht
gesündigt. Er hat wirklich Fleisch und Blut angenommen. Im Hebräerbrief heißt
es einmal: „Da nun die Menschenkinder Fleisch und Blut gemeinsam haben, so hat
auch er in gleicher Weise daran teilgenommen“ (Hebr 2,14). Der Rettungsplan
war also: Er ist uns gleich geworden. Die heikle Mission Jesu bestand darin,
dass er wirklich unser Bruder geworden ist und nicht gesündigt hat. Die
Rettungsaktion war also, ganz in unsere Lage einzusteigen, mit allen Mühen und
Leiden wirklich unter uns zu leben, einer von uns zu sein. Das heißt, ich sage
es jetzt bewusst so: Es hat ihm nicht gegraust vor uns. „Non horuisti“, heißt
es im Te Deum, im Großer Gott, wir loben dich: „Du hast uns nicht
verabscheut.“ Trotz aller Schäbigkeit und allen Elends dieser Welt: Du hast
uns nicht verachtet. Du, der Heilige, bist mitten unter uns Sünder gekommen.
Wenn man schaut: Wo sind mission statements Jesu, sozusagen das Leitbild
Jesu?, fällt einem vieles ein. Ich möchte nur zwei nennen. Als Jesus an den
Jordan ging mit dreißig Jahren, als er Nazaret verlassen hat, nachdem er
dreißig Jahre lang ein verborgenes Leben gelebt hat mitten unter uns, mit der
Arbeit, mit dem Alltag, da hat er noch einen weiteren Schritt getan. Am
Jordan, bei Johannes dem Täufer, wo die Menschen kommen um eine Bußtaufe zu
empfangen, ihre Sünden zu bekennen, da ist plötzlich Jesus mitten unter ihnen,
steht er mitten unter ihnen, wie ein Sünder (Mt 3,13-17). Das ist sein mission
statement, sein Leitbild, da ist sein Platz, das ist seine Strategie, seine
Rettungsstrategie, mitten unter uns Sündern. Ein zweites Leitbild, als Jesus
den Matthäus, den Levi berufen hatte, den Zöllner von der Zollschranke weg,
hat er sich mit ihm und seinen Freunden an einen Tisch gesetzt, mit Zöllnern
und Sündern (Mt 9,9-13) – Leitbild, dem wir folgen sollen, weil du uns Herr
gesandt hast, diesen Weg dir nachzugehen.
V.
Aber das war noch nicht der ganze Rettungsplan. Das war nur die
Vorbereitungsphase. Der entscheidende Schritt des Rettungsplanes war,
gewissermaßen die Machtzentrale des Feindes zu finden, dort, wo er seine
Herrschaft ausgeübt hat, diese Stelle zu finden und ihn dort auszuschalten.
Nur er wusste, wo diese Machtzentrale wirklich war, von wo aus diese
feindliche Herrschaft ihre Macht aufgebaut hatte. Die Jünger Jesu waren
entsetzt, als er den Weg zu dieser Machtzentrale beschritt, als er allmählich
begann, ihnen seinen Plan zu enthüllen. Sie hielten ihn für wahnsinnig. Petrus
nimmt ihn beiseite und sagt ihm: Das darf dir niemals passieren, dass du nach
Jerusalem gehst, um zu leiden. Petrus will seinen Plan durchkreuzen, seinen
Rettungsplan. Und nie hat Jesus so scharf reagiert, wie in dem Moment, als er
sich umdreht und zu Petrus sagt: „Hinweg, hinter mich, Satan“, nennt er ihn,
denn „du denkst nicht dem Plan Gottes entsprechend, sondern nach Menschenart“
(Mt 16,23). Der Plan Gottes führt ihn in den Knotenpunkt der Katastrophe.
Keine militärische Aktion, sondern die Sünde der Welt hinweg nehmen. Das ist
der Kernpunkt, die zentrale mission, die Jesus aufgetragen bekommen hat. Das
hat der Täufer schon früh geahnt, als er Jesus am Anfang seines Wirkens sah am
Jordan und seine Jüngern, Schülern sagte: „Seht, das Lamm Gottes, das die
Sünde der Welt hinweg nimmt“ (Joh 1,29.36).
Aber wie konnte Jesus das machen? Wie kann er das ganze
Gewicht der Sünde aufheben? Wo ist gewissermaßen der archimedische Punkt, von
dem aus er sozusagen mit einem Griff das ganze Gewicht der menschlichen Sünde,
das ganze Katastrophenpotential der menschlichen Geschichte aufheben kann? Es
ist ein Wort: Es ist dein Wille, nicht meiner – Gehorsam. Wie groß dieses
Gewicht ist, ahnen wir, wenn wir nach Getsemani schauen, als Jesus flehentlich
den Vater bittet, dass dieser Kelch vorübergehe. Dann sagt er: „Abba, Vater,
alles ist dir möglich. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht wie
ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Das ist die heikle Mission: „Wie
du willst“, sozusagen mitten in die Höhle des Löwen, dort wo das Unglück
passiert ist, dort hinein ist Jesus gegangen. Wie du willst, nicht wie ich
will. Da musste er den Versucher, den Verführer besiegen, denn der Versucher
hat dem Menschen von Anfang an geraten: Wie du willst, nicht wie Gott will.
Mach deinen Willen, nicht den Willen Gottes! Auf diese Weise hat er uns dazu
gebracht, dass wir seinen Willen tun, den des Widersachers, dass wir Sklaven
seines Willens werden, dass wir das Joch der Sünde tragen und nicht die
Freiheit des Willens Gottes. Diesen Rettungsplan hat Jesus durchgezogen bis
zuletzt, bis zum Tod. So könnten wir sagen, als er am Kreuz sagt: „Es ist
vollbracht“ (Joh 19,30), Mission vollendet. Er hat die Mission vollendet.
Aber, wir können gleichzeitig sagen: Mission vollendet –
Mission beginnt. Hier beginnt die neue Mission, hier beginnt es erst richtig.
Von jetzt an kann die Befreiungsaktion wirklich beginnen. Den ersten, den
Jesus befreit, das ist der andere, der neben ihm am Kreuz hängt auf der
rechten Seite: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43).
Mission vollendet – Mission beginnt. Jesus hat das Tor geöffnet, die
Gefangenen können heraus, der Sklavenhalter ist gefesselt, seine Herrschaft
ist gebrochen, jetzt kann Mission beginnen. Durch die Tür, die Jesus geöffnet
hat, können Menschen in die Freiheit gelangen. Er selber ist diese Tür, und er
will, dass möglichst viele mit ihm daran arbeiten, dass viele durch diese Tür
gehen. Wenn Jesus Missionare aussucht, ausbildet, dann bildet er sie dazu aus,
dass sie handeln im Wissen um die Rettungsaktion, die Gott in Jesus
durchgeführt hat, dass diese Rettungsaktion jetzt möglich ist und dass wir
mitspielen dürfen, sollen, müssen. Deshalb möchte ich in den beiden nächsten
Katechesen darüber sprechen: Wie geschieht das eigentlich, dass jetzt für uns
Mission beginnt? Ich möchte am 1. Dezember 2002 damit beginnen, dass ich auf
die Frau schaue, die das in einzigartiger Weise gemacht hat, die Mutter Jesu.
Sie ist mehr als alle anderen die, die in die Freiheit führt, die den Weg Jesu
kennt, wie kein anderer. So wird also die Katechese am 1. Dezember über Maria
und die Mission sein und am 12. Jänner 2003 dann über die Frage: Und wie
können wir mitwirken an der Rettungsaktion Gottes, an seiner mission und an
seinem mission statement.
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