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Katechesen
2001/2002
6. Jahresreihe - 2. Katechese, 14.10.02
Die wahre Freiheit in
Christus |
Die wahre Freiheit in
Christus
Die heutige Katechese, die zweite in der Reihe der Katechesen
zu den Fragen der christlichen Sittlichkeit, der christlichen Moral, geht über
die Frage der Freiheit. Ich erinnere mich an ein Gespräch in Rom mit
Vietnamesen, die mir ihre Geschichte erzählt haben, die Geschichte ihrer
Flucht aus dem kommunistischen Vietnam, "Boat-People", Leute also, die unter
allergrößten Gefahren sich in einem Boot aufs Meer hinaus gewagt haben in der
Hoffnung, irgendwo hinaus zu finden aus diesem großen Gefängnis, diesem
kommunistischen Land. In diesem Bericht ist mir so bewusst geworden, wie
unbändig, wie ungeheuer stark der Drang zur Freiheit ist, dass man solche
Mühen auf sich nimmt, Wochen, Monate lang heimlich ein Boot baut, dann unter
größten Gefahren dieses Boot bestückt, ausrüstet und schließlich losfährt,
immer in der Gefahr, von der Küstenwache erwischt zu werden, mit den Gefahren
der Seeräuber, die es genügend gab und wohl immer noch gibt für die
Flüchtlingsboote, schließlich die Ungewissheit, ob man jemals durch Sturm und
Gefahren hindurch in die Freiheit kommt, und doch der unbändige Drang zur
Freiheit, was für ein kostbares Gut ist die Freiheit!
Wie oft haben wir jetzt, in den letzten Tagen, das Bild der Freiheitsstatue in
New York gesehen, mit all der Dramatik, die die Stadt New York in den letzten
Tagen erlebt hat und für die ganze Welt auch signalisiert, bezeichnet, aber
vergessen wir nicht: Für wie viele Menschen war dieser erste Blick auf die
Freiheitsstatue, wenn die Schiffe in den Hafen von New York einliefen, eben
wirklich die Hoffnung, ja vielleicht sogar die Verwirklichung eines Traumes:
endlich in der Freiheit!
I.
Was für ein kostbares Gut ist die Freiheit! Aber was ist die Freiheit? Das ist
die Frage, um die es heute Abend gehen soll. Wir wollen betrachten, was
eigentlich Freiheit ausmacht, wenn Freiheit die Voraussetzung für Sittlichkeit
ist. Wofür ich mich nicht frei entscheiden kann, dafür bin ich auch nicht
verantwortlich, das kann mir nicht angerechnet werden. Wenn der Hund jemanden
beißt, dann kommt der Hund nicht vor den Kadi, aber das Herrl oder das Frauerl
kommt vor den Kadi, wenn sie zum Beispiel es verabsäumt haben, dem Hunderl einen
Maulkorb umzuhängen oder darauf zu achten, dass das Hunderl eben nicht beißt.
Das Hunderl ist nicht zurechnungsfähig, es handelt instinktiv und deshalb ist
sein Handeln weder gut noch böse, auch wenn wir sagen, manche Hunde sind
besonders böse, andere Hunde sind lieb, und man sagt sogar, dass Tiere einen
guten oder einen schlechten Charakter haben. Auf jeden Fall wird man einen bösen
Hund einsperren, aber man wird ihn nicht einer Freiheitsstrafe unterziehen, man
wird ihn nicht ins Gefängnis stecken. Es gibt unendliche Diskussionen in der
Philosophie, in der langen Philosophiegeschichte über die Freiheit. Gibt es sie?
Gibt es sie nicht? Wo sind ihre Grenzen? Wo sind ihre Bedingungen? Aber wenn wir
in den menschlichen Alltag schauen, da wird die Freiheit ständig vorausgesetzt
ohne viel nachzudenken. Wir erleben es ständig, dass wir auch zur Rechenschaft
gezogen werden für das, was wir tun oder lassen. Wir erwarten ohne viel
nachzudenken, dass die Menschen um uns herum, und die andern erwarten es von
uns, dass wir uns verantwortlich benehmen.
Oft bewegt mich der Gedanke, wenn man so auf einer Autobahn fährt mit 130,
hoffentlich nicht schneller, mit der Geschwindigkeit, die maximal erlaubt ist:
Wieso setzen wir eigentlich voraus, dass alle anderen sich ganz
verantwortungsbewusst benehmen? Da fährt man mit 130 an einem schweren Lastwagen
vorbei, und dieser Lastwagen fährt brav auf seiner Spur, der Fahrer benimmt sich
verantwortungsbewusst. Wenn das nicht geschieht, geschieht eine Katastrophe. Und
täglich hören wir von solchen Katastrophen, dann heißt es "menschliches
Versagen", "überhöhte Geschwindigkeit", "Alkohol am Steuer" oder einfach
"Unaufmerksamkeit". Je nach dem wird es dann bei den Gerichtsverhandlungen, bei
den mühsamen Verhandlungen über die Frage von Schuld und Zurechnung, darum gehen
zu ermessen, wie viel Schuld der hat, der den Unfall verursacht hat. Aber
selbstverständlich rechnen wir in unserm Alltag damit, dass Menschen sich
verantwortungsbewusst benehmen. Wenn es sich um einen unverschuldeten Defekt
handelt, dann wird sicher nicht Schuld zugerechnet, außer man kann ausfindig
machen, dass jemand in der Werkstatt zum Beispiel seine Pflicht nicht getan hat
und dadurch, für den Fahrer unverschuldet aber für den Mechaniker schuldhaft,
ein Unfall geschehen ist. Auf jeden Fall kennen wir diese Verantwortung und das
größere oder geringere Maß an Schuld. Wenn jemand absichtlich, leichtfertig
einen anderen gefährdet, rechnen wir ihm das höher an, als wenn er unabsichtlich
jemand anderen in Gefahr bringt oder gar einen Unfall verursacht.
Rücksichtsloses Fahren zum Beispiel wird schärfer geahndet, als wenn jemand
einen Sekundenschlaf hatte und dadurch ein Unfall geschehen ist. Auch dann wird
er schuldig sein, weil er vielleicht nicht die nötigen Vorsichtsmaßnahmen
ergriffen hat, die notwendig gewesen wären, damit das eben nicht passiert. Wenn
einer plötzlich beim Autofahren, wie das einem lieben Freund von mir vor einigen
Monaten geschehen ist, einen Gehirnschlag hat und durch diesen Gehirnschlag ein
tödlicher Unfall passiert, dann ist weder er noch jemand anderer Schuld an
diesem Unfall, dann ist das höhere Gewalt.
Wir sind zurecht empört, wenn Kinder sexuell missbraucht werden. Wir wissen,
welch tiefe, oft lebenslange seelische Verletzungen hier entstehen können,
schreckliche und tiefe, ein ganzes Leben belastende. Nicht umsonst hat Jesus so
streng gerade die ins Gewissen genommen, ihnen ins Gewissen geredet, die den
Kleinen ein Ärgernis geben. Besser wäre es, es würde ihnen "ein Mühlstein um den
Hals gehängt" und sie würden "ins Meer versenkt", sagt Jesus in diesem
schrecklichen Wort (Mt 18,6). Nun mag ein pädophil versuchter Mann sagen, er
könne seinem Trieb einfach nicht widerstehen, er könne ihn nicht beherrschen, es
sei stärker als er, er sei eben nicht frei in solchen Momenten. Niemand von uns
wird den Stab über jemand brechen, der solchen Schwächen erliegt, denn wir
wissen alle, wie schwach der Mensch ist. Und doch wird vor Gericht gesagt
werden, er hätte die Gefahr meiden müssen, er hätte sich therapeutisch behandeln
lassen müssen, er hätte etwas tun müssen, er hätte die Pflicht dazu gehabt, sich
seinen Trieben nicht einfach ausgeliefert sein zu lassen. Kurz gesagt, er ist
verantwortlich für das, was er tut, und auch für die Bedingungen, für die
Rahmenbedingungen seines Tuns, und das natürlich umso mehr, je mehr so jemand in
einer verantwortlichen Position ist als Erzieher, als Lehrer, als Priester.
Ich lasse heute ganz bewusst die Frage der Sünde beiseite, wir werden später
darauf zurückkommen, also die Frage der Schuld vor Gott. Heute geht es um die
Frage der Freiheit. Was bedeutet es, dass wir Verantwortung tragen, ständig,
täglich, dass wir mit Verantwortung leben und dass wir dort, wo wir unsere
Verantwortung nicht wahrnehmen, auch zur Rechenschaft gezogen werden? All das
setzt ja voraus, dass wir frei sind. Auch wenn die Philosophie noch so sehr
darüber nachdenkt, was jetzt wirklich die Freiheit ist, im Alltag wird es
ständig vorausgesetzt. Es gibt die Freiheit und wir sind verantwortlich, weil
wir Menschen sind und nicht Tiere. Aber empfinden wir unsere Verantwortungen und
die damit verbundenen Verpflichtungen nicht oft als eine solche Last, eine
solche Bürde, dass wir uns eher unfrei fühlen? Fesseln, mit denen wir leben
müssen, mehr genötigt als freiwillig?
II.
Bevor wir weiter fragen, was es eigentlich mit der Freiheit auf sich hat, ist es
hilfreich daran zu erinnern, dass wir über diese ganz selbstverständlichen Dinge
des Alltags viel mehr staunen sollten, dass sie eben gar nicht so
selbstverständlich sind. Sie helfen uns, diese so schwierige Frage der Freiheit
mit dem nötigen Staunen anzugehen, mit dem Staunen davor, dass es das wirklich
gibt, gleichzeitig, dass wir die "Bodenhaftung" bewahren und sehr praktisch bei
dieser so schwierigen Frage der Freiheit bleiben. Wenn ich versuche ein wenig
die heutige Stimmungslage der Freiheit gegenüber zu betrachten, zu analysieren,
dann habe ich einen eigenartig zwiespältigen, fast widersprüchlichen Eindruck.
Da gibt es auf der einen Seite eine Unterschätzung der Freiheit und auf der
andern Seite eine gewaltige Überschätzung der Freiheit.
1. In vieler Hinsicht wird heute die Freiheit unterschätzt. Wir sind von allem
Möglichen geprägt und bestimmt und bedingt. Manche schauen in der Früh in der
Zeitung als erste ins Horoskop und wollen wissen, was die Sterne sagen über die
Liebe und das Glück und glauben, dass wir also ganz bestimmt sind von den
Gestirnen. Der hl. Thomas ist in dieser Hinsicht ganz klar, er sagt: Es gibt
Einfluss der Gestirne auf unser Leben, so wie die Natur auf uns Einfluss ausübt.
Aber das ist ein sehr allgemeiner Einfluss, der unsere Freiheit nicht
einschränkt. Wir kommen auf diese Frage noch zurück. Manche meinen, der Mensch
sei genetisch so programmiert, dass alles bereits vorgezeichnet ist im
genetischen Code, den man von der Empfängnis an mitbekommet durch die
Verschmelzung von Ei und Samenzelle, genetisch programmiert, also unfrei. Oder
andere meinen, dass wir ganz und gar von der Umwelt geprägt sind, die Umwelt
bestimmt uns, sie macht uns abhängig. Andere meinen wieder, wir sind weitgehend
von unsern Trieben bestimmt und es bleibt kaum ein Freiraum für die Freiheit.
Eine gewisse Lobby, ich nenne ein Beispiel, das zur Zeit viel diskutiert wird,
eine gewisse Lobby für die Homosexualität will zum Beispiel sagen und behauptet,
dass die Homosexualität genetisch programmiert ist. So ist man eben, da gibt es
keine Wahl, das ist vorprogrammiert. Das ist keine Wahl, sondern Bestimmung.
Selbst wenn es so wäre, was unter den Gelehrten sehr umstritten ist, ob diese
Neigung mehr durch Prägung geschieht oder durch genetische Vorbestimmungen, aber
selbst wenn es so wäre, bleibt dann immer noch die Frage: Wie mit dieser Prägung
umgehen? Es bleibt immer noch die Frage: Gibt es die Freiheit zu gestalten, das
was mir mitgegeben ist auf den Weg eben zu gestalten? Das gilt natürlich nicht
nur für die Frage der Homosexualität, das gilt für alle Bereiche des Lebens.
Haben wir Freiheit, das zu gestalten, was uns mitgegeben ist? Oder sind wir ganz
vorprogrammiert durch Genetik, durch Triebe, durch Veranlagungen, durch Umwelt
oder eben die Gestirne?
Ein österreichisches Wochenmagazin hat vor kurzem seine Leser glauben machen
wollen, dass das Denken ein Produkt des Gehirns ist. Amerikanische
Wissenschaftler wurden hier zitiert und ausgebreitet. Also auch Geist, Freiheit
sind Produkte des Gehirns. Die Gegenfrage, die dann sofort gestellt werden kann:
Ist also dieser Artikel in der Wochenzeitschrift auch nur das Produkt der
chemischen Vorgäng im Gehirn oder hat sich das jemand ausgedacht? Der große
jüdische Philosoph Hans Jonas, der ein großer Vorkämpfer für die Freiheit und
die Verantwortung des Menschen war, hat einmal folgende Geschichte erzählt: Im
19. Jahrhundert haben drei später berühmte Naturwissenschaftler, Brück, du
Bois-Reymond und Helmholtz, sich zusammengetan und haben einen Schwur geleistet.
Sie haben geschworen, sie werden ihr ganzes Leben lang nur eine ganz streng
materialistische Erklärung des Menschen zulassen. Alles ist Materie, Geist gibt
es nicht. Nun hat Hans Jonas zurecht die Frage gestellt: Dieser Schwur, den die
drei geschworen haben, das war doch ein geistiger Akt. Sie haben versprochen,
dass sie diesem Versprechen ein Leben lang treu bleiben wollen. Also müssen sie
doch frei sein, also kann das doch nicht einfach nur das Produkt der Materie
sein. Auch darauf werden wir noch zurück kommen.
Alle die großartigen Entdeckungen und Leistungen der Wissenschaft, alles das
soll nur Produkt einer vorprogrammierten Genetik oder das Produkt von
materiellen Vorgängen gewesen sein? Aber wie steht es dann mit der Verantwortung
der Wissenschaftler? Ist auch die Verantwortung einfach etwas Vorprogrammiertes?
Dass man das Atom entdeckt hat und dann die Atomspaltung und dann die
Möglichkeit, die Atomspaltung zur Atombombe zu gestalten? Oder die Entdeckung
von bakteriellen Waffen? Die Möglichkeit also, großartige Entdeckungen zu
gebrauchen oder zu missbrauchen, ist das alles einfach Ausscheidung unseres
Gehirns? Oder ist es vom menschlichen Geist gelenkt und damit auch zu
verantworten? Also ist es die Frage, ob es überhaupt Verantwortung gibt. So
haben wir eigenartiger Weise in der Neuzeit, das beginnt schon recht früh, die
Neigung, die Tendenz, die menschliche Freiheit weitgehend zu leugnen, im Grunde
eine neue Form des alten, bei den Heiden zu findenden, Fatalismus. Alles ist
nicht mehr von den Göttern gesteuert, sondern von den Genen. Der Mensch ist eine
programmierte Maschine, deren Programm zwar sehr kompliziert ist, aber
inzwischen weitgehend entschlüsselt. Auch hier muss natürlich noch einmal die
Frage gestellt werden: Hat das Gehirn alleine den genetischen Code
entschlüsselt, oder war das eben doch menschliche Forscherleidenschaft mit all
der Verantwortung, die damit verbunden ist?
2. So haben wir auf der einen Seite die Neigung, die Freiheit des Menschen stark
zu begrenzen, ja zu unterschätzen, aber auf der andern Seite gibt es auch die
Neigung in der Neuzeit, die Freiheit völlig zu überschätzen. Im Denken der
Neuzeit besteht immer wieder die Versuchung, die Freiheit als etwas völlig
Ungebundenes zu verstehen. Freiheit heißt: Ich bin, der ich selber sein will.
Ich mache mich selbst. Ich bestimme mich selbst. Ich bin an keinerlei
Voraussetzungen gebunden. Ich setze mir meine Voraussetzungen selber. Ich bin
gewissermaßen mein eigener Schöpfer. Ich glaube, dieses Verständnis von Freiheit
als ungebundener Selbstverwirklichung, dieses Verständnis ist bis in unseren
Alltag hinein sehr verbreitet. Ungebunden sein ist der Inbegriff von Freiheit,
auf die Malediven fahren können wann man Lust hat, tun zu können was man möchte,
das ist Freiheit, ohne Vorgaben, ohne Begrenzungen durch Gesetze, durch
Traditionen, durch Bindungen. Wenn man in der Geschichte des Abendlandes
zurückschaut, woher diese Auffassung von Freiheit kommt, kann man bis ins
Spätmittelalter zurück gehen, in den sogenannten Nominalismus, der gerade hier
in Wien an der Universität im Spätmittelalter sehr vorgeherrscht hat, die
Vorstellung, dass Freiheit Ungebundenheit heißt, eine Ungebundenheit, die dann,
eben weil sie auch gefährlich sein kann, eingegrenzt werden muss durch Gesetze,
Bestimmungen, an die man sich notgedrungen hält, an viel "du musst" und "du
darfst nicht", aber das wird eher empfunden als eine Eingrenzung dessen, was
eigentlich die Freiheit wäre.
III.
Was ich so ganz kurz skizziert habe, diese beiden Sichten der Freiheit, ihre
Unterschätzung, der Mensch ist im Grunde vorprogrammiert, oder ihre
Überschätzung, der Mensch kann sich im Grunde selber machen, beide haben
natürlich in unserer Erfahrung Ansatzpunkte. Oft erleben wir uns als furchtbar
unfrei, manchmal sind wir geneigt zu glauben, die Freiheit ist sozuagen ein
"Hurra, frei von allen Bindungen". Aber wenn wir jetzt versuchen in die
Offenbarung hinein zu schauen: Was sagt uns eigentlich Gott über die Freiheit?
Welches Licht schenkt uns die Heilige Schrift?, dann werden wir ein ganz anderes
Bild der Freiheit sehen.
1. Das erste, was uns die Heilige Schrift über die Freiheit sagt, ist sehr
überraschend, aber für den Gläubigen selbstverständlich. Es ist ein wunderbares
Licht, dass uns da der Glaube schenkt. Freiheit ist ein Geschenk. Freiheit ist
von Gott geschaffen. Aber das heißt ja: Gott will, dass ich frei bin. Er hat
mich so gemacht. Er hat uns so geschaffen, dass wir frei sind. Das ist etwas
unglaublich Geheimnisvolles, wenn man beginnt darüber nachzudenken. Ich habe
mich nicht selber gemacht, wir sind alle Geschöpfe. Gott hat uns alles
geschenkt, unser Sein, unser Leben und auch unsere Freiheit. Das ist jetzt das
Geheimnisvolle. Ich bin frei, aber diese Freiheit macht mich abhängig. Gott hat
sie mir geschenkt, ich habe sie mir nicht selber gegeben. Geschöpf sein heißt
abhängig sein. Vielleicht ist das das, was heute und in der Neuzeit so schwer
fällt anzunehmen, abhängig sein. Wir empfinden Abhängigkeit als das Gegenteil
von Freiheit. Aber wenn wir in die Bibel schauen, in das Wort Gottes, dann sehen
wir, frei sind wir gerade, wenn wir als Geschöpfe Gott gegenüber abhängig sind.
Unsere Freiheit ist keine ungebundene, sondern eine aufgetragene Freiheit, sie
ist mir anvertraut als ein Gut. Sie ist mir zur Gestaltung und zur Verwaltung
anvertraut.
2. Daraus folgt ein zweites, etwas ganz Wichtiges und auf den ersten Blick
völlig Unverständliches. Ich möchte es einmal kurz und plakativ so formulieren:
Je mehr wir uns binden, desto freier sind wir. Ich nenne ein Beispiel. Mutter
Theresa hat Leben ganz an den Auftrag Gottes gebunden, so restlos, dass die
fünfzig Jahre ihres Wirkens als Ordensgründerin und als Mutter der Armen eine
völlige Verfügbarkeit für Gott und für die Armen war, nur für Christus in den
Armen zu leben. Aufs erste gesehen sieht das aus, als hätte diese arme Mutter
Theresa überhaupt keinen Freiraum gehabt in ihrem Leben. Und doch haben zahllose
Menschen, die sie erlebt haben, sie als einen wunderbar freien Menschen erlebt.
Wie erklärt sich das?
Jetzt kommen einige Katechismus-Zitate. In der Nummer 1743 steht: "Gott hat den
Menschen ‚der Macht der eigenen Entscheidung überlassen' (Sir 15,14)." Das steht
im Alten Testament dieses Wort. "Gott hat den Menschen in die Hand seiner
eigenen Entscheidung gelegt", heißt es wörtlich, "damit er seinem Schöpfer in
Freiheit anhangen und so zur seligen Vollendung gelangen kann" (KKK 1743). Damit
er "seinem Schöpfer in Freiheit anhangen" kann, in Freiheit anhangen - aufs
erste gesehen ein Widerspruch: Gott in Freiheit anhangen, das ist Freiheit. Aber
ist Freiheit nicht, dass ich tun kann, was ich will, endlich einmal nicht etwas
tun müssen, einen freien Tag haben, frei entscheiden dürfen wohin ich fahre, was
ich mache, was ich lese, ob ich ins Kino gehe oder spazieren gehe, endlich frei
sein dürfen? Dem Willen Gottes anhangen, ist das nicht schon wieder etwas
müssen, also wieder unfrei sein? Wenn ich den Willen eines andern tun muss, bin
ich dann nicht unfrei?
Vorsicht, hier ist eine ganz wichtige Weggabelung. Selbst wenn ich niemandem
anhangen müsste, gehorchen müsste, ich weiß nicht, ob es das jemals gibt, dass
man völlig unabhängig wäre, keinen Ehepartner, keine Kinder, keine Bekannten,
keine Freunde, einfach völlig frei, selbst wenn ich völlig ungebunden wäre, wäre
ich dennoch nicht ein Freiherr oder eine Freidame, ich wäre nicht mein eigener
Chef, denn ich bin an meine eigene Natur gebunden, da komme ich nicht aus.
Einmal muss ich schlafen gehen, einmal muss ich essen, und was viel schwieriger
ist, ich muss mich akzeptieren. Ich kann nicht sagen, ich nehme Urlaub von mir.
Endlich einmal frei sein von mir! Ich muss mit mir leben, ein ganzes Leben lang,
ich muss mich akzeptieren, dass mir die Haare ausfallen, dass ich in Böhmen und
nicht in Hawaii geboren bin, dass ich 1945 und nicht 1845 geboren bin, als Mann
und nicht als Frau, dass ich ich bin und nicht Sie, und dass Sie Sie sind und
nicht Ihr Nachbar. Ich bin nicht frei, ich zu sein, ich muss das akzeptieren.
Frei bin ich nur, ja zu sagen zu mir, und das ist oft schwer genug; ja zu dem
Leben, das mir aufgetragen ist; ja zu dem Charakter, den ich mitbekommen habe;
ja auch zu dem, was ich geworden bin und was ich nicht einfach ändern kann. Ich
bin nicht frei, einfach aus mir einen andern zu machen. Und doch glauben wir,
das sagt uns der Glauben: Christus hat uns zur Freiheit befreit (Gal 5,1).
Also was ist die Freiheit? Ist sie die Einsicht in die Notwendigkeit? So hat
Hegel, der Philosoph gesagt: Freiheit, das ist "Einsicht in die Notwendigkeit",
das heißt Einsicht in das, was ich annehmen muss, weil es nicht anders geht,
dass ich geduldig oder zornig, resigniert oder wütend annehmen muss, dass ich
abhängig bin von Gott, von anderen und von mir selber. Ich kann das heldenhaft
ertragen, dass ich eigentlich unfrei bin. Nein, die großen Vorbilder, das sind
für uns die Heiligen, zeigen uns etwas ganz anderes. Sie zeigen uns eine Spur
einer ungeahnten Größe der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat. Ich
zitiere noch einmal den Katechismus. In der Nummer 1744 lesen wir: "Die Freiheit
ist die Macht, zu handeln oder nicht zu handeln, und so selbständig willentliche
Handlungen zu setzen." Ich glaube, diese Definition ist einsichtig. Jemand ist
frei, zu handeln oder nicht zu handeln, selbständig, willentlich Handlungen zu
setzen. Dann sagt der Katechismus: "Die Ausübung der Freiheit ist vollkommen,
wenn sie auf Gott, das höchste Gut, ausgerichtet ist." Je größer die Hingabe an
Gott und seinen Willen, desto größer die Freiheit. Das ist der Kern der
biblischen Botschaft. Wenn wir auf Jesus blicken, dann sehen wir, Jesus war
völlig ausgerichtet auf den Vater, auf seinen Willen. "Meine Speise ist es, den
Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat" (Joh 4,34), sagt Jesus ganz dem
Willen des Vaters gehorsam und so souverän frei. Das ist das Rätsel, dem ich Sie
einlade nachzuspüren: Wieso ist Jesus so souverän frei, obwohl er ganz abhängig
ist vom Vater? Wir müssen eben sagen, nicht obwohl, sondern weil, weil er ganz
abhängig ist vom Vater, ist er so souverän frei. Ich glaube, da kommen wir zur
tiefsten Schwierigkeit in unserm Herzen bei der Frage der Freiheit, es ist der
Verdacht, wenn ich Gott gehorche, dann werde ich unfrei. Es ist der Verdacht,
dass Gott mir nicht wirklich die Freiheit gönnt. Dieser Verdacht sitzt in uns
seit dem Sündenfall.
Aber die Erfahrung der Heiligen sagt uns etwas anderes. Frei werden wir, wenn
wir Gott und seinem Willen vertrauen und uns ganz von ihm führen lassen. Schauen
Sie einmal Don Bosco an, der fröhliche Heilige mit seiner herrlichen Phantasie
für die Jugend. Kann man sich einen spontaneren, fröhlicheren, freieren Menschen
als Don Bosco vorstellen? Aber woher hatte er diese Freiheit? Eben aus dieser
völligen Ausrichtung auf den Willen des Vaters, weil Gott uns ja an seiner
Freiheit Anteil schenkt. Und seine Freiheit ist unendlich schöpferisch,
erfinderisch. Denken Sie an Franz von Assisi, wie seine Freiheit aus dem
Gehorsam dem Vater gegenüber, aus seiner Liebe zu Christus gekommen ist.
IV.
Nun gilt es aber, eine dritte und letzte Beobachtung zu machen. Wir haben also
die Möglichkeit zu wählen. "Freiheit", so hat es im Katechismus geheißen, "ist
die Macht zu handeln oder nicht zu handeln, und selbständig willentliche
Handlungen zu setzen." Die Möglichkeit heißt auch Möglichkeit zum Guten oder zum
Bösen. Wenn ich in der Früh am Montag ins Büro komme oder zur Arbeit, habe ich
die Möglichkeit, freundlich zu sein oder grantig zu sein. Ich bin frei das zu
tun. Natürlich mag es mir schwerer fallen, am Montag als am Dienstag freundlich
zu sein. Aber niemand zwingt mich dazu, grantig zu sein. Ich kann mich ja auch
selbst überwinden. Sicher ist es besser, wenn ich freundlich bin, für meine
Mitarbeiter und für mich selber, auf jeden Fall sehr viel angenehmer. Nun ist
aber die Wahl nicht einfach die Entscheidung, wie beim Einkaufen, ob ich
Meinl-Kaffee oder Jacobs-Kaffee nehme, ob ich mir einen blauen oder einen grünen
Pullover kaufe. Die Wahl, ob ich grantig oder freundlich bin, ist andrer Art.
Ich bin zwar frei zu wählen, ob ich grantig bin oder freundlich bin, aber bei
Gut und Bös sind die beiden Möglichkeiten nicht einfach gleichwertig und sie
sind für die Freiheit nicht gleich gültig.
Im Katechismus heißt es 1733: "Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man.
Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Die
Entscheidung zum Ungehorsam und zum Bösen ist ein Missbrauch der Freiheit und
macht zum Sklaven der Sünde." Hier wird ganz deutlich gesagt, dass die Freiheit
in der Schwebe ist, wenn es sich um gleichwertige Dinge handelt, diese oder jene
Marke einzukaufen. Aber die Freiheit ist nicht in der Schwebe zwischen Gut und
Böse. Böse Entscheidungen liegen in meiner Freiheit, aber ich werde unfrei durch
eine solche freie Entscheidung. Sie schädigen die anderen und mich selbst und
sie beschädigen meine Freiheit. Anders gesagt nur in der Wahl des Guten bin ich
auf dem Weg der Freiheit. In der Wahl des Bösen habe ich mich bereits freiwillig
auf den Weg der Unfreiheit begeben.
Ich möchte das mit einer Testfrage erläutern: Sind wir im Himmel frei? Im Himmel
sind wir glücklich, und ich hoffe, dass wir alle in den Himmel kommen. Ich bete
darum und ich bitte auch, dass wir für einander beten und für alle Menschen,
dass alle in den Himmel kommen. Bin ich im Himmel noch frei, Böses zu tun? Habe
ich noch die Wahlfreiheit zwischen Gut und Bös? Im Himmel bin ich sozusagen
fixiert im Guten, weil ich Gott schaue. Dann gibt es kein Wanken, kein Abweichen
vom Guten. Ich schaue Gott. Wir werden "Gott schauen wie er ist" und "ihm
ähnlich sein" auf ewig, heißt es bei Johannes (1 Joh 3,2). Werde ich deshalb
unfrei sein? Bin ich unfrei, wenn ich für immer, in der Ewigkeit im Guten bin?
Wir können uns ja nicht mehr gegen Gott entscheiden, wenn wir im Himmel sind.
Was sagt der Katechismus dazu, 1732: "Solange die Freiheit nicht endgültig an
Gott, ihr höchstes Gut, gebunden ist, liegt in ihr die Möglichkeit, zwischen Gut
und Böse zu wählen, also entweder an Vollkommenheit zu wachsen oder zu versagen
und zu sündigen." Die Wahlfreiheit ist noch nicht die endgültige Freiheit.
Solange ich noch abrutschen kann in die Wahl des Bösen, bin ich noch nicht
gesichert im Guten. Solange ich nicht endgültig in Gott vor Anker gegangen bin,
ist meine Freiheit noch nicht vollkommen. Denn solange ich auch das Böse wählen
kann, bin ich bedroht und diese Bedrohung sitzt in uns allen.
Aber wie ist denn das mit der menschlichen Treue? Ist menschliche Treue
Unfreiheit? Wenn ein Ehepaar auf fünfzig Jahre der Ehe zurück blicken kann,
goldene Hochzeit feiert, wie ist das für ein Ehepaar nach fünfzig Jahren der
Treue? Sind sie unfrei, weil sie treu geblieben sind? Aber sie wollen ja treu
bleiben. Es ist ja ihr Glück, dass sie treu bleiben konnten mit Gottes Hilfe und
mit gegenseitiger Hilfe. Es ist ihr Glück, dass sie nicht die Untreue ins Auge
gefasst haben, dass sie nicht in die Untreue geraten sind. Wenn man sie fragt
nach fünfzig Jahren: Würdet ihr heute noch einmal ja sagen? Dann werden sie ohne
zu zögern ja sagen und sagen, es ist mein Glück, mit dir fünfzig Jahre der
treuen Ehe gelebt zu haben. Sind sie dadurch unfrei, dass sie fünfzig Jahre treu
waren? Oder anders gefragt, sind die, die vielleicht durch momentanes Versagen
den Weg der Untreue gegangen sind, dadurch freier geworden? Es stimmt schon, wir
sind frei zur Sünde, aber die Sünde macht uns nicht frei, das war die
Versprechung der Schlange, und sie hat uns belogen. Deshalb bedarf unsere
Freiheit so sehr der Hilfe, damit sie sich verwirklichen kann in der Wahl des
Guten und damit glücklich wird, denn unsere Freiheit ist ja so ungefestigt und
gefährdet und ohne die Hilfe anderer, ohne die Hilfe Gottes sind wir hilflos den
Gefährdungen unserer Freiheit ausgesetzt.
Deshalb noch einmal der Katechismus,
1742: "Die Gnade Christi beeinträchtigt unsere Freiheit keineswegs, falls diese
dem Sinn für das Wahre und Gute entspricht, den Gott in das Herz des Menschen
gelegt hat. Die christliche Erfahrung bezeugt uns vor allem im Gebet das
Gegenteil: Unsere innere Freiheit und unsere Standhaftigkeit in Prüfungen sowie
gegenüber dem Druck und den Zwängen der äußeren Welt nehmen in dem Maß zu, in
dem wir den Anregungen der Gnade folgen." Wir werden durch die Treue zu Gott
stärker im Guten. Die Gnade Christi will uns bestärken in unserer Freiheit und
uns bewahren vor den Gefährdungen unserer Freiheit. Deshalb glauben wir, dass
wir den Weg der Freiheit wirklich nur gehen können, wenn Christus uns bei der
Hand nimmt. Zur Freiheit hat uns Christus berufen. Er hat uns frei gemacht.
Mein früherer Vorgesetzter, jetzt Bischof von Graz, damals Studentenpfarrer in
Graz und ich sein Kaplan, pflegte ein Gebet zu beten vom hl. Augustinus: "Herr,
rette mich vor mir selbst!" Wir können auch, und damit schließen wir, das Gebet,
das ich am Anfang gesprochen habe noch einmal beten: Allmächtiger und
barmherziger Gott, halte von uns fern, was uns gefährdet und nimm weg, was uns
an Leib und Seele bedrückt, damit wir mit freien Herzen deinen Willen tun. Darum
bitten wir dich durch Christus unsern Herrn.
Amen.
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