Religiöses, Kochrezepte, Infos & Fun   www.kirchenweb.at

Benutzerdefinierte Suche

O Maria hilf. Vom Sinn der Marienverehrung - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
.

 

Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 2000/2001
5
. Jahresreihe - 9. Katechese, 27.05.01

"O Maria hilf!"
Vom Sinn der Marienverehrung

"O Maria hilf!" - Vom Sinn der Marienverehrung

Regina coeli, laetare, alleluia; / Quia quem meruisti portare, alleluia; / Resurrexit sicut dixit, alleluia; / Ora pro nobis Deum, alleluia. [O Himmelskönigin, frohlocke, Halleluja; / Denn er, den du zu tragen würdig warst, Halleluja; / Ist erstanden, wie er gesagt hat, Halleluja; / Bitt Gott für uns Maria, Halleluja.]

I.
Am 13. Mai 1981 um 17.19 Uhr auf dem Petersplatz, die Schüsse auf Papst Johannes Paul II. Es ist jetzt vierzehn Tage her, dass wir uns daran erinnert haben, an dieses Ereignis vor genau 20 Jahren. Die Neun-Millimeter-Kugel, von einem hervorragenden Schützen abgeschossen, von Ali Agca - er wurde am 13. Juni des vergangenen Jahres vom italienischen Präsidenten begnadigt, zur Freude des Papstes, der das schon seit längerem erbeten hatte -, die Kugel traf den Papst im Unterleib und sollte ein inneres Verbluten in kurzer Zeit bewirken. Die Chirurgen von der Gemelli-Klinik, die stundenlang den Papst operiert, um sein Leben gerungen haben, das nur an einem Faden hing, stellten fest, dass die Kugel wenige Millimeter vor der Arterie abgewichen war und so keines der lebenswichtigen Nervenzentren getroffen hat. Später hat der Papst dieses Ereignis so ausgedrückt: "Eine Hand hat abgedrückt, eine andere Hand hat die Kugel geleitet."

Es war der 13. Mai, der Tag der ersten Erscheinung von Fatima. Der Papst hat selber gesagt, dass ihm damals die Bedeutung von Fatima noch nicht so bewusst war, aber er ließ sich, sobald er konnte, die Unterlagen über die Ereignisse von Fatima in die Gemelli-Klinik bringen, darunter auch den Text des so genannten dritten Geheimnisses, das er gelesen hat und dann wieder in das Archiv zurückbringen ließ, wo es bis zum 13. Mai des Jahres 2000 verwahrt blieb, als überraschenderweise der Papst bzw. sein Staatssekretär in Fatima bekannt gab, was der wesentliche Inhalt dieses dritten Geheimnisses ist. Kurz darauf folgte die Veröffentlichung des dritten Geheimnisses mit einem erläuternden Kommentar von Kardinal Ratzinger. Seit diesem 13. Mai 1981 ist die Verehrung, die Liebe des Papstes zur Muttergottes von Fatima unübersehbar geworden. Ich erinnere nur an drei Daten. (1) Genau ein Jahr nach dem Attentat hat er eine Dankwallfahrt unternommen nach Fatima. (2) Im Jahr 1984 hat er, wohl in einer spontanen Geste, dem Bischof von Fatima eine kleine Schatulle überreicht, darin war die Kugel, die ihn getroffen hatte. Diese Kugel wurde in die Krone der Muttergottes-Statue von Fatima eingefügt. (3) Schließlich noch eine Geste: Im Heiligen Jahr, am 13. Mai letzten Jahres, als er Fatima wieder besuchte, da schenkte der Papst den Ring, den Bischofsring, den ihm Kardinal Wischinski geschenkt hatte, als er Papst wurde und auf dem die Worte "Totus tuus", sein Motto, eingraviert sind, der Muttergottes von Fatima.

Warum erzähle ich das alles? Es geht um "Maria-Hilf"-Erfahrungen, so könnte man es nennen, Erfahrungen, die sehr konkret sind, Erfahrungen, die offensichtlich nicht isoliert dastehen und die es in der langen Geschichte des Christentums in vielfältigster Weise gibt, Erfahrungen, dass Maria hilft. Nicht umsonst haben wir eine Mariahilferstraße, die nur so heißt, weil es eine Mariahilferkirche gibt. Weil Menschen seit Jahrhunderten die Erfahrung machen, dass Maria sich als Mutter zeigt, als Helferin in allen Nöten. 

Wenn ich noch einmal zurückkomme auf den 13. Mai 1981. Der Sekretär des Heiligen Vaters hat heuer am 13. Mai in Lublin in einem ausführlichen Zeugnis seine Erinnerungen an dieses Geschehen vor zwanzig Jahren vorgetragen und manches auch festgehalten. An diesem 13. Mai 1981 hatte der Papst, zum Beispiel, die Gründungsurkunde unterschrieben für ein Institut, das ihm ganz besonders am Herzen lag und bis heute liegt, das Institut über Ehe und Familie, das seinen Namen trägt, das Giovanni Paolo II. - Institut für Studien über Ehe und Familie, an diesem Tag. Familie, das große Thema in seinem Pontifikat, das Wort, das er so oft wiederholt hat: Die Zukunft der Menschheit geht über die Familie. An diesem selben 13. Mai 1981 hat der Papst auch eine andere Gründungsurkunde unterschrieben. Er hat die Päpstliche Akademie für das Leben gegründet, eine Akademie, deren ausdrücklicher wissenschaftlicher, medizinischer, biologischer, juridischer, theologischer Auftrag es ist, die Fragen, die mit dem Leben zu tun haben, zu studieren. Er hat zum ersten Präsidenten dieser Akademie den berühmten französischen Forscher Jéròme Lejeune ernannt, der die Trisomie entdeckt hat, die Ursache der Trisomie genauer, des volkstümlich Mongolismus genannten genetischen Defekts. Jéròme Lejeune war auch an diesem 13. Mai sein Gast zum Mittagessen, dieser große Verteidiger des Lebens, besonders des behinderten Lebens, dem der Papst bis zu seinem Tod, er ist an Krebs gestorben, eine innige Freundschaft bewahrt hat. Eben an diesem 13. Mai 1981 sollte am Abend in Rom eine große Demonstration stattfinden, organisiert von der Kommunistischen Partei, für die Freigabe der Abtreibung. Als die Nachricht vom Attentat auf den Papst sich verbreitete, haben die Organisatoren diese Demonstration abgesagt. Eigenartig, dieses Ineinander einer Kultur des Lebens und einer Kultur des Todes, wie sie an einem Tag miteinander im Kampf liegen.

"Maria-Hilf-Erfahrungen" möchte ich es nennen. Versuchen wir tiefer einzudringen: Was ist es um die Marienverehrung? Was ist der Grund, Maria zu verehren? Sicher diese Erfahrungen, die es offensichtlich in allen Generationen gibt. Aber was ist die Berechtigung der Marienverehrung und wo sind ihre Grenzen? Wie unterscheidet man Fehlformen von Marienverehrung von richtigen, sagen wir gesunden Formen der Marienverehrung?
Noch einmal der 13. Mai 1981. Als der Papst von der Kugel getroffen zusammensank, soll er auf polnisch, in seiner Muttersprache, gemurmelt haben: "Maria, meine Mutter, meine Mutter!" Totus tuus, dieser Wappenspruch des Papstes bezeugt, dass es nicht erst der 13. Mai 1981 war, der in ihm eine besondere Vertrautheit mit Maria ausgelöst hat. Von da an ist das Thema der Dankbarkeit noch stärker geworden und immer wieder klingt es an, diese tiefe Dankbarkeit für die erfahrene Hilfe. Aber im Leben des Papstes spielt die Marienverehrung offensichtlich schon viel früher eine Rolle. Er hat seine Mutter mit neun Jahren verloren, den einzigen Bruder als er zwölf Jahre alt war. Der Vater starb, als Karol Woyti"a zwanzig war. Er sagt selber, dass ihm Maria früh zur Mutter geworden ist. Die Marienverehrung seines polnischen Volkes hat zweifellos eine große Rolle gespielt. Aber sie hat bei ihm auch eine ganz persönliche Note. Geprägt von den großen Wallfahrten von Jasna Gora, von den Wallfahrten nach Tschenstochau, wie er selber dort gesagt hat: "Wie oft habe ich hier das Totus tuus gesprochen, ganz dein." Aus dem Leben des Papstes spricht diese tiefe Dankbarkeit und ein starkes, unsentimentales Vertrauen in Maria.

Ich durfte dabei sein am 8. Oktober des letzten Jahres, als der Papst zum Jubiläum der Bischöfe eingeladen hatte. Wir waren etwa 1.500 Bischöfe aus der ganzen Welt. Am Höhepunkt dieser Wallfahrt der Bischöfe zum Heiligen Jahr hat er vor der Statue der Muttergottes von Fatima dieses lange Gebet gesprochen, dass er genannt hat: "Affidamento" des dritten Jahrtausends an Maria, das Anvertrauen des neuen Jahrtausends an Maria. Vielleicht erinnern Sie sich, wir haben am 8. Dezember dann auch bei uns in der Diözese an vielen Orten uns dieses Gebet zu eigen gemacht.

II.
Genug des Beispiels, es könnten sicher viele, viele andere Beispiele genannt werden, Erfahrungen, Maria-Hilf-Erfahrungen, die wir selber gemacht haben, von denen wir gehört haben, die uns bezeugt sind aus der Geschichte und aus der Gegenwart. Aber noch einmal die Frage: Warum? Warum diese besondere Verehrung Mariens? Ich möchte mit der Frage beginnen, die sicher die schwierigste, auch die wichtigste ist, wenn wir Einwände gegen die Marienverehrung hören, aber auch wenn es um die Frage geht, zu unterscheiden, was ist verfehlt, Fehlform, was ist in der richtigen Linie, in der Linie des Evangeliums. 

Ich möchte mit der Frage beginnen: Ist Marienverehrung nicht ein Gegensatz zur Christusverehrung, zur Gottesverehrung? Schiebt sich nicht vielfach die Marienverehrung wie ein Filter, wie ein Paravent vor die eigentliche uns vom Glauben her aufgetragene Verehrung Gottes, Verehrung Christi? Der Katechismus sagt ganz nüchtern, Nr. 487: "Was der katholische Glaube von Maria glaubt und lehrt, gründet auf dem Glauben an Christus." Er fügt aber hinzu: "Es erhellt aber auch den Glauben an Christus." Was wir von Maria glauben gründet auf dem Glauben an Christus, es macht ihn aber auch deutlicher. Die Rolle Mariens ergibt sich ganz aus der Rolle Christi. Sie macht uns aber auch die Rolle Christi deutlicher. Alles hängt daran, wie wir Christus sehen. Wenn Jesus ein besonderer Mensch ist, ein Prophet, dann ist Maria, seine Mutter, die Mutter eines besonderen Menschen. Es gibt viele Mütter von vielen besonderen Menschen in der Menschheitsgeschichte. Das würde nicht rechtfertigen, ihr eine besondere Bedeutung zuzusprechen. Wenn er der Sohn Gottes ist, der Messias Israels, dann ist sie wirklich "Mutter Gottes" in dem Sinn, wie es die Kirche versteht, dass sie die Mutter des Mensch gewordenen Gottessohnes ist. Dann ist aber Marienverehrung untrennbar von der Christusverehrung. Aber genau hier setzt ja die Kritik an, manchmal auch das Unbehagen gegenüber der katholischen und auch der ostkirchlichen, der orthodoxen Marienverehrung. Wird sie nicht doch heimlich als Göttin auf einen Thron, auf den Altar emporgehoben, irgendwo Christus gleich gestellt, ja Gott gleich gestellt? 

Wenn man in einem islamischen Land das Wort "Gottesmutter" hört oder liest, geschrieben sieht, dann erschrickt man, denn für Muslime ist das wohl eines der blasphemischsten Wörter, die man sich ausdenken kann. Wie kann man sagen: Ein Mensch ist Gottes Mutter? Hat hier nicht eine Vergöttlichung Mariens stattgefunden? Sie kennen die Vorwürfe, die man vielfältig lesen kann oder die Enthüllungen, die immer wieder geboten werden, wenn man glaubt zeigen zu können, dass die Marienverehrung im Grunde die Verehrung der großen Muttergottheiten der antiken Religionen aufgreift und sie gewissermaßen tauft. Isis und Osiris in der ägyptischen Religion immer wieder dargestellt, die Göttin mit dem Kind, Vorbild für Maria mit dem Kind, so wird gerne gesagt. Die große Artemis von Ephesus, die Göttin der Fruchtbarkeit, Paulus hat mit den Silberschmieden von Ephesus einige Konflikte, weil er ihnen das Geschäft gefährdet mit seiner Kritik an den Götzen. So kommt es zu diesem dramatischen Aufstand der Silberschmiede von Ephesus (Apg 19,21-40), die wohl aufgestachelt im Stadium von Ephesus lange schreien: "Groß ist die Artemis von Ephesus!" (Apg 19,28). Wenn wir dann sehen, dass es in diesem Ephesus ist, wo im Jahr 431, also nicht ganz vierhundert Jahre später das Konzil von Ephesus Maria zur Gottesmutter erklärt, ist da nicht der Verdacht nahe liegend, dass diese Bezeichnung Mariens als Gottesmutter eben doch eine Taufe der heidnischen Muttergottheiten ist? Waren nicht manche unserer uralten Marienheiligtümer ursprünglich heidnische Kultorte, die auf diese Weise verchristlicht wurden? Diese Sicht ist aufs erste sehr bestechend und sie wird auch oft mit Emphase, mit Überzeugung vorgetragen. War das nicht im Grunde eine geschickte Politik des Christentums, dass man einfach die Götter verchristlicht hat, indem man ihnen Heilige "übergestülpt" hat? 

Vom reinen äußeren Erscheinungsbild her ist das zweifellos nahe liegend. Aber wenn man näher fragt: Warum konnte man das? Warum konnte man an alten heidnischen Kultorten eben Marienheiligtümer oder andere Heiligtümer errichten? So muss man doch wohl tiefer fragen: Hier muss es ja auch Erfahrungen gegeben haben, dass hier Heil erfahren wurde, Maria-Hilf-Erfahrungen. Ich denke an das wunderschön renovierte Marienheiligtum in Kleinmariazell. Wahrscheinlich war es ein heidnischer Kultort. Aber dass an dieser Stelle Versöhnung erfahren worden ist von den beiden zur Todfeindschaft zerstrittenen Brüdern, die sich dort, über diesem Quellheiligtum die Hand der Versöhnung gereicht haben, war das nicht Heilserfahrung Mariens, die dazu geführt hat, dass dort Maria als die Helfende erfahren und verehrt wird? Zumindest müsste man diese Sichtweise auch ins Spiel bringen, wenn man diese "Christianisierung" heidnischer Vorbilder oder Vorläufer anspricht. 

III.
Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Was ist der Glaubenshintergrund für die erfahrene Nähe Mariens? Etwas, was offensichtlich immer wieder Anstoß erregt, ist die Bezeichnung Mariens als Mittlerin, Helferin, als eine, die Gnaden schenkt, als eine, die Heil vermittelt. Gehört das nicht Christus alleine? Sagt nicht Paulus: Er ist "der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen" (1 Tim 2,5)? Hat sich da nicht etwas Fremdes herein geschoben, was eigentlich in unserem christlichen Glauben keinen Platz hat? Umfassender ist die Frage: Hat Maria wirklich mitgewirkt an unserem Heil? Haben die Heiligen mitgewirkt an unserem Heil? Können wir mitwirken am Heil der anderen? Oder wirkt Gott sein Werk gewissermaßen ganz alleine und wenn es Werkzeuge gibt, dann nur ganz passive, die nicht selber mitwirken, sondern die gewissermaßen nur Kanäle sind? War Maria ein passives Werkzeug oder gibt es so etwas wie eine aktive Mitwirkung Mariens am Heil, so dass wir zu recht sagen können, wir erfahren von ihr Hilfe?

Zwei Überzeugungen stehen hinter dieser selbstverständlichen und immer gelebten Überzeugung des Glaubens der Kirche, dass Maria Helferin, Mittlerin ist: erstens dass wir, Geschöpfe Gottes, die wir sind, wirklich am Werk Gottes mitwirken können und zweitens dass das Maria in einzigartiger und in unvergleichlich hervorragender Weise getan hat. Ich muss Sie jetzt mit einem Text konfrontieren, der etwas schwierig ist, aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil, aus der Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium, deren achtes Kapitel über Maria handelt, Maria im Heilsplan Gottes, Maria und ihr Platz in der Kirche. In diesem sehr dichten Text ist genau diese Frage aufgegriffen: Können wir Maria wirklich Mittlerin nennen? Dort heißt es in der Nummer 60: " Ein einziger ist unser Mittler nach dem Wort des Apostels [Paulus, der sagt]: 'Es gibt nämlich nur einen Gott und nur einer ist Mittler Gottes und der Menschen, der Menschen Christus Jesus ...' (1 Tim 2, 5-6)." Dann fügt das Konzil hinzu: "Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen verdunkelt oder mindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft." - Maria ist nicht ein Paravent, nicht ein Schirm, der Christus verdeckt, sondern sie zeigt die Wirkkraft Christi. - "Jeglicher heilsame Einfluss der seligen Jungfrau auf die Menschen kommt nämlich ... aus dem Wohlgefallen Gottes und fließt aus dem Überfluss der Verdienste Christi." - Stoßen wir uns nicht an der etwas hoch theologischen Sprache. - Marias Dienst "stützt sich auf seine Mittlerschaft, hängt von ihr vollständig ab und schöpft aus ihr seine ganze Wirkkraft." Unsere "Vereinigung mit Christus", erklärt dann das Konzil weiter, "wird [durch die Liebe zu Maria] in keiner Weise gehindert, sondern vielmehr gefördert."

Der Papst hat unter dem Kreuz das M, das Zeichen Mariens und darunter das Totus tuus. Immer wieder die Frage: Kann man sagen Totus tuus Maria gegenüber, ist das nicht ein Hindernis Christus gegenüber? Der Papst hat das immer wieder gezeigt, dass das genau nicht der Fall ist. 

Aber gehen wir noch einen Schritt weiter. Ich bitte um Nachsicht, wenn es etwas schwieriger wird, aber ich glaube, hier geht es um eine ganz zentrale Frage unseres Glaubens. In der Nummer 62 von Lumen Gentium, der Kirchenkonstitution des II. Vaticanums, heißt es, Maria werde "in der Kirche unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin angerufen." Es gibt nicht wenige Leute, die meinen, es wäre an der Zeit, dass die Kirche als Dogma verkündet, dass Maria Mittlerin aller Gnaden ist. Das wird der Papst immer wieder gebeten zu tun. Ich lasse diese Frage hier ganz beiseite. Aber das Konzil sagt tatsächlich, sie wird Mittlerin genannt. Wie ist das zu verstehen? "Das ist so zu verstehen", sagt das Konzil, "dass es der Würde und Wirkkraft Christi, des einzigen Mittlers, nichts abträgt und nichts hinzufügt" - nichts abträgt und nichts hinzufügt.

Jetzt kommt eine, wie mir scheint ganz gewichtige Erklärung: "Kein Geschöpf", sagt das Konzil, "kann mit dem Mensch gewordenen Wort und Erlöser jemals in einer Reihe aufgezählt werden", selbst Maria nicht, auch sie steht nicht einfach auf der Ebene Christi. Sie kann nicht mit ihm einfach gleichgestellt werden. Dafür gibt das Konzil zwei Beispiele. Das erste: "Wie vielmehr am Priestertum Christi in verschiedener Weise einerseits die Amtspriester, anderseits das gläubige Volk teilnehmen", so sei es auch mit Maria im Verhältnis zu Christus (Lumen Gentium 62). Ich versuche das kurz zu erklären. Wir glauben, dass es eigentlich nur einen Priester gibt. Der Hebräerbrief sagt es ganz ausdrücklich: Es gibt nur einen Priester im Neuen Bund, Jesus Christus (Hebr 8,1). Warum nennen sich dann einige Priester, sogar Bischöfe und Kardinäle? Warum werden alle Getauften Priester genannt, nach dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften? Das Konzil sagt, es gibt eine Teilnahme an dem einen Priestertum Christi (Lumen Gentium 10). Wir bekennen, dass es wirklich nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen gibt, aber dass wir mitwirken dürfen, weil Christus uns dazu gerufen hat. Das Konzil nennt ein zweites Beispiel: "Die eine Gutheit Gottes ist in verschiedener Weise wirklich auf die Geschöpfe ausgegossen" (Lumen Gentium 62). Wir erinnern uns, als der reiche Jüngling zu Jesus kommt und zu ihm sagt: "Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?", antwortet ihm Jesus etwas brüsk: "Warum nennst du mich gut? Einer allein ist gut, Gott" (Mk 10,17-18). Wir bekennen, dass Gott allein wirklich gut genannt werden kann. Trotzdem, sagt das Konzil, gibt es eine Teilnahme an der Gutheit Gottes in seinen Geschöpfen. Ein gutes Bier an einem heißen Sommertag ist wirklich etwas Gutes. Es nimmt teil an der Gutheit des Schöpfers. Es gibt wirklich Gutheit, wie das Konzil so schön sagt, ausgegossen auf die Geschöpfe. Wenn wir eine gute Tat tun, dann ist das nicht eine Konkurrenz zu Gott, sondern wir dürfen teilhaben an dem, der alleine gut ist.

Das klingt vielleicht aufs erste gesehen sehr theoretisch. Aber es trifft einen Kernpunkt unseres Glaubens. Wir glauben, dass der Mensch Bild Gottes ist, Abbild des lebendigen Gottes. Gott ist einzigartig, unvergleichlich und trotzdem gibt es Gottesbilder. Wir sind Gottes Bild und Gleichnis (Gen 1,26), sagt die Genesis. Das heißt aber auch, dass wir teilnehmen am Wirken Gottes, dass wir mitwirken können an seinem Werk. Es gibt in der Menschheitsgeschichte immer wieder besonders herausragende Mitwirker, Menschen von denen wir in besonderer Weise sagen können, der ist wirklich ein Bild Gottes. Natürlich gilt das von jedem Menschen. Selbst der elendste Mensch ist immer noch in seiner unvergleichlichen Würde als Bild Gottes zu achten. Deshalb sind wir überzeugt, dass jeder Mensch, auch ein Schwerverbrecher zu schonen ist und dass sein Leben heilig ist, weshalb, wie ich glaube, die Todesstrafe letztlich und im tiefsten nicht damit übereinstimmt, dass der Mensch Bild Gottes ist. Aber es gibt Menschen, von denen wir in besonderer Weise sagen können, dass sie das Bild Gottes gewissermaßen sichtbar machen. Wir nennen sie die Heiligen. Wenn wir sagen, der Mensch ist Bild Gottes, dann sagen wir auch, dass damit eine Verantwortung verbunden ist. Das biblische Wort "Bild Gottes" kann auch übersetzt werden "Wesir Gottes", "Sachwalter", "von Gott Beauftragter". Wir haben wirklich Verantwortung, mitzuwirken am Werk Gottes. 

Das führt mich zu einem Kriterium, das wir gleich auch auf die Marienverehrung anwenden können. Die Heiligenverehrung muss sich immer auch ausweisen in einer Heiligen-Nachahmung. Auf dem Konsistorium in Rom in diesen Tagen, wo die Kardinäle mit dem Heiligen Vater versammelt waren, war immer wieder die Rede davon: Es genügt nicht, nur die Heiligen zu verehren, man muss sie auch nachahmen. Nachahmen heißt ganz konkret auch ihre Verantwortung, die sie wahrgenommen haben, nachahmen. Deshalb ist in der Kirche der Maßstab für echte Heiligenverehrung immer auch die Frage der Heiligen-Nachahmung. Das Kriterium der Echtheit der Heiligkeit ist ja auch, ob jemand die Verantwortung als Bild Gottes gelebt hat. Deshalb wird echte Marienverehrung immer auch damit zu tun haben, dass sie Bereitschaft zur Verantwortung mit einschließt. Wenn wir uns erlauben wollen zu fragen, ist denn die Heiligen-, die Marienverehrung des Papstes authentisch, steht es uns nicht zu, darüber zu urteilen, aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Seine Marienverehrung führt ihn nicht weg von den Menschen. Sie führt ihn nicht in ein schrulliges Ghetto, sondern sie schickt ihn hinein in seine unübersehbare Verantwortung für die Menschen. Marienverehrung in besonderer Weise bedeutet ja immer auch Bereitschaft, die Hingabe Mariens nachzuahmen, ihr nachzufolgen. Wenn Maria bei der Hochzeit in Kana zu Jesus sagt: "Sie haben keinen Wein mehr" (Joh 2,3), diese Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse und die Not der Menschen, dann kann Marienverehrung nur heißen und als Kriterium ihrer Echtheit nur haben die Bereitschaft, auch das nachzuahmen, die Aufmerksamkeit Mariens für die Not der Menschen. Wir sehen also, Marienverehrung, die immer auch Nachahmung sein soll, führt nicht von Christus weg und auch nicht von den Menschen weg, sondern sie bringt uns näher zu Christus und näher zu den Menschen.

IV.
Eine Frage möchte ich noch anschneiden: Warum aber hat Maria dann eine so ganz besondere Stellung? Warum ist sie doch unter allen Heiligen, die wir verehren, eben besonders hervorgehoben. Die Antwort ist einfach und aus dem Glauben einleuchtend. Ich möchte die Frage aber doch von einer Erfahrung her angehen, die wir wohl alle kennen. Es gibt Situationen, in denen wir merken: Jetzt bin ich dran! Das ist eine Situation, wo ich mich auf niemand anderen ausreden kann. Ergreife ich die Situation, dann ist es gut, versäume ich die Gelegenheit, dann ist sie nicht nur für mich sondern auch für die anderen vorbei. Es gibt einmalige Situationen, in denen ich und nur ich gefordert bin. Der Stephansturm steht, weil im Jahr 1945 ein Mann einen Moment erkannt hat, ergriffen hat, Hauptmann Klinkicht, der letztes Jahr gestorben ist, sie kennen die Geschichte, der Kommandant der Luftabwehr von Wien, der den Befehl bekommen hat, den Stephansturm zusammenzuschießen und der diesen Befehl verweigert hat auf die Gefahr hin, selber erschossen zu werden, und die Verweigerung dieses Befehles auch an alle Flak-Batterien von Wien weitergegeben hat. Es gibt Momente, wo es ganz und gar auf mein "Ja, jetzt!" ankommt, und wenn ich den Moment versäume, ist er versäumt. - Verzeihen Sie, wenn ich ein so kriegerisches Beispiel nehmen, um die Einmaligkeit der Situation Mariens zu betrachten. - Es gab in der Menschheitsgeschichte einen Moment, wo gewissermaßen alles auf dem Spiel stand, alles in eine Hand gelegt war. Das war die Stunde der Verkündigung. Wenn wir diese Stunde betrachten, wo der Engel Maria die Botschaft bringt: "Du wirst einen Sohn empfangen und sollst ihm den Namen Jesus geben" (Lk 1,31), da lag in dieser Stunde wirklich alles in ihrer Hand, in ihrem Mitwirken, in ihrem Ja oder Nein. Es gibt solche Stunden, es gibt sie auch in unserem eigenen Leben. Manchmal frage ich mich: Wie sieht das in Berufungsgeschichten aus, wenn jemand den Ruf hört nachzufolgen? Es gibt auch die Situation des reichen Jünglings, der in dieser Stunde, in diesem Moment traurig weggeht (Mk 10,17-31). Ich vertraue darauf - ich glaube wir dürfen darauf vertrauen -, dass Gott den reichen Jüngling nicht verstoßen hat. Doch das Nein hat Jesus zu Tränen gebracht, das Nein seines Volkes, das nicht zugestimmt hat (vgl. Mt 23,37). Aber Maria hat ja gesagt. 

Maria hat in der entscheidenden Stunde ja gesagt und in dieser Stunde ist sie für uns alle zur Heilbringerin geworden. Nicht, dass sie das Heil gemacht hätte, das Heil kommt von Gott. Aber sie hat ja gesagt. Ich stelle mir das so vor, dass in diesem Ja Mariens, in dieser einen Stunde so viel liegt, so eine Dichte ist, dass alle Generationen daraus schöpfen, weil diese Stunde so ein Gewicht hatte. Um noch einmal auf den Stephansdom zurückzukommen, natürlich denken wir nicht jedes mal, wenn wir den Turm sehen, an Hauptmann Klinkicht. Aber hätte er damals nicht nein gesagt in der entscheidenden Stunde zu dem Befehl, dann sähen wir ihn nicht - die Tragweite einer Stunde zum Heil, mitwirken an der Stunde Gottes. 

Natürlich müssen wir dazusagen: Maria hat dieses Ja dann auch gelebt im Alltag des Glaubens, in den vielen Stunden, Tagen und Jahren, in denen sie im Glauben diesen Weg gegangen ist. Der hl. Irenäus, ein frühchristlicher Autor aus dem 2. Jahrhundert, sagt einmal: "In ihrem Gehorsam ist sie für sich und für das ganze Menschengeschlecht Ursache des Heils geworden." Nicht, dass sie das Heil gemacht hat, sie hat es uns vermittelt, nicht dass sie die erste Ursache des Heils ist, wohl aber die Mit-Ursache, durch die Gott sein Werk tun konnte. Dieses Jas wegen ist sie die Heilsame für alle Zeiten, seither strömt dieses Übermaß, das aus ihrem Ja kommt, auf alle Generationen über. Wenn man in Lourdes oder in Fatima die zahllosen Menschen sieht, die kommen und Vertrauen haben zu ihr, dann spürt man, welche Kraft in dieser einen entscheidenden Stunde lag.

So möchte ich es zusammenfassen. Sie ist in dieser Stunde, in der sie ja gesagt hat, nicht nur die Mutter des Erlösers geworden sondern auch die Mutter aller, für die er Erlöser ist. Die Mutter aller, für die er Erlöser ist, das heißt die Mutter aller Menschen, weil er für alle Menschen Erlöser ist. Das ist wohl der tiefste Grund, warum Menschen in allen Völkern und zu allen Zeiten so ein Vertrauen zu ihr haben.

 

 



 

 

.
Startseite - www.kirchenweb.at/schoenborn/
.