|
Katechesen
2000/2001
5. Jahresreihe - 7. Katechese, 11.03.01
Zeichen und Wunder Jesu |
I.
Warum diese Katechese über Zeichen und Wunder Jesu? Sollte man nicht einfach glauben, ohne auf Zeichen und Wunder zu warten oder gar zu setzen? "Selig, die glauben ohne zu sehen", sagt Jesus dem Apostel Thomas (Joh 20,29), der sehen und berühren will. Warum also eine Katechese über Zeichen und Wunder? Katechese soll ja den Glauben stärken. Was haben Zeichen und Wunder mit dem Glauben zu tun? Ich werde im Folgenden daran erinnern, dass Wunder den Glauben nicht ersetzen. Aber sie können ihn stärken. Wunder können den Glauben nicht produzieren, hervorbringen. Aber wenn er da ist, können sie ihn vertiefen.
Ein weiterer Grund, warum mir diese Katechese, dieses Thema wichtig ist: Es schmerzt mich immer wieder zu erfahren und auch zu lesen, dass zum Beispiel im Religionsunterricht, in theologischen Schriften die Wunder und die Wunderfrage recht rationalistisch behandelt werden. Nehmen sie's mir nicht übel, wenn ich ein Beispiel erzähle. Es wurde schon in der Aufklärungszeit gebraucht und ist auch heute immer wieder zu finden. Wenn etwa erklärt wird, dass das Wunder der Brotvermehrung, wo Jesus 5000 Menschen an einem einsamen Ort gespeist hat mit fünf Broten und zwei Fischen, wenn dieses Wunder etwa so erklärt wird, dass Jesu Predigt die Menschen so berührt hat, dass sie plötzlich angefangen haben, nicht nur an sich selber und ihren Hunger zu denken, sondern auch an den Nächsten und sich daran erinnert haben, dass sie ja eigentlich alle Jausenpakete dabei hatten, sie ausgepackt haben und geteilt haben. Siehe da, es hat für alle gereicht. Hinter solchen aufklärerischen weg-Erklärungen von Wundern und Zeichen Jesu steht oft eine viel grundsätzlichere Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie ein Eingreifen Gottes in der Geschichte, in unserm Leben? Oder läuft nicht doch alles nach den ehernen Gesetzen der Natur und vielleicht auch der Geschichte ab, ohne dass Gott direkt eingriffe?
Irgendwie geht es in der Frage des Wunders immer auch um den übernatürlichen Charakter unseres Glaubens. Wenn ich Jesus keine Zeichen und Wunder zutraue, wenn ich sie in Frage stelle, wie soll ich dann glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der ewige, von Gott gesandte, Mensch gewordene, durch den Heiligen Geist von Maria der Jungfrau empfangene und geborene, der schließlich von den Toten auferstanden ist? Es ist nur zu konsequent, wenn immer wieder beides zusammen geleugnet wird, dass es wirklich Zeichen und Wunder Jesu gibt und dass er der Sohn Gottes ist. Ein Beispiel, das sich wohl tief eingenistet hat auch in unserm theologischen Unterricht. - Ich wage es kaum zu sagen, nachdem ich gehört habe, dass ein ganz berühmter Exegeseprofessor unter uns ist, Prof. Gnilka. Ich begrüße ihn, weiß nicht wo er ist. Ich schätze ihn sehr und seine Kommentare und freue mich, dass er unter uns ist. Wir durften einige Jahre zusammen in der Internationalen Theologenkommission sein. - Ich nenne dieses Beispiel dennoch, auch wenn es vielfach heute in der exegetischen Literatur als Selbstverständlichkeit gilt. In den drei so genannten synoptischen Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas, gibt es die Endzeitrede Jesu. Kurz vor seiner Passion, seinem Leiden in Jerusalem, spricht Jesus von den Dingen, die da kommen werden in der Endzeit, unter anderem auch vom Ende Jerusalems. Nun wissen wir, dass im Jahre 70 n. Chr. die Römer Jerusalem belagert, eingenommen und weitgehend zerstört haben. Der Schluss, der fast wie selbstverständlich daraus gezogen wird, ist: Wenn also von dem Fall Jerusalems die Rede ist in den Evangelien, dann müssen sie nach diesen Ereignissen niedergeschrieben worden sein. Das kann sein. Aber die Frage muss doch auch gestellt werden: Kann Jesus nicht etwas vorausgesagt haben? Kann es sich nicht einfach um Prophetie Jesu handeln?
Zumindest darf dies, auch wenn man wissenschaftlich korrekt sein will, nicht einfach ausgeschlossen werden. Trauen wir Jesus wirklich Übernatürliches zu? Dass er sein Leiden vorausgesagt hat, wie es uns die Evangelien berichten, seine Auferstehung und vielleicht eben auch den Fall Jerusalems?
Es liegt mir also daran, das Thema Zeichen und Wunder Jesu als Katechese zu behandeln, das heißt als eine Stärkung unseres Glaubens. Das ist ja der Sinn der Katechese. Denn Jesu Zeichen und Wunder sind Zeichen von oben, Zeichen, die den übernatürlichen Charakter unseres Glaubens sichtbar machen. Aber wie sollen wir das Thema angehen? Ich glaube, es ist ganz wichtig einige Vorfragen zu klären, denn vieles in dieser Frage spielt sich in den Vorfragen ab. C. S. Lewis, der anglikanische Schriftsteller, dem wir ein wunderbares Buch über das Wunder verdanken, das auch heute noch im Buchhandel zu haben ist, beginnt sein Buch mit einer Anekdote. Er sagt: "Ich bin in meinem ganzen Leben nur einem Menschen begegnet, der behauptete, einen Geist gesehen zu haben. Und das Interessante daran ist, dass dieser Mensch, nachdem er den Geist gesehen hatte, weiterhin ebenso wenig an die Unsterblichkeit der Seele glaubte, wie er es vordem getan hatte. Seiner Aussage nach muss das, was er gesehen hat, eine Illusion oder ein Streich der Nerven gewesen sein, und er könnte damit sogar recht gehabt haben. Sehen ist nicht glauben. Darum kann die Frage, ob Wunder geschehen, niemals einfach durch die Erfahrung beantwortet werden. Man kann es immer auch anders erklären. Deshalb genügt es nicht, auf Wunderberichte zu verweisen, um Wunder zu beweisen. Wir müssen grundsätzlicher fragen." (Wunder. Möglich - wahrscheinlich - undenkbar?, S. 7).
II.
Es gibt einige Fußangeln in der Frage nach dem Wunder, die wir vielleicht zuerst aus dem Weg räumen müssen, damit wir nicht darüber stolpern. Eine solche Fußangel ist zum Beispiel die Aussage: Die Menschen früher hatten ein primitiveres Weltbild als wir, ein vorwissenschaftliches, und sie haben vieles für "Wunder" gehalten, was wir heute ganz natürlich erklären können, durch medizinische Erklärungen, durch natürliche Phänomene, die man damals nicht verstehen konnte. So könnten manche der Wunderheilungen Jesu mit unseren heutigen medizinischen Kenntnissen ganz natürlich erklärt werden. Andere Fußangel: Wenn Wunder geschehen, so sagt man, dann würden sie den Glauben erzwingen. Dann könnte man gar nicht anders. Man könnte der Notwendigkeit zu glauben gar nicht auskommen. Das wäre aber gegen die Freiheit, die Gott dem Menschen gegeben hat. Gott zwingt keinen Menschen zu glauben. Also kann es nicht so sein, dass es Wunder gibt, die als solche eindeutig und beweisbar sind. Eine dritte Fußangel: Die Naturgesetze sind was sie sind. Wieso sollte Gott die Naturgesetze, die er selber seiner Schöpfung gegeben hat, durchbrechen? Das wäre ja ein Widerspruch zu seiner Schöpfungsordnung. Er gibt die Gesetze der Natur, dann durchbricht er sie? Ist das nicht ein Widerspruch? Eine vierte Fußangel, die ganz anders klingt aber auch ein Hindernis sein kann: Ja wenn Gott heute die Wunder wirken würde, die er zur Zeit Jesu gewirkt hat oder in der frühen Zeit der Kirche, dann wären unsere Kirchen voll, dann würden alle Menschen glauben. Versuchen wir ein wenig diese Fußangeln zu beseitigen, damit wir uns dem Thema, der Sache nähern können.
Bevor wir darauf eingehen möchte ich eines klarstellen für mich persönlich. Ich will das niemandem aufnötigen und kann es auch nicht. Ich persönlich glaube, und ich glaube das auch, so scheint mir, mit gutem Grund, dass ich von keinem der Wunder Jesu sagen kann: Das kann nicht so gewesen sein. Ich wage es nicht, von irgendeinem Wunder Jesu zu sagen: Nein, das kann sicher so nicht gewesen sein. Ich hielte das von mir aus gesehen für eine Anmaßung. Aber es sei unbelassen, wenn jemand anderer das anders sieht. Positiv gesagt, ich darf von allen Zeichen und Wundern Jesu mit Ehrfurcht sagen: Warum sollte der Meister das nicht gewirkt haben? Brotvermehrungen ebenso wie die vielen Heilungen, das Gehen auf dem See oder die Auferweckung des Lazarus. Warum sollte der Herr nicht die Herzen der Menschen gekannt haben? Warum sollte er nicht Zukünftiges vorausgesagt haben? Was mich in dieser Überzeugung bestärkt ist eine ganz schlichte Tatsache. Es gibt aus der Geschichte der Kirche für jedes der Wunder und Zeichen Jesu, die in den Evangelien berichtet werden, zahlreiche Analogien, zahlreiche Parallelbeispiele. Wenn man die Heiligsprechungsakten der letzten zwei-, dreihundert Jahre durchsieht, die doch schon sehr streng mit historischer Methode gearbeitet sind, dann kann man für jedes der Wunder Jesu Parallelen in den Lebensgeschichten von Heiligen finden. Das ist kein Beweis. Es ist aber interessant, darauf hinzuweisen. Offensichtlich sind die Wunder Jesu, die das Neue Testament berichtet, nicht etwas Isoliertes.
Dazu kommt ein anderes Faktum. Man wirft dem Heiligen Vater vor, dass er sehr viele Heilig- und Seligsprechungen vorgenommen hat. - Heute war wieder eine Seligsprechung von einer großen Zahl von Märtyrern des spanischen Bürgerkrieges. - Außer bei den Märtyrern bedarf es für jede Selig- und Heiligsprechung eines medizinisch und theologisch approbierten, gutgeheißenen Wunders. Anders gesagt, ohne eine "Unterschrift von oben", "vom Himmel her" gibt es keine Seligsprechung und Heiligsprechung. Und die Prüfungsmethoden sind äußerst rigoros, die theologischen noch strenger als die medizinischen.
Aber, auch das muss vom Anfang an klar sein: Wunder zwingen nicht zum Glauben. Ich werde darauf gleich noch eingehen. Wunder durchbrechen auch nicht die Naturgesetze. Auch darauf werde ich noch eingehen. Und Wunder, das wird der letzte und vielleicht wichtigste Punkt in dieser Katechese sein, Wunder gehören immer in ein bestimmtes Umfeld. Sie sind nicht isolierte Mirakel, irgendwelche seltsame Ereignisse und sie haben nichts mit "Showbuisness" zu tun. Sie sind Zeichen des Glaubens und Zeichen für den Glauben. Ihr "Biotop", ihr Lebensraum ist das Glaubensleben. Dort sind Wunder zu Hause.
III.
Nach dieser Einleitung gehen wir in das Thema hinein. Ich beginne mit der schwierigen Frage: Nötigen Wunder zum Glauben? Immer wieder kann man dieses Argument lesen: Wenn ein Wunder bewiesen wäre als Wunder, dann würde es ja zum Glauben nötigen. Das kann doch nicht sein, das widerspräche dem Glauben. Ich beginne mit einem berühmten Beispiel. Alexis Carrel, ein Arzt, der 1913 den Nobelpreis erhielt, hat im Jahre 1902 in Lourdes eine Heilung erlebt. Er schreibt darüber: "Ich glaube an Wunderheilungen. Nie werde ich den überwältigenden Eindruck vergessen, als ich sah, wie eine große Krebsgeschwulst an der Hand eines Arbeiters vor meinen Augen zu einer kleinen Narbe zusammenschrumpfte. Begreifen kann ich es nicht, aber bezweifeln, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, kann ich ebenso wenig" (Der Mensch, das unbekannte Wesen, S. 314). 1902 erlebt. Alexis Carrel war Agnostiker, war ungläubig. Sie werden erwarten, dass er sofort auf die Knie gefallen ist und sich bekehrt hat. Erst im Jahre 1944, kurz vor seinem Tod, ist er Christ geworden, 42 Jahre später. Wunder zwingen nicht zum Glauben. Ich könnte ein ganz ähnliches Erlebnis aus dem Leben meines Großvaters erzählen, auch in Lourdes. Auch er ist erst am Sterbebett zur Versöhnung mit Gott und der Kirche gekommen.
Das gilt auch umgekehrt. Die, die hoffen, dass alle zum Glauben kämen, wenn sie nur genügend Wunder erleben würden, die täuschen sich. Es gibt eine berühmte Predigt von John Henry Newman. 1830 hielt er, damals noch Anglikaner, eine Predigt über das Thema: "Wunder sind kein Mittel gegen den Unglauben". Newman geht von der Feststellung aus, dass, würden Wunder den Glauben erzwingen, es unbegreiflich wäre, warum das Volk Israel nicht mehr geglaubt hat. Er zitiert aus der Bibel: "Wie lange lästert mich dies Volk, und wie lange wollen sie nicht an mich glauben trotz all der Zeichen, die ich unter ihnen gewirkt habe", heißt es im Buch Numeri (14,11). Trotz der Wunder glauben sie nicht. Und Newman weist in dieser Predigt auf die Stelle im Johannesevangelium hin, wo der Hohepriester zum Hohen Rat sagt: "Was tun wir? Dieser Mann tut viele Wunder. Wenn wir ihn gewähren lassen, werden die Römer kommen und unser Land wegnehmen ... Von dem Tag an beratschlagten sie, wie sie ihn töten können" (Joh 11,47-48.53). Sie sagen also ganz offen: Er tut Wunder. Aber sie glauben nicht. Im Gegenteil, sie hassen ihn. Und Newman sagt: "So schwer glaublich es ist, Wunder bessern die Menschen sicher nicht." - Das sei zum Trost gesagt für alle, die noch keine Wunder erlebt haben. - "Wunder bessern die Menschen nicht, die Geschichte Israels beweist das." Und er fügt hinzu: "Da Israel nicht schlechter, böser ist als die anderen Völker, kann dies nur an der Eigenart der Wunder und nicht an der Bosheit der Juden liegen. Nicht die Israeliten waren so viel hartherziger als andere Völker, sondern", sagt Newman, "eine Religion mit Wundern hat keinen viel größeren Einfluss als andere Religionen." Und Newman schließt daraus: "Das Sehen von Wundern ist also nicht der Weg, auf dem die Menschen zu Glauben und Gehorsam kommen. Auch ist ihr Ausbleiben keine Ausrede für Unglauben und Ungehorsam" (Ausgewählte Werke II,35-37). Hier ist natürlich der "Sitz im Leben" dieser Predigt von John Henry Newman, dessen 200. Geburtstag wir vor kurzem gefeiert haben, am 22. Februar 1801 ist er geboren. Das ist der "Sitz im Leben" dieser Predigt. Manche Gläubige meinen, wenn nur etwas mehr Wunder geschähen, so wie in biblischer Zeit, dann wäre der Glauben viel leichter.
Ich darf noch ein Wort aus dieser so bewegenden Predigt zitieren: "Ich frage: Warum sollte der Anblick eines Wunders euch besser machen, als ihr seid? Zweifelt ihr denn am Dasein und an der Allmacht Gottes? Nein. Seid ihr im Zweifel über das, was ihr tun müsst? Nein. Zweifelt ihr daran, dass zum Beispiel Regen und Sonnenschein von ihm kommen, oder dass das frische Leben jedes Jahres, so wie es kommt, sein Werk ist und dass auf sein Geheiß die Natur ihre ganze Vielgestaltigkeit und Schönheit entfaltet? Das bezweifelt ihr nicht. Auch zweifelt ihr anderseits nicht, dass es eure Pflicht ist, dem zu gehorchen, der die Welt und auch euch geschaffen hat. Und doch, obwohl ihr das alles wisst, findet ihr, ihr könnt euch nicht so weit überwinden, dass ihr das tut, wovon ihr wisst, dass ihr es tun müsst. Wissen braucht ihr nicht, um gehorsam zu werden. Ihr wisst schon genug. Nun, was für eine Wahrheit, die ihr aus den Werken Gottes um euch herum nicht lernt, würde ein Wunder euch denn offenbaren? Was würde es euch über Gott lehren, was ihr nicht schon glaubt, ohne es gesehen zu haben?" (Ebd. S. 38).
Nach diesem, wie man in Wien sagen würde "Abreiberl", nach diesem ernüchternden Wort des großen und hoffentlich bald heilig gesprochenen John Henry Newman können wir uns erneut der Frage zuwenden: Warum dann also Wunder? Zwei Fragen möchte ich jetzt ausdrücklicher angehen, erstens die Frage, die Fußangel: Sind Wunder ein Durchbrechen der Naturgesetze? Und wie ist es mit dem Eingreifen Gottes? Greift Gott in die Welt ein, wenn er ein Wunder wirkt? Der zweite Fragekreis wird sein: Welchen Sinn haben dann die Wunder, wenn sie den Glauben nicht erzwingen, ja nicht einmal hervorbringen, wenn sie auch für unser Heil gar nicht notwendig sind, wenn wir sowieso schon wissen, was wir zu tun haben?
IV.
Also zur ersten Frage: Sind Wunder ein Durchbrechen der Naturgesetze, der Abläufe der Natur? Zuerst eine Vorbemerkung. Naturgesetze gibt es nicht in der Natur. Es gibt sie nur in unseren Köpfen und in unseren Büchern. Naturgesetze sind jene Feststellungen, die wir treffen, wenn wir die Natur beobachten und feststellen, dass es Regelmäßigkeiten in der Natur gibt. Das wird dann formuliert als Naturgesetz wie die Schwerkraft und ähnliches. Gibt es ein Eingreifen Gottes in die Natur, in ihre Abläufe?
Aus unserer freien Entscheidung, aus unserem Geist heraus können wir in den Lauf der Natur eingreifen, wir können neues in die Läufe der Natur einbringen und sie dadurch verändern. C. S. Lewis sagt sehr schön: "Die Natur ist eine vollendete Wirtin. Sie nimmt auf, was man in sie hineinträgt." Wir durchbrechen nicht die Naturgesetze, wenn wir in der Natur handeln. Wenn der Arzt ein Medikament gibt oder einen chirurgischen Eingriff macht, ist das wohl ein Eingreifen, aber er durchbricht keine Naturgesetze, sondern er bringt gewissermaßen ein neues Element, einen neuen Faktor in die Abläufe der Natur. Freilich wissen wir auch, wenn diese Eingriffe nicht naturgemäß sind, wenn sie brutal geschehen, dann sind sie in Gefahr, die Natur zu "vergewaltigen". Dann sagen wir, zu Recht, die Natur "räche sich". Etwas Derartiges erleben wir heute in sehr erschreckender und dramatischer Weise mit all den Konsequenzen in der Tierwelt, die aus einer Vergewaltigung der Natur erwachsen sind. BSE und alle ähnlichen Folgen kommen daher, dass der Mensch eingegriffen hat in einer Weise, die der Natur nicht gemäß ist. Wenn man Hühner in Legeboxen, in Legebatterien hält, wenn man Tiere in untiergemäßer Weise hält, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Natur sich rächt. All das hat seinen Ursprung in der Freiheit des Menschen. Es ist zuerst im menschlichen Geist ausgedacht und dann von menschlichen Händen verwirklicht worden, eingebracht in die Abläufe der Natur.
Auch Gott kann in die Natur eingreifen, freilich mit einem wesentlichen Unterschied zu uns. Wir können die Natur gestalten, verändern, mit ihr arbeiten. Wir können sie vielleicht auch missbrauchen aber immer nur in den Möglichkeiten, die die Natur selber uns bietet. Wir können immer nur im Rahmen des Vorgegebenen handeln. Auch der Künstler kann nur aus dem vorhandenen Material gestalten. Bei Gott ist das anders. Er kann wirklich Neues in die Natur einbringen. Aber bleiben wir zuerst noch beim menschlichen Handeln in der Natur. Wenn der Arzt versucht, eine Krankheit zu heilen, dann kann er nichts anderes tun, als dass er die natürlichen Heilkräfte mobilisiert, durch medizinische, durch therapeutische Maßnahmen, chirurgische Maßnahmen. Aber wenn die Heilkräfte im Körper nicht ausreichen, wenn die Natur es nicht mehr "packt", dann ist auch der Arzt ohnmächtig, dann ist seine Kunst am Ende. Die Gotteskunst ist nicht am Ende. Gott kann in seiner Freiheit einen Faktor in die Natur einführen, den sie von sich aus nicht hat. Weil er der souveräne Schöpfer ist, der alles aus dem Nichts geschaffen hat, kann er auch zum Beispiel in einen kranken Körper gewissermaßen einen Faktor der Reorganisation, der Reinformation einführen, den die Medizin nicht mehr einführen kann. Die Medizin kann nur helfend unterstützen. Gott kann auch neu schaffend eingreifen. Dieser übernatürliche Faktor ist kein Fremdkörper. Das ist nicht ein Einbrechen in die Naturgesetze oder gar ein Durchbrechen der Naturgesetze, sondern, so könnten wir sagen, Gott reinformiert, stellt wieder her, was in seiner Schöpfungsordnung schon da ist. Die Natur ist ein guter Wirt für dieses Wirken Gottes. Sie integriert das ohne weiteres. Was geschieht, wenn ein Körper auf wunderbare Weise geheilt wird? Die Ursache ist übernatürlich, Gottes souveränes, freies, heilendes Handeln, aber die Wirkung ist völlig natürlich. Das geheilte Organ, das vom Krebs befreite Organ, ist wieder ganz natürlich eben dieses geheilte Organ. Im Wunder vergewaltigt Gott nicht die Natur, wie wir es immer wieder tun, sondern er stellt die Natur wieder her, auf übernatürliche Weise stellt er sie in ihrer natürlichen Beschaffenheit wieder her.
Behalten wir diesen übernatürlichen Faktor, wie ich ihn einmal nennen möchte, im Auge oder im Ohr, wenn es um die noch größere Frage geht, was eigentlich geistige Wunder sind. Denn die leiblichen Wunder weisen ja über das Sichtbare hinaus in das Seelisch-Geistige. Es gibt die Wunder der Heilung der Seele, die noch geheimnisvoller und noch größer sind als die Heilung des Körpers. Es gibt das Wunder der Bekehrung, wenn ein Herz umgewandelt wird, wenn etwas, was menschenunmöglich scheint, von Gott geschenkt wird: Die Bekehrung, wie Paulus auf dem Weg nach Damaskus.
V.
So komme ich zur zweiten Frage: Was haben dann Wunder für einen Sinn? Wir haben gesehen, für den Glauben sind sie nicht notwendig, sie können ihn sicher nicht erzwingen, auch nicht bewirken - wozu dann Wunder? Warum hat der Herr so viele Zeichen und Wunder gewirkt? Der hl. Augustinus sagt einmal sehr schön: Auch die Zeichen und Wunder sind eine Sprache. Man muss sie verstehen, man muss sie buchstabieren. Die Zeichen und Wunder Jesu haben eine ganz bestimmte Grammatik. Es ist nicht eine x-beliebige Zeichenschrift. Versuchen wir ein wenig die Zeichensprache Jesu zu entschlüsseln. Ich nenne sieben kurze Punkte zur Grammatik der Zeichen Jesu. Daraus werden wir sehen, was er uns sagen will, was uns Wunder zu sagen haben.
1. Zeichen und Wunder stehen immer in einem religiösen Zusammenhang. Es geht nicht einfach um unerklärliche Phänomene. UFOs betrachten wir normalerweise nicht als Wunder. Ich habe noch kein UFO gesehen, ich kenne UFO-begeisterte Menschen, die fest und steif behaupten, dass sie UFOs gesehen hätten und die dicke Bücher lesen über UFOs. UFOs sind keine Wunder, sie mögen wunderliche Dinge sein. Zeichen und Wunder haben immer mit dem zu tun, was wir von Gott erhoffen, eine erbetene Hilfe, ein erbetenes Zeichen Gottes, ein Ruf um seine Zuwendung und seine Heilung. Deshalb stehen Zeichen und Wunder Jesu immer im Zusammenhang mit dem Glauben. Nicht, dass sie den Glauben machen, sondern sie setzen ihn voraus. "Alles ist dem möglich, der glaubt", sagt Jesus dem Vater, der für sein Kind um Heilung bittet (Mk 9,23). Wo dieser Glaube nicht ist, dort kann Jesus, nicht, weil er nicht die Macht hat, sondern weil nicht der Raum dafür gegeben ist, keine Wunder wirken. In Nazareth, in seiner Heimatstadt, wo er auf so viel Widerspruch und Unglauben stößt, wirkt er keine Wunder (Mk 6,5). Dort, wo man von ihm ein Zeichen fordert, damit er beweist, dass er der Messias ist, lässt er die Menschen stehen und gibt ihnen kein Zeichen (Mk 8,11-13).
2. Zeichen und Wunder stehen nicht nur in einem religiösen Kontext sondern auch immer in einem Lebenskontext. Es geht nicht um theoretische Fragen medizinischer Forschung, was mit einem Karzinom passiert, wenn ein Wunder passiert. Es geht immer um ganz konkrete Not. "Mein Knecht leidet schrecklich" (Mt 8,6); oder die syrophönizische Frau, die hinter Jesus her plärrt, dass er doch ihre Tochter heile (Mk 7,25-26); oder die gekrümmte Frau, die achtzehn Jahre, wie Jesus sagt, vom Satan gefesselt war (Lk 13,11); oder die blutflüssige Frau, die zwölf Jahre vergeblich ihr Geld bei den Ärzten verschwendet hat (Mk 5,25); die große Not der Leprakranken, der Blinden, der Gelähmten; die trostlose Trauer der Mutter von Naïn (Lk 7,11-12), deren einziger Sohn gestorben ist, diese Not ist der Kontext, in dem Jesu Zeichen und Wunder stehen. In diese Not hinein spricht Jesus: "Ich will, sei gesund!" (Mk 1,41).
3. Die Zeichen und Wunder Jesu stehen immer im Zusammenhang mit letzten Sinn- und Glaubensfragen. Menschen, die in die Grenzsituation ihres Lebens gekommen sind, die nicht mehr aus und ein können, deren Bedrängnis so groß ist, dass sie, wie es immer wieder in den Psalmen heißt, zu Gott um Hilfe schreien, Menschen, denen keine Menschen mehr helfen können, in dieser Situation zeigt sich der Herr als der Retter.
4. Ein viertes Kennzeichen der Zeichen und Wunder Jesu: Sie haben einen bestimmten "Stil", einen unverkennbaren, unverwechselbaren Stil. Auch der größte Skeptiker gegenüber Wundern wird bei manchen Wundern sagen, die sind ein bisschen glaubwürdiger, als bei anderen. Der größte Wunder-Fan wird bei manchen Wundern sagen: Das ist nun doch ein bisschen unglaubwürdig. Es gibt so etwas wie Kriterien der Glaubwürdigkeit von Wundern. Die Angemessenheit: Passt das zu Jesus? Wenn zum Beispiel Buben den Jesus-Knaben schlecht behandeln und er zur Strafe sie in Schweine verwandelt? Seien sie beruhigt, das steht nicht im Evangelium, im Neuen Testament, es steht aber in einem apokryphen Evangelium. Wir sagen spontan: Das passt nicht zu Jesus. Oder wenn die Tonfiguren, Vögel, vom Jesuskind verwandelt werden in lebendige Vögel (Kindheitserzählung des Thomas). Das ist ein Schauwunder, das passt nicht zu den Wundern Jesu. Ich gestehe schon, dass ich auch unter den echten Wundern Jesu bei den 2000 Schweinen von Gerasa (Mk 5,11-13) ein bisschen mehr Schwierigkeiten habe als bei der Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52), der uns so zu Herzen geht. Es gibt einen Stil der Wunder Jesu. Die Menschen sagen: Er hat alles gut gemacht. Die Zeichen Jesu sind Verdolmetschung seiner Menschenfreundlichkeit. Sie sind Zeichen, dass Gott ein Freund der Menschen ist, wie Maurice Blondel es einmal gesagt hat: "Sie machen die ungewöhnliche Güte durch ungewöhnliche Zeichen sichtbar."
5. So sehr die Wunder und Zeichen Jesu das Herz ansprechen, eine menschenfreundliche Sprache sprechen, so gehört doch zu ihnen auch, dass sie Widerspruch auslösen, nicht weil Jesus sich in ihnen als gut erweist, sondern weil sie zur Antwort provozieren. Sie sprechen nicht nur an, sie fordern auch heraus, sie stellen einen Anspruch. Die Zeichen und Wunder Jesu sind nicht nur einfach Zusage der Güte Gottes, sondern fordern zur Umkehr auf. Daher begegnen sie Widerspruch. Sie begegnen dem Widerspruch unserer Trägheit, die nicht umkehren will. Denn die Heilungen und Wunder Jesu bezeichnen ja etwas Wichtigeres, die Umkehr des Herzens, die Heilung von unseren Sünden. Die Wunder Jesu wollen unser Leben ändern und dagegen gibt es manchen Widerstand. Ich wundere mich manchmal, mit welcher Leichtigkeit UFOs geglaubt werden und wie schwer man sich tut, die Wunder Jesu zu glauben. Eben wohl deshalb.
6. Die Zeichen und Wunder Jesu erheben einen Anspruch an uns. Sie sprechen nicht nur über etwas sondern von jemandem. Sie sprechen von Ihm. In ihnen spricht nicht nur jemand, sondern schenkt Er auch etwas. In den Zeichen und Wundern zeigt sich Jesus als der Heiland. Er schenkt schon jetzt Heil. Er macht uns heil.
7. Damit bin ich beim letzten Kennzeichen der Zeichen und Wunder Jesu. Sie sind Zeichen der Menschenfreundlichkeit und Güte Gottes. Aber unter allen den Zeichen, die Jesus gesetzt hat, gibt es kein größeres als das Zeichen des Kreuzes. Nirgendwo hat er seine Menschenfreundlichkeit so gezeigt wie in der Hingabe seines Lebens für uns. Deshalb ist das Kreuz das größte Zeichen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen den heilenden Wundern Jesu und der großen Heilung und Versöhnung der Welt durch das Kreuz.
8. Wir sind am Ende der Katechese, aber einen achten Punkt muss ich doch noch nennen, nicht ganz zufällig die Symbolik des achten Tages. Die Wunder Jesu sind immer auch Vorauszeichen der Auferstehung. Wenn er die gebeugte Frau aufrichtet, wenn er den Blinden heilt, dann ist das eine Vorwegnahme von Ostern. Dann geschieht schon Ostern für diese Menschen. Die Zeichen und Wunder Jesu sind Zeichen des Pascha Jesu, seines Kreuzes und seiner Auferstehung. Deshalb wird es in der nächsten Katechese um die Auferstehung Jesu gehen.
Der Herr Dompfarrer feiert jetzt die Eucharistie, das größte Wunder, das größte Zeichen, wo Tod und Auferstehung Jesu gegenwärtig werden. Er feiert diese Hl. Messe an der Stelle von Bischofsvikar Berger, der durch 30 Jahre diese Messe gefeiert hat. Ich bin sicher, in dieser Eucharistie werden die vielen, die jetzt schon da sind im Dom zur Eucharistie, und die noch kommen werden auch im Glauben erfahren, dass der Tod uns nicht trennt und das Toni Berger als der, der er ist und bleibt, vollendet beim Herrn auch in dieser Eucharistie dabei ist. Ich bitte Sie seiner zu gedenken in Dankbarkeit und Fürbitte.
|