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Der Christ und die Politik - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1999/2000
4
. Jahresreihe - 7. Katechese, 19.03.00

Der Christ und die Politik

Der Christ und die Politik

Komm, Heiliger Geist, Geist der Wahrheit, Geist der Liebe. Erleuchte unsere Herzen, lass uns erkennen was gut, was wahr und was richtig ist. Gib uns die Kraft, nicht nur zu erkennen, sondern auch zu tun, was dem Willen des Vaters entspricht. Darum bitten wir Dich, der Du mit dem Vater und mit Christus ein Gott bist, heute und in Ewigkeit. Amen!
Wahrscheinlich gäbe es einfachere Themen für die Katechese als das, was ich für den heutigen zweiten Fastensonntag, der auch der Tag des hl. Josef ist, aus verständlichen Gründen ausgewählt habe. Ich möchte heute über die Frage: "Der Christ und die Politik" nachdenken. Denn die politische Frage ist in unserem Land ganz neu akut geworden, sie ist höchst aktuell und nach einer nicht allzu kurzen, eher langen Periode des Desinteresses an den politischen Fragen sind diese wieder in die Mitte des Interesses gerückt. Überall wird von Politik gesprochen, es ist schon seit Wochen das Thema Nummer eins. Das ist durchaus auch etwas Gutes, denn es geht um das Wohl und Wehe nicht nur des Einzelnen, sondern von uns allen, und daher soll es uns alle interessieren.

Aber wie stellen wir uns zur Frage: "Der Christ und die Politik"? Ich habe kurz nach der Wende, nach der Zeit des Zusammenbruchs des Kommunismus, in einem Studententreffen in Seckau Studenten aus Österreich und aus Osteuropa auf ihr politisches Interesse hin befragt, und habe die Frage gestellt: "Könnte jemand von ihnen sich vorstellen, Politiker zu werden?", was einhellig von den osteuropäischen Studenten mit Entrüstung zurückgewiesen wurde. Politik war durch lange Zeit für Christen unannehmbar, war für Christen etwas, wozu man nur entschieden "Nein" sagen konnte, weil es verbunden war mit dem "Ja" zu einer Ideologie, die zutiefst menschenfeindlich und antichristlich war. Dass aber auf die Dauer ein Land nicht gedeihen kann, wenn Politik einfach als etwas Böses betrachtet wird, das wissen wir nur zu gut. Das Gegenbeispiel zu dieser aus damaliger Sicht verständlichen Abwehrhaltung ist die Tatsache, dass es eine Fülle von heiligen Politikern gibt. Es ist offensichtlich möglich, ein Heiliger zu werden, inmitten des politischen Geschäfts. Unser Landespatron, der hl. Leopold, gehört zu diesen, auch der hl. König Ludwig von Frankreich, dessen Gedächtnis sich so tief eingeprägt hat in die Erinnerung seiner Heimat. Das heilige Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde, die Stifterväter unserer Nachbarländer. Der hl. Stephan, der hl. Wenzel, der hl. Wladimir, wenn wir weiter in den Osten gehen. Oder in den Norden, in die skandinavischen Länder: die heiligen Könige Olaf, Knut und Eric. Nicht alle waren sie Märtyrer, manche waren einfach auch geliebte und heilige Herrscher. Man könnte eine lange Liste von Heiligen oder Heiligmäßigen oder im Verdacht der Heiligkeit gelebt habenden Politiker zusammenstellen. Ein Thomas Morus sei genannt, und auch in unserem Jahrhundert haben sie nie gefehlt, ich nenne nur vier Namen unterschiedlichster Art: Kaiser Karl von Österreich, dessen Seligsprechungsprozess weitgehend abgeschlossen ist. Es gibt auch ein eindeutig bezeugtes und kirchlich anerkanntes Wunder, das auf seine Fürsprache hin geschehen ist.

Die Seligsprechung selbst liegt freilich nicht in unserer Hand, sondern ist eine Entscheidung letztlich des Heiligen Vaters. Hildegard Burjan, die, jüdischer Herkunft, zum Christentum gefunden hat, mit ihrem Mann Alexander, und die dann als erste Frau im neuen österreichischen Parlament nach 1918 eingezogen ist, eine der ersten christlichen Politikerinnen unseres Landes. Ihr Seligsprechungsprozess ist auf diözesaner Ebene abgeschlossen, die Akten liegen in Rom, es fehlt noch das Wunder.

Aber ihre Lebensgeschichte, ihr politisches, ihr soziales Engagement, die Gründung einer Ordensgemeinschaft, die sie als Ehefrau und Mutter realisiert hat, die Gründung der Caritas Sozialis, all das macht Hildegard Burjan zu einer der ganz herausragenden Gestalten, die auch zur Frage Christ und Politik sehr viel zu sagen hat.

Ein weiteres Beispiel: ein evangelischer Christ, Dag Hammerskjöld, der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist und dessen Lebenszeugnis vor allem nach seinem Tod immer deutlicher hervorgetreten ist, als das eines zutiefst christlich engagierten und inspirierten Politikers. Vor allem aber ist es die Gestalt von Robert Schumann, dem Lothringer, in Luxemburg geboren, der in Deutschland ausgebildet, in Frankreich zum Politiker geworden, einer der entscheidenden Väter der europäischen Integration ist. Sein Seligsprechungsprozess ist auf diözesaner Ebene eröffnet, die Zeugnisse über sein Leben sind äußerst beeindruckend. Ich werde heute vor allem auf ihn noch zurückkommen. Christ und Politik, ich durfte persönlich auch Menschen begegnen, die mitten im politischen Leben standen und noch stehen, und von denen man wirklich sagen kann, dass sie "gestandene Christen" sind. Ich möchte aber hier keine Namen nennen, um nicht Heiligsprechungen zu antizipieren. Lassen Sie mich im folgenden zuerst einige geschichtliche Hinweise versuchen, dann auf einige Elemente der Unterscheidung einzugehen versuchen, schließlich möchte ich vor allem auf die Gestalt von Robert Schumann eingehen, um an ihn zu zeigen, was das Miteinander von Christsein und Politikersein bedeuten kann. Was ergibt sich aus christlicher Sicht zum Verhältnis von Reich Gottes und Politik? Jesus beginnt seine Verkündigung mit den Worten: "Das Reich Gottes ist nahe". Heißt das nicht, dass alles Weltliche zu Ende geht, dass die Welt und ihre Gestalt vergehen wird, und damit auch all das, was die Welt so treibt, inklusive der Politik? Sie ist nicht die Verkündigung des Reiches Gottes, vor allem die Erwartung, die Hoffnung auf das Kommen der neuen Welt, der neuen Schöpfung. Hat nicht Jesus gesagt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"? Wenn also sein Reich nahe ist, kommt dann nicht etwas ganz anderes? Ist nicht die Verkündigung Jesu so etwas wie ein Auszug aus allem Weltlichen und Politischen? 

Manche haben es so verstanden, und manche mögen die geheime Offenbarung, die Apokalypse auch ein wenig so verstehen. Ist da nicht die Rede von dem Apokalyptischem Tier, das als eine Symbolisierung, als eine Gestalt des römischen Reiches gesehen wird, als der Inbegriff des Bösen, des Negativen, die Hure Babylon? Ist das nicht ein Bild, das geradezu eine radikale Trennung von allem Weltlichen und damit auch Politischem erfordert? Was soll all das Politische, wenn es doch bald zu Ende sein wird? Freilich, das so zu sehen, wäre sehr einseitig. Es wurde immer wieder vor allem von sektiererischen Gruppen so gesehen, die Realität ist freilich anders und sehr viel differenzierter, denn das Reich Gottes, das Jesus ankündigt, ja, das mit ihm kommt, kommt nicht als Auszug aus der Welt, als radikale Scheidung von einer für böse gehaltenen Welt, sondern es beginnt zuerst einmal mit einer ganz erstaunlichen Unterwerfung unter die bestehenden Machtverhältnisse. Maria, die gesegneten Leibes war, zieht mit Josef nach Bethlehem, um sich eintragen zu lassen in die Steuerlisten, weil Kaiser Augustus sein ganzes Reich, das riesige römische Reich, aufzeichnen lässt, Volkszählung, Steuerlisten, der Kaiser Augustus. Jesus erscheint in der Geschichte mit der Unterordnung unter diese politische Autorität. So wird er sein ganzes irdisches Leben hindurch sein, er ordnet sich unter, er zahlt die Steuern wahrscheinlich schon als Berufstätiger - es gab damals noch keine Mehrwertsteuer, aber er hätte sie sicher auch gezahlt für das, was er an Rechnungen für seine Arbeit als Zimmermann gestellt hat - er zahlt die Tempelsteuer, aber auch die Steuer an den Kaiser, also sozusagen den Kirchenbeitrag und die staatliche Steuer. "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist", ist das berühmte Wort Jesu und "Gebt Gott, was Gottes ist". Das sagt er als Antwort auf die Frage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, und Steuern sind nun einmal der ganz konkrete Ausdruck dafür, dass man sich der staatlichen Autorität fügt. Noch vor Pontius Pilatus sagt Jesus, gar nicht dem Statthalter Roms, des Kaisers, widersprechend: "Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre. Du hast also Macht über mich, aber sie ist dir von oben gegeben."

Jesus erscheint uns ganz und gar nicht als ein Apokalyptiker, als einer, der sozusagen in der unmittelbaren Erwartung des Weltendes alle zum Auszug aus der Welt und ihren Verpflichtungen und Verbindlichkeiten auffordert. Aber was ihn unterscheidet, ist, dass er diesen Gehorsam den Autoritäten gegenüber in souveräner Freiheit ausübt. Jesus unterwirft sich, aber er unterwirft sich in Freiheit, und gerade deswegen wird er gefürchtet. Denn diese Freiheit verwirrt, sie macht auch einen Pontius Pilatus unsicher. Offensichtlich ist Jesus nicht nur dem Staat gegenüber gehorsam, es gibt eine höhere Loyalität, einen höheren Gehorsam, der über dem Kaiser steht, und der für ihn bestimmender ist als das, was der Kaiser gebietet, auch wenn er ihm gehorcht. Das ist der Wille seines Vaters: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, selbstverständlich und ohne Widerspruch. Und gebt Gott, was Gottes ist." Schon Herodes hat ganz zu Beginn, als Jesus noch ein kleines Kind war, wehrlos von armen Eltern geboren, dieses Kind gefürchtet. Weil man sagte, es werde der König der Juden sein.

"Warum fürchtest du das Kommen Christi?" sagt der Hymnus vom Fest der unschuldigen Kinder. "Non eripit mortalia qui regna dat caelestia" heißt es dort. "Er raubt dir nicht das sterbliche Reich, Er, der das himmlische Reich schenkt. Du brauchst ihn nicht zu fürchten, er macht dir deinen Thron nicht streitig, er schenkt ein anderes Reich, das Himmelreich." Da sehen wir schon von Anfang an etwas, was für den christlichen Weg grundlegend ist und bleiben wird, einerseits eine völlige, eine sehr weitgehende Loyalität dem Staat gegenüber - wir werden auf die Grenzen dieser Loyalität noch zurückkommen. Loyalität dem Staat gegenüber, den Herrschern, denen, die Autorität haben, aber diese Autorität ist eine weltliche, sie wird nicht angebetet, sie wird nur anerkannt. In den Märtyrerakten der Märtyrer von Scili in Nord-Afrika aus dem 3. Jahrhundert sagt eine einfache Christin, Donata, vor dem Richter, wo sie angeklagt ist, Christin zu sein - sie wird dann auch als Märtyrerin sterben - : "Ehre dem Kaiser, weil er Kaiser ist, Anbetung nur Gott." Daher auch das selbstverständliche Beten für den Kaiser. Schon im neuen Testament die Aufforderung, für den Kaiser zu beten, also für die, die herrschen, und das wurde zu einer Zeit geschrieben, als Nero Kaiser war: man betet für den Kaiser.

Gerade deshalb werden die Christen auch schon in der Antike geschätzt, weil sie loyal sind, sie wollen ganz bewusst gute und anständige Bürger sein. Aber anderseits werden sie auch eigenartig gefürchtet, weil sie frei sind bis zur Bereitschaft, ihr Leben zu geben für Christus, wenn der Kaiser, wenn der Herrscher sich gegen Gott und seine Ordnung stellt. Es war wohl diese Loyalität der Christen, die Kaiser Konstantin bewogen hat, das Christentum als Religion anzuerkennen, und es ist bis heute noch in manchen Ländern so. Ich denke hier an Länder im Vorderen Orient, wo auch die diktatorischen Regime am ehesten den Christen trauen, weil sie wissen, dass diese sich als loyale Bürger verhalten. Aber anderseits gibt es auch die andere Linie, die des Widerstandes, die der Bereitschaft zum Einspruch, die der Bereitschaft, in diesem Einspruch auch so weit zu gehen, dass man sogar sein Leben riskiert, weil man der Wahrheit, weil man Gott mehr Ehre erweist als dem Kaiser, weil man nur Gott anbetet und keine politische Macht vergöttlicht. Diese Spannung begegnet uns durch die ganze christliche Geschichte in immer wieder neuen Varianten, und ich möchte den einen grundlegenden Text zitieren, den der hl. Paulus der Gemeinde von Rom geschrieben hat, in einer Zeit, in der auch schon in Rom die Frage der Loyalität, des Gehorsams für die Christen zu einer durchaus schwierigen Frage werden konnte.

Im 13. Kapitel im Römerbrief lesen wir: "Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen." Denken wir, das ist zur Zeit des Kaisers Claudius etwa geschrieben, bald wird es die Neronische Verfolgung geben. "Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten" sagt Paulus weiter. "Willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so dass du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre." Kein ganz bequemer Text (Römer 13,1-7), dieser Text hat für die Männer des 20. Juli 1944 eine entscheidende Rolle gespielt. Sie haben mit diesem Text gerungen: Ist es erlaubt, gegen den Tyrannen, gegen Hitler Widerstand zu leisten, ja sogar bis zum Tyrannen-Mord zu gehen, wenn man diesen Text als verbindlich ansieht? Wie weit geht die Gehorsamspflicht, und wann tritt die Widerstandspflicht in den Vordergrund, gegen eine ungerechte Autorität, gegen eine ungerechte, vielleicht sogar unrechtmäßige Herrschaft? Von Früh an mussten die Christen schon in der Tradition des jüdischen Volkes den Widerstand lernen, mussten lernen, sich zu verweigern, wo es um unsittliche Befehle, unsittliche Praktiken, ungerechte Gesetze ging. Ein beeindruckendes Beispiel sind die Soldaten der thebaischen Legion unter Mauritius, die sich, so sagt die Tradition, geweigert haben, einen ungerechten Befehl der militärischen Oberen auszuführen und Christen niederzumachen. Sie haben es vorgezogen, lieber selber ihr Leben zu lassen, als Unrecht zu tun.

Wo beginnt die Widerstandspflicht, wo endet die Loyalitätspflicht? Ein Thema, das immer wieder in der Geschichte auftaucht, bis hinein zu dramatischen Gewissensfragen. Ein Thomas Becket und ein Thomas Morus seien nur genannt, ein Maximus Confessor, der Mönch, der im letzten dann fast alleine Widerstand geleistet hat gegen eine häretische Religionspolitik des oströmischen Kaisers, der sich in der letzten Phase, selbst vom Papst verlassen glauben musste, auch wenn er es de facto nicht war, und der in dieser Einsamkeit am Bekenntnis des wahren Glaubens festgehalten hat gegen alle weltliche und kirchliche Autorität, die ihn zum Gehorsam nötigen wollte. Ein Franz Jägerstätter gehört hierher, der einsam den Weg einer Gewissensentscheidung gegangen ist, und der den Kriegsdienst verweigert hat, nicht um die anderen, die diesen geleistet haben, zu verurteilen, sondern um dem zu folgen, was er im innersten seines Gewissens gesehen hat, dass er nicht dem Dritten Reich und dem Reich Christi zugleich dienen kann. Aber alle die Genannten waren ganz loyale Staatsbürger, sie waren keine Revolutionäre, sie haben ganz und gar im Sinne von Römerbrief Kapitel 13 gelebt. Franz Jägerstätter hat ganz klar und deutlich gesagt, er wäre bereit, für Österreich auch die Waffen zu tragen, um es zu verteidigen, aber nicht für das Dritte Reich. Alle kamen sie in Situationen, in denen sie das Nein als den einzig gangbaren Weg sahen, um Christus und ihrem Gewissen zu folgen. Viele von ihnen taten es in der Form des Martyriums, und es hat zahllose in unserem Jahrhundert gegeben, wir beginnen jetzt auch, dank des Martyrologiums des 20. Jahrhunderts, deutlicher zu sehen, wie viele es waren. Die Männer des 20. Juli haben diesen Schritt, diese Gewissenentscheidung getan, indem sie sich für den gezielten Einsatz von Gewalt entschieden haben: das Attentat gegen Hitler. Kann die Verweigerung der Loyalität so weit gehen, bis zum gewaltsamen, gewalttätigen Widerstand? Diese Frage hat sie zutiefst bewegt, und sie haben um sie gerungen, bis sie zur Klarheit kamen, dass sie diesen Schritt vor ihrem Gewissen verantworten können und ihn tun müssen. Bisweilen kann die Widerstandspflicht so weit gehen, sie kann bis dahin gehen, dass auch die Anwendung von Gewalt gegen gewalttätiges Unrecht notwendig wird.

Aber das ist nicht unbedingt unsere Alltagssituation - wie weit geht die Gehorsamspflicht und wo beginnt die Widerstandspflicht? Hier sind wir vielleicht bei der schwierigsten Frage, es ist ja nicht immer der Ernstfall des Martyriums, vor den wir gestellt werden, oder gar des Tyrannenmordes, oder gar des bewaffneten Widerstandes gegen ein Unrechtsregime, gegen eine gewalttätige Unrechtsherrschaft. Meistens spielt sich unser christliches Leben in einem Alltag ab, in dem es mühsam darum geht, Prioritäten zu setzen, um Prioritäten zu ringen. Wo es um den politischen Kampf um Interessengruppen geht, um die rechtliche und politische Ausnützung dieser Interessen. Wo es um das Spiel von ideologischen Richtungen geht, die in ganz konkreten Fragen miteinander im Konflikt liegen, im Schulbereich, im Familienbereich, im wirtschaftlichen Bereich. Wie Christsein in diesem ganz alltäglichen, politischen Geschäft, entweder als aktiver Politiker oder aber auch als politisch mitverantwortlicher Bürger. Gerade hier spielt sich am meisten der politische Alltagskampf ab. Dass es hier auch zu kämpfen gilt, ist nur zu offensichtlich. Freilich, es ist uns nicht immer angenehm, und es ist gar nicht so leicht den richtigen Weg zu finden, wie ein solcher Kampf in loyaler, in fairer Weise auszusehen hat, auszufechten ist. Ich nenne nur einige Beispiele: der politische Kampf um die Fristenlösung, es ist offensichtlich zu einer politischen Niederlage der Gegner der Fristenlösung gekommen. Es ist offensichtlich, dass hier andere Gesichtspunkte, andere Weltanschauungen, andere ideologische Einstellungen sich politisch durchgesetzt haben. Es ist uns allen klar, dass es in diesem Fall berechtigt war, politisch für die Sicht der Kirche, für die Sicht der christlichen Weltanschauung zu kämpfen, mit allen loyalen Mitteln, die uns in einer Demokratie zur Verfügung stehen. Es ist offensichtlich, dass diese Art von Kampf auch zum politischen Leben gehört. Freilich auch, und da ist es ja so besonders schwierig, dass zum politischen Leben auch der Kompromiss gehört, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft ganz selten möglich ist, dass sich eindeutig eine klare Linie, und nur sie, durchsetzt. In den meisten Bereichen sind es Kompromisse, die mühsam errungen, und die meistens nicht stabil sind.

Aber es gibt auch Grenzen, jenseits derer kein Kompromiss mehr möglich ist. Wann ist diese Grenze erreicht? Haben wir uns vielleicht zu früh mit Kompromissen zufrieden gegeben, wo es eigentlich um Grenzen ging, die nicht zu akzeptieren sind? Entscheidend wichtig ist, dass sehr oft die Kunst der Politik im Erreichen von kleinen Schritten besteht, kleinen Schritten in die gute Richtung. Mit viel Geduld, mit nüchternem Wissen um die Erbsündlichkeit des Menschen, aller Beteiligten, auch unserer eigenen Erbsündlichkeit. Das heißt, dass wir immer auch in diesen Auseinandersetzungen nicht nur lautere Motive einbringen, sondern dass im politischen Leben wie auch im persönlichen Zusammenleben viele andere Motive mit herein spielen neben ganz lauteren.

Wie viel persönliche Eitelkeit spielt im politischen Leben eine Rolle? Empfindlichkeiten, Stolz, Uneinsichtigkeit, Beharren auf Standpunkten um des Bestehenswillen, Eifersucht, Missgunst, und was noch alles an Fehlhaltungen den politischen Alltag belastet, was ihn auch oft so traurig und schmerzlich macht und Anlass wird dafür, dass Politik generell schlecht gemacht wird. Deshalb gehört zur guten Politik nicht nur eine gute Moral, nicht nur gute Grundsätze, nicht nur eine klare Einsicht in das, was zu tun ist, sondern auch die praktische Klugheit, die sieht und wahrnimmt, was möglich ist. Ohne diese praktische Klugheit gibt es keinen Erfolg in der Politik, und dazu gehört auch die Strategie. Wir sind etwas erschreckt über ein solches Wort, und doch gehört es zur Klugheit, zu sehen, welche Schritte jetzt konkret in dieser Situation möglich und vielleicht auch notwendig sind, was jetzt gerade der gute Moment ist. Ich nenne nur ein Beispiel: die europäische Gesetzgebung über die Gentechnologie. Es ist gelungen, im Europaparlament ein durchaus problematisches Gesetz, einen problematischen Gesetzes- oder Richtlinienentwurf zu Fall zu bringen. Dazu bedurfte es nicht nur einer klaren, kompetenten Sicht der Materie (und die ist äußerst komplex und schwierig, die ganze Frage der Genetik und der Gentechnologie), dazu bedurfte es nicht nur eines klaren ethischen "Gespürs" für das, was in diesem Bereich an Gefahren, aber vielleicht auch an Gutem möglich ist. Damit man nicht einseitig nur verurteilt, und damit eine politische Aktion von vornherein unmöglich macht. Es bedurfte auch in diesem ganz konkreten Fall einer umsichtigen Strategie. Wen muss man ansprechen, um ihm oder ihr bewusst zu machen, welche Verantwortung hier im Spiel ist, welche Gefahren hier im Spiel sind, und so Verbündete zu finden, die dann auch auf der politischen Ebene, im Alltag des politischen Geschäftes das strategisch durchführen können, damit es zu einer guten parlamentarischen Abstimmung kommt. Es ist gelungen, weil alle drei Ebenen gestimmt haben: kompetentes Wissen um das, worum es geht, gute fundierte ethische Einsicht in die Chancen und Gefahren, die damit verbunden sind, und eine umsichtige Strategie zur politischen Umsetzung. Ich glaube, das ist ein schönes Beispiel, an dem sich zeigen lässt, was die politische Verantwortung des Christen ist. Alle drei Elemente müssen zusammenkommen, wir müssen Bescheid wissen, worum es geht, wir müssen möglichst klar in unserer weltanschaulichen Sicht sein, in der Sicht des christlichen Menschenbildes, in den Implikationen dieses Menschenbildes. Und dann aber auch in den konkreten Handlungszielen und Strategien, wie das möglichst gut, vielleicht in kleinen Schritten, sehr geduldig, mutig, ausdauernd umgesetzt werden kann in der politischen Aktion. Das bedeutet natürlich auch ein kluges Wahrnehmen von Hindernissen, von Schwierigkeiten und Stolpersteinen, von menschlichen Hindernissen, die es geduldig, zäh, liebevoll, ausdauernd zu überwinden gilt. Was wir wohl als Christen viel mehr, viel bewusster lernen müssen, ist eben dieser unaufgeregte, loyale Kampf im Erreichen kleiner Schritte, hin zum größeren Guten. Ohne Wehleidigkeit, in der Bereitschaft den gesellschaftlichen und politischen Pluralismus, in dem wir leben, anzunehmen, nicht darüber zu jammern, sondern ihn als Chance zu sehen, die Sicht des Evangeliums einzubringen, sie umzusetzen, freilich nicht von oben herab, und auch nicht bloß in Begeisterung, sondern gepaart mit seriösem Wissen. Auch gepaart mit der Bereitschaft einzusehen, dass in vielen, sehr vielen Fragen auch Christen verschiedene Standpunkte haben können, berechtigterweise, und dass es ganz und gar nicht immer selbstverständlich und leicht ist, alles auf einen christlichen Nenner zu bringen.

Ich nenne noch ein Beispiel: so klar und eindeutig es ist, dass Abtreibung zutiefst der Menschenwürde und den Menschenrechten, nämlich dem Recht auf Leben, widerspricht, so schwierig ist es bei der heute bestehenden Legislation, der heute bestehenden Gesetzeslage, ganz konkrete Verbesserungen in die Gesetzgebung zum Lebensschutz einzubringen, sie auch nicht nur zu entwerfen, nicht nur zu sehen, sondern auch Wege zu finden, wie sie durchzusetzen sind. Und wir sind aufgefordert, hier viel offensiver, viel kreativer zu werden, um als Christen in dieser pluralistischen Gesellschaft unsere Sicht einzubringen. Ich nenne noch ein zweites Beispiel und komme dann schließlich zu Robert Schumann als einem Vorbild für die politische Aktion eines Christen. Die Frage der Privatisierung ist ein anderes Beispiel: Man kann hier legitimerweise als Christ verschiedener Ansicht sein. Es kann hier unterschiedliche Standpunkte geben, was entscheidend ist, ist dass wir uns über die Maßstäbe einig sind, die es einzufordern gilt, wenn es um den Schutz der Person, der sozialen Gerechtigkeit, der sozialen Verträglichkeit von Maßnahmen geht.

Gerade heute scheint mir ein Mann wie Robert Schumann hier hilfreich zu sein, und von ihm möchte ich abschließend ein paar Worte sagen. Geboren 1886, gestorben 1963, gilt er zurecht als der Vater der europäischen Einigung. Konrad Adenbauer hat einmal von ihm gesagt, er sei der Vater der deutsch-französischen Aussöhnung. Wenn man weiß, wie tief die Feindschaft, wie tief die Wunden dieser Feindschaft waren, dann ahnt man, was das bedeutet, Vater der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich zu sein. Ganz kurz die Lebensdaten: er wird früh Halbweise, sein Vater stirbt sehr früh, seine Mutter erzieht ihn alleine und stirbt dann auch bald. Er wird Jurist, studiert in Deutschland, in Berlin, in Bonn, in München und in Straßburg, wird Advokat in Metz, und als nach dem 1. Weltkrieg Elsaß und Lothringen zu Frankreich kommen, wird er 1919 schon Abgeordneter im französischen Parlament für die Mosel, also für Metz. Nach dem 2. Weltkrieg wird er zuerst Finanzminister der französischen Regierung, dann eine Zeitlang Premierminister, also Bundeskanzler, und schließlich durch mehrere Jahre - 5 Jahre lang in entscheidenden Jahren - französischer Außenminister. Am Ende seiner politischen Karriere ist er dann Präsident des Europaparlaments. Wer war dieser Robert Schumann? Er sagt einmal: Ich hätte Priester werden können, in diesem Falle wäre ich während des Krieges Feldgeistlicher geworden, doch ich habe es zuletzt vorgezogen, den Atheisten leben, statt den Christen sterben zu helfen. Er wollte den Atheisten leben helfen, er hat sein ganzes Leben lang sich als Laie im Laienapostolat der Kirche verstanden. In seiner Familie hat er schicksalhaft das Drama des Nationalismus und der Zerrissenheit Europas erlebt. Er war selbst sein Leben lang ausgesetzt den chauvinistischen Verdächtigungen, man hat ihn in Frankreich für einen Deutschen gehalten, in Deutschland für einen Franzosen, er war immer wieder den Folgen des Nationalismus ausgesetzt, er war nicht rhetorisch begabt, er war alles eher als eine Schönheit, telegen war er sicher nicht, er war sehr gut geeignet für Karikaturen. Er hat sehr früh gesehen, dass es nur ein Heilmittel für die Überwindung der Zerklüftung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa gibt, das ist die europäische Integration. Er operierte dabei - und das scheint mir wichtig zu sein, wenn wir schauen, was hat der Christ in der Politik und für die Politik zu tun - er operierte, sagt einmal einer seiner Biographen, mit der Einfalt der Tauben und der Klugheit der Schlangen. Er verstand es, im Detail Fragen nachzugeben, um den Kern seines Projektes, die europäische Einigung, zu retten. Der Höhepunkt seiner Karriere war sicher der 9. Mai 1950, als es ihm gelang, den Grundstein zu legen für die europäische Integration. Die Idee war ganz einfach, sie war von genialer Einfachheit, die Wirtschaftsinteressen von Deutschland und Frankreich so zu verbinden, dass ein Rüstungswettlauf zwischen den beiden Ländern unmöglich würde. Und aus diesem Zusammenlegen der wirtschaftlichen Interessen sollte die Einigung Europas herauswachsen. Der gemeinsame Markt sollte ein erster Schritt sein zur politischen und kulturell gesellschaftlichen Integration Europas. Was war aber das Geheimnis? Woraus hat Robert Schumann als christlicher Politiker gelebt? François Mauriac, der französische Schriftsteller, hat es einmal so gesagt, er nennt ihn einen in schlichte Rechtschaffenheit gekleideten Christen. Robert Schumann hat sein Christsein nie pompös-theatralisch zur Schau getragen. Er hatte eine sehr diskrete Frömmigkeit, die aber ganz konkret war. Täglich ging er zur Messe, er hat ein intensives, persönliches Gebetsleben gepflegt. Johannes von Kreuz, Thomas von Aquin waren seine Lieblingsautoren. Seine Politik war deshalb so christlich, weil sie so sachlich war. Er war ein echter Humanist, er hat eine Politik der sachlichen Vernunft für die beste christliche Politik gehalten. Ich erinnere mich an ein Wort von Präsident Ronald Reagan, der immer wieder gesagt haben soll: "Let's do the right things and the good politics will follow." "Tun wir die rechten Dinge, und dann folgt die gute Politik von selber." Rechtschaffenheit, diese Geradheit von Robert Schumann haben ihm auch seine größten Gegner nicht abstreiten können. Er sagt einmal in einem Brief: "Nicht Ehrgeiz treibt mich an, wie sehr hätte ich es vorgezogen mich meinem Beruf zu widmen, religiösen und sozialen Werken meiner Familie, aber es gibt Pflichten, denen man sich nicht entziehen kann." Im übrigen war er sehr allergisch gegen Klerikalismus, er hat die kirchliche Hierarchie geachtet, aber er wollte nicht ihr Diener sein in der Politik, und sich nicht von der Hierarchie zu sehr in die Politik hineinreden lassen.

Das Christentum, sagt er, darf nicht von einem politischen Regime in Anspruch genommen, oder mit einer Regierungsform, und sei sie demokratisch, identifiziert werden. Deshalb hat er immer auch vertreten, dass es einen christlichen Pluralismus in der Politik geben kann. Lassen Sie mich schließen mit einer Regel, die Robert Schumann formuliert hat, ich habe sie von seinem Sekretär gehört, René Lejeune, der auch sein Biograph ist. Ich habe ihn einmal gefragt: "Wie hat Robert Schumann das gemacht, um als Politiker Christ sein zu können, um als Christ Politiker sein zu können?"

René Lejeune hat geantwortet, er hatte drei ganz einfache Regeln:

1. "Dédramatiser", entdramatisieren, ich glaube man kann sich das gut merken: entdramatisieren.
2. "Garder l'humour" , den Humor bewahren.
3. "Ne pas rendre les coups qu'on reçoit", die Prügel, die man bekommt, nicht zurückgeben.

Ich glaube, mit diesen drei einfachen Regeln wissen wir nicht nur, wie wir uns als Christen der Politik gegenüber verhalten können, sondern vielleicht auch als Christen in unserem Alltag.

Gelobt sei Jesus Christus!

 

 



 

 

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