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Katechesen
1998/1999
3. Jahresreihe - 9. Katechese, 16.05.99
"Vater unser" - B |
Wir sind in der Novene der
Vorbereitung auf Pfingsten. Beginnen wir mit einem Gebet zum Heiligen Geist:
"Komm, Heiliger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit Deiner Kraft. Dein
Schöpferwort rief uns zum Sein, nun hauch uns Gottes Odem ein. Komm, Tröster, der
die Herzen lenkt, Du Beistand, den der Vater schenkt. Aus Dir strömt Leben, Licht und
Glut, Du gibst uns Schwachen Kraft und Mut. Dich sendet Gottes Allmacht aus, in Feuer und
in Sturmesbraus, Du öffnest uns den stummen Mund und machst der Welt die Wahrheit kund.
Entflamme Sinne und Gemüt, dass Liebe unser Herz durchglüht und unser schwaches Fleisch
und Blut in Deiner Kraft das Gute tut. Die Macht des Bösen banne weit, schenk Deinen
Frieden alle Zeit, erhalte uns auf rechter Bahn, dass Unheil uns nicht schaden kann.
Lass
gläubig uns den Vater sehen, sein Ebenbild den Sohn verstehen und Dir vertraun, der
uns durchdringt und uns das Leben Gottes bringt. Den Vater auf dem ewigen Thron und seinen
auferstandnen Sohn, dich, Odem Gottes, Heilger Geist, auf ewig Erd und Himmel
preist. AMEN"Unsere drei letzten Katechesen dieses Schul- oder Arbeitsjahres gelten
dem Gebet des Herrn, dem "Vater Unser". Wir haben in der letzten Katechese den
Namen des Vaters, das Geheimnis des Vaters, zu betrachten versucht. Die beiden letzten
Katechesen im Mai und im Juni vor der Sommerpause - ich hoffe mit Gottes Hilfe,
dass es im
Herbst weitergeht mit den Katechesen - sollen nun den sieben Bitten des "Vater
Unser" gewidmet sein.
Sieben Bitten: Drei, die sich direkt an Gott richten und vier, die sich
mit unseren Sorgen und Anliegen und Nöten befassen, drei und vier. "Vater unser,
Dein Name sei geheiligt, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe. Unser tägliches Brot gib
uns heute, vergib uns unsere Schuld, führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns
von dem Bösen." "Dein", dreimal am Anfang, und dann viermal
"Unser-Uns", drei und vier. War diese Symbolik schon ursprünglich gewollt, hat
der Herr selber, als er das Gebet seinen Jüngern mitgab, diesen Symbolismus bereits im
Sinn gehabt? Wir können es nicht sicher sagen. Sicher ist, dass die Menschen des
Mittelalters, die diesen Dom gebaut haben, das sehr wohl wussten. Drei und vier, das ist
die Symbolik, nach der der ganze Stephansdom gebaut ist. Drei, die Zahl Gottes, Vier, die
Zahl der Welt. Ich kann es nicht genau im Detail sagen, aber die Fachleute sagen uns,
dass
die Maßzahlen des Domes genau nach diesem Schlüssel sind. Drei und vier, Gott und
Mensch, Gott und Welt. Dieser Symbolismus durchzieht also auch das "Vater
Unser". Drei Bitten, die Gott unmittelbar betreffen, und vier, die den Menschen und
seine Nöte betreffen. Wir werden auf diesen Symbolismus noch zurückkommen. Die ersten
drei Bitten sollen heute Abend unser Thema sein.
Es ist wie ein Ruf des Herzens, wie ein Ruf der Liebe: Vater, Dein,
Dein, Dein. Es ist, wenn die Liebe im Vordergrund steht, wenn die Liebe alles bestimmt,
ganz klar, dass zuerst der Geliebte im Blick ist und das, was ihm am Herzen liegt, seine
Anliegen, sein Wille, seine Verherrlichung, sein Name. Wir reden nicht zuerst von uns,
sondern von Ihm. "Dein Name sei geheiligt, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie
im Himmel so auf Erden." Im "Vater Unser" brennt also zuerst das Verlangen,
dass der Vater verherrlicht werde, und das ist das Verlangen Jesu. Jesus hat kein anderes
Sehnen und Verlangen, als dass der Vater verherrlicht wird. "Omnia at maiorem Dei
gloriam", sagt der hl. Ignatius als Motto über sein ganzes Leben, über die
Gesellschaft Jesu, die er gegründet hat. Gott allein zu verherrlichen, alles zur
größeren Ehre Gottes. So ist auch das "Vater Unser": Alles zur größeren Ehre
Gottes.
Das erste Verlangen, das erste, was uns Jesus zu bitten lehrt, ist,
dass Gott verherrlicht werde. Das ist auch der Grund für - wie soll ich es auf Deutsch
sagen, es gibt kein richtiges deutsches Wort dafür - die Franzosen nennen es la
gratuité, gratuità auf Italienisch - das Ungeschuldete, das rein Geschenkte, absichtslos
Gegebene, das, was sich nicht ausweist durch Leistung, durch Geschuldetes, sondern das,
was einfach geschenkt wird. Gott zu ehren, Gott zu loben, Gott zu preisen, ist in sich
genug, es bedarf keiner Rechtfertigung. Dass wir miteinander Gottesdienst feiern, hat
seinen Grund in sich, in Gott, es ist einfach würdig und recht, Gott zu preisen, Gott zu
lieben, Gott zu loben. Deshalb bedarf der Gottesdienst keiner anderen Rechtfertigung als
der Ehre Gottes. Es ist in sich stimmig und sinnvoll, dass wir Gott ehren um seinetwillen,
um seiner Ehre willen. Deshalb hat auch das kontemplative Leben seinen Grund in sich. Wer
zu diesem Leben gerufen ist, ganz sein Leben Gott zu schenken, der bedarf keiner
Rechtfertigung dafür, wie nützlich das für die Welt ist. Es ist in sich richtig und
sinnvoll, alles zur höheren Ehre Gottes: "Vater, Dein Name werde geheiligt."
Dieses dreifache "Du" steht am Anfang. Und ist es nicht auch ein wenig in der
Kunst so, dass in der Kunst etwas von dieser gratuité, von dieser umsonst geschenkten
Zeit, Kraft und Schönheit zum Ausdruck kommt? Wenn ich an den Fialturm denke, der ganz
hoch oben, auf 100m Höhe, jetzt renoviert wird, und der in allen Details ganz genau
nachgemacht wird nach dem mittelalterlichen Fialturm, dessen Steine schon zerbröseln:.
Ohne dass es jemals dort oben jemand sehen wird - hier unten vom Stephansplatz aus sieht
man es nicht, man könnte ruhig dort oben die Fialen, die kleinen Netzwerke, die kleinen
Ornamente der Gotik nur grob und oberflächlich gestalten. Aber im Mittelalter hat man
auch ganz hoch oben auf dem Turm alles in größter Feinheit gestaltet, weil es ja um die
Ehre Gottes geht. Er sieht auch auf 100m Höhe, was dort die Steinmetze gemacht haben.
Und hängt es nicht auch mit dieser Haltung zusammen,
dass wir Feste
richtig feiern können? Nicht, weil es nützlich ist, sondern einfach, weil es gut ist, in
der Ungeschuldetheit zu feiern. Nicht, um die Zeit totzuschlagen und nutzlos oder sinnlos
herumzuhängen, sondern um zu feiern. Auch das hängt damit zusammen, und dort, wo der
Sinn für den Gottesdienst verloren geht, dort geht wohl auch der Sinn für das Fest
verloren.
Alles zur höheren Ehre Gottes: Das "Vater Unser" beginnt mit
diesem dreifachen "Dein, Dein, Dein, Vater". So steht am Anfang des "Vater
Unser" die sehnliche Bitte Jesu, dass der Name des Vaters verherrlicht werde,
dass
sein Reich komme und sein Wille geschehe. "Vater, verherrliche deinen Namen" so
betet Jesus im hohepriesterlichen Gebet. Aber gleichzeitig kommt in diesen drei ersten
Bitten, in diesem dreimaligen "Dein, Dein, Dein" auch ein flehentliches Bitten
der ganzen Not der Menschen zum Ausdruck. Es ist ein Notruf der Menschheit, die nach Gott
dürstet, denn was tut uns mehr Not, als dass Gott verherrlicht werde? Denn die Bitte,
dass Gott verherrlicht werde: "Dein Name, Dein Reich, Dein Wille", ist ja auch
die Bitte, dass wir aus unserer Not gerettet werden. Wenn wir flehentlich bitten,
"Dein Reich komme, Vater" dann tun wir das ja, weil wir wissen, wie groß die
Not ist. Deshalb wenden wir uns vertrauensvoll dem Vater zu. Dein Name soll verherrlicht
werden, nicht unser Name. "Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, nicht uns, sondern
deinen Namen, in deiner Huld und Treue!" heißt es im Psalm 115. Wie viel Unheil
geschieht, weil wir nur auf unseren Namen schauen, auf unseren Ruf, auf unser Ansehen, auf
unsere Bedeutsamkeit und Wichtigkeit und nicht auf den Namen Gottes. Und wie viel Unheil
geschieht, weil dieser oder jener Große dieser Welt seinen Namen groß machen will und
nicht den Namen Gottes, weil es ihm um den Namen der Nation oder die eigene Macht geht.
Umso flehentlicher wird die Bitte: "Dein Name werde verherrlicht".
Oder wenn wir beten: "Dein Reich komme." Ist das nicht eine
Bitte, ein Flehen, dass nicht irgend ein Reich komme? Nicht das Dritte Reich und nicht die
Mächte und Herrschaften dieser Welt, sondern Dein Reich. So ist in diesem dreifachen
"Du-Dein" eine flehentliche Bitte, die aus der Not unseres Leben kommt, aus der
Not der Menschen. "Dein Reich komme": Nichts Besseres kann uns geschehen, als
dass Dein Reich kommt. Wehe uns, wenn die Reiche dieser Welt zur Herrschaft kommen und nur
sie alles bestimmen. Und wenn wir bitten: "Dein Wille geschehe", und nicht
meiner oder nicht unser Wille, wie oft ist unser Wille auch unser Unglück. Nein,
"Dein Wille geschehe", weil Dein Wille unser Glück ist. Der hl. Irenäus, ein
früher Kirchenvater, sagte einmal: "Gloria Dei vivens homo", die Herrlichkeit,
die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch. Wenn wir also bitten, Dein Name, Dein Reich,
Dein Wille, dann bitten wir ja um die Menschen, für die Menschen, für uns, weil nur Sein
Name, Sein Reich und Sein Wille gut sind für uns.
So flehen also diese drei Bitten im Grunde um nichts anderes, als
dass
Gott wirklich unser Vater ist, unser Vater, dass wir ihm ganz uns anvertrauen können.
Unser Vater im Himmel, er soll verherrlicht werden, weil er aller Herrlichkeit würdig
ist, weil er über alle Maßen herrlich ist, aber auch, weil seine Herrlichkeit unser
Glück ist. Es gibt nichts Besseres für uns, als dass sich diese ersten drei Bitten
erfüllen, und deshalb lehrt uns Jesus, dass wir darum zuerst beten sollen, das ist unser
Glück. Wenn er uns also lehrt, den Vater zu verherrlichen, dann lehrt er uns
gleichzeitig, um unser Glück zu beten. Die vier weiteren Bitten, um das tägliche Brot,
die Vergebung der Schuld, die Bewahrung vor der Versuchung und vor dem Bösen betreffen
einzelne Bereiche, in denen wir bitten, dass sich dort der Name Gottes verherrlicht,
dass
sich dort das Reich Gottes erweise und dass dort Sein Wille geschehe.
Vielleicht können wir noch etwas sagen zur Struktur, zum Aufbau des
"Vater Unser". Es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen, dass das "Vater
Unser" das gottmenschliche Geheimnis widerspiegelt, dass es gewissermaßen die
gottmenschliche Struktur widerspiegelt, dass das gottmenschliche Geheimnis Jesu Christi
sich in diesem Gebet widerspiegelt, nicht nur die Symbolik von drei und vier, drei die
Zahl Gottes, vier die Zahl der Schöpfung. Nach der alten Symbolik ist ja die Vierzahl die
Zahl der Welt, der vier Elemente, der vier Windrichtungen, und die Zahl Drei die
vollkommene Zahl des Dreifaltigen Gottes. Es ist auch gleichzeitig ein Ausdruck des
gottmenschlichen Geheimnisses Jesu, wahrer Gott und wahrer Mensch. Der Dom hat ja auch in
gewisser Form und in gewisser Weise Menschenform: Mit der Kreuzform, mit dem Haupt, den
Armen, den Seitenarmen ist der Dom nach der alten Symbolik auch das Abbild des Menschen.
Drei und vier, Gott und Mensch, in diesem Gebet kommt das gottmenschliche Geheimnis zum
Ausdruck.
Ich sage das auch deshalb, weil mich dieser Tage ein Leserbrief doch
sehr erschüttert hat, der in einer Wiener Tageszeitung zu lesen war, wo ein engagierter
Katholik sagt, dass die Mutterkirche doch manches lehre, was ein moderner, vernünftiger
Mensch so nicht annehmen könne, dass sie manches, was ein Mythos ist, für Wirklichkeit
ausgibt, was doch kein vernünftiger Mensch als Wirklichkeit annehmen könne. Als Beispiel
wurde die Lehre von der Menschwerdung Gottes genannt. Das hat mich doch etwas
erschüttert, dass auch unter engagierten Katholiken der Gedanke sich breit zu machen
scheint, dass das Geheimnis der Gottmenschlichkeit Christi, dass er wahrer Gott und wahrer
Mensch ist, dass er der Mensch gewordene Sohn Gottes ist, dass das ein Mythos sei, eine
Vorstellung, die vielleicht etwas über die Bedeutung Jesu sage, aber nicht die
Wirklichkeit ausdrücke. Das Fundament unseres Glaubens ist das Geheimnis des Dreifaltigen
Gottes, das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der in Jesus Christus Mensch
geworden ist und wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Wir könnten das "Vater
Unser" nicht beten ohne diesen Glauben, dass der, der es uns gelehrt hat, wahrer Gott
und wahrer Mensch ist, und dass das, was wir hier lernen als unser Gebet, nicht das Gebet
zu einem fernen und unnahbaren und irgendwie anonymen Geheimnis Gottes ist, sondern
dass
wir wirklich Gott Vater nennen dürfen, weil wir wirklich durch Jesus Seine Söhne und
Töchter, Seine Kinder sind. Ist Gott nicht Mensch geworden, dann können wir
Menschenkinder Gott nicht wirklich Vater nennen. Dann ist auch das symbolisch, vielleicht
eine mythische Redeweise, dann sagt es nicht das, was wirklich durch Jesus Christus für
uns Wirklichkeit geworden ist: Dass wir Abba, Vater, zu Gott sagen dürfen, und
dass wir,
wie Johannes es sagt, nicht nur Kinder Gottes heißen, sondern es auch sind.
Dass wir das
ganz wirklich und ganz real annehmen dürfen, dass wir Gott unseren Vater nennen dürfen,
wie wir es das letzte Mal betrachtet haben, in einer Weise, wie kein menschlicher Vater
ist, wie keine menschlichen Eltern sind. "Nemo tamquam Deus Pater", hatte ich
letzte Mal Tertullian zitiert, niemand ist so Vater wie Gott. Aber Vater können wir Ihn
nur nennen, weil Jesus, Sein eingeborener Sohn, der ewige Sohn Gottes, unser Bruder
geworden ist in seiner Menschwerdung, und uns Seinen Geist geschenkt hat, in dem wir Abba,
Vater, sagen dürfen.
Doch nun zu den drei ersten Bitten: Beginnen wir mit der ersten, die
wohl nicht zufällig an erster Stelle steht, die das Wichtigste aussagt, das, was Jesu
innerstes Herzensanliegen ist: "Vater, geheiligt werde dein Name". Heute hieß
es im Evangelium in dem hohepriesterlichen Gebet Jesu, in Johannes 17: "Ich habe
deinen Namen verherrlicht." Das ist die große Sehnsucht Jesu, den Namen des Vaters
zu verherrlichen. Aber: wer soll den Namen Gottes heiligen? Die Sprachform hier ist etwas
seltsam. In allen drei ersten Bitten ist es eine irgendwie neutrale Ausdrucksweise.
"Vater, geheiligt werde dein Name", wer soll das? Soll das Gott tun? Heilige Du
Deinen Namen oder sollen wir das tun? Wir mögen, Vater, Deinen Namen heiligen. Warum
lehrt uns Jesus diese etwas abstrakte Form des Gebetes, "geheiligt werde dein
Name", von wem? Oder: "Dein Reich komme." Wer lässt es kommen, wer macht
es kommen, du selber? Dann könnten wir doch bitten: "mach, dass Dein Reich
kommt" oder "lass Dein Reich kommen, oder sollen wir es machen? Hilf uns,
dass
wir Dein Reich verwirklichen."
"Dein Wille geschehe." Wieder eine neutrale Formulierung: Wer
soll Deinen Willen geschehen machen, Du selbst oder wir? Eine eigenartige Art und Weise zu
sprechen. Manche meinen, das könnte eine semitische Sprechweise sein, in den
Seligpreisungen finden wir diese Sprechweise, und oft im Evangelium gebraucht sie Jesus,
wenn er den Namen Gottes nicht direkt ausspricht, sondern in einer Passivform davon
spricht: "Sie werden getröstet werden", "selig die Sanftmütigen oder die
Trauernden, sie werden getröstet werden". Das heißt doch, Gott wird sie trösten.
Aber um den heiligen Namen Gottes nicht auszusprechen, vermeidet man es, ihn zu nennen,
und umschreibt das mit dieser ehrfürchtigen, passiven Ausdrucksweise. "Geheiligt
werde dein Name", das könnte auch eine ehrfürchtige Ausdrucksweise sein, um zu
vermeiden, sozusagen Gott direkt anzusprechen: "Heilige du selbst deinen Namen."
Nun, die Kirchenväter deuten diese seltsame Sprechweise etwas anders, wir sind ja nicht
die ersten, die das bemerken. Es haben schon andere das vor uns festgestellt,
dass hier
die Redeweise etwas eigenartig ist.
Wie also ist diese sprachliche Besonderheit zu verstehen? Wir können
sagen, eben in dem Sinn, in dem ich vorhin gesagt habe, dass das "Vater Unser"
gott-menschlich ist, es hat einen gott-menschlichen Charakter. In dieser Ausdrucksweise
ist beides gesagt: "Vater, dein Name werde geheiligt", von Dir und von uns, von
Dir selber, aber auch von uns. Gott möge Seinen Namen heiligen und wir Menschen mögen
ihn heiligen. Offensichtlich gehört beides zusammen, so wie die drei ersten und die vier
zweiten Bitten zusammen gehören und ein Ganzes bilden, so ist Gott und Mensch in diesem
Gebet untrennbar verbunden. Es ist ja das Gebet der Kinder Gottes, die nicht von Gott zu
trennen sind, die Gott ihren Vater nennen dürfen und deshalb ganz und gar mit ihm
verbunden sind, so wie Jesus es heute im Tagesevangelium sagte: "Alles was dein ist,
ist mein" (Joh 17,10). Deshalb stellen wir in allen diesen drei Bitten fest,
dass sie
sich gleichzeitig an Gott und an uns richten. Wir bitten den Vater, dass Sein Name
geheiligt werde. Was heißt das? Zuerst einmal: "Vater, heilige du selbst deinen
Namen, zeige deine Herrlichkeit, lass deine Heiligkeit sichtbar werden,
lass deine Größe
kund werden." Es ist die flehentliche Bitte, dass der Heilige Gott auch als der
Heilige Gott offenbar wird, dass er sich zeigt, dass die Menschen, dass wir erkennen,
dass
Er der Heilige ist, dass Sein Name groß ist. Hier liegt die ganze Sehnsucht, die
Sehnsucht dass der heilige Gott sich als der Heilige zeige, aber auch,
dass wir Seinen
Namen verherrlichen. Beides gehört untrennbar zusammen. Maria betet im Magnificat:
"Meine Seele preist die Größe des Herrn." Gott ist groß, aber wir dürfen Ihn
preisen und seinen Namen groß machen. Beides ist untrennbar. Wenn wir als erstes mit
Jesus bitten sollen, dass der Name des Vater geheiligt werden soll, dann bitten wir darum,
dass Gott sich als der Heilige, als Gott erweist und dass wir mit ganzem Herzen, mit
ganzer Kraft seine Verherrlichung suchen. Wir könnten jetzt so manche Beispiele nehmen,
ich denke noch einmal an den hl. Ignatius von Loyola, dem das Grundanliegen seiner
Berufung war, dass die Heiligkeit Gottes, seines Namens, den Menschen kund wird, und
dass
wir diese Heiligkeit bezeugen. Übrigens dürfen wir uns daran erinnern,
dass mit dem
Namen natürlich die Person selbst gemeint ist. "Geheiligt werde dein Name", das
heißt: geheiligt seist Du selber, der Name steht für die Person.
Wenn wir aber jetzt fragen: Wie wird sein Name geheiligt, worum bitten
wir, wenn wir um die Heiligung des Namens bitten? Nun, zuerst durch Jesus selbst.
"Geheiligt werde dein Name" durch den einen Heiligen, durch Dein Kind, Deinen
Knecht, Deinen Sohn, durch Jesus, der gepriesen sei, er ist Dein Name, Du hast ihn uns
geschenkt, weil in ihm Dein Name wohnt. Der Name Gottes ist uns offenbar geworden in
Jesus. Gott heiligt seinen Namen, indem er uns Jesus kennen lernen lässt, indem er uns
Jesus zeigt. Wenn wir Jesus kennen lernen, wenn wir sein Antlitz sehen, dann lernen wir
Gott kennen. "Wer mich sieht, sieht den Vater", sagt Jesus. Der hl. Paulus sagt,
dass Gott ihm den Namen gegeben hat, der über allen Namen ist, damit im Namen Jesu jedes
Knie sich beuge im Himmel, auf der Erde und unter der Erde. Gott heiligt seinen Namen,
indem er uns Jesus bekannt macht, indem er Jesus verherrlicht.
Aber wie tut das Gott, wie verherrlicht er den Namen Jesu? Auch das
haben wir heute im Tagesevangelium gehört: "Vater, verherrliche deinen Sohn."
Und Jesus wird uns klar machen, dass diese Verherrlichung sein Kreuz war: Da hat der Vater
seinen Sohn verherrlicht, kundgetan. Da hat er uns geoffenbart, wie sehr er die Welt
liebt, und deshalb gibt es nur einen Namen, in dem wir Rettung finden, in keinem anderen
Namen sollen wir gerettet werden, sagen die Apostel, als im Namen Jesu. Deshalb ist der
Name Jesu untrennbar verbunden mit dem Geheimnis des Kreuzes, dort hat der Vater ihn
verherrlicht. Wenn wir also bitten: "Vater, verherrliche, heilige Deinen Namen,
geheiligt werde Dein Name", dann bitten wir immer auch, dass sich das Geheimnis des
Kreuzes, das Geheimnis der Erlösung in uns verwirklicht.
Wir wissen, dass das schwer zu begreifen ist, wieso die Verherrlichung
des Namens Gottes über diesen Weg geht. Aber wir glauben ja, dass Gott Ihn auferweckt hat
von den Toten, dass Jesus lebt, und dass im Namen Jesu alle Menschen Heil finden. Deshalb
ist es die erste Bitte im "Vater Unser": "Vater, Dein Name werde
geheiligt." Das heißt, Jesus werde bekannt, Jesus werde geliebt, das Heil Jesu komme
zu allen Menschen. "Vater, dein Name werde geheiligt." Durch wen? Durch Jesus,
durch ihn werden alle gerettet.
Aber: Dein Name, das heißt immer auch Dein Volk, das Volk, das Deinen
Namen trägt. Und die Bitte: "Vater, dein Name werde geheiligt", ist auch die
Bitte: "Vater, heilige dein Volk", heilige die Kirche, denn sie ist heilig, sie
ist die eine, heilige Kirche, sie ist dein heiliges Volk, das deinen Namen trägt, in dem
dein Name wohnt und die doch aus Sündern besteht. Und deshalb bitten wir: "Vater,
heilige deinen Namen in der Kirche, in deinem Volk, damit durch dein Volk dein Name allen
Völkern bekannt wird. Vater, heilige deinen Namen in Jesus, in deinem Volk und
schließlich auch in mir selbst. Vater, heilige deinen Namen in mir."
Die erste "Vater Unser" Bitte ist also auch ganz persönlich,
dass der Vater mich heilige. Nie hat der Kirche die Heiligkeit gefehlt. Manche fragen,
warum dieser Papst so viele Selig- und Heiligsprechungen vornimmt. Die Antwort ist sehr
einfach: Nicht, weil er einen besonderen Gusto darauf hat, sondern weil es so viele
Kandidaten gibt. Ich habe neulich einem Journalisten gegenüber gesagt - der mir diese
Frage gestellt hat, warum denn dieser Papst so viele Heiligsprechungen vornehme - ich habe
gesagt: "Kennen Sie die Süd-Ost-Tangente, wenn dort ein Stau ist? So ähnlich sieht
es bei den Heiligsprechungen aus, es ist ein regelrechter Stau." Es gibt so viele
Kandidaten, dass man nicht nachkommt, es ist nicht eine Manie unsers Papstes, sondern das
ist die Leidenschaft Gottes, dass Sein Name geheiligt werde und dass es so viele Menschen
gibt, in denen Sein Name geheiligt ist. Vor 14 Tagen wurde Padre Pio in Rom selig
gesprochen. Welche Freude für zahllose Menschen, die Heiligkeit Gottes, das Wohnen des
Heiligen Namens Gottes in einem Menschenleben so nahe erfahren zu dürfen, wie in der
Gestalt dieses einfachen Kapuzinerpaters, Padre Pio, den kennen zu lernen, erleben zu
dürfen, ich selber in meiner Jugend das Glück hatte.
"Vater, dein Reich komme." Eigentlich müssten wir vor jeder
Bitte "Vater" sagen, denn immer richtet sie sich an den, den wir vertrauensvoll
Vater nennen können. "Dein Reich komme" - was ist dieser Wunsch? Es ist
wiederum Jesu große Sehnsucht. "Dein Reich komme." Nichts anderes ersehnt
Jesus, als dass die Königsherrschaft Gottes kommt, seine Basileia, seine Herrschaft, sein
König-Sein. Aber worin besteht das Kommen Seines Reiches, was ist das Reich, um dessen
Kommen wir bitten? Nun müssen wir ganz klar und nüchtern sagen, diese Bitte ist zuerst
einmal die Bitte, dass diese Welt vergeht und Sein Reich kommt. Es ist eine Bitte um das
endgültige Kommen Seines Reiches, um die Vollendung der Königsherrschaft Gottes, um die
Vollendung des Himmelreiches, dass Gott ganz und gar Seine Herrschaft aufrichte, so wie es
im dritten Hochgebet heißt, wenn wir für einen Verstorbenen beten: "Dann wirst du
alle Tränen trocknen, wir werden dich schauen, wie du bist und dir ewig ähnlich sein und
dein Lob singen ohne Ende." Darum bitten wir, wenn wir bitten um das Kommen Deines
Reiches.
In einem ganz frühen christlichen Gebet heißt es: "Dass die Welt
vergehe und Deine Gnade komme." Das ist nicht Weltflucht, das ist nicht Apokalyptik,
Weltuntergangstimmung, sondern die Sehnsucht, dass Dein Reich komme. Paulus sagt:
"Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit, Friede, Freude im Heiligen Geist" (Röm
14,17). Dass das endgültig komme, das ist die sehnsuchtsvolle Bitte in dieser zweiten
"Vater Unser"-Bitte. Darf man das erhoffen, dürfen wir darum bitten? "Dein
Reich komme", es ist die Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem vollendeten Reich
Gottes. Paulus hatte ganz zweifellos diese Sehnsucht und sie hatte für ihn eine ganz
konkrete Gestalt, er wollte mit Christus sein. "Ich möchte aufbrechen", sagt
er, "und mit Christus sein". "Es wäre für mich besser, aufzubrechen aus
diesem Exil und beim Herrn zu sein." Er sehnt sich danach. Es ist die Hoffnung auf
einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt.
Diese Sehnsucht hat also ein ganz konkretes Gesicht, sie hat also einen
Namen, es ist die Sehnsucht nach dem Kommen Jesu Christi: "Komm, Herr Jesus,
Maranatha!" Der Ruf der frühen Christen, in jedem Gottesdienst: "Komm, Herr
Jesus! Dein Reich komme, komme selbst, beschleunige dein Kommen. Wie lange noch Herr,
wartest du?" Das ist also etwas ganz anderes als die apokalyptischen Ängste, die
manche Menschen jetzt heimsuchen mit Weltuntergansprophetien, es ist die Sehnsucht nach
dem Kommen Jesu: "Dein Reich komme." Aber gleichzeitig, und das ist bezeichnend
für die christliche Haltung, gleichzeitig sagen wir: Dein Reich ist schon gekommen,
endgültig. Das Konzil sagt einmal, das Ende der Zeiten ist schon zu uns gekommen und die
Erneuerung der Welt ist unwiderruflich begründet. Sie ist in gewisser Weise in dieser
Weltzeit schon vorweggenommen. Mit Christi Tod und Auferstehung ist das Ende der Zeiten
schon zu uns gekommen, die Welt endgültig erneuert, das Reich Gottes ist schon da.
Freilich noch keimhaft, noch im Kommen, im Wachsen. Die Kirche, sagt das Konzil, ist auf
Erden schon der Keim und der Anfang des Reiches Gottes. Kirche, Reich Gottes im Keim und
Anfang. Christus ist schon das vollkommene Reich Gottes, aber wir sind noch nicht
vollkommen im Reich Gottes, wir sind noch unterwegs, wir sind noch pilgernde Kirche.
Wie lange wir pilgern werden, wie lange die Zeit der Kirche dauert, das
wissen wir nicht, es ist nicht in unserer Hand. Aber das Reich Gottes ist schon sicher
verwurzelt, sicher gekommen. Freilich liegt das Reich Gottes noch im Kampf, ein anderes
Reich scheint oft viel, viel mächtiger, übermächtig. Der Fürst dieser Welt will uns
glauben machen, dass er viel mächtiger ist. Wenn wir das Reich Christi finden wollen,
dann müssen wir auf die Kleinen und die Armen schauen. "Selig die Armen, ihrer ist
das Himmelreich, jetzt schon. Selig die Armen im Geist, denn ihnen gehört das
Gottesreich, die Gottesherrschaft." Ich durfte diese Woche einen Sterbenden begleiten
und durfte sie wieder einmal erfahren, die Ohnmacht des Sterbens, in der die Herrlichkeit
des Reiches Gottes manchmal so greifbar nahe ist, ich durfte erleben, wie ein Mensch auch
durch die Todesleiden, die Agonie hindurch wirklich den Schritt ins Reich Gottes tut. Wie
die Gottesherrschaft, das Reich Christi, in der Ohnmacht, in der Armut, in der
Ausgliefertheit eines Sterbenden schon sichtbar wird. Wenn wir also beten: "Dein
Reich komme", dann beten wir auch darum: "Herr, öffne uns die Augen, damit wir
Dein Reich kommen sehen, an vielen Zeichen, in vielen kleinen und oft verborgenen
Ereignissen, dann kommt es auch zu uns."
Und nun zum Schluss die dritte Bitte: "Vater, Dein Wille
geschehe." Alle drei Bitten sprechen im Grunde schon Erfülltes und schon Geschehenes
an, denn Gottes Namen ist ja heilig, Seine Herrschaft ist schon da, Er ist Herr und Gott,
alles ist in Seiner Hand. Und Sein Wille geschieht, sein Ratschluss besteht für alle
Zeit, Er tut was Er will, alles was Er will, geschieht im Himmel und auf Erden, und doch
bitten wir darum, wir bitten darum, dass Dein Wille geschehe.
So möchte ich schließen mit einem Gebet: "Vater, ich weiß, ich
weiß und glaube, dass Dein Wille geschieht, doch geschehe Dein Wille auch in mir. Vater,
lass nicht zu, dass Dein Wille ohne meinen Willen geschieht. Lass mich Deinen Willen tun
und daher zuerst erkennen und lieben was Du willst, damit ich dann auch tun kann, was Du
willst. Aber ich weiß, Vater, dass Dein Wille auf Erden unter uns, in uns, in mir, in
meinem Leben nur geschieht, wenn Du ihn in mir verwirklichst. Wenn Du Deinen Willen meinem
Willen einprägst, wenn ich nicht mehr das tue, was ich nicht will, das Böse, sondern das
Gute tue, das ich will und das mein wahres Glück ist. Vater, im Himmel geschieht schon
jetzt ganz und gar Dein Wille und deshalb ist der Himmel voller Glückseligkeit. Deshalb
sind die Engel und die Heiligen selig, weil Dein Wille in ihnen ganz geschieht, aber ich
bin noch weit davon entfernt. Vater, hilf mir, hilf uns, dass Dein Wille geschehe wie er
im Himmel schon geschieht, so auch jetzt bei uns und in uns auf Erden.
Amen.
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