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Formen des Gebetes - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1998/1999
3
. Jahresreihe - 6. Katechese, 21.02.99

Formen des Gebetes

Formen des Gebetes

Komm Heiliger Geist, Geist der Wahrheit und der Liebe, Geist des Vaters und des Sohnes, erleuchte unseren Verstand, stärke unseren Willen, wohne ein in unserem Gedächtnis, führe uns in alle Wahrheit ein in Christus unserem Herrn, AMEN!

Heute möchte ich einige andere Formen des Gebetes besprechen. Formen, die uns vertraut sind, die gewissermaßen einen Kranz von Gebetsweisen und Gebetsformen um diese Urform des Gebetes, das Bittgebet, bilden. Wir haben letztes Mal gesehen, wie sehr Bitten ein Ausdruck unserer Geschöpflichkeit ist, dass wir abhängig sind von Gott, dass wir in der Bitte erfahren, wer wir sind, auch wer Gott ist, und darin Ihm auch unsere Anerkennung aussprechen, weil wir von Ihm etwas erwarten können, was wir von uns nicht erwarten können. Im Katechismus steht als erste Form des Gebetes der Segen. Der Katechismus nennt den Segen, die Anbetung, das Bittgebet, das Fürbittgebet, das Lobgebet und das Dankgebet. Am Anfang steht der Segen.

Ist überhaupt der Segen ein Gebet, ist nicht der Segen vielmehr etwas, was wir empfangen, und nicht etwas, was wir als Gebet sprechen? Und doch heißt es im Katechismus, dass der Segen die Grundbewegung des christlichen Betens ist. Wie erleben wir den Segen? Ich möchte mit einer Erinnerung beginnen, die ein Freund von Alexander Solschenizyn aufgezeichnet hat in seinen Memoiren, in seinen Erinnerungen, Dimitri Panin hieß er. Er war zusammen mit Alexander Solschenizyn in einem Viehwagen unterwegs nach Sibirien in das Todeslager, in jenes Lager, das Solschenizyn in dem Roman "Ein Tag im Leben des Ivan Denisowitsch" beschrieben hat. Wie sie da eingepfercht in den Viehwägen auf einem Bahnhof stehen, auf der langen, endlosen Fahrt nach Sibirien, wo nur die Augen der Häftlinge durch die Schlitze herausschauen, da sehen Dimitri Panin und Alexander Solschenizyn eine alte Frau, die am Bahnsteig steht und diese armen Gefangenen, von denen sie gerade Augen erspähen kann, segnet, und es laufen ihr Tränen über die Wangen.

Und Dimitri Panin schreibt, als er nach vielen Jahren in den Westen emigriert - freigekommen -, eine Audienz bei Papst Paul VI hatte und vor ihm niederkniete, um den Segen zu empfangen - und als der Papst ihn segnete, sah er plötzlich vor seinen Augen wieder diese arme Frau auf dem sibirischen Bahnhof. Der selbe Segen des Papstes und der Segen dieser armen Frau! Was ist das, der Segen? Was ist es, wenn wir einander Segen wünschen, einander segnen, wenn wir um Gottes Segen füreinander bitten? Im vergangenen August war ich in Ecuador, um unsere Mitbrüder, Priester, Diakone aus unserer Diözese, die dort tätig sind, zu besuchen, und bei jedem Gottesdienst und bei allen möglichen Gelegenheiten kamen Scharen von Menschen, vor allem am Ende der Gottesdienste, Kinder und auch Erwachsene, "Padre, una benedicion! Pater, einen Segen!" und haben erwartet, dass ich ihnen einen Segen gebe.

Dieses Verlangen, Segen zu empfangen, was bedeutet es? Segnen hat eine doppelte Bewegung, der Segen kommt von oben, aber er steigt auch auf von uns zu Gott. Der Segen kommt von oben, das sagen wir sogar sprichwörtlich, wenn ein kräftiger Regenguss sich über uns ergießt, dann nennen wir das auch einen "Segen von oben". Wir wissen, dass alle guten Gaben von oben kommen. Der Segen kommt von Gott und deshalb ist die erste Bewegung des Segens eine Bewegung von Gott zu uns. Wenn wir den Segen Gottes am Schluss der Messe z.B. erbitten, dann bitten wir, dass Gott seinen Segen herab sende. Aber das bedeutet immer auch, dass wir selber solche werden, die segnen können, Segen weitergeben können. Als Gott Abraham beruft und ihn segnet, heißt es dann weiter: "Und du sollst ein Segen sein und in dir sollen alle Völker gesegnet sein". Er selber soll ein Segen sein und durch ihn soll Segen kommen. Wir können also Gottes Segen weitergeben, wir dürfen selber Segnende sein. Das ist die eine Bewegung, die von Gott ausgeht und uns berührt, uns erreicht, die aber auch durch uns weitergegeben werden kann, wenn wir segnen. Aber können auch wir Gott segnen? Die umgekehrte Bewegung, die von uns zu Gott aufsteigt! Im lateinischen Wort "benedicere" ist beides enthalten: Der Segen Gottes, aber auch unsere Antwort an Gott. Benedicere, wohl sagen, gut sagen, benedicieren. "Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, gesegnet ist die Frucht deines Leibes", beten wir im "Gegrüßet seist du Maria" und so wie Gott uns benedeit, so können wir ihn benedeien, so können wir ihm antworten und ihn segnen. Zumindest ist es in den biblischen Sprachen - im hebräischen und auch im griechischen - das selbe Wort. Gott segnet uns und wir antworten, indem wir ihn benedeien, in dem wir ihn segnen.

Darüber möchte ich ein wenig sprechen, denn es ist eine Form des Gebetes, die uns wieder bewusster werden soll. Sie ist in der jüdischen Tradition sehr vertraut - auf Jüdisch sagt man "a Broche", vielleicht kennen einige von Ihnen das Wort, "eine Broche", "eine Berachot", eine Segnung oder eine Benedeiung. Beides ist in dem Wort enthalten, ein Segen, der von Gott ausgeht und dem wir ihm gewissermaßen zurückgeben. Es gibt bei den frommen Juden eine sehr schöne Tradition, dass man am Tag 100 mal Gott benedeien soll, vom Aufwachen bis zum Einschlafen, den ganzen Tag über. Diese Benedictionen, diese Berachot, diese Segnungen, die zugleich Danksagung an Gott und Rückgabe des Segens an Gott sind, sie sollen uns in allen Gelegenheiten des Lebens zu einem Segen machen. Köstlich sind diese Benedictionen, diese Segenssprüche. Wenn man die Augen aufmacht, soll man dem Schöpfer des Lichtes danken, wenn man aus dem Bett heraus steigt, gibt es eine Benedicion, eine Broche, die Gott dafür dankt, dass er die Erde befestigt hat, wenn man so aus dem schwankenden Bett heraus steigt und wieder festen Boden unter den Füßen hat. Wenn man aufwacht, soll man gleich danken für die Auferstehung, denn so wie man des Morgens wieder zu sich kommt, so wird es sein bei der Auferstehung. Auch soll man dafür danken, dass man nicht als Frau geboren ist, wenn man ein Mann ist. Aber es gibt auch die umgekehrte Benediction, dass die Frauen danken dürfen, dass sie nicht als Mann geboren sind. Es gibt Benedictionen zum Essen, eine solche kennen wir, es ist die Benediciton, die Jesus selber über das Brot und den Becher gesprochen hat und wir verwenden sie in der Eucharistie zur Opferung, zum Offertorium, wenn es dort heißt: "Gepriesen bist du Herr, Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, es werde uns zum Brot des Lebens." Das ist eine typische, jüdische Benediction (das Brot segnen), die diese Doppelbewegung sehr schön zum Ausdruck bringt. Du schenkst uns das Brot, die Gabe kommt von dir, sie ist Ausdruck deines Segens für die Erde, sie ist Segen und wir geben sie dir zurück in unserem Dank, in unserem Lobpreis, in unserer Darbringung. Alles, auf das wir einen Segen legen, geben wir damit Gott zurück. Wenn wir so segnend leben, dann üben wir einen priesterlichen Dienst aus. Die jüdische Tradition ist sich bewusst, dass es ein priesterlicher Dienst des Volkes Gottes ist, Segen zu sein, Gottes Segen auf die Dinge zu legen und sie so Gott zurück zu bringen.

Das, was der Priester in der Messe tut, indem er Brot und Wein nimmt und sie darbringt als die Gaben, die Gott gegeben hat und die ihm jetzt zurückgegeben werden, das sollen wir mit allen Dingen tun. Alle soll sozusagen mit dem Segen Gottes belegt und damit Gott zurückgegeben werden. Denn wie alle Gaben von Gott kommen, so gehört auch alles Gott und wenn wir es benedeien, dann geben wir es Gott zurück. Vielleicht verstehen wir so besser, warum die Segnungen in der Kirche so wichtig sind. Manchmal ist man ein bisschen geneigt, das als Aberglaube abzutun, wenn Menschen kommen und wollen, dass ihre Medaille, ihr Rosenkranz, ihr Bildchen gesegnet werden und alles mögliche Andere soll auch gesegnet werden: Die Fleischspeisen zu Ostern, die Kräuter zu Maria Himmelfahrt, der Wein zu Johannis und vieles andere.

Aber darin kommt etwas sehr Tiefes zum Ausdruck, das oft die einfache Religiosität besser weiß als unsere verkopfte Religiosität. Dass alles von Gott kommt und dass es durch den Segen ihm gewissermaßen wieder zurück gegeben wird. So ist zumindest der ursprüngliche Sinn des Segens. Deshalb ist es gut und richtig, diese Segenszeichen auch zu verwenden. Nicht aus Ängstlichkeit, sondern in dem Wissen um die Gaben des Schöpfers und den Segen, den wir von ihm empfangen und den wir ihm zurückgeben. Ich denke hier an das Weihwasser, das gesegnete Wasser, an die vielen kleinen und großen Segnungen, die es in der Kirche gibt bis hin zu dem Kreuzzeichen, das die Eltern den Kindern und das wir einander auf die Stirn zeichnen als Zeichen des Segens. Wie wichtig der Segen ist, sehen wir an seinem Gegenstück, dem Fluch, dem Maledeien. "Vermaledeit" hieß es im alten Deutsch als Gegenstück zu "benedeien". Wie schlimm ist es, wenn wir Fluchen, statt zu segnen, wenn wir "maledicere" treiben, also Schlechtes sagen, zusprechen und damit wünschen. Ich nenne nur ein kleines Beispiel: Alle Autofahrer wissen, welchen Versuchungen man ausgesetzt ist, wenn andere sich nicht so benehmen, wie man es gerne möchte, wenn sie zu langsam fahren, zu schnell, zu hastig oder was immer; hier sollten wir nicht fluchen, sondern segnen, auch beim Autofahren. Ein schöner Brauch, den ich seit vielen Jahren kenne, leider manchmal vergesse, ist eine Segenskette. Es gibt solche Bemühungen, sie sind Stützen für unseren Alltag. So kenne ich viele Menschen und oft denke ich auch selber daran, die am Abend um 9.00 Uhr einander den Segen geben. Gewissermaßen in einer großen weiten Segenskette, rund um die Welt. Es ist ein kleines Zeichen, das uns daran erinnert, dass wir ein Segen sein dürfen und sollen.

Die Zweite Form des Gebetes, die der Katechismus neben dem Bittgebet nennt, ist die Anbetung. Sie ist - so sagt der Katechismus - die erste Haltung des Menschen, der sich vor seinem Schöpfer als Geschöpf erkennt. Was ist Anbetung? Anbetung heißt zuerst etwas von der Größe Gottes ahnen und vor ihr verstummen. Anbetung braucht nicht viele Worte, sie ist ein Ausgerichtet-Sein, ein ganz Ausgestreckt-Sein auf den Gott, dessen Größe wir ahnen und dessen Größe wir uns in der Anbetung annähern. Anbetung hat etwas mit Ehrfurcht zu tun. Moses nimmt die Sandalen von seinen Füßen, als er sich dem Dornbusch nähert. Anbetung ist also eine Haltung, die die Größe Gottes ahnt und auch zum Ausdruck bringt. Sie kann in aller Stille geschehen, sie bedarf keines besonderen Ortes, es kann mitten in der U-Bahn, im Alltagsleben eine tiefe innere Anbetung da sein, ein Aufschwung des Herzens zu Gott, ein Aufblicken hin zu ihm. Eine ganz besondere Form der Anbetung ist die vor der Eucharistie, die Eucharistische Anbetung. Es ist eigenartig, überall wo in der Kirche Erneuerung geschieht, ist ein waches Gespür für die Eucharistische Anbetung zu spüren. Ich glaube, das hängt eng miteinander zusammen, denn es gibt keine Gegenwart Gottes, die so geheimnisvoll, so nahe, so direkt und so wirklich ist, wie seine Gegenwart in der Eucharistie.

Natürlich ist Gott überall, allgegenwärtig, natürlich bedarf ich nicht eines besonderen Ortes, auch nicht der Kirche, um anzubeten. Aber es gibt keine Art der Gegenwart Gottes, die so dicht, so wirklichkeitsvoll - könnte man sagen - ist, wie die Eucharistische Gegenwart. Wir bekennen und glauben, dass Christus in der Eucharistie wirklich, wahrhaft, wesenhaft ganz da ist, gegenwärtig ist. Deshalb zieht es einen auch hin zur Eucharistischen Anbetung, weil es uns zu Ihm hinzieht, der in der Eucharistie gegenwärtig ist wie sonst nirgendwo. Der hl. Pfarrer von Ars hatte ein ganz starkes Gespür für diese Gegenwart Christi in der Eucharistie, und er hat bei seinen Katechesen, die die Menschen unvergesslich beeindruckt haben, sich immer wieder umgewendet, zum Tabernakel hin und hat ausgerufen: "Il est la. Er ist da, Er ist da." Eucharistische Anbetung. Ich glaube, auch auf unserem Weg hin zum Gebet ist es gut, sich einfach der Gegenwart des Herrn in der Eucharistie auszusetzen. Auch wenn wir Suchende im Gebet sind und bleiben, in der eucharistischen Gegenwart sind wir gewissermaßen vom Herrn Gefundene. Wir kennen die Geschichte vom Pfarrer von Ars, der einen Bauern immer wieder lange Zeit in der Kirche in Ars beten sieht. Dann fragt ihn einmal der Pfarrer von Ars: "Was tust du da?" und dieser Bauer antwortet: "Ich schaue Ihn an, Er schaut mich an.", Eucharistische Anbetung. Was ist das Besondere an dieser Anbetung? Warum will der Herr uns besonders nahe sein in der Brotsgestalt? Wenn wir im Johannesevangelium nachfragen, was Er über die Eucharistie sagt: "Ich bin das Brot des Lebens, ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.", dann sehen wir, dass Jesus sein ganzes Leben zusammenfasst in dem Bild, in der Wirklichkeit des Brotes. Er ist Brot des Lebens, das ist sein Leben, so ist er für uns. Wie Brot für den Menschen ist, so ist er für uns da, ja, nicht nur da, sondern gegeben, hingegeben, damit wir leben. In dieser Form, in dieser Gestalt will er uns gegenwärtig sein in der Eucharistie, in diesem unscheinbarsten Zeichen des Brotes, indem er in der Gestalt unter uns ist, wie er sich selber schenken will. "Ich bin das Brot des Lebens." Deshalb ist die Eucharistische Anbetung eine Form des Gebetes, die uns ganz direkt, ganz in die Mitte der Hingabe Christi für die Menschen führt. Es ist kein Zufall, dass die Schwestern von Mutter Theresa, die Schwestern der Nächstenliebe, so stark die Eucharistische Anbetung pflegen und dort die Quelle dafür finden, warum sie ganz für die Menschen da sein wollen. Mutter Theresa hat das einmal sehr schön zum Ausdruck gebracht: Es wurde ihr ein großer, kostbarer Rubin geschenkt und sie hat spontan gesagt: "Der ist für den Tabernakel in Kalkutta." Dann hat man sie gefragt:" Aber Mutter Theresa, mit diesem kostbaren Rubin könnten sie so vielen Armen helfen wenn der verkauft würde, und der Erlös den Armen gegeben würde". Da hat Mutter Theresa geantwortet: "Wo Christus nicht mehr verehrt wird, dort werden bald auch nicht mehr die Armen gesehen". Weil gerade in der eucharistischen Gegenwart Christus in seiner völligen Hingabe für uns gegenwärtig ist, in der Brotsgestalt.

Kommen wir zum Dankgebet. Das Dankgebet, "Eucharistia" - das Wort, von dem auch unser Wort Eucharistie kommt - heißt Danksagung. Sie ist der Ausdruck, die Zusammenfassung der Danksagung Jesu an den Vater. Aber bevor wir versuchen, ein wenig einzudringen in den Sinn des Dankgebetes, eine Vorüberlegung: Was ist eigentlich der Dank? Dank ist Anerkennung für etwas, das man bekommen hat. Ich habe ein Buch bekommen - das kommt gelegentlich vor - und ich danke dafür. Wenn ich es nicht tue, dann bin ich eben nicht dankbar. Jemand hat mir einen Dienst erwiesen und ich danke ihm dafür und wenn ich es nicht tue, dann bin ich undankbar oder zerstreut. Aber auch das kann eine Form der Undankbarkeit sein. Dankbarkeit hat etwas zu tun mit den rechten Antworten auf eine Gabe.

Undankbarkeit fällt uns oft schmerzlich auf, bei anderen mehr als bei uns selber. Undankbarkeit entsteht, wo man Gaben für selbstverständlich hält. Man nimmt es einfach für selbstverständlich, dass jemand Zeit für mich hat, dass jemand mir etwas gibt, das ich bekomme, was ich brauche oder vielleicht sogar etwas, das ich nicht brauche, aber das mir geschenkt wird. Ich nehme es alles für selbstverständlich, ja vielleicht sogar als einen Anspruch, der mir zusteht, obwohl ich es gar nicht verdient habe: Das ist Undankbarkeit und Undankbarkeit kann sehr schmerzen. Positive Dankbarkeit ist etwas, was den Menschen sehr liebenswert macht. Ich hatte eine Großtante, die 104 Jahre alt geworden ist und sie wurde von allen innigst geliebt. Das Geheimnis war sehr einfach: Sie war immer und für alles dankbar. Die Dankbarkeit hat sie in Worten ausgedrückt oder durch ihr Wesen ausgestrahlt. Deshalb war sie bis zu ihrem 104. Lebensjahr nie alleine, alle waren glücklich, zu ihr zu kommen und bei ihr zu sein, sie war umgeben von viel Liebe. Das Geheimnis war einfach Dankbarkeit. Dankbarkeit ist eine Haltung, die weiß, wie sehr alles Geschenk ist. Wie dumm gehen wir oft durch den Alltag, wir nehmen so vieles für selbstverständlich, was es gar nicht ist.

Es ist nicht selbstverständlich, dass wir hier sein dürfen, dass es diesen Dom gibt. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir leben, dass wir Augen haben, zu sehen, Ohren haben, zu hören, dass wir gesund sind. Wir merken erst, wie wenig selbstverständlich es ist, wenn wir die Gesundheit verlieren. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Sonne in der Früh aufgeht, auch wenn das nach den Naturgesetzen selbstverständlich ist, und doch ist es nicht selbstverständlich, dass wir Luft zum Atmen haben und das Licht leuchtet, dass es Wasser zu trinken gibt. Nichts ist selbstverständlich! Unser Onkel aus Amerika - den gibt es in manchen Familien - wir hatten auch einen, der hat uns als Kinder gesagt "never thake anything for granted". Das sind so Sätze, die man sich ein Leben lang merkt: "Nimm nie etwas für selbstverständlich". Dankbarkeit dafür, dass alles, was wir haben und was wir sind, Geschenk ist und wenn diese Haltung da ist, wenn ich nicht aus einer Anspruchshaltung lebe, dann wächst in meinem Herzen die Eucharistia, die Danksagung. Wie muss es im Herzen Jesu gewesen sein, wenn sein Dank zum Vater aufsteigt? Denn ihm gehört alles und doch weiß Jesus, wie niemand von uns, dass alles vom Vater kommt, dass er sich selber ganz und gar empfangen hat und dass alles vom Vater kommt. So ist Jesu Haltung dem Vater gegenüber die Eucharistia, die Danksagung, und das muss etwas gewesen sein, was die Jünger so beeindruckt hat, das sie in den Evangelien immer wieder notiert, aufgeschrieben haben: Jesus nahm das Brot, sagte Dank, brach es und gab es den Jüngern. "Sagte Dank", immer wieder kommt diese Danksagung Jesu zum Ausdruck. Eucharistia: In der Eucharistie kommt die Haltung der Dankbarkeit, gewissermaßen wie in einem Brennglas, zusammen. Es wird alles zusammengefasst, wofür wir danken können und sollen, für die Schöpfung. Die Gaben, die wir in der Eucharistie bringen, sind ja die Frucht der Erde und des Weinstocks und der menschlichen Arbeit, vor allem die Gaben der Erlösung. Die Gabe schlechthin, die Jesus selber ist. Wenn wir dann Brot und Wein, die Jesu Leib und Blut geworden sind, darbringen, dann ist das Eucharistia: Danksagung mit Jesus an den Vater.

Die letzte Form, die der Katechismus bespricht, ist das Lobgebet. Das Lob ist die Gebetsform - sagt der Katechismus -, die am unmittelbarsten Gott anerkennt. In der Bitte will ich etwas haben, und das ist ganz recht so, denn ich brauche viel und deshalb ist es recht, Gott zu bitten. Im Segen antworte ich auf das, was Gott uns geschenkt hat, im Dankgebet danke ich für die Gaben, die ich empfangen habe, aber im Lob lobe ich Gott nur, weil er Gott ist. Nicht wegen seiner Gaben, das ist das Dankgebet, nicht für das, was ich bekommen habe, sondern einfach weil Gott Gott ist. Deshalb ist das Lobgebet in gewisser Weise die Form, in der nur Gott selber im Mittelpunkt steht, sie dankt Gott dafür, dass Gott Gott ist, sie lobt Gott. Das muss etwas so Herrliches sein, dass die Bibel uns das in den verschiedensten Bildern und Visionen schildert, wenn der Himmel sich auftut bei den Propheten in der Geheimen Offenbarung und man die Scharen der Engel und der Seligen sieht und wahrnimmt, die Gott loben. (Das ist der reine Ausdruck der Größe Gottes, Lob als Anerkennung Gottes, gleichsam: "Es ist gut, dass Gott Gott ist".) Für uns ist der Weg zum Lobgebet sicher zuerst einmal das Staunen. Staunen über die Wundertaten Gottes, staunen über Christus, staunen über Gottes Hilfe. Das kann uns dazu führen, dass wir ins Lob übergehen, dass unser Gebet aus der Bitte, dem Dank in das Lobgebet übergeht. Die Psalmen sind hier eine große Schule des Lobgebetes. Wenn wir an den 150 Psalm denken, wo alle Instrumente aufgerufen werden, um einfach Gott mit Pauken und Trompeten zu loben. Die Geheime Offenbarung zeigt uns den Himmel offen stehend, wie das Lob Gottes dort dargebracht wird, wie der Himmel - sozusagen - reines Lob ist. Für uns ist das Lob Gottes immer auch eine Schule der Loslösung von uns selber, gewissermaßen wegzuschauen von uns und hinzuschauen, einfach auf Gott, Freude an Gott. "Dios solo basta" sagt die hl. Theresia von Avila "Gott allein genügt". Aber es gibt natürlich oft und oft Gelegenheiten und Momente, wo wir wissen, dass wir vieles brauchen und dann ist das Bittgebet wieder am Platz.

Ganz zum Schluss ein Hinweis auf eine Form des Gebetes, die im Katechismus nicht sehr ausführlich erwähnt ist, die aber in der Gebetstradition eine wichtige Rolle spielt: es ist das Stoßgebet, kurze Anrufungen Gottes. Eine Form, die wir den ganzen Tag über mitten in der Arbeit, mitten im Gespräch anwenden, verwenden können, dass wir uns sozusagen einen Augenblick zu Gott erheben, uns an ihn wenden. Das kann in allen Formen des Gebetes sein, das kann eine Bitte sein ("Herr hilf mir"), das kann ein Lob sein, das kann ein Dank sein, das kann ein kurzer Segen sein. Das Stoßgebet ist sozusagen das Kleingeld des Gebetes. Damit es lebendig sein kann, brauchen wir sicher auch die intensiveren, längeren Gebetszeiten, aber nichts kann und soll uns daran hindern, in den verschiedensten Momenten unseres Alltags Stoßgebete zu beten. Es ist gut, sich gewisse Stoßgebete anzugewöhnen, es ist gut, sich ein Wort anzugewöhnen, das man fast automatisch beim Aufwachen sagt. Ein Stoßgebet beim Aufwachen, das wird dann zur Gewohnheit, und dann wachen wir wirklich so auf. Es ist gut für diesen Moment des Einschlafens - der etwas Wunderbares ist, wenn es einem geschenkt ist, dass man gut und leicht einschlafen kann, es ist eine Plage wenn einem das nicht gegeben ist - mit einem Stoßgebet, mit einem Gedanken des Dankes, der Bitte; das kann - ich darf das ganz persönlich empfehlen - auch eine Anrufung des Schutzengels sein, ich habe das sehr gerne als eine Gebetsform, aber darüber werden wir bei anderer Gelegenheit sprechen, was die Engel und Heiligen im Gebet verloren haben. Stoßgebet, mitten im Alltag, das kann auch so etwas sein, wie ein kurzes Eintauchen in die Gegenwart Gottes. Ein kurzes Abtauchen aus dem Lärm des Alltags in die Gegenwart, in die Stille Gottes und wieder auftauchen erfrischt, gestärkt für den weiteren Alltag. Segen, Anbetung, Dank und Lob, alles das kann in der Form des Stoßgebetes sein.

Ganz zum Schluss der Hinweis: Alle diese Gebetsformen sind zusammengefasst in der einen, großen Gebetsform der Kirche, in der Eucharistie. Sie ist die höchste und größte Gebetsform der Kirche, weil es das Gebet Christi selber ist, seine Hingabe an den Vater. Weil es gewissermaßen das Gebet des ganzen Leibes Christi ist, deshalb ist die Eucharistie die Summe aller Gebetsformen. Wenn wir es durchschauen, vom Segen über die Anbetung, die Bitte, die Fürbitte, den Dank bis hin zum Lob, ist alles in der Eucharistie zu finden. Wir werden nächstes Mal einen Schritt weitergehen und uns mit den drei Formen der Ausdrucksweise des Gebetes befassen, nämlich dem mündlichen Gebet, der Meditation und dann dem inneren Gebet. Die drei Formen, in denen sich das Gebet ausdrücken kann, ob das jetzt das Lob- oder Bitt- oder Dankgebet ist, alles kann als mündliches Gebet gesprochen werden, ausgesprochenes Gebet oder als betrachtendes oder als ganz im Inneren geschehendes Gebet. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Fastenzeit, auch, dass Sie hoffentlich mehr Zeit zum Beten haben als sonst im Jahr.

Gelobt sei Jesus Christus!

 

 



 

 

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