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Arten des Gebetes - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1998/1999
3
. Jahresreihe - 5. Katechese, 10.01.99

Arten des Gebetes

Arten des Gebetes

In unserer heutigen Katechese über das Gebet möchte ich ein wenig über die Arten des Gebetes sprechen. Ich erinnere an unser Thema im Dezember: Wir haben versucht, den Ort zu finden, den Ort zu betrachten, wo das Gebet gewissermaßen "zu Hause" ist. Wir haben das Gebet Jesu betrachtet. In den Weihnachtstagen haben wir mindestens zweimal den Prolog des Johannesevangeliums gehört: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott." Wenn man genauer hinschaut, heißt es dort im Griechischen: "Das Wort war auf Gott hin", oder - fast könnte man sagen - "in Gott hinein": ???_ ??? ???_??.

Das Wort war bei Gott, auf Gott hin. Das heißt, das Ewige Wort, der Sohn, ruht im Schoß des Vaters, wie Johannes ganz am Schluss des Prologes sagt: "Er ist ganz aus dem Vater, er ist ganz auf den Vater hin, dort ist er gewissermaßen zu Hau- se, das ist sein Ort." Und wenn er, der Menschgewordene, über das Himmelreich spricht, dann meint er vor allem diesen Ort. Dort ist unsere Heimat, dort ist unser Zuhause, im Himmelreich, in der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes. Jesus ist in seinem Gebet dort zu Hause, darum ist das Gebet Jesu für uns gewissermaßen der Ort, wo wir ihn am tiefsten in seiner Sendung, aber auch in seinem Wesen, in seinem Geheimnis entdecken können, dort wohnt er gewissermaßen. Von dort hat er alles, was er tut, aber noch mehr: Alles was er ist! Er ist ganz vom Vater her, aus dieser Quelle schöpft und lebt er und zu dieser Quelle will er uns hinführen. Wenn wir nach dem Weg des Gebetes fragen, dann fragen wir vor allem nach dem Gebet Jesu, wo sein Gebet zu Hause ist. Und wir bitten, dass wir hinein genommen werden in das Gebet Jesu, dass er uns gewissermaßen sein Gebet einprägt, unser Herz mit seinem Herzen verbindet. Oder, wir können es auch so sagen, dass er in uns betet, nicht nur mit uns und für uns, sondern in uns durch den Heiligen Geist, und das ist das tiefste Geheimnis des christlichen Betens.

Der hl. Pfarrer von Ars, der so oft über das Gebet gesprochen hat, sagte einmal: "Wenn wir im Namen Jesu Christi beten, sind nicht wir es, die beten, sondern es ist Jesus Christus selber, der seinen Vater für uns bittet. Er betet durch den Heiligen Geist in uns." Deshalb hilft es uns auch, dass wir beim Gebet uns Jesus vorstellen. Der Pfarrer von Ars sagt: "Wenn ich bete, stelle ich mir Jesus vor, wie er zu seinem Vater betet, und dann finde ich gewissermaßen den Weg meines Gebets." Der Pfarrer von Ars muss in ganz besondere Weise über das Gebet gesprochen haben, die Menschen, die zu Hunderten, zu Tausenden nach Ars gekommen sind, um diesen einfachen Dorfpfarrer zu hören, um bei ihm zu beichten, um bei ihm bei der Messe dabei zu sein, waren immer wieder ergriffen, wenn sie ihn beten gesehen haben. Er hat oft und oft aus- gerufen, wie schön das Gebet ist: "Das Gebet ist das Glück der Seele auf Erden," sagt er, "das innerliche Leben ist wie ein Bad, in das die Seele eintaucht, sie ist wie untergetaucht in der Liebe." Der Pfarrer von Ars ermutigt deshalb so zum Gebet, er wird nicht müde, die Schönheit und die Freude des Gebetes zu beschreiben, das Glück des Gebetes, aber auch die Schwierigkeiten des Gebetes, die Trockenheit, den Mangel an Zeit für das Gebet, die Not, zuwenig Stille zu haben. Alles das kennt er und davon spricht er. Aber mehr noch drängt es ihn zu sagen, wie schön, wie glücklich der Mensch ist, der beten kann, der das Glück des Gebetes kennt.

Heute möchte ich über die Arten des Gebetes sprechen, das nächste Mal über die Formen des Gebetes und das übernächste Mal über die Schwierigkeiten oder den Kampf des Gebetes. Heute spreche ich über die Grundarten des Gebetes: Das Bittgebet, die Fürbitte, den Dank, das Lob, die Anbetung, das Segensgebet. Das nächste Mal, bei den Formen des Gebetes, über das mündliche Gebet, die Betrachtung, das betrachtende Gebet, und vor allem über das innere Gebet oder beschauende, kontemplative Gebet. Das übernächste Mal spreche ich über das, was wir wohl alle kennen im täglichen Bemühen um das Gebet: Die Zerstreuungen, die Trockenheit, der Überdruss, der Glaubensmangel, die Schwierigkeiten, denen wir auf dem Weg des Gebetes begegnen und die uns oft auch hindern am Gebet. Noch eine Vorbemerkung: Es soll niemand abgeschreckt sein durch das, was man jetzt über das Gebet in den Katechesen hört oder in Büchern lesen kann. Es genügt oft schon die Sehnsucht, beten zu wollen. Natürlich will die Sehnsucht auch Erfüllung, aber schon das Verlangen nach dem Gebet ist Weg zum Gebet, und mit dem Beten ist es wie mit allen Übungen des menschlichen Lebens: Wir lernen es nur, indem wir es tun. Wie man schwimmen nicht lernt, wenn man ein Buch über das Schwimmen liest, sondern, indem man eben ins Wasser geht. Hoffentlich nicht gleich ins ganz tiefe Wasser, sondern so, dass man zu schwimmen beginnen kann. Aber eines ist ganz sicher: Die Freude des Gebetes wird nicht fehlen, die Freude, Gott zu finden, auch die Freude des Friedens, den das Gebet gibt.

Nun aber zu den Arten des Gebetes. Welches ist die Urform des Gebetes?

Als damals die Redaktionskommission des Katechismus der Katholischen Kirche das Kapitel über das Gebet zu bearbeiten hatte, war eine Frage, die auch von den hohen Herrn Kardinälen damals diskutiert wurde: "Mit welcher Form des Gebetes soll man eigentlich beginnen, was ist die höchste Form des Gebetes?" Manche meinten, natürlich müssen man mit der Anbetung beginnen oder mit dem Lobgebet oder mit dem Dankgebet. Aber es hat sich dann doch durchgesetzt, dass man mit dem Bittgebet beginnt. Denn das war die Überzeugung, die im Grunde aus dem NT, aus der ganzen Heiligen Schrift uns entgegenleuchtet: Das Bittgebet ist eigentlich die Urform des Gebetes. Bitten lehrt uns Jesus, wenn er uns lehrt, wie wir beten sollen. Jesus sagt: "Wir sollen den Vater bitten, dass sein Name geheiligt werde, dass sein Reich komme, dass sein Wille geschehe." Die sieben Bitten des Vater Unser, eben sieben Bitten. Die lehrt er uns, wenn er uns das Beten lehrt. Und wenn wir die Gleichnisse anschauen, in denen Jesus vom Ge- bet spricht, ist fast immer von den Bitten die Rede. Da ist das Gleichnis (ich habe es schon in einer früheren Katechese erwähnt) von dem Freund, der in der Nacht zum Freund kommt und um einen Laib Brot bittet, weil ein Gast zu ihm gekommen ist. Der Freund ist unwillig, aber er gibt es ihm dann doch, weil er so bedrängt wird von diesem Freund. Oder die Witwe, die ihr Recht haben will und den Richter belästigt bis er ihr Recht gibt. Jesus spricht also, wenn er vom Gebet spricht, vor allem vom Bittgebet. Bittet, klopft an, und es wird euch aufgetan! In der Bergpredigt ermutigt er uns zum Vertrau- en. Voll Vertrauen sollen wir bitten. Unser Vater weiß, was wir brauchen und er wird es uns geben.

Warum ist also das Bittgebet die Urform des Gebetes, die grundlegendste Art des Gebetes? Ich sehe dafür vor allem drei Gründe: Der erste Grund ist, dass wir Geschöpfe sind. Das Bittgebet erinnert uns daran, dass wir alles, was wir sind und haben, empfangen haben. Es ist Ausdruck der Abhängigkeit. In der Gnosis, in der Esoterik finden Sie, falls Sie solche Literatur lesen oder esoterische Lehren gehört haben, immer wie- der die Ablehnung des Bittgebetes, und das ist bezeichnend! Denn die Esoterik leugnet im Tiefsten die Abhängigkeit des Menschen als Geschöpf. Die Esoterik will uns weis machen, dass der Mensch in seinem innersten Kern göttlich ist und nicht ein Geschöpf, und dass es darum geht, sein wahres Selbst zu entdecken und wenn dieses Selbst Gott ist, göttlich ist, dann brauche ich nicht zu bitten. Ich möchte fast sagen, die Frage des Bittgebetes ist ein Test, ob jemand auf dem Weg des Glaubens oder auf dem Weg der Esoterik ist, denn das Bittgebet richtet sich an jemanden, die Esoterik sucht das eigene Selbst. Das Bittgebet ist Ausdruck dafür, dass ich nicht aus mir selber bin, ich habe mein Sein, mein Leben, alles, was ich bin, alles, was ich habe, empfangen. Im Bittgebet kommt zum Ausdruck, dass ich bedürftig bin. "Der Mensch ist ein Armer, der Gott um alles bitten muss" sagt der Pfarrer von Ars. Und der hl. Augustinus sagt: "Wir sind Bettler vor Gott". Der große Theologe sagt dieses ganz einfache Wort.

Wir sollen um das tägliche Brot bitten, sagt die vierte Vater Unser- Bitte. Damit kommt zum Ausdruck, dass wir alles, was wir zum Leben brauchen, empfangen. Natürlich müssen wir auch um das tägliche Brot arbeiten und uns mühen und doch: Alles, was wir sind und haben, haben wir empfangen! Das Bitten ist also Anerkennung, dass wir Geschöpfe sind, dass wir daher verwiesen sind auf den, der unser Schöpfer ist, ihn bitten wir. Und wenn wir schauen, wie das Ge- bet spontan verstanden wird, dann ist es tatsächlich zuerst einmal das Bittgebet. Fragen sie die vielen Menschen, Hunderte täglich, die hinten beim Maria Po -Altar eine Kerze anzünden: Fast immer ist es eine Bitte, die verschiedensten Bitten, alle möglichen Bitten. Ich komme darauf noch zurück. Wir bitten um Hilfe: Maria hilf! Die Bitte an Maria, ein Thema, das wir später einmal behandeln wer- den, warum wir auch die Heiligen - besonders auch Maria - bitten, in welcher Weise sie in unserem Gebet eine Rolle spielen, durch sie zu Christus. Der zweite Grund, warum wir bitten müssen, warum die Urart, die erste Art des Gebetes, das Bittgebet ist, ist die Tatsache, dass wir Sünder sind. Wir bedürfen der Umkehr, jede Bitte, jedes Gebet, das eine Bitte formuliert, ist eine Umkehr zu Gott. Selbst wenn ich um Brot bitte, wende ich mich gewissermaßen um, zu Gott hin. Der verlorene Sohn, der in die Fremde gegangen ist und das Erbteil vertan hat, geht in sich, kehrt um, kehrt nach Hause zurück zu seinem Vater. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater heimkehren und ihn bitten. Weil wir Sünder sind - nicht nur weil wir Geschöpfe sind - bedürfen wir des Bittgebetes, und in je- dem Bittgebet wenden wir uns bereits um, hin zu Gott. "Gott sei mir Sünder gnädig", betet der Zöllner.

Diese beiden ersten Gründe, warum das Bittgebet der erste und grundlegende Ausdruck des Gebetes ist, wollen wir noch etwas vertiefen. Man sagt, "Not lehrt beten", und das stimmt. Ich erinnere mich an einen Laienbruder bei uns im Dominikanerkloster, wenn er aus dem Krieg erzählt hat. Er hat bis zu seinem Tod Rosenkränze geknüpft, in großer Zahl, und hat das auch während des Krieges gemacht, und viele Soldaten haben ihn um einen Rosenkranz gebeten. Not lehrt beten. Wenn wir nicht mehr ein und aus wissen, wenn alle menschlichen Bemühungen an eine Grenze stoßen, dann lernen wir wieder zu beten. Nun kann man sich fragen, ist das nicht doch sehr beschämend, dass wir so oft Gott vergessen, wenn es uns gut geht, und dass wir uns an ihn erinnern, wenn es uns schlecht geht? Dass Zeiten des Wohlstands oft auch Zeiten des Nachlassens des Glaubenslebens sind, und Zeiten der Not oft Zeiten sind, in denen wir umkehren und uns an Gott erinnern. Ist also Gott ein Lückenbüßer, an den wir uns nur er- innern, wenn wir eine Bitte haben, wenn wir etwas brauchen? Und wenn wir nichts brauchen, stellen wir ihn auf die Seite und vergessen ihn? Nun zeigt gerade das Gleichnis vom verlorenen Sohn, dass Gott darüber offensichtlich nicht (wenn ich so sagen darf) beleidigt ist, dass er uns daraus keinen Vorwurf macht. Der verlorene Sohn wird nicht mit Vorwürfen überschüttet, als er zurück kommt: "Jetzt erinnerst du dich! Jetzt, wo es dir schlecht geht, denkst du wieder an deinen Vater! Vorher hast du ihn vergessen, hast sogar dein Erbteil durchgebracht." Nein, in dem Gleichnis wartet der Vater auf ihn und empfängt ihn, umarmt ihn und nimmt ihn wieder als Sohn auf. Wir können uns selber die Frage stellen, wenn wir Gott betrachten, wie er mit uns umgeht, wenn wir in Not sind: Wie gehen wir miteinander um, wenn wir in Not sind? Wie viel Vorwürfe machen wir, wenn man uns vergessen hat in guten Zeiten, und sich an uns erinnert in schlechten Zeiten?

Die Not führt uns zurück zu Gott. In der Bitte ist also immer - wie ich gesagt habe - ein Moment der Umkehr enthalten. Ich kehre zurück, ich erinnere mich an den, der wartet, dass ich zu ihm komme und er weist mich nicht ab, obwohl ich es verdient habe. "Ich bin nicht würdig, dein Sohn zu sein", sagt der verlorene Sohn, als er zurückkehrt. Auch wenn wir ihn schon lange vergessen haben, er vergisst uns nicht. Nun führt uns das zu einer dritten Einsicht über das Bittgebet, und dies ist besonders wichtig. Im Bitt- gebet ist nicht nur die Bitte, weil wir Geschöpfe sind, abhängig, weil wir alles brauchen, nicht nur die Bitte um Umkehr, dass wir uns an Gott erinnern und zu ihm zurückkehren. Im Bittgebet ist immer auch eine Anerkennung Gottes, und das macht das Bittgebet so wichtig. Dieses einfachste aller Gebete, dass wir Gott um etwas bitten, ist Anerkennung Gottes, ist Anerkennung, dass wir seine Geschöpfe, seine Kinder sind, dass er unser Gott und Vater ist. Deshalb wird das Bittgebet an erster Stelle behandelt, es enthält in gewisser Weise auch einen Moment der Anbetung. Wenn ich Gott um etwas bitte, dann anerkenne ich, dass er Gott ist, das ist schon ein Akt der Anbetung! Es enthält auch einen Moment des Lobes, weil ich den, den ich bitte, für so groß halte, dass ich mit meinen Bitten zu ihm kommen kann. Und in gewisser Weise enthält es auch einen Moment des Dankes! Ich danke dem, dem ich es zutraue, dass ich mit einer Bitte zu ihm kommen kann. Und nun zeigt sich etwas, was Jesus uns schon in der Bergpredigt gesagt hat: "Je vertrauensvoller wir in unseren Bitten werden, desto mehr rücken Bitte, Lob und Dank zusammen." Je mehr wir im Vertrauen zu Gott - den Jesus uns als seinen und unseren Vater gezeigt hat - wachsen, desto inniger werden auch die Bitten und desto vertrauensvoller wagen wir zu bitten. Gleichzeitig wird damit in unseren Bitten auch der Dank und der Lobpreis an den Vater größer.

Das sehen wir in keinem Gebet so schön, wie im Magnificat, im Lobgesang der Magd des Herrn. Maria beginnt ihr Gebet mit diesem Wort: "Groß macht meine Seele den Herrn - Magnificat anima mea Dominum - meine Seele macht Gott groß". Das ist das große Vertrauen, in dem dann alle Bitten erst richtig ausgesprochen und vertrauensvoll vor Gott gebracht werden können. Je größer das Vertrauen wird, desto großherziger werden auch unsere Bitten. Wenn wir von Gott ein kleines Bild haben, dann trauen wir ihm gar nichts zu, vielleicht meinen wir sogar, dass es besser ist, ihn überhaupt nicht zu bitten. Je größer unser Vertrauen wird, desto größer werden unsere Bitten. Darum ist das Gebet der Heiligen ein so wagendes Gebet, weil es Gott Großes zutraut, ja weil es Gott Größtes zutraut.

Wie also sollen wir bitten, wie sollen unsere Bitten aussehen? Das erste, das Jesus uns dazu sagt, ist: "Wir sollen vertrauensvoll bitten. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht." Aber wie kommen wir zu mehr Vertrauen, wie kann unser Vertrauen wachsen, so dass wir nicht zu ängstlich sind in unseren Bitten? Der Pfarrer von Ars sagte einmal, "der liebe Gott liebt es, belästigt zu werden." Wir sind oft viel zu ängstlich, zu kleingläubig in unseren Bitten. Gott zeigt uns gerade in den kleinen Dingen, dass wir ihn wirklich bitten dürfen, damit unser Glaube wächst, damit unser Vertrauen größer wird. Wenn wir die Psalmen beten - das Grundgebet der Kirche und auch nach wie vor das Grundgebet der Synagoge - dann können wir sagen, die Psalmen sind die große Schule des Bittgebetes. Alles kann vor Gott gebracht werden: Klagen, Seufzer, Leiden, Nöte, manchmal regelrecht ein Rufen und Schreien vor Gott. Auch etwas, womit wir uns schwer tun: das Gebet, das bittet, aus der Hand der Feinde errettet zu werden. Das Gebet ist in den Psalmen recht herb über die Fein- de und wünscht ihnen allerlei Übel. Aber es kommt aus diesem großen Vertrauen heraus: Gott rettet seine Kinder auch aus größter Not.

Ich möchte hier ein Beispiel erzählen, das tatsächlich passiert ist, ein tschechischer Mitbruder hat es mir erzählt: Er hat in der kommunistischen Zeit an der Seligsprechung der hl. Zdislava gearbeitet (sie ist inzwischen durch Papst Johannes Paul II heilig gesprochen). Er war eingesperrt in einem dieser Konzentrationsklöster und hatte dort seine ganzen Akten und Unterlagen von der hl. Zdislava, deren Postulator er war. Eines Tages ist das Kloster von hundert Polizisten umstellt und alles wird perlustriert, durchsucht; ein Polizist stürzt in sein Zimmer und beginnt aus allen Schränken die Papiere herauszureißen. Der Mitbruder war ganz verzweifelt und hat sich gedacht, was wird jetzt mit meinen jahrelang gesammelten Unter- lagen passieren. Und als dieser Polizist da wütete, hat er innerlich den Fluchpsalm 106 gebetet (schauen sie ihn nicht zu genau an, er redet nicht sehr liebevoll über die Feinde). Auf jeden Fall hat er diesen Psalm, den er auswendig konnte, innerlich gebetet und an einer Stelle heißt es: "et dorsum eorum semper incurva" ("und krümme für immer ihren Rücken" - den Rücken der Feinde- ihr Rücken soll gekrümmt sein, der Psalm wünscht den Feinden noch viel schlimmeres als das). Wie er zu dieser Stelle kommt, ruft der Polizist plötzlich vor Schmerzen "Au!" und kann sich nicht mehr aufrichten. Er steht mit schmerzverzerrtem Gesicht, ganz gekrümmt über diesen Papieren und geht gekrümmten Rückens aus der Zelle des Paters und ist nicht mehr wiedergekehrt. Ich nenne dieses etwas amüsante und doch ernste Beispiel, wie die Bitte des Alten Bundes wirklich ganz konkret gemeint ist: Die Bitte voll Vertrauen, dass Gott auch aus den größten Nöten rettet. Wenn wir deshalb in diese Psalmen schauen, in denen über die Not mit den Feinden geredet wird, sie münden immer in einen großen Dank und Lobpreis. Denn sie sind getragen von dem Vertrauen, dass im Bittgebet alle Nöte Platz haben, und dass Gott keinen in seiner Not alleine lassen wird.

Im Hebräerbrief im 5. Kapitel steht eine Stelle, die das sehr dramatisch zum Ausdruck bringt im Bezug auf Christus selber. "Als er, Christus, auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhöht und aus seiner Angst befreit worden." Bittgebet selbst für Christus in der Form des Schreiens, der Not bis hin zur Todesangst, die Christus in Getsemani in seinem Gebet vor den Vater gebracht hat. Worum sollen, worum dürfen wir bitten? Wenn wir die Menschen, die beim Maria Po-Bild Kerzen anzünden, betrachten, wenn wir in ihre Herzen hineinschauen könn- ten, wenn wir lesen könnten, warum sie eine Kerze anzünden, wir würden wahrscheinlich alle nur irgendwie erdenklichen Bitten finden. Schulkinder, die vor einer Prüfung eine Kerze anzünden; Frauen, die eine Kerze anzünden, damit Maria hilft, dass der Mann nicht mehr trinkt; Menschen die eine Arbeit suchen, alles, alles würden wir dort finden. "Der Mensch ist ein Armer, der Gott um alles bitten muss" sagt der Pfarrer von Ars, ich habe es schon zitiert. Deshalb darf im Bittgebet auch alles seinen Platz haben aber in einer inneren Ordnung. Jesus sagt: "Sucht zuerst das Reich Gottes und alles andere wird euch dazugegeben (Mt 6,33)." Wir dürfen um alles bitten, um alles, was wir brauchen, aber immer: "Wie du willst." Jesus hat selbst darum gebeten, dass der Vater ihm den Kelch ersparen möge, dieser Kelch möge vorüber gehen, "aber nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe." "Wie Du willst, was Du willst!" Aber noch einmal die Frage: Worum dürfen wir bitten? Um alles Mögliche.

Ist es sinnvoll, um alles nur Erdenkliche zu bitten? Ich erinnere mich an eine Episode, ein Freund hat es mir erzählt, der es selber erlebt hat: Beim P. Pio in der Reihe der Wartenden stand ein Mädchen mit Akne im Gesicht und sie hat den P. Pio angefleht: " Padre, hilf mir dass ich befreit werde von meiner Akne." Und der P. Pio soll sie sehr lieb angelacht haben und gesagt haben: "Um was bittet ihr noch alles?". Und doch, warum darf dieses Mädchen nicht Gott bitten, von ihrer Akne befreit zu werden, die ihr, wie sie meint, Schande bereitet? Nichts ist lächerlich vor Gott. Wenn ich Gott wirklich bitte, dass er mich von dem befreit, was mich drückt, von meinen Fehlern, meinen Sünden, von dem, was mich leiden macht, dann ist das ja schon ein Ausdruck des Vertrauens. Wenn ich ihn wirklich bitte, dann ist darin schon ein Vertrauen, dass er wirklich helfen kann, zum Ausdruck gebracht. Eine letzte Frage zum Bitt- gebet: Aber, nützt das überhaupt etwas, das Bittgebet, bewirkt es etwas bei Gott, in der Welt? Kümmert sich Gott wirklich um die Akne von einem Mädchen oder einem Burschen, denen dies peinlich ist? Kümmert sich Gott um so kleine Dinge, um so kleinliche Dinge? Es ist leichter über das Lobgebet und über das Dankgebet oder über die Anbetung zu sprechen. Beim Bittgebet kommt aber deutlicher zum Ausdruck, worum es im Gebet geht.

Wir stoßen unweigerlich auf die Frage: wie viele Gebete bleiben unerhört, wie viele Gebete geschehen umsonst, werden nicht erfüllt? Und wenn wir etwas erhalten, worum wir gebetet haben, erhalten wir es deshalb, weil wir gebetet haben oder wäre es sowieso gekommen? Am Heldenplatz, am 21. Juni 1998, war strahlender Himmel, natürlich hatten viele Menschen gebetet, dass es schönes Wetter gibt. War der Himmel so strahlend klar wegen der Gebete? Am 22., am nächsten Tag, am Montag hat es den ganzen Tag in Strömen geregnet. Aber 1983 hat es beim Papstbesuch im Donaupark "aus Kübeln" geschüttet, hatte man da schlechter gebetet als im vergangenen Jahr, ist das Gebet damals nicht erhört worden oder waren es einfach die Naturgesetze, die damals so und diesmal anders gewirkt haben? Aber gehen wir die Frage anders an: Es geschieht doch nichts ohne Gottes Vorsehung, ohne Gottes Zulassung. Regen und Sonnenschein, nichts geschieht ohne ihn, Gesundheit und Krankheit bis ins Allerkleinste hinein reicht seine Vorsehung, seine Sorge um jeden von uns, "kein Spatz fällt vom Dach ohne euren himmlischen Vater". Wenn ich das glaube, wenn ich glaube, dass Gott in allem, auch im Kleinsten, der Vater ist, der liebende Vater, dann kann ich ihn um alles bitten wie meinen Vater, vielmehr noch als je ein menschlicher Vater Vater sein könnte. Gleichzeitig kann ich darauf vertrauen, er wird das Richtige geben. Der Regen, damals im Donaupark im Jahr 1983, war auch ein Geschenk. Viele haben ausgeharrt trotz des Regens und es wurde für viele ein Zeugnis des Glaubens bei strömenden Regen, bei der Papstmesse zu bleiben. Diesmal war Sonnenschein, als der Heilige Vater die Messe feierte, und es war auch ein Zeichen, ein Zeichen, dass Gott uns für die Kirche in unserem Land gegeben hat. Eines dürfen wir immer - und wir lernen es durch das Bittgebet - vertrauen: Er wird mir das Richtige geben, ich darf ihn um alles bitten, er wird mir das Richtige geben, selbst wenn es Leid und Not, ja, selbst wenn es mein Tod ist. Das Bittgebet, das Modell des Bittgebetes könnte man sagen, ist Jesu Gebet in Getsemani, Jesus als Bittsteller vor dem Vater. Wie ein Bettler bittet er, "lasst diesen Kelch an mir vor- übergehen", in größter Not. Und gleichzeitig das völlige Vertrauen, "aber nicht mein Wille, sondern der deine".

Ganz kurz zum Abschluss: Was geschieht hier im Bittgebet? Drei Hinweise:
Der Bittende wird vertrauter mit Gott, es wächst das Vertrauen zu Gott in dem Maß, wie wir uns bittend an Gott wenden. Darum lehrt uns Jesus so sehr, dass wir bitten sollen.

2. Das Bittgebet macht uns mit den Plänen Gottes vertrauter. Indem wir ihn in dieser Haltung des Vertrauens bitten, werden wir gewissermaßen zu Mitspielern an seinem Heilsplan, wir werden zu Fürbittern, wir werden zu Fürsprechern, so wie Thérèse für den Mörder Panzini. In dieser vertrauensvollen Bitte ist sie eingetreten in den Heilsplan Jesu für jeden Menschen, besonders für diesen Verbrecher, und ihr Bitten wurde ein Mitwirken am Erlösungswerk.
Wir werden also durch das Bittgebet Mitwirkende am Heils- plan Gottes. Monika bittet für Augustinus, für ihren Sohn. Zuerst bittet sie um eine gute Karriere, aber dann immer mehr wird es die Bitte um sein Selenheil, sie bittet um die Bekehrung ihres Sohnes.

Wenn das aber so ist, dann stellt sich die große Frage, und mit der schließe ich heute: Geschieht Heil dadurch, dass wir mitwirken durch unser Bittgebet, mitwirken an den Werken Gottes? Geschieht manches deshalb nicht, weil wir zuwenig beten? Die große Frage, die große Sorge: Geschieht manches Heil, manche Heilung, manche Gnade deshalb nicht, weil wir zuwenig mitgewirkt haben durch unser Bittgebet? Diese Frage soll uns nicht als Angst be- gleiten, als Angst vor Strafe, sondern fast als so etwas wie ein Kummer aus Liebe. Haben wir genügend mitgeliebt mit Gott, um durch unser Bittgebet mitzuwirken am Heil der Menschen? Damit seine Liebe zu uns nicht vergeblich bleibt, lädt Er uns ein, mitzulieben durch unser Gebet und so können wir mit Paulus sagen: Die Liebe Christi drängt uns. Wenn unser Bittgebet aus dieser Haltung kommt, dann ist es sicher ein Mitwirken am Heilswerk, am Heilsplan Gottes.

 

 



 

 

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