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Katechesen
1998/1999
3. Jahresreihe - 4. Katechese, 13.12.98
Gebet Jesu |
Wenn wir heute in dieser Katechese über das Gebet Jesu
sprechen, dann beginnen wir damit, Jesus darum zu bitten, dass er uns sein
Gebet besser erkennen, verstehen und lieben lässt und uns lehrt zu beten:
Herr Jesus Christus, in dieser Stunde bitten wir Dich um Deinen Heiligen
Geist, dass Du uns einführst in Dein Gebet zum Vater, dass Du uns mit
hinein nimmst in Dein Beten, dass Du uns den Weg Deines Betens zeigst und lehrst
und dass wir in Dir und mit Dir und durch Dich unseren Weg zum Vater finden,
der auf uns wartet und dessen Liebe uns ganz offen steht. Schenke uns jetzt
Deinen Heiligen Geist, damit wir ganz offen sind für das, was Du uns zeigen
willst, für das, was Du in unseren Herzen wirken willst. Amen.
Die Katechese über das AT breche ich gewissermaßen ab, aber ich empfehle sie
Ihnen weiter als persönliche Lektüre, als persönlichen Auftrag, die Beter
des Alten Bundes besser kennen zu lernen, mit ihnen vertrauter zu werden; vor
allem die große Gebetsschule des Alten Bundes, die Psalmen, die auch das Gebet
der Kirche sind, immer tiefer kennen und lieben zu lernen.
Heute aber, an diesem dritten Adventsonntag, an dem Sonntag, der ganz
erleuchtet ist von der Freude Jesu - Gaudete in domino, freut euch im Herrn -
an diesem dritten Adventsonntag, der uns schon so nahe an Weihnachten
heranbringt, soll die Katechese ganz dem Gebet Jesu gewidmet sein. Denn wo
finden wir den Weg des Gebetes, wenn nicht in Jesus, der für uns der Weg,
die Wahrheit und das Leben ist? Wer sich dem Gebet Jesu nähert, der nähert
sich gewissermaßen dem brennenden Dornbusch. Wir haben das letztes Mal
betrachtet, wie Moses sich dem Dornbusch nähert, der brennt und doch nicht
verbrennt und in dem Gott ihm erscheint und ihm seinen Namen offenbart. Etwas
von dem muss die Jünger bewegt haben, wenn sie Jesus beten sahen, wenn sie
sich ihm näherten und warteten, bis er fertig gebetet hatte und ihn dann
baten: Herr, lehre uns beten!
Ich darf an die Katechesen zum Weltjugendtreffen erinnern- es
ist jetzt schon fast zwei Jahre her - in der wir die Stelle betrachtet haben,
die der Heilige Vater uns zur Betrachtung, zur Vorbereitung auf das
Weltjugendtreffen mit auf den Weg gegeben hat: Die Begegnung der ersten beiden
Jünger mit Jesus, damals, als Johannes auf ihn verwiesen hatte mit den Worten
"Seht das Lamm Gottes" und wie die beiden, Andreas und Johannes, Jesus
nachgegangen sind, der sich umgedreht hat und sie gefragt hat "Was sucht ihr?"
oder "Was wollt ihr?" und sie ihn fragten: "Meister, wo wohnst du?" "Kommt und
seht!" Vielleicht erinnern Sie sich daran, - die bei dieser Katechese waren -
wie schon damals die Frage aufgetaucht ist, was in diesen Worten "Meister, wo
wohnst du?" alles steckt. Natürlich ist es die ganz einfache Frage "Wo ist
dein Zuhause, wo wohnst du?" und sie wollten ihn kennen lernen, haben ihn
deshalb nach seinem Wohnort gefragt, um ihn zu besuchen. Aber der alte
Evangelist und Apostel Johannes, der das im Alter, im Rückblick auf diese
allererste Begegnung mit Jesus geschrieben hat, der hört in diesen Worten
"Meister, wo wohnst du?" noch etwas anderes. Er hört die Fragen, die sie im
Tiefsten hatten und von der sie noch kaum wussten: "Meister, wo ist dein Ort?
Wo wohnst du? Wo bist du eigentlich zu Hause?" Und da Johannes sich im
Rückblick an all das erinnert, was sie bei Jesus kennenge- lernt haben, weiß
er und hört in dieser jugendlichen Frage "Meister, wo wohnst du?" die ganze
Offenbarung mit, die sie dann bei Jesus empfangen haben.
Jesus hat einen Ort, wo er wohnt: Er wohnt beim Vater, dort
ist er zu Hause und dorthin will er uns führen. Es gibt keinen Ort, wo das so
offenbar wird wie im Gebet Jesu. Wenn Jesus betet, dann ist er zu Hause, dann
ist er beim Vater. Das ist sozusagen sein innerstes Zuhause, seine Mitte, das
ist die Quelle, aus der er trinkt. Das ist die Nahrung, wie er selber einmal
sagt, die Nahrung seines Lebens, beim Vater zu sein. Im Gebet ist er an diesem
Ort und deshalb ist er im Gebet zu Hause und deshalb gibt es nichts, was uns
mehr in die Mitte unseres Lebens hineinführt als das Gebet, weil wir im Gebet
mit und durch Jesus beim Vater sind. Diesen Weg wollen wir jetzt ein wenig
gehen: Wie Jesus uns, seine Jünger, damals und heute, hinführt zu diesem Ort,
wo er wohnt. Wir machen das in drei Schritten und ich hoffe das es mit diesen
drei Schritten besser geht als letztes Mal mit Moses, wo ich nicht über den
ersten Schritt hinaus gekommen bin. Wir fragen zuerst, wie Jesus selber betet,
dann schauen wir uns an, wie Jesus beten lehrt, wie er Lehrer des Gebetes ist
und zum Schluss wie Jesus der ist, an den sich bereits das Gebet der Jünger
und der Menschen schon damals gewendet hat. Man kann das auch im Katechismus
nach- lesen, dort steht es knapp zusammengefasst, und ich darf auch ein wenig
hier dem Katechismus folgen. Ich glaube, gerade in Zeiten, in denen wir auch
mit äußeren und inneren, persönlichen und kirchlichen Bedrängnissen zu leben
haben, gibt es nichts Wichtigeres als diesen Ort aufzusuchen, wo Jesus zu
Hause ist, wo deshalb auch wir wirklich zu Hause sind. Nur dort finden wir den
Frieden und die innere Ruhe und die Kraft, aus der heraus wir auch alle
äußeren Schwierigkeiten, Anfechtungen und selbst die Widerstände des
Widersachers, des Menschenfeindes, des Teufels, besiegen können.
Beginnen wir also mit dem Gebet Jesu. Wenn wir versuchen, in die verborgenen
Jahre Jesu hineinzuschauen - wir wissen ganz wenig darüber, wir wissen nur, dass
Jesus in Betlehem und dann in Nazareth, nach der Flucht nach Ägypten
aufgewachsen ist - dann wissen wir eines mit Sicherheit: Jesus hat beten
gelernt, wie ein jüdisches Kind damals beten lernte. Das heißt, in den Worten,
in den Formen, mit denen das jüdische Volk, sein Volk, in der Synagoge und zu
Hause gebetet hat. Dieses Gebet hat er gelernt von Maria, seiner Mutter, von
Josef, seinem Vater. Dieses Gebet hat er gelernt in der Synagoge, im Gebet
seines Volkes, im Mitbeten mit ihm und es kann nicht hoch genug angesetzt
werden, die Bedeutung dieses Wurzelbodens, dieses Bodens, auf dem das Ge- bet
Jesus, das er als Mensch, als Mensch gewordener Sohn Gottes gebetet hat.
Deshalb ist für uns das jüdische Beten so wichtig. Deshalb beten wir die
Psalmen, wir beten sie mit Jesus, der sie in der Synagoge und zu Hause gelernt
hat, der sie sicher wie jeder gläubige Jude damals auswendig gekonnt hat, wie
man überhaupt weitgehend die Bibel auswendig konnte. Man hatte ein etwas
frischeres Gedächtnis als wir heute mit unseren voll gestopften Gedächtnissen,
die überschwemmt sind von Eindrücken. In der Antike hatte man eine
hervorragende Memoria, ein Gedächtnis, das sich auch bereits vom einmaligen
Hören lange Texte gemerkt hat. Natürlich ist es nicht einfach nur die äußere
Form, von der Jesus geprägt wird, sondern es ist auch die Art und Weise, wie
Maria betet.
Wir können auch das nicht hoch genug ansetzen, um zu ahnen, wie das
Gebet Jesu aussieht, wenn wir das Gebet Mariens, das Gebet des hl. Josef zu
betrachten versuchen. Wie dieses Beten, die Art und Weise, wie Maria, die ganz
offen war für den Willen des Vaters, gebetet hat. Man darf sich das ruhig
vorstellen, auch wenn wir uns das nur annähernd vorstellen können! Es ist etwas
Wunderbares, daran zu denken: Jesus sieht seine Mutter beten, er sieht Josef
beten. Aber dann gibt es eine noch andere Dimension, schon in der Kindheit Jesu,
auch die Eltern erleben etwas von diesem Geheimnis mit ihren eigenen Kindern:
Sie sind nicht nur Lehrer des Gebetes für ihre Kinder, sondern sie erfahren auch
durch die Kinder etwas vom Geheimnis des Gebetes. Es geschieht, dass Kinder aus
einer Tiefe heraus beten, die die Eltern überrascht und an der die Eltern
merken, bemerken, dass in ihrem eigenen Kind etwas lebt, das größer ist als das,
was die Eltern hineingelegt haben: Die Gegenwart Gottes im Herzen eines Kindes! Wie oft ist es,
dass Eltern durch das spontane und überraschende Gebet
eines Kindes selber in ihrem Glauben positiv erschüttert werden, aufwachen.
Etwas noch viel Geheimnisvolleres geschieht im Gebet Jesu.
An einer Stelle
leuchtet es auf im Lukas- Evangelium! Jesus hat ein verborgene Quelle, aus der
heraus er lebt und die sich wahrscheinlich schon für Maria und Josef gezeigt
hat, aber deutlich offenkundig wird sie erst - so zeigt es uns der hl. Lukas -
als der Zwölfjährige im Tempel in Jerusalem zurückbleibt und dort nach drei
Tagen von Maria und Josef gefunden wird und auf ihre schmerzliche Frage: "Kind, warum
hast du uns das angetan?" er ihnen die verwunderte Frage stellt: "Wusstet ihr
denn nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist? Wusstet ihr nicht um
diesen geheimen Ort, wo ich Zuhause bin?" Es muss für Maria und Josef wohl auch
schmerzlich gewesen sein! Maria sagt: "Dein Vater und ich haben dich gesucht,
Kind, warum hast du uns das angetan?" Und Jesus sagt "Wusstet ihr nicht,
dass ich
in dem sein muss, was meines Vaters ist?" Wo ihnen in aller Deutlichkeit auf-
leuchtet, dass Jesus nicht nur ihnen gehört, sondern dem Vater, dass er einen
andern Ort hat, als nur das Zuhause in Nazareth. Und wenn er den Eltern untertan
war, wie es heißt "er war ihnen gehorsam", dann ist er es noch mehr seinem
Vater gegenüber. Das ist die geheime Quelle, aus der Jesus auch in den
verborgenen Jahren lebt, in diesen 30 langen Jahren in Nazareth.
"Wusstet ihr
nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?" Wir dürfen dieses Wort
über die 30 Jahre in Nazareth stellen und dort hat Jesus mitten in den Gebeten
der Gemeinde, der Synagoge, in den Familiengebeten diese tiefste Dimension
seines Betens gelebt und Maria hat wohl um sie gewusst, um dieses Geheimnis ihres
Sohnes, der auch Gottes Sohn ist. Wie haben Maria und Josef in den verborgenen
Jahren gelebt? Wir wissen nichts über diese 30 Jahre. Es gibt private
Offenbarungen, zum Teil sehr schöne, die das alles ausschmücken und da weiß man
ganz genau, wie die Hobelspäne geflogen sind in Nazareth, und was alles
geredet, gedacht und gesagt wurde. Das Evangelium ist sehr nüchtern und
schweigsam über diese Jahre und wir dürfen durchaus auch annehmen, dass es Jahre
wirklicher Verborgenheit waren, in denen Maria und Josef nicht ständig Visionen
und be- sondere Erlebnisse hatten, sondern im Glauben gegangen sind. Im Glauben,
dass sie im Herzen tragen, was ihnen durch den Engel gesagt worden war. Und in
diesem Alltag ahnen sie das Geheimnis des Betens Jesu.
Als dann Jesus in die
Öffentlichkeit tritt, mit 30 Jahren, sehen wir, wie das Gebet sein ganzes
öffentliches Wirken begleitet, ja, wie es sozusagen der Grundton seines öffentlichen Wirkens ist. Besonders der hl. Lukas hat das unterstrichen, Lukas ist der
Evangelist des Gebetes Jesu. Die Überlieferung sagt, dass er der Mutter Gottes
besonders nahe gestanden ist, vielleicht hat er von ihr - über die er so
wunderbar in den beiden ersten Kapiteln geschrieben hat - das erfahren. Er sagt
ja in seinem Vorwort des Evangeliums, er sei allen Dingen ganz sorgfältig
nachgegangen, er hat also die Zeugen befragt, er, der selber kein Augenzeuge des
Lebens Jesu war. Und Lukas ist wie kein an- derer Evangelist aufmerksam auf das
Beten Jesu. Das verborgene Gebet in den 30 Jahren des zurückgezogenen Lebens
und dann im öffentlichen Leben von der Taufe an. Lukas sagt als einziger, dass
sich bei der Taufe Jesu der Himmel geöffnet hat, die Stimme des Vaters zu hören
war als Jesus betete. Während Jesus betet, geschieht das. Er zeigt uns dadurch,
wo Jesus wohnt, wo sein Ort ist: Im Gebet, wenn er ganz beim Vater ist. Und
eben- so ist Lukas der einzige, der bei der Verklärung auf dem hohen Berg vor
den drei Zeugen sagt, dass die Verklärung geschah, während Jesus betete. Während
er betet, erscheinen ihm Moses und Elia. Und wiederum ist es Lukas, der in
besonderer Weise Jesu Gebet am Ölberg, in der Nacht, in der er ausgeliefert
wurde, betont. Er ist der einzige, der auch den Engel des Trostes festgehalten
und berichtet hat: Jesus in dieser Stunde des Gebetes der völligen Hingabe an
den Willen des Vaters. "Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine."
Aber
Lukas berichtet auch über das Gebet Jesu in den entscheidenden Momenten seines
Apostolats, seiner Sendung. Er sagt z. B., was kein anderer Evangelist berichtet: Dass Jesus, bevor er die Zwölf auserwählt hat, die Zwölf, die dann die
Apostel wurden, die ganze Nacht gebetet hat. Ich wollte einmal - ich darf das
vielleicht als einen misslungenen Versuch im eigenen Leben erzählen - eine
ganze Nacht auf einem Berg bleiben im Gebet. Ich habe mir gedacht, das steht so
oft im Evangelium, das muss ich doch auch einmal probieren. Und ich gestehe - es
war eine wunderschöne Sommernacht - dass ich furchtbare Angst hatte, weil die
Geräusche in der Nacht sehr un- heimlich sind, wenn man plötzlich so ganz
alleine auf einem Berg ist. Und ich gestehe, dass ich dann so gegen 2 Uhr
morgens, nicht sehr heldenhaft nach Hause gegangen bin. Ich hatte dann um 6 Uhr
früh heilige Messe im Altersheim, und wie ich das Evangelium aufschlage, war es
das Evangelium "und Jesus verbrachte die ganze Nacht im Gebet." Das hat mich
sehr getröstet, dass ER die ganze Nacht im Gebet verbracht hat, wenn ich es schon
nicht geschafft habe. Lukas ist auch der einzige, der berichtet, dass Jesus vor
dem Messias-Bekenntnis des hl. Petrus gebetet hat, als Jesus die Jünger fragte:
"Für wen halten mich die Menschen und für wen haltet ihr mich?" "Du bist der
Messias, der Sohn des lebendigen Gottes". Immer wieder an den entscheidenden
Momenten ist Jesus im Gebet. Das heißt natürlich nicht, dass Jesus nur in
diesen Momenten gebetet hat. Aber der hl. Lukas will uns offensichtlich
zeigen, dass Jesus alles, was er tut, aus dem Gebet heraus tut, das heißt, aus
der lebendigen Verbindung mit dem Vater.
Johannes in seinem Evangelium lässt uns
dann noch tiefer hineinschauen in dieses Geheimnis, dass Jesus tatsächlich mit
dem Vater eins ist und dass er dann sagen kann: Ich tue nichts von mir aus. Ich
tue das, was ich beim Vater sehe! Das heißt also, Jesu Ort, Jesu Zuhause ist das
Gebet, da ist er beim Vater. Und alles was er tut, seine ganze Sendung, sein
ganzer Auftrag, kommt aus dieser Vertrautheit mit dem Vater: Dein Wille, Vater,
geschehe! Das hat, wie nichts anderes, die Jünger angezogen. Wir haben darüber
schon in den früheren Katechesen, vor allem in der ersten, über die Sehnsucht
nach dem Gebet gesprochen. Die Sehnsucht zu beten wird aufgeweckt, wird geradezu
zu einer brennenden Sehnsucht, wenn wir Menschen sehen, die beten, die wirklich
im Gebet sind.
Dieser Tage kam mir wieder dieses unvergessliche Bild in den
Sinn: Wie der Heilige Vater in Salzburg in den Dom hereingekommen ist, wie er
lange, lange durch den Mittelgang herein gegangen ist, viele begrüßend, und wie
er dann beim Betschemel vor dem Allerheiligsten sich niedergekniet hat und dort
völlig im Gebet versunken war. Ganz unbekümmert darum, dass die Fernsehkameras
laufen und dass das alles live übertragen wird und dass die Menschen warten. Er
war wirklich im Gebet zu Hause. Man spürt, wenn man einen Menschen so in das
Gebet eingetaucht erlebt: Das ist eigentlich der Ort, wo wir zu Hause sein -
nicht nur "sollten" - sondern sein "dürfen"! Da kommen wir wirklich nach
Hause! So war es wohl auch mit den Jüngern. Lukas sagt einmal: "Jesus betete
einmal an einem Ort" und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner
Jünger zu ihm: "Herr, lehre uns beten!". Wie lehrt Jesus uns beten?
Schauen wir
ein wenig hinein in diese Gebetsschule Jesu, bevor wir dann noch einmal
zurückkommen auf das Beten Jesu selber. Wie lehrt er uns beten? Schon einmal und
vor allem und zuerst dadurch, dass er selber betet. Indem wir ihn sehen und
betrachten, auch durch das Evangelium, indem uns Jesus vor Augen gestellt wird,
haben wir bereits eine Gebetsschule. Aber Jesus hat auch ausdrücklich darüber
gesprochen. Es gäbe jetzt viele Stellen, die zu nennen wären, wo Jesus über das
Gebet spricht und uns gewissermaßen bei der Hand nimmt und sagt, wie wir beten
sollen. Vor allem in der Bergpredigt, in diesem Herzstück seiner Verkündigung,
spielt das Gebet eine ganz zentrale Rolle. Wir müssen natürlich ausführlich
auf das "Vater unser" eingehen, in dem alles zusammen- gefasst ist, was Jesus uns
zu beten lehrt, aber zuerst gibt er uns ein paar vorbereitende Hinweise. Er
zeigt uns Wege zum Gebet: Ein erster Weg ist, wir können nicht beten, wenn wir
unversöhnt sind. Wenn Du dich am Weg zum Altar mit einer Opfergabe daran erinnerst,
dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass die Gabe liegen, geh
zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder! Wir wissen es aus der Erfahrung:
Das Gebet geht nicht, wenn wir unversöhnt sind! Jesus geht noch viel weiter:
Ohne die Liebe zu den Feinden ist unser Gebet nicht wirklich flügelstark, es
lahmt. Betet für eure Feinde! Segnet die, die euch verfolgen! Dann werdet ihr
Söhne, Kinder eures Vaters sein. Diese Voraussetzung, diese Vorbereitung kann er
uns nicht ersparen. Ein unversöhntes Herz kann nicht offen sein für den Willen
des Vaters. Daher die Dringlichkeit der Umkehr, es ist das erste Wort des
Evangeliums und es bleibt der erste Auftrag des Evangeliums. Kehrt um, be- kehrt
euch!
Ohne dieses ständige Umkehren des Herzens wird das Gebet nicht aufsteigen
können, es ist, als würde es am Boden kleben bleiben. Das Zweite, was Jesus uns
sagt: Plappert nicht wie die Heiden, macht nicht viele Worte, öffnet euer Herz
und Gott weiß was ihr braucht! Also Gebet nicht in der Schaustellung, nicht als
Schauspiel, als Theater, sondern Gebet im Verborgenen. Und da noch einmal die
Verborgenheit, selbst vor dem eigenen Ich, dass ich nicht mich bewundere, wie ich
jetzt bete, wie fromm ich bin und wie eifrig ich bin, sondern wirklich, dass ich
ganz ins Verborgene zu gehen suche, wo nur Gott, der Vater, mich sieht: Versöhnung, Verborgenheit. Und das Dritte: immer wieder und immer wieder die
kindliche Haltung.
Ich habe einmal eine Ordensschwester bei ihrer Profess
gefragt - vielleicht habe ich es schon erzählt - was in ihrer Kinderzeit der
stärkste Eindruck war, der sie auf ihrem geistlichen Weg oder in ihrem
religiösen Leben gefördert hat? Und da hat sie mir gesagt, sie ist einmal ohne
Anklopfen am Abend in das Schlafzimmer der Eltern hineingestürmt, und da waren
die Eltern kniend vor dem Bett im Gebet. Dass ein Kind die Eltern so beten sieht,
wie Kinder, die niederknien vor dem himmlischen Vater. Wenn ihr nicht werdet
wie die Kinder... Im Gebet wie ein Kind zu sein, das ist die notwendige
Bedingung, dass unser Gebet wirklich aufsteigt. Ein Viertes, was Jesus uns
sagt: Die Voraussetzung für das Gebet ist die Haltung des Glaubens. Glauben,
nicht so sehr die Gefühle, so schön sie sind, wenn sie geschenkt werden, nicht
so sehr das, was ich im Gebet erlebe, sondern der Glaube. Im Glauben, das
heißt im Zustimmen zu dem, was ich im Glauben weiß und annehme: "Du bist da, ich
bin dein", in dieser Haltung zu beten. Nur so, in Versöhnung und Umkehr, im
Verborgenen, in der Kindlichkeit und im Glauben finden wir den Weg des Gebetes.
Jesus hat uns in Gleichnissen gesagt, wie diese Haltungen aussehen und die
Gleichnisse sind so anschauliche Bilder dafür, wie das Gebet aussehen soll.
Ich nenne vor allem drei Gleichnisse, wieder beim hl. Lukas, dem Evangelisten
des Gebetes: Da ist der aufdringliche Freund, der in der Nacht kommt und
unbedingt einen Laib Brot haben will. Der Freund sagt: Ich bin schon im Bett,
meine Kinder sind bei mir, ich kann dir das Brot nicht geben. Aber weil der
Freund so lästig ist, gibt er ihm das Brot. Beten also in der Aufdringlichkeit,
in der Zudringlichkeit, oder wie wir auch sagen können, in der kindlichen
Kühnheit. Das zweite Gleichnis, wieder ein Gleichnis der Aufdringlichkeit, ist
das von der zudringlichen Witwe und dem bösen Richter, der immer wieder bedrängt
wird von der Witwe: Gib mir recht, schaff mir Recht! Der Richter ist ein böser
Richter, aber er bekommt Angst, denn, so sagt er sich, sie könnte mir - wir
würden auf Wienerisch sagen, eine Watschn’ geben - sie könnte mich ins Gesicht
schlagen, heißt es im Evangelium. Und deshalb gibt er ihr recht, spricht er
ihr Recht, wie sie es fordert. Also die Aufforderung Jesu durch dieses
Gleichnis, geduldig zu sein, beharrlich im Gebet. Und das dritte Gleichnis ist
das vom Zöllner und vom Pharisäer: Der Zöllner, der sich nicht traut die Augen
zu heben, ganz hinten steht: "Gott sei mir Sünder gnädig". In dieser Haltung,
die wir in Jesu Gebet übernommen haben: Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, hab Erbarmen mit mir Sünder, in diesem "Kyrie eleison" des
Gebetes, sieht Jesus die richtige Haltung des Gebetes. Es gäbe noch viel
anderes zu sagen über das, was Jesus uns über das Gebet lehrt. Das Evangelium
ist voll von Weisungen über das Gebet, ich denke etwa an die vielen Worte über
die Wachsamkeit. Wachet und betet! Aber alles ist zusammengefasst in der Haltung
des Kindes, dem Vater gegenüber, des kindlichen Vertrauens, des unbedingten
Zutrauens, wenn Jesus uns sagt: "Wenn ihr schon, die ihr böse seid, euren
Kindern Gutes gebt, um wie viel mehr wird euer himmlischer Vater euch den
Heiligen Geist geben, wenn ihr darum bittet!"
Nun kommen wir noch einmal zurück, wie das Gebet Jesu aussieht: Jesus lehrt seine Jünger beten durch Worte
und durch sein Beispiel, er lehrt sie auch durch eigene Gebete. Die Evangelien
überliefern uns einige Gebete Jesu, und in diesen kommt sozusagen sein Herz ganz
offen zum Aus- druck. Ich nenne wenigstens zwei, wir müssten eigentlich drei nennen. Das erste ist dieser Jubelruf Jesu, der uns überliefert ist bei Matthäus
und bei Lukas: "Vater, Herr des Himmels und der Erde, ich preise Dich, dass Du
das den Klugen und Weisen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja,
Vater, so war es Dir wohlgefällig!" Jesus jubelt im Heiligen Geist, sagt Lukas,
und dieser Jubel dringt nach außen und für einen Moment dürfen die Jünger etwas
von dem Gebet Jesu auch hören und nicht nur sehen. Es ist vor allem die Freude
Jesu über die Kleinen, es ist in Jesu Beten gelegentlich ein Jubel, der uns
etwas ahnen lässt von der Herrlichkeit des Himmels, von der Freude des Himmels.
Wenn er etwa der heidnischen Frau, die ihn so eindringlich bittet, der syrophönizischen Frau, die für ihre kranke Tochter bittet, sagt: "Frau, dein
Glaube ist groß". Da ist ein Jubel drin, ein Jubel, so wie wir ihn in diesem
Gebet Jesu hören, in diesem Gebet: "Vater ich preise dich, dass du das den Klugen
und Weisen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast!" Ein zweites Gebet sei
genannt, weil es etwas auch von Jesu Gebetslehre wiedergibt, aber wir sehen
es, sozusagen wie es bei ihm selber geht, wie er selber betet. Vor der
Auferweckung des Lazerus sagt Jesus: "Vater, ich danke Dir, dass Du mich erhört
hast". Lazarus ist noch nicht auferweckt, aber Jesus betet vor allen Leuten
laut dieses Gebet: "Vater, ich danke Dir, dass Du mich erhört hast" und er sagt
hinzu: "Ich wusste, dass Du mich immer erhörst." Jesus betet also, als wäre es
bereits Wirklichkeit. Im Gebet nimmt er vorweg, was er erbittet: Das ist schon
erhört! Und er sagt uns selber dann später, wenn er uns beten lehrt, dass wir so
beten sollen, als hätten wir es bereits empfangen. "Alles, worum ihr betet und
bittet, glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt."
Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht, wenn ich dieses Wort im Evangelium höre, muss ich sagen: "Ich glaube
Herr, hilf meinem Unglauben!" Denn sehr oft glaube ich nicht sofort, dass das,
worum ich bitte, ich auch schon erhalten habe. Und doch sagt Jesus: "Glaubt,
dass ihr es schon erhalten habt, alles worum ihr betet und bittet!" Unser Gebet
wird sicher erhört. Es wird nicht immer so erhört, wie wir bitten, aber es wird
sicher erhört. "Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste,
dass du
mich immer erhörst." Jesus kann das sagen, weil sein Herz ganz mit dem Willen
des Vaters sozusagen akkordiert ist, ganz mit dem Vater eins ist. Und in dem
Maß, wie unser Gebet hineinwächst in den Willen des Vaters, wird dieses Wort
auch Wirklichkeit: Ich wusste, dass du mich immer erhörst. Und deshalb beten wir
im Auftrag Jesu: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden." Ich
komme fast zum Schluss: Ein großes Thema des Gebetes Jesu sind seine Gebete am
Kreuz. Immer wieder betrachtet durch die Jahrhunderte, die "Sieben Worte Jesu am
Kreuz". Gebete, die der Herr in der letzten Stunde spricht.
Man hat von vielen
Menschen, von vielen Heiligen, die letzten Worte aufgeschrieben. Vielleicht
ist Ihnen das auch geschehen, ich habe es bei meinem Vater getan. Die letzten
Worte, die er gesprochen hat, haben wir mitgeschrieben. Weil man zurecht den
letzten Worten eine ganz besondere Bedeutung zumisst. Jesu letzte Worte haben
deshalb für unser Beten eine so prägende Bedeutung. Ich nenne nur kurz diese
sieben Worte, jedes ist eigens zu betrachten: "Vater, vergib ihnen, denn sie
wissen nicht was sie tun." "Amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im
Paradies sein." Auf dieses Wort komme ich gleich noch einmal zurück. "Frau,
siehe dein Sohn, siehe deine Mutter." "Mich dürstet!" "Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?" " Es ist vollbracht." " Vater, in deine Hände
lege ich meinen Geist." Aber das allerletzte Gebet Jesu ist nicht mehr ein
formuliertes Gebet, sondern - wie der hl. Markus sagt - ein lauter Schrei. Und
in diesem lauten Schrei, mit dem Jesus verstirbt, ist - so dürfen wir sagen -
wie in einem Laut das ganze Notgebet der Menschheit zusammengefasst. Alle unsere Nöte, alle Hilfeschreie der Menschheit, alle Fürbitte der ganzen
Menschheitsgeschichte ist in diesem lauten Schrei des Mensch gewordenen
Gottessohnes zusammengefasst.
Und da bin ich beim letzten Punkt: Wie betet Jesus
für uns und wie bitten wir ihn als den, den wir bitten und den wir anbeten
dürfen? Wenn wir Jesu Gebet betrachten, dann sehen wir vor allem eines: In
diesem Ge- bet ist alles Beten der Menschheit zusammengefasst. Er ist Mensch
geworden, um für alle Menschen zu beten, für alle Menschen Mensch zu sein und
in seinem Gebet ist alles, was wir je beten werden, bereits zusammengefasst. Das
gilt von seinem irdischen Gebet und das gilt besonders von seinem Gebet, das er
jetzt für uns bei seinem Vater spricht. Der Hebräer-Brief hat das besonders
betrachtet: Jesus tritt für uns ein beim Vater. Er ist jetzt der große Fürbitter
für jeden von uns beim Vater. Und alles, was wir beten, zu beten versuchen, und
alles was Menschen, auch ohne ihn zu kennen, stammeln an Gebet, ist in seinem
großen Fürbitten für alle Menschen zusammen gefasst, ist gewissermaßen in diesem
großen Schrei, mit dem er stirbt, dem Vater übermittelt. Und deshalb ist es gut
und richtig, dass wir uns im Gebet an Jesus wenden. Und auch dazu gibt es viele
Beispiele schon im Evangelium: Menschen wenden sich an Jesus und bitten ihn.
Das sind die Kranken, die ihn um Heilung bitten, das sind Menschen, die um seine
Hilfe bitten, ich denke an den Blinden: "Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids! Sohn
Davids - erbarme dich meiner!" Das ist vor allem das Gebet des rechten
Schächers, und mit diesem möchte ich schließen. Weil es das Gebet des ersten
Erlösten ist, des ersten, der mit Jesus im Paradies war: "Heute noch wirst du
mit mir im Paradies sein!" Diese kurze kleine Bitte des rechten Schächers:
"Gedenke meiner, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst, Jesus!" Nur dieser
Name "Jesus, Jesus denk an mich." Mit diesem Gebet ist er in den Himmel
gekommen. Und ich glaube, unser Gebet zu Jesus kann nur in dem bloßen Namen
Jesus bestehen.
Manchmal sind wir so schwach und vielleicht auch so erschöpft,
dass nichts anderes mehr geht als der Name Jesus. Und alles ist in diesem Namen
an Bitte, an Gebet gesagt. Und deshalb dürfen wir im Blick auf den rechten
Schächer unser Vertrauen in Jesus besonders vertiefen und bekennen. Es genügt
manchmal einfach "Jesus" zu sagen. In ihm ist alles unser Beten zusammengefasst
und auch vollendet. Und wer mit diesem Namen im Herzen und auf den Lippen
unterwegs ist, bis in die letzte Stunde, der wird sicher den Ort finden, wo
Jesus zu Hause ist, dort, wo er wohnt. Wir haben am Anfang gefragt: "Meister, wo
wohnst du?" und wir können jetzt sagen, wenn wir das Wort "Jesus" sprechen:
"Jesus, denk an mich." Dann nimmt er uns dorthin mit, wo er zu Hause ist.
Gelobt sei Jesus Christus!
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