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Katechesen
1998/1999
3. Jahresreihe - 2. Katechese, 11.10.98
Ruf Gottes |
"Komm Heiliger Geist, der
du durch dein unaussprechliches Seufzen unser Gebet lenkst und lehrst. Führe uns ein in
die Welt des Gebetes, schenke uns immer größere Sehnsucht nach dem Gebet, sei du unser
Beten, sei du das Sehnen unseres Herzens. Heilige Edith Stein, bitte für uns!"Liebe Brüder und Schwestern, liebe Jugendliche und auch weniger
Jugendliche, die Sie zur zweiten Katechese gekommen sind, in dem gemeinsamen Wunsch,
tiefer in die Welt des Gebetes einzu- dringen. Vor drei Wochen haben wir uns in der ersten
Katechese ein wenig mit der Ursehnsucht des menschlichen Herzens befasst, der Sehnsucht
nach Gott, der Sehnsucht nach dem Gebet, als einer Wirklichkeit, die in jedem Menschen
mehr oder weniger ausdrücklich, oft verschüttet, aber doch immer da ist, weil unser
Herz, unsere Seele, wie Augustinus sagt, "auf Gott hin geschaffen ist und deshalb
unruhig ist, bis sie ruht in Ihm".
Heute möchte ich aber einen weiteren Schritt tun. Das Gebet ist nicht
nur Sehnsucht des Menschen, es ist zuerst ein Ruf Gottes. Ich möchte versuchen, ein wenig
über die Offenbarung des Gebetes zu sprechen.
Ich beginne mit einem Wort der kleinen hl. Theresia, das am Anfang des
Kapitels im Katechismus über das Gebet steht. Thérèse sagt einmal in ihren
autobiographischen Schriften: "Für mich ist das Ge- bet ein Aufschwung des Herzens,
ein schlichter Blick zum Himmel, ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe inmitten der
Prüfung und in- mitten der Freude". Was Thérèse damit ausspricht,
anspricht, dieser Aufruf, dieser Ausruf des Herzens, dieser Aufschwung
des Herzens, was sie damit gelebt hat und was sie uns damit sagt, das
ist wohl nur verständlich aus der Sicht des Glaubens. Und deshalb möchte
ich heute versuchen zu beginnen, das Gebet aus der Sicht des Glaubens zu
betrachten, während wir ja letztes Mal, im Vorfeld des Gebetes geblieben
sind, im Raum dessen, was die natürliche Anlage des menschlichen Herzens
mitbringt. Wenn wir in die Bibel hineinschauen, so ist der allererste
Dialog zwischen Gott und dem Menschen ein Rufen und Suchen Gottes. Das
erste Wort, auf das der Mensch direkt antwortet - in der Genesis im
ersten Buch der Bibel - ist der Ruf Gottes "Wo bist du, Adam, wo bist
du?". Die Antwort darauf wird so etwas wie die Grundform des Gesprächs
des Menschen mit Gott sein, wie wir sie so oft erleben. Damit kommt et-
was zum Ausdruck, das für das Gebet in gläubiger Sicht entscheidend ist.
Das Gebet ist Antwort, Antwort auf einen Ruf: zuerst
ist Gottes Ruf da. Auch bei Jesus ist es so: "Gib mir zu trinken", sagt
Jesus zur Samariterin. Er bittet, er sucht. Damit weckt er in ihr die
Sehnsucht, nach dem lebendigen Wasser. Ich möchte heute über die
Offenbarung des Gebetes sprechen. Offenbarung des Gebetes, so nennt der
Katechismus dieses Kapitel und sagt damit etwas ganz Entscheidendes für
die gläubige Sicht des Gebetes. Es ist zu- erst nicht etwas, was wir
leisten, sondern was Gott in uns weckt, was er uns schenkt. Das Gebet
ist Gabe und dann erst Antwort. Im Katechismus heißt es hier: "Bevor der
Mensch nach Gott ruft, ruft Gott den Menschen" (KKK 2567). Beim Beten,
heißt es, geht die Bewegung der Liebe des treuen Gottes zuerst von Ihm
aus. Die Bewegung des Menschen ist immer Antwort. In dem Maß, in dem
Gott sich offenbart und den Menschen sich selbst zu erkennen gibt, er-
scheint das Gebet als ein gegenseitiger Zuruf, als ein Geschehen des
Bundes, das durch Worte und Handlungen das Herz miteinbe- zieht. Ein
gegenseitiges Geschehen des Bundes, ausgehend von Gottes Ruf und dann
des Menschen Antwort. Das ist nun der Raum, den wir in den folgenden
Katechesen betreten möchten. Ich hoffe, dass wir von Katechese zu
Katechese tiefer in diesen Raum hinein- kommen, in dieses Geheimnis des
Gebetes.
Gott offenbart sich den Menschen, das heißt, Er macht sich uns vertraut, Er
macht sich uns bekannt. Wir dürfen mit Ihm vertraut wer- den, wir dürfen Ihn
finden und gleichzeitig immer mehr suchen und immer mehr finden, bis wir Ihm
ganz begegnen, ganz so wie Er ist, Ihn schauen von Angesicht zu Angesicht. Auf
dem Weg des Gebetes dürfen wir Gott kennen lernen, wie Er sich uns zu erkennen
gibt. Gleichzeitig aber ist auf diesem Weg Gott, der sich offenbart, aber auch
der, der sich verhüllt. Zu Moses spricht Er in der Wolke, zu Elia im Säuseln, Er
offenbart, sich und Er bleibt doch Geheimnis und deshalb wird das Suchen, je
mehr Er sich offenbart, umso größer. Die Sehnsucht wächst in dem Maß, wie wir
Ihm begegnen oder wie Er sich uns zu erkennen gibt und wir in dieses Bekanntwerden mit Ihm eintreten. Die hl. Theresia von Avila, deren Fest wir diese Woche
feiern werden, beschreibt diesen Weg als den Weg in die Seelenburg, in der es
weite, viele und auch verborgene Gemächer der Seele gibt, bis hin zu diesem
letzten, innersten Ge- mach, in dem die Seele Gott ganz findet. Möge diese
Katechese - und die folgenden - in uns, in Ihnen, auch in mir, die Sehnsucht
wecken, das Antlitz des Herrn zu suchen, wie der Psalm sagt: "Dein Antlitz suche
ich Herr, um Ihm zu begegnen." Wo dieses Suchen da ist, da ist sicher der
Heilige Geist am Werk. Er ist der große Lehrer des Gebetes. Paulus sagt, er
betet mit unaussprechlichen Seufzern in uns. Wir wissen nicht, wie wir beten
sollen, er tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern, er ist der
Lehrmeister des Gebetes. Und er soll uns auch jetzt in dieser Katechese tiefer
in die Freude des Gebetes einführen und uns auch zum Kampf des Gebetes rüsten.
Heute soll also die Offenbarung des Gebetes thematisiert werden und ich beginne
mit dem Alten Testament, der Offenbarung des Gebetes im Alten Testament. Dazu
aber zwei Vorbemerkungen: "Was heißt also Offenbarung?" und die Frage, "Was für
eine Bedeutung hat für uns das Alte Testament?"
1. Was heißt "Offenbarung"?
Unser Glaube beruht nicht einfach auf Vernunfteinsicht. Zwar hat die Vernunft
ihren Platz im Glauben, glauben ist nicht unvernünftig. Wir glauben durchaus
auch mit guten Gründen und man wundert sich oft, wie sehr irrational der
Unglaube ist. Aber unser Glaube beruht nicht auf der Vernunft, er schließt sie
nicht aus, aber der Grund unseres Glaubens ist nicht das, was wir selber
erkennen können. Der Grund unseres Glaubens ist auch nicht das, was wir fühlen,
spüren, obwohl es sehr wichtig ist, dass wir auch im Glauben er- spüren, dass es
ein "Gespür" des Glaubens gibt, einen Instinkt des Heiligen Geistes. Auch
durchaus ein Angesprochensein der Emotion, der emotionalen Schichten unseres
Inneren. Aber der Glaube beruht nicht auf dem Gefühl, so dass, wenn ich nichts
spüre, ich den Eindruck haben müsste, ich glaube nicht, und wenn ich viel spüre,
dass ich dann besonders gläubig wäre. Sondern der Glaube beruht auf einer Kunde,
die über alles menschliche Wissen hinausgeht. Wir sagen, der Glaube beruht auf
der Offenbarung, auf dem, was Gott von sich aus freien Stücken mitteilt, ohne
dass wir es von uns aus erschließen oder auch erahnen könnten. Im Katechismus
heißt es im Anschluss an das Konzil über die Offenbarung: "Durch einen ganz
freien Entschluss offenbart und schenkt sich Gott dem Menschen..." (KKK 50,1).
Wie tut Er es? Indem Er sein innerstes Geheimnis enthüllt, Seinen gnädigen
Ratschluss, den Er in Christus für alle Menschen von aller Ewigkeit her gefasst
hat. Gott enthüllt Sein innerstes Geheimnis, Er teilt sich selber mit. Das
nennen wir Offenbarung. Wie geschieht das, wie teilt Gott sich mit, wie
offenbart Er sein innerstes Geheimnis, wie tut Er es kund? Er tut es in einer
Pädagogik, in einer weisen, göttlichen Pädagogik. "Gott teilt sich den
Menschen stufenweise mit. Er bereitet ihn etappenweise darauf vor, Seine
übernatürliche Selbstoffenbarung aufzunehmen" (KKK 53).
Gott bereitet die
Menschen vor, Ihn aufzunehmen. Der hl. Irenäus von Lyon, ein früher Kirchenvater
- er hat um das Jahr 188 sein großes Werk gegen die Irrlehren geschrieben und
ist um 200 als Märtyrer in Lyon gestorben - sagt, um das deutlich zu machen: "Es
ist wie ein gegenseitiges Sich-aneinander-gewöhnen". "Gott gewöhnt sich
gewissermaßen daran", sagt Irenäus, "beim Menschen zu wohnen, und Er gewöhnt
den Menschen daran, Gott auf- zunehmen." Man denkt ein bisschen an den kleinen
Prinzen und den Fuchs, wo der Fuchs zum kleinen Prinzen sagt: "Zähme mich, dann
können wir Freunde werden." Langsam rücken sie einander näher und lernen sich
kennen. Gott offenbart sich stufenweise, etappen- weise. Und diese Stufen
gipfeln in der Offenbarung Jesu Christi: "Als aber die Fülle der Zeit kam,
sandte Gott seinen Sohn." Das verborgene Geheimnis, von dem Paulus immer wieder
spricht, das von Ewigkeit her verborgene innerste Geheimnis Gottes hat er geoffenbart, indem er Jesus, seinen Sohn gesandt hat. Er ist die Offenbarung
Gottes, in Ihm ist das ganze Geheimnis Gottes gegenwärtig, Er ist Gott selbst
in seiner Offenbarung. Wenn wir Ihn finden, finden wir Gott. "Wer mich sieht,
sieht den Vater", sagt Jesus, Er ist das Geheimnis, das Gott geoffenbart hat.
Deshalb mündet der ganze Weg der Offenbarung in Jesus Christus und deshalb
werden wir auch, wenn wir weiter über die Offenbarung des Gebetes sprechen, uns
vor allem auf Jesus Christus konzentrieren. Aber heute soll es um das Alte
Testament gehen und wahrscheinlich noch das nächste Mal, denn es gibt so viel
Wunderbares über das AT zu sagen.
2. Was ist die Bedeutung des Alten Testaments?
Wir sind viel zuwenig damit vertraut. Eigentlich müssten wir als Christen im AT
ganz zuhause sein. Ich erinnere mich an einen Kartäuserbruder, in der
Chartreuse de la Val-Sainte in der Schweiz, wo ich einmal ein Woche verbracht
habe (ganz schweigend war es nicht, denn sonst hätte ich nicht den
Kartäuserbruder etwas sagen gehört). In einem Gespräch über das AT hat er
gesagt: "Im Grunde ist das Alte Testament die große Liebesgeschichte Gottes mit
den Menschen." Wie anders ist oft die Vorstellung vom AT. Da gibt es immer noch,
bei uns in Österreich leider sehr verbreitet, die Vorstellung von dem "bösen"
Gott des AT oder gar dem rächenden, dem zürnenden Gott des AT, dem gegenüber der
Gott des Neuen Testaments ein liebender Gott sei. Nichts wäre falscher als diese
Sicht. Es ist nur ein Gott, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der
Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, es ist der wahre Gott. Seine Liebesgeschichte
ist vor allem im Alten Bund aufgezeichnet, seine lange geduldige
Liebesgeschichte mit der Menschheit. Das NT, das nur diese kurze Spanne des
ersten Jahrhunderts, nicht einmal der ersten 67 Jahre umfasst, von Christi
Geburt bis zum Tod der Apostel, dieses NT ist, so möchte ich sagen, ohne das AT
wie Geigensaiten ohne den Resonanzkasten. Sie klingen nicht, ohne den
Hintergrund, den Untergrund, den Resonanzboden des Alten Bundes:
Beide
Testamente sind untrennbar. Deshalb sagt der hl. Augustinus, dass das Neue
Testament im Alten Testament verborgen ist und dass das Alte Testament im Neuen
Testament enthüllt ist, aber beide gehören zusammen. Versuchen wir uns ein
wenig auf den langen Weg durch das AT zu machen, die lange Zeit der göttlichen
Pädagogik seiner allmählichen Offenbarung. Ich glaube, im AT lernen wir auch
sehr viel über die Geduld Gottes und die Geduld, die uns aufgetragen ist, wie
geduldig Gott mit seinem Volk vorgeht. Wie sollen wir das AT lesen? Achtung vor
allem darauf, es ist unsere Geschichte. Wir lesen das AT nicht als die
Geschichte von einem Volk aus dem Vorderen Orient, dem Volk der Hebräer, wir
lesen es als unsere Geschichte, weil wir Dazugekommene sind im Volk Gottes. Es
gibt nur ein Volk Gottes. Gottes Bund ist ohne Reue, sagt Paulus, und wir sind
dazugekommen als die aus den Heiden gekommenen Christen zu dem einen Volk
Gottes, dessen Wurzelstock Israel ist. Wenn wir in der Osternacht den Exodus
lesen, den Auszug aus Ägypten, dann lesen wir nicht irgendeine ferne Geschichte.
Wir lesen natürlich auch etwas, was vor fast 3.000 Jahren geschehen ist. Wir
lesen aber auch das, was heute geschieht, heute zieht das Volk Gottes aus der
Knechtschaft Ägyptens aus, wo immer ein Kind oder ein Erwachsener getauft
wird. Wenn wir das AT lesen, dann lesen wir die Geschichte des Volkes Gottes,
unsere Geschichte. Und wenn wir hören, wie das Volk Gottes in der Wüste murrt
gegen Gott, sich zurück sehnt, nach den Fleischtöpfen Ägyptens und den Zwiebeln
und den köstlichen Gemüse, dem Lauch und was da alles beschrieben wird in der
Erinnerung, dann ist das unser Weg, die wir herausgerufen sind, hineingestellt
in das Volk Gottes und die wir uns bisweilen zurücksehnen in das, was wir
vergessen haben, wie schrecklich die Knechtschaft der Welt eigentlich ist, aus
der wir befreit worden sind, wir sehen uns zurück nach "Ägypten". Wenn wir die
Propheten lesen, dann ist es ein Ruf, der an uns ergeht, weil sie zum Volk
Gottes sprechen. Die Kirche hat nie das AT verworfen: Als im 2. Jahrhundert ein
Häretiker, ein Lehrer der Christen in Rom, Markion mit Namen, aufgetreten ist
und gesagt hat: "Endlich müssen wir uns trennen vom AT und nur das NT gelten
lassen", da hat ihn die Kirche ausgeschlossen und hat entschieden diese Lehre
als Irr- lehre abgelehnt.
Doch nun zum Gebet im AT: Wie wird es dort geoffenbart? Das ganze AT ist eine
große Gebetsschule, nicht nur die Psalmen, die wir beten. Ich erinnere aus
gegebenem Anlass, da heute Edith Stein heilig gesprochen worden ist, an diese
Szene, wie sie mit der jüdisch-gläubigen Mutter in Breslau auch nach ihrer
Taufe, in die Synagoge mitgeht. Und wie sie zur Verwunderung der Mutter mit
ihrem Gebetbuch die Psalmen mitbetet. Sie hat ja das Brevier, das Stundenbuch
der Kirche, und wir beten mit dem jüdischen Volk bis heute die Psalmen, die
große Gebetsschule des Volkes Gottes. Alles im Alten Bund ist Gebetsschule.
Fangen wir also ganz vorne auf der ersten Seite der Bibel an. Es ist etwas
Eigenartiges, wenn Sie die ersten beiden Kapitel der Genesis lesen: Dort spricht
der Mensch nie zu Gott. Gott spricht zum Menschen bzw. hält Rat mit sich selbst.
Wir wollen den Menschen schaffen nach unserem Bild und Gleichnis. Und er gibt
dem Menschen Auftrag, die Schöpfung zu beherrschen. Aber der Mensch spricht
nicht mit Gott. Heißt das, dass der Mensch im Paradies nicht mit Gott gesprochen
hätte? Ich deute das so, dass es am Anfang gar nicht notwendig war zu beten, weil
der Mensch mit Gott völlig vertraut war. Auch im Himmel werden wir nicht
beten, wir werden im Himmel schauen. Wir werden mit Gott so verbunden sein, dass
wir nicht zu beten brauchen, wir sind in Verbindung, in Gemeinschaft mit dem
lebendigen Gott. Jetzt sind wir in der Zeit des Gebetes.
Es war also wohl im
Paradies, im Urstamm des Menschen vor seinem Sündenfall, bevor er sich von
Gott abgewendet und sich selber zugewendet hat, nicht notwendig zu beten, weil
der Mensch ganz mit Gott vertraut war. Er hat Ihn geschaut, er hat mit Ihm
Umgang gehabt, sie waren einan- der völlig nahe. Einssein mit Gott, das ist das
Ziel des Gebetes. Aber dort, wo dieses Einssein vollendet sein wird, im Himmel,
wo es ganz erfüllt ist, dort bedürfen wir nicht mehr des Gebetes. Nun das
Eigenartige: Das erste Gespräch, das die Bibel berichtet, ist Gottes Ruf nach
dem Sündenfall. "Adam wo bist du?" Und da antwortet zum ersten Mal der Mensch.
Adam sagt zu Gott: "Ich ver- nahm Deine Schritte im Garten, da fürchtete ich
mich, weil ich nackt bin, und verbarg mich". Ich glaube, da ist etwas ganz Wichtiges über das Gebet gesagt. Das Gebet entspringt erst dort, wo der Mensch Gott
verloren hat, wo die Vertrautheit mit Gott zerbrochen ist. Der Mensch hat sich
vor Gott versteckt, er hat Angst vor Ihm. Flucht vor Gott. Wir kennen es alle,
das Sich verbergen vor Gott, weil man nur auf sich selber schaut: "Ich bin nackt,
ich habe mich vor Dir gefürchtet." "Adam, wo bist du?"
Der Ruf Gottes ist nicht
ein Vorwurf, so wie auch das Wort Gottes an Eva, "Was hast du da getan?" nicht
ein Vorwurf ist - so wie die Eltern die Kinder schimpfen: "Was hast jetzt schon
wieder angestellt, was hast du dir da einfallen lassen" - sondern es ist der
erste Ruf Gottes, der den Menschen wieder zurückrufen will. Fast möchte man
sagen, mit einem schmerzlichen Herzen ruft der Vater seine Kinder zurück in die
Vertrautheit, die sie verloren haben. So können wir von daher sagen, wo es
keinen Mangel mehr gibt, dort wird es auch kein Gebet mehr geben, sondern nur
das, was wir im Gebet suchen. Wo wir Gott gefunden haben, wo er sich uns ganz
geschenkt hat, dort ist das Gebet in die Schau, in die Vereinigung übergegangen.
Dort sind wir nicht mehr im Glauben, sondern in der Schau, dort suchen wir nicht
mehr, dort haben wir gefunden oder genauer, dort sind wir gefunden worden. Mit
diesem ersten Gespräch beginnt der lange Weg der Offenbarung des Gebetes und
alles im AT spricht von dieser Offenbarung des Gebetes. Aber wie wichtig ist es,
um den Weg des Gebets zu verstehen, dass wir an die Erbsünde glauben. Ich wundere
mich immer wieder, warum es so schwer fällt, an die Erbsünde zu glauben.
Vielleicht auch deshalb, weil man davon so falsche Vorstellungen hat. Was heißt
das, die Erbsünde? Das heißt doch, dass seit unseren Stammeltern jeder Mensch,
der geboren wird, gewissermaßen in einem Mangelzustand geboren wird. Es fehlt
uns etwas von Geburt an, nicht das Menschsein. Wir werden als volle und ganze
Menschen geboren und doch fehlt uns etwas zum erfüllten Menschsein. Die Erbsünde
heißt, wir werden geboren, ohne die ursprüngliche Vertrautheit mit Gott, es
fehlt uns das, was der Mensch im Paradies geschenkt bekommen hatte und was er
verloren hat, durch die Abwendung von Gott, diese ursprüngliche Vertrautheit mit
Gott, die Gott uns geschenkt hat, die er uns wieder schenken will und die uns
jetzt fehlt, wenn sie uns nicht geschenkt wird. Erst sie macht den Menschen
wirklich ganz.
Leib, Seele, Geist, sagt der hl. Irenäus, Geist, Geist erfüllt,
mit dem Heiligen Geist erfüllt, dann erst ist der Mensch ganz, wenn er mit Gott
ver- traut ist. Das heißt aber, seit dem Sündenfall und durch die Erbsünde ist
jeder Mensch, sind wir alle auf der Suche, ständig auf der Suche, auf vielen
Irrwegen, mit vielen Gefahren, mit vielen Wunden. Wir sind auf der Suche, weil
uns Gott fehlt und deshalb sind wir in uns zerrissen. Die Genesis sagt das - wir
haben es eben gehört - Adam schämte sich, weil er nackt war, die Harmonie
zwischen Seele und Leib ist zerrissen oder zumindest gestört. Mann und Frau
beschuldigen sich: "Die Frau die Du mir gegeben hast, hat mir zu essen gegeben",
der Mann beschuldigt die Frau und Gott gleich mit. Und eine schöne rabbinische
Tradition sagt: Hätte Adam im Paradies damals gleich gesagt, "ja, ich war
ungehorsam, verzeih mir", dann wären wir heut noch alle im Paradies, und es war
nicht Eva, die daran schuld ist, sondern Adam. Die Harmonie zwischen Mann und
Frau ist gebrochen, die Harmonie zwischen dem Menschen und der Natur ist
gestört, die Welt ist uns feindlich, widrig geworden, Dornen und Disteln trägt
sie uns, sagt das Wort Gottes zu Adam. Schließlich über allem unausweichlich der
Tod, "Staub bist du und zu Staub kehrst du zurück".
Was hat das mit dem Gebet zu
tun? Nun spüren wir, wie wichtig die Lehre von der Erbsünde ist, um zu
verstehen, dass das ganze Drama des menschlichen Lebens, der menschlichen Seele,
der Stoff unserer Gebete ist. Alle diese Risse, die durch uns gehen, die
zwischen uns sind, zwischen den Menschen und der Welt, sind Gegenstand des
Gebetes. Das Gebet ist einer der großen Wege der Heilung der Menschheit. Auf
diesem Weg will Gott uns zurückführen zur inneren Harmonie, zur Versöhnung
zwischen Mann und Frau, zur Versöhnung mit der Schöpfung. Doch jetzt schildert
zuerst das AT die Geschichte der Risse, wie sie weitergehen, Kain und Abel. Der
erste Brudermord, eine Folge des Risses der Ursünde, bis hin zu Noach, wo zum
ersten Mal eine Wende kommt, die Sintflut, die gewissermaßen dem Bösen und seiner
Verbreitung Einhalt gebietet und der Gott einen neuen Bund entgegenstellt: den
Noach-Bund. Einen Bund mit der ganzen Schöpfung, weil Noach gerecht ist. Gott
wird immer treu sein, verheißt er dem Noach. Der Regen- bogen, heißt es in der
Genesis, ist das Zeichen, das Gott in den Himmel setzt, als Zeichen seines
Bundes mit der Schöpfung, Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter,
Tag und Nacht wird Gott immer schenken. Dieser Bund gilt für alle Menschen. Wir
verstehen deshalb, warum die Natur dieser weiteste Bund Gottes mit der
Schöpfung, für so viele Menschen ein Weg zum Gebet ist.
Wer sagt "Ich gehe in
den Wald um zu beten", mag recht haben, es ist deshalb kein Grund, nicht in die
Kirche zu gehen, aber es ist tat- sächlich so mit der Schönheit, aber auch den
Rätseln der Schöpf- ung. Warum sehen so viele Menschen Fernsehsendungen über die
Schöpfung, über die Geheimnisse der Natur, warum fasziniert das so? Es ist die
Sprache des Schöpfers und sie führt auch zum Ge- bet. Doch dann beginnt eine
andere Geschichte und mit dieser Geschichte, beginnt die eigentliche Offenbarung
des Gebetes. An einem Punkt, zu einem ganz bestimmten historischen Moment,
spricht Gott einen Menschen an, diesen einen hat er bestimmt, Anfang eines
neuen, eigenen, besonderen Bundes zu sein, Gott spricht Abraham an. Das ist für
unser Verständnis von Offenbarung ganz entscheidend. Offenbarung geschieht in
wirklichen, geschichtlichen Ereignissen.
Damals in Chaldäa hat Gott Abraham,
diesen bestimmten Menschen gerufen. Die Geschichte dieses einen, dieses
Abraham, ist zur Grundlage der ganzen Offenbarungsgeschichte geworden. Dieser
Ruf verändert das Leben des Abraham, reißt ihn heraus, er wird zum Fremden im
eigenen Land, in seiner Familie, in seiner Sippe. Er wird zum Pilger, zum
Fremdling, auch in den Ländern, in die er kommt. Er verlässt auf den Ruf Gottes
seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus. Hier beginnt nun eine neue Geschichte,
eine andere Geschichte des Gebetes, Gott bricht in ein Menschenleben ein. Mit
einem Ruf, einer Forderung, einem Auftrag, und seither ist in Abrahams Leben
alles anders geworden. Abraham ist seither ein Ausgesonderter, Gott hat ihn
zum Fremden gemacht. Fremd zu Hause, fremd in seinem eigenen Land und fremd in
dem Land, in das er kommt. Aber, und das ist das Neue, dafür wird er ein
Vertrauter Gottes. Er hat alles verloren und alles gewonnen, er hat Gott
gefunden. Gott hat ihn gerufen und sich ihm geoffenbart, er wird zum Vertrauten
Gottes, er lernt Gott kennen. In immer neuen Begegnungen und Erscheinungen lernt
er Gott kennen. Zwei große Momente aus diesem Kennen lernen möchte ich nennen:
Mamre und Morija. Mamre, wir kennen die Ge- schichte in Genesis 18, wie Abraham
vor seinem Zelt sitzt und in der Mittagshitze drei Pilger, drei Fremde, drei
Gottesmänner kommen und er sie einlädt und ihnen ein Mahl bereitet. Diese
drei, die er immer wieder auch im Singular anspricht, "mein Herr" ("tres vidit
et unum adoravit", sagt Augustinus, "drei sah er und einen betete er an"), Bild,
Vorbild der Dreifaltigkeit, so deutet es die Kirche.
Der Gottesbesuch. Gott
sucht Abraham heim und er wird zum Gastgeber für Gott. Das gemeinsame Mahl,
ein Bild einer unglaublichen Vertrautheit: Abraham wird mit Gott vertraut. Aus
dieser Vertraut- heit wagt er es, Gott zu bitten, er handelt mit ihm, 50, 45,
40, 30, 20, 10 müssen genügen, 10 Gerechte in Gomorha und Sodom, damit Gott die
Städte nicht zerstört. Abraham handelt mit Gott, er ringt mit Gott und wird zum
Beter, er wird zum Vertrauten Gottes und damit zum Beter. Und das zweite, Morija:
das Opfer Isaaks, Gott verlangt von Abraham, dass er seinen Sohn opfert, den ein-
zigen, auf dem die ganze Verheißung ruht, die Gott ihm gegeben hat. Abraham geht
auf den Berg Morija und ist bereit, Isaak zu opfern. Urbild des Fürbittgebetes:
Mamre, Urbild der Ganzhingabe: Morija. Abraham ist bereit alles zu geben. Was
geschieht in dieser Gebetschule, was geschieht in dieser ersten Offenbarung des
Gebetes? Der Katechismus sagt: "Seit Gott Abraham in seinen Ratschluss
eingeweiht hat, stimmt dessen Herz in das Mitleid des Herrn für die Menschen
ein" (2571). Was geschieht? Gott offenbart sich einem Menschen und dieser Mensch
wird allmählich hineingezogen in die Ähnlichkeit mit Gott, er beginnt ihn
kennen- zulernen. Und er beginnt mit seinem Herzen zu fühlen und zu empfinden,
er beginnt zu denken, wie Gott denkt. Gebet heißt Vertraut- Werden mit Gott,
Abraham wird zum Freund Gottes. Aus diesem Vertraut werden mit Gott heraus wagt
er es ihn zu bitten, wie ein Freund einen Freund bittet: "Rette Sodom und
Gomorha" und da- mit wird Abraham durch das Beten Gott immer ähnlicher, denn
Gott will ja nicht den Tod des Sünders, er will ihn ja retten, aber er will,
dass
wir Ihn darum bitten. So wird das Gebet zur Heimkehr ins Paradies, zur
Rückkehr in die ursprüngliche Vertrautheit mit Gott. Deshalb sagt der
Katechismus: "Das Gebet macht den Menschen wieder Gott ähnlich und lässt ihn an
der Macht der Liebe Gottes teilhaben, die die Vielen rettet" (2572).
Brüder und
Schwestern, eine Frage bedrängt uns doch: Wie hat Gott das gemacht, Abraham zu
rufen? Hat er klare Weisung bekommen? Bekommen wir klare Weisung von Gott? Wie
zeigt sich Gott uns? Hat Gott zu Abraham gesprochen mit einer hörbaren Stimme,
"Zieh fort aus deinem Land, tu dies, lass jenes", wie hat Abraham Gott erfahren?
Hat er ihn gesehen, seine Gestalt wahrgenommen, waren es äußere oder innere
Stimmen? Eines sagt uns die Bibel ganz klar, Abraham hat geglaubt. Wie immer
Gott sich ihm gezeigt hat, er musste auf dieses Sich zeigen Gottes mit Glauben
antworten, er hat ihm vertraut und das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet
(Genesis 15,6). Sein Weg des Gebetes war also ein Weg des Glaubens und
deshalb sagen wir, dass er der Vater aller Glaubenden ist, sein Gebet, seine
Fürbitte für Sodom und Gomorha war Ausdruck seines Glaubens, ob er nun Gott mit
seinen eigenen Augen gesehen hat oder nur innerlich wahrgenommen hat: geglaubt
hat er. Das Gebet ist die Sprache des Glaubens und Abraham ist deshalb der große
Beter, weil er geglaubt hat. Ich schließe, damit das deutlich wird, mit der
Geschichte von Pranzini.
Die kleine hl. Theresia, mit 14 Jahren: Sie liest in
der Zeitung, sie hört von dem Verbrecher Pranzini, der zum Tod verurteilt ist
wegen mehrfachen Mordes, und sie erfährt, dass er unbußfertig ist. Ganz wie
Abraham handelt sie mit Gott. Sie erbittet sich das ewige Heil Pranzinis, mit 14
Jahren, und sie sagt: "Selbst wenn Pranzini keinerlei Zeichen der Reue zeigen
sollte, bin ich gewiss, dass Du mich erhörst." Das heißt, sie glaubt. Und Gott hat
ihr das Zeichen gegeben. Pranzini hat unmittelbar vor der Guillotine, vor der
Enthauptung, sich plötzlich noch einmal aufgerichtet und den Priester um das
Kreuz gebeten und dreimal die Wunden des Gekreuzigten geküsst. Als Thérèse das in
der Zeitung liest (verbotenerweise liest sie doch in der Zeitung), weiß sie, ihr
Gebet ist erhört worden. Und sie schreibt: "Pranzini, mein erstes Kind."
Abrahams Glauben, Thérèses Glauben, Schule des Gebetes. Wir werden nächstes Mal
versuchen, ein wenig weiter in das AT hineinzugehen, um die Schule des Glaubens
durch die lange Geschichte des AT als Schule des Gebetes zu betrachten.
Gelobt sei Jesus Christus!
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