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Katechesen
1998/1999
3. Jahresreihe - 1. Katechese, 20.09.98
Sehnsucht nach Gott |
Mit großer Freude beginne ich diese neue Reihe der Katechesen.
Es ist - mir zumindest - ein lieber Brauch geworden. Ich freue mich, Monat für
Monat einmal hier im Dom gemeinsam mit Ihnen auf unseren Glauben schauen zu
können, auf ein Thema unseres Glaubens und das Leben aus dem Glauben.
Nun bereiten wir heuer weder ein Weltjugendtreffen noch einen Besuch des
Heiligen Vaters in Österreich vor, aber vorbereiten müssen wir uns immer, vor
allem auf die Begegnung mit dem Herrn. Und so drängt es mich, diese neue Reihe
der Katechesen über das Gebet zu halten; über diese Wirklichkeit, die so ganz
elementar, ganz grundlegend zum Leben des Menschen gehört, seit dem Urbeginn
der Menschheit. Man kann geradezu sagen, der Mensch beginnt dort, er ist als
Mensch in der Urgeschichte wahrnehmbar, wo er als Betender auftaucht. Der
Mensch ist ein Betender. Es drängt mich sehr, über dieses Thema zu sprechen,
zu betrachten. Zugleich habe ich auch einen gewissen "Spundus", wenn ich so
sagen darf - eine große Scheu, es zu tun, denn das Gebet ist das
Persönlichste. Natürlich beten wir zusammen in der Liturgie, im Gottesdienst,
bei vielen Gelegenheiten, aber es ist doch auch das Persönlichste, das
Innerste - und darüber ist es nicht leicht zu sprechen. Darum bleibe ich mir
bewusst, dass - hier unter uns und sicher in unserer Diözese und weiter hinaus -
es viele Menschen gibt, die viel besser über das Gebet sprechen könnten, weil
sie einfach mehr darüber wissen. Vielleicht nicht unbedingt theologisch (ich
habe sicher ein gewisses theologisches Wissen), aber dieses Erfahrungswissen,
was das eigentlich ist, das Gebet - darin zu leben, im Gebet zu Hause zu sein,
gewissermaßen im Gebet zu wohnen... Das können sicher andere besser
bezeugen, sie wissen einfach mehr darüber, sie können mehr davon sagen aus
anderer Erfahrung, vielleicht auch aus besonderer Gnade, die ihnen von Gott
geschenkt ist.
Warum ich es dennoch wage, über das Gebet zu sprechen, ist einfach die
Tatsache, dass es dem Bischof aufgetragen ist, unseren Glauben zu verkünden,
und das Gebet gehört ganz wesentlich zum Glauben. Aber darüber hinaus ist es
auch die Gewissheit, dass das Beten für die Seele so unabdingbar lebensnotwendig
ist wie das Atmen für den Leib. Es geht also nicht um irgendetwas Beliebiges,
sondern es geht wirklich um das Lebensnotwendige für unsere Seele. Und auch
dessen dürfen wir gewiss sein, dass es das Gewisseste ist, dass das Gebet der
Weg zum wahren Glück ist. Ich weiß nicht, wie jedes Gebet glückt, manchmal ist
man sehr hilflos im Gebet, hat den Eindruck, dass man über weite Strecken in
der Dürre, in der Wüste ist - und doch weiß ich ganz gewiss, dass ich ohne das
Gebet völlig veröde, versteppe, trostlos und traurig werde. Deshalb drängt es
mich einfach, über das Gebet zu sprechen.
Ich weiß freilich gleichzeitig, dass ich sehr wenig von dem
weiten Land des Gebetes kenne. Auch nach vielen Jahren des Betens habe ich
immer noch den Eindruck, es ist eine neue Welt, eine weite, neue Welt, ein
weites Land, in dem ich erst einige Schritte getan habe, aber es tröstet mich,
dass auch die Apostel solche Erfahrungen gemacht haben dürften, wenn sie Jesus
beten sehen, und dann ganz scheu fragen: "Meister, Herr, lehre uns beten!" Das
ist also meine Bitte in diesen Katechesen: "Herr, lehre uns beten, lehre uns
wenigstens die Sehnsucht nach dem Gebet! " Wenn das in diesen Katechesen bei
Ihnen und bei mir ein wenig mehr wächst, dann ist es eine große Freude.
Deshalb bitten wir: "Herr, lehre uns beten!" Damit bekennen
wir mit dieser Bitte der Apostel an Jesus, dass eigentlich Er der Lehrer ist,
Er hält diese Katechese - ich kann darüber sprechen, wir können vielleicht
anschließend über die eine oder andere Frage dann noch weiter sprechen, aber
der eigentliche Lehrer des Gebetes ist der Herr selber. Er lehrt uns, indem Er
uns zieht, indem Er Sehnsucht weckt, indem Er durch Seinen Geist in uns betet,
mit unaussprechlichen Seufzern. Er selber lehrt uns beten, Er zieht uns.
Methoden gibt es viele zum Gebet oder zur Hinführung zum Gebet, wie man sich
sammelt, ruhig wird, wie man sich konzentriert etc. Aber alles das ist noch
Hinführung. Man soll es nicht verachten, aber es ist nicht das Gebet selbst.
Das Gebet ist Geschenk des Herrn. Er gibt uns das Gebet. Natürlich müssen wir
uns bemühen, wir müssen um das Gebet kämpfen. Auch davon wird noch die Rede
sein. Der Kampf des Gebetes ist sicher etwas ganz Wichtiges im Weg des
Gebetes, aber trotzdem gilt: Er selber schenkt uns das Gebet. So möchte ich
mit einigen Erfahrungen beginnen, die zeigen, wie der Herr uns zum Gebet
hinzieht, wie er die Sehnsucht nach dem Gebet weckt.
Das erste Beispiel ist das der Jünger selber, ich habe es bereits genannt.
Jesus betet an einem einsamen Ort, die Jünger suchen ihn, sie bitten ihn, sie
erleben immer wieder, wie er betet, oft die ganze Nacht, und sie fragen ihn:
"Meister, Herr, lehre uns beten!" Es gibt wahrscheinlich nichts, was so sehr
die Sehnsucht nach dem Gebet wecken kann wie die Begegnung - oder oft ist es
nur die Beobachtung - von Menschen, die beten. Ich möchte eine Geschichte
aus dem Leben der seligen Edith Stein berichten, die ja heute in drei Wochen
vom heiligen Vater heilig gesprochen wird in Rom. Edith Stein, von jüdischer
Herkunft, aus einem gläubigen jüdischen Elternhaus, hat mit 14 Jahren den
Glauben aufgegeben, wie sie selber sagt, sie hat sich bewusst vom Glauben
abgewendet, sie wurde Atheistin. Als brillante Philosophin geht sie einmal in
Frankfurt in den Dom, wahrscheinlich eher aus kunsthistorischem Interesse, wie
auch immer - und sie sieht dort eine Frau, eine einfache Frau, die mit ihren
Einkaufstaschen vom Markt kommt, wie sie niederkniet und betet. Das hat Edith
Stein bis ins Innerste erschüttert. Was ist das? Es hat in ihr etwas
ausgelöst, was sich dann in ihrer Konversion konkretisiert hat, der Glaube
ist in ihr langsam erwacht. Dieses Bild der einfachen Frau, die vom Markt
kommt mit ihren Taschen, und betet - das hat in Edith Stein eine Sehnsucht
geweckt, eine Frage, die sie nicht mehr losgelassen hat.
Ich hatte lange bei mir in meinem Zimmer, wie ich noch im Kloster war, ein
Foto einer Afrikanerin (in einer Gebetsversammlung, in der Kirche - man konnte
es nicht genau sehen) mit einem tropfnasigen Kind auf ihrem Schoß. Das Kind
hat ganz offen und groß d'reingeschaut, aber die Mutter hatte geschlossene
Augen, im Gebet versunken. Dieses Bild hat mich immer wieder neu berührt,
diese Mutter, die da sitzt, im Gebet versunken, mit ihrem Kind auf dem Schoß.
Wahrscheinlich haben Sie ähnliche Erlebnisse. Etwas berührt uns
unverwechselbar, wenn wir betende Menschen sehen: eine Sehn- sucht, die Welt
des Gebetes kennen zu lernen. Was ist das? Was zieht uns an? Ist es die
Konzentration, die Gesammeltheit? Sicher ist es etwas sehr Beeindruckendes,
wenn man jemanden sehr konzentriert sieht, jemand, der ganz gesammelt ist,
bei einer Tätigkeit, einer Arbeit, einem Handwerk, beim Schreiben, vielleicht
auch beim Lesen, vielleicht auch bei der Betrachtung, oder ein Kind, das ganz
konzentriert, ganz aufmerksam bei seinem Spiel ist. Aber diese Konzentration
ist noch nicht dasselbe wie das Gebet. Es ist sicher sehr eindrucksvoll,
jemanden zu sehen, der in der Meditation versunken ist, wie es etwa in der
Zenmeditation geübt wird, wo man lange sitzt, in großer Sammlung, ich sage das
durchaus mit Ehr- furcht und Scheu, ich fälle da kein vorschnelles Urteil.
Aber diese Sammlung ist doch, glaube ich, etwas anderes: der Meditierende ist
ganz bei sich, ganz konzentriert und gesammelt. Aber das Gebet ist etwas
anderes: Da ist auch eine Sammlung, eine Wachheit, aber sie ist nicht auf sich
selber gerichtet. Der Betende ist ganz ausgerichtet, ausgespannt auf Jemand.
Vor eineinhalb Jahren hatte ich in Rom zu tun, und es war am Fronleichnamstag.
Ich durfte hier das Allerheiligste tragen, und musste dann am Nachmittag nach
Rom. Ich kam gerade rechtzeitig zur Fronleichnamsprozession in Rom und konnte
am Straßenrand dann sehen, wie der lange, lange Zug der abendlichen Prozession
vorbeigezogen ist. Dann kam - nicht mehr das Allerheiligste tragend, weil er
das nicht mehr kann, sondern auf einem Wagen - der Papst vor dem
Allerheiligsten im Gebet. Das ist ein unvergessliches Bild, dieser Eindruck von
einem Menschen, der ganz - fast möchte ich sagen, wie ein Block des Gebetes
war.
Aber es ist immer ein Ausgespanntsein, ein Ausgerichtetsein, jemand ist da
in diesem Gebet. Was war es bei der hl. Bernadette in Lourdes bei den
Erscheinungen? Man sah sie, Bernadette - man sah nicht, was sie sah, aber man
sah, indem man sie sah, dass sie etwas sah. Dass sie ganz auf jemanden hin
ausgerichtet ist. Etwas von dieser Art muss es gewesen sein, wenn die Jünger
Jesus beten gesehen haben. Er ist bei jemandem. Das Gebet ist also, so erfahren wir es, wenn wir einen betenden Menschen wahrnehmen, ein Ausgestrecktsein
nach jemandem. Das unterscheidet das Beten ganz wesentlich von jeder
Konzentration und Sammlung, die es sonst geben kann. Ich durfte einmal P. Pio
bei der HI. Messe ganz nahe sein, 1961. Es war unvergesslich, wie er die Messe
gefeiert hat, ich kann das nicht beschreiben. Besonders im Gedächtnis ist mir
die Opferung geblieben, die zeitlos lange gedauert hat, ich weiß nicht, wie
lange: zehn Minuten, eine Viertelstunde... Wie er das Brot, dann den Kelch
dargebracht hat. Es war ganz dieses Ausgestreckt- sein, dieses "Ganz-bei-einem-andern-sein".
Man hat gesehen, fast greifbar wahrgenommen, er ist bei einem anderen im
Gebet.
Vielleicht ist es das, was bei Edith Stein diese große Erschütterung
ausgelöst hat in ihrem Atheismus - dieses Ausgespanntsein auf jemand.
Offensichtlich weckt das im Menschen etwas, was tief ver- borgen ist, was oft
vielleicht verschüttet ist, aber nie ganz fehlt: die Sehnsucht nach Gott, die
in keinem Menschen ganz fehlt. Weil das Gebet auf Gott hin ausgestreckt ist,
weckt es die Sehnsucht auf Gott hin. Ich möchte hier einen Text zitieren, der
sehr bekannt ist, es ist der Beginn der Bekenntnisse des hl. Augustinus: "Groß
bist du, Herr, und überaus lobwürdig; groß ist deine Stärke und unermesslich
deine Weisheit. Und loben will dich der Mensch, der selbst ein Teilchen
deiner Schöpfung ist, der Mensch, der seine Sterblichkeit mit sich herumträgt
und in ihr das Zeugnis seiner Sündhaftigkeit und das Zeugnis, dass du den
Stolzen widerstehst. Und dennoch will er dich loben, der Mensch, der selbst
ein Teilchen deiner Schöpfung ist. Du treibst uns an, so dass wir mit Freuden
dich loben, denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser
Herz, bis es ruhet in dir." (KKK 30). Dieses letzte Wort hört man oft: "Unruhig
ist unser Herz, bis es ruht in dir... Denn du hast uns auf dich hin geschaffen..." Also, wenn wir sagen: "Ich will beten lernen", das heißt: "Ich
will Gott kennen lernen."
"Ich will Gott schauen", sagte Theresia von Avila als fünfjähriges Kind in
ihrer kindlichen Spontanität, "Ich will Gott schauen, und da man Gott nur
schauen kann, wenn man stirbt, will ich sterben." Sehnsucht nach Gott ist das,
was uns in der Sehnsucht nach dem Gebet begegnet. Manchmal wirkt diese
Sehnsucht wie ein Brennen. Und dann hat man endlich die Zeit zum Beten, dann
kommt einmal eine stille Zeit oder man nimmt sie sich - und dann flüchtet man.
Eigenartig - warum flüchten wir vor dem Gebet, obwohl wir uns so danach
sehnen? Plötzlich ist alles andere im Vordergrund, plötzlich habe ich keine
Zeit mehr zum Beten. Wenn ich dann noch bete - was ist das dann oft für ein
Kampf! Der Kampf, dabeizubleiben, nicht gleich wieder wegzurennen, geduldig zu
sein, zu warten, zu hören... Warum gibt es diesen Kampf? Wo kommt er her?
Warum eilen wir nicht spontan, selbstverständlich und mit Freude zum Ge- bet?
Mit Vorrang, vor allem anderen? Warum ist es so oft so, dass wir das Gebet an
die letzte Stelle stellen? Das kommt dann auch noch, nach allem... (Ich rede
jetzt von mir, und nicht von Ihnen - bei Ihnen ist Gott sei Dank alles
anders!) Woher kommt dieser Kampf? Ich muss dazu ein bisschen ausholen: Ich
muss
versuchen, die Lehre vom Menschen, wie sie der christliche Glaube uns vorlegt,
darstellen, und natürlich hilft uns da der Katechismus, der uns in einigen
wenigen Abschnitten zusammenfasst, was die Glaubenslehre über den Menschen
sagt. "Die nach dem Bild Gottes erschaffene menschliche Person ist ein
zugleich körperliches und geistiges Wesen." (KKK 362) Körperlich und geistig,
nach dem Bild Gottes geschaffen. Der biblische Bericht bringt das in einer
sinn- bildlichen Sprache zum Ausdruck, wenn er sagt: "Da formte Gott, der
Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den
Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen." Der Katechismus
setzt hinzu: "Der ganze Mensch ist von Gott gewollt."
Der Mensch ist also ein Wesen aus Leib und Seele, oder, wie das Konzil sagt:
"Er ist in Leib und Seele einer." Leib und Seele - sie bilden einen Menschen,
sind zusammen der eine Mensch. Leib und Seele - sie sind zu unterscheiden, sie
sind zwei verschiedene Wirklichkeiten, die aber doch zusammenkommen und den
einen Menschen bilden. Was sagt der Katechismus über die Seele? In der Hl.
Schrift bedeutet der Ausdruck "Seele" oft das Leben des Menschen. Wir hören
oft in der Bibel, im Evangelium etwa: "Wer seine Seele verliert... ", oder:
"Wer sein Leben verliert..." Das griechische Wort für "Seele" übersetzt man
oft mit "Leben". Oft ist damit die ganze menschliche Person gemeint. Wenn man
z. B. sagt "Wie viele Seelen wohnen in Wien", dann meint man nicht nur die
Seelen al- lein, sondern die Menschen. Der Ausdruck "Seele" bezeichnet aber
auch das Innerste des Menschen, das Wertvollste an ihm: "Ihr seid mehr wert
als viele Spatzen", heißt es einmal im Evangelium, wo- raus man nicht
schließen darf, dass der Herr die Spatzen verachtet, im Gegenteil: Es fällt
keiner von ihnen vom Dach, ohne dass es der himmlische Vater weiß, und selbst
unsere Haare sind gezählt (wie man sieht!). Also: der Mensch ist mehr wert als
ein Spatz, obwohl heute die Gefahr besteht, dass dieser Unterschied vergessen
wird...
Die Seele ist das Wertvollste im Menschen, das, wodurch er am meisten nach dem
Bilde Gottes ist. "Seele" benennt das geistige Lebensprinzip im Menschen. Das
geistige Lebensprinzip: Es gäbe viel dazu zu sagen. Ich glaube, über das Gebet
zu sprechen, ohne vorher über die Seele zu sprechen, das wäre sozusagen auf
das Fundament zu vergessen. Ich weiß, heute hat man etwas Scheu, von der Seele
zu sprechen, immer in der Befürchtung, man könnte vergessen, der Mensch ist
ja ein Ganzes aus Leib und Seele. Aber trotzdem unterscheiden wir - müssen wir
unterscheiden - Seelisches und Leibliches, auch wenn es ganz eng miteinander
verbunden ist. Es gibt geistige Akte, geistige Wirklichkeiten, wie es
leibliche Wirklichkeiten gibt. Ich kann sagen: "Ich habe heute Mittag 20 dag
Fisch gegessen, er war sehr gut. " Ich kann aber nicht sagen: "Ich habe dabei
20 dag Freude empfunden." Freude ist ein geistiger Akt, aber sie wirkt sich
auch auf den Leib aus, so wie Trauer, die auch etwas Seelisches ist, sich auf
den Leib auswirkt. Man kann im Gesicht des Menschen, in seiner Haltung etwas
von der Seele ablesen - und doch ist der Leib nicht einfach dasselbe wie die
Seele. Verstehen und Wollen, Verstand und Willen sind seelische Kräfte. Ich
kann über mich selber nachdenken, ich kann bewusst einen Willensakt setzen,
das kann leibliche Folgen haben, aber es ist etwas anderes als ein leiblicher
Akt.
Die Seele bedient sich des Leibes als eines Instrumentes, so sehr, dass
Leib und Seele zusammen ein Ganzes bilden, aber eben doch unterschiedlich
sind. Warum ist das so wichtig? Weil wir zu Recht sagen, dass die Seele auf
Gott ausgerichtet ist, das Herz, wie die Bibel uns sagt, und wie der hl.
Augustinus uns sagt, "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir." "Unruhig
ist unsere Seele", könnten wir auch sagen. Die Seele hat ihr Leben in Gott.
Der hl. Augustinus sagt: "Du bist das Leben meiner Seele." Ohne Gott ist die
Seele gewissermaßen leblos, sie ist gefährdet zu sterben. Gott ist das Glück
der Seele. Natürlich ist auch der Leib von Gott geschaffen. Paulus sagt: "Der
Leib ist für den Herrn und der Herr ist für den Leib." Und wir tragen Gott in
unserem Leib: "Verherrlicht Gott in eurem Leib." Aber wir wissen auch,
dass der
Leib die Seele behindern kann, auch auf ihrem Weg zu Gott, in ihrer Offenheit
zu Gott. Diese Offenheit kann verschüttet sein, verstellt sein, sie kann sogar
ersticken. Ich glaube nicht, dass sie jemals ganz getötet werden kann. Immer
bleibt die Seele auf Gott hin offen, in Sehnsucht. Wir wissen aus dem
Evangelium, die Sorgen des All- tags können die Seele ersticken, können das
Wort Gottes erdrücken.
Wenn die Sorgen der Welt so überhand nehmen, dass die
Seele gewissermaßen keinen Raum mehr hat, dann ist das eine Gefahr.
Leidenschaften können sich so in den Vordergrund spielen, dass die Gefahr
besteht, dass ich "seelenlos" werde. Das ist eine Gefahr, die auch in der
Kirche existiert, indem Unruhe und über- mäßige Geschäftigkeit die Seele
gefährden. Es kann auch ein ungesundes Leben sein, eine ungesunde Lebensweise
tut der Seele nicht gut. Eine besorgte Seele, d. h. , eine besorgte Person,
hat mir einmal eine Karte geschickt mit einem Spruch von der hl. Theresia von
Avila: "Tu deinem Leib etwas Gutes, damit die Seele Lust hat, in ihm zu
wohnen." Das heißt, wenn man den Leib zu sehr vernachlässigt, dann ist das ein
Schaden für die Seele. Die Lebensführung hat sicher auch einen Einfluss auf
das Seelenleben. Wenn das Leben, das wir führen, die Seele nicht frei atmen
lässt, dann leidet die Seele, dann ist sie wie eingekerkert, sie kann sozusagen nicht frei atmen, sie wird von Äußerlichkeiten niedergehalten. Ja, man
kann sagen, es ist eine Qual für die Seele, wenn wir sozusagen gegen sie
leben, wenn sie sich nicht in der ihr gemäßen Weise entfalten kann auf Gott
hin, wenn sie nicht mehr frei atmen kann. Das alte Wort vom "Retten der Seele"
- "Rette deine Seele!" - ist ein sehr ernstes Wort. Ich kann tatsächlich ein
Unmensch werden, wenn ich die Seele vernachlässige. Wenn die Seele nicht leben
kann, wenn sie keinen Lebensraum mit Gott hätte, dann ist die Ge- fahr, dass
wir seelenlos werden.
Ich möchte hier einen kleinen Exkurs machen, eine Frage, die mich immer wieder
bewegt: Wie ist das bei behinderten Menschen, körperlich und vor allem auch
geistig behinderten Menschen? Wie ist das mit der Seele, wenn eine schwere
geistige, vielleicht geistige und körperliche Behinderung da ist. Ist die
Seele deshalb "gefangen"? Ist sie sozusagen "unfrei"? Ich habe heute ein
behindertes Kind gefirmt, ein schwer behindertes Kind. Es war sehr bewegend.
Was geschieht in der Seele dieses Kindes? Ich bin sicher, dass unbeschadet
der leiblichen Behinderung die Seele in einem solchen Menschen ganz offen ist
hin auf Gott. Vielleicht sogar offener als bei uns, die wir durch so vieles an
Aktivitäten, an Unruhe in unserer Seele behindert sind. Ich habe heute
Nachmittag einen anderen Behinderten besucht, Franz, der von Geburt an
schwerst behindert ist, geistig und körperlich. Er ist jetzt 39. Es war eine
schöne Begegnung: Ein wunderbares Lachen in diesem Gesicht, der Spiegel
einer unverstellten Seele, die sicher ganz offen auf Gott hin ist. Ich glaube
- aber das kann ich jetzt nicht mit lehrmäßiger Gewissheit sagen - ich glaube
doch, dass diese Menschen, die beiden, denen ich heute begegnet bin, denen ich
die Sakramente spenden durfte, dass sie beten, dass deren Seele betet, ganz
offen hin auf Gott, auch wenn der Leib und auch die Psyche behindert ist.
Betet also auch unsere Seele in der Tiefe? Wie ist das eigentlich? In unserem
Alltag, wenn so vieles nach außen gezogen ist, so viele Beschäftigungen uns
fesseln - betet da die Seele in uns? Ich glaube schon, denn sie sehnt sich
ununterbrochen nach Gott, das ist ihr Wesen. Sie ist ganz offen hin auf Gott.
"Wie der Hirsch nach dem Wasser lechzt, so lechzt meine Seele, Gott, nach
dir", heißt es im Psalm. Aber es gibt auch Behinderungen, die Belastungen des
Alltags, die uns das Gebet zum Kampf machen, es gibt auch den Kampf der Seele
selbst. Das ist etwas sehr Wichtiges, das zu wissen: Es gibt einen Kampf in
unserer Seele zwischen der Sehnsucht nach Gott und der Flucht vor Gott. Die
Bibel zeigt uns das in der Gestalt des Adam, der sich vor Gott versteckt.
Seither verstecken wir uns vor Gott, wenn er naht. Adam hört Gott im Abendwind
kommen, und er versteckt sich.
Was ist das, dieser geistige Kampf, nicht der
Kampf, den wir vielleicht kennen, wenn man zuviel gegessen hat oder
getrunken, dass einem das Gebet dann einfach schwer wird. Sondern der viel
tiefere Kampf in der eigenen Seele, der Kampf zwischen der Gottesliebe und der
Eigenliebe. "Ich will mich" oder "Ich will dich." Diese Entscheidung ist in
unserer Seele zu treffen. Sie ist das eigentliche Kampffeld. "Ich bin dein"
oder "Ich will mein sein." Zwischen dem Sich-selber-allem-Vorziehen und dem
Gott-allem-Vorziehen geht der Kampf. Dieser Kampf ist viel schwerer als der,
den wir mit unserem Leib zu kämpfen haben. Es geht darum, ob ich verloren gehe
oder gerettet werde. Das ist die Wahl der gefallenen Engel, die sich gewählt
haben, mehr als Gott, die sich Gott vorgezogen haben. Deshalb ist im Tiefsten
unseres Herzens diese Frage da: "Suche ich mich oder suche ich dich?" Wenn wir
daran denken, ist es sicher erschreckend, aber es soll uns nicht ängstigen.
Der hl. Augustinus betet "Herr, rette mich vor mir selbst." Wir beten immer in
der Messe vor der Kommunion - zumindest der Priester betet es: "Lass nicht zu,
dass ich jemals von dir getrennt werde." Es steht im Katechismus ein Wort des
hl. Alfons von Liguori; es hat mich sehr erschreckt, wie ich es das erste Mal
gehört habe - ich glaube aber, es ist ein heilsames Erschrecken.
Der hl.
Alfons sagt: "Wer betet, wird sicher gerettet. Wer nicht betet, verdammt sich
sicherlich." Ich glaube, dieses Wort soll uns nicht Angst machen. Es geht
nicht um das Erschrecken, sondern um den Ernst des Lebens unserer Seele.
Beten ist das Leben der Seele. Ohne Beten stirbt die Seele. Aber wann beten
wir? Kann ich das, was ich so täglich bete, mein Brevier, den Versuch, zu
beten - kann ich das als "Gebet" bezeichnen? Genügt das, damit die Seele atmen
und leben kann? Welches Tun ist eigentlich not- wendig? Ich möchte das zum
Abschluss sagen, und mit der Gewissheit, die ich Ihnen wirklich ins Herz legen
möchte: Auch nur der leiseste Anflug von Sehnsucht nach dem Gebet ist schon
Gebet. Auch wenn mir jemand sagt "Ich kann überhaupt nicht beten": Aber wenn
in diesem Wort auch nur ein Anflug von Sehnsucht nach dem Gebet ist, dann kann
ich mit Gewissheit sagen: "Du betest, denn du suchst Gott." Was ist unser Gebet
anderes auf unserer Pilgerschaft, auf unserem Weg, als Gott zu suchen? Gott
suchen ist Beten.
Was wir jetzt noch gar nicht gesagt haben, muss ich zum Schluss noch nachholen:
Dieses Gott-Suchen ist nicht zuerst unser Werk, sondern es ist zuerst, dass
Gott uns sucht. Jeden. Kein Mensch ist ausgenommen von dieser Sehnsucht Gottes
nach uns. "Gib mir zu trinken! " Dieses Wort Jesu an die Samariterin ist die
Sehnsucht Gottes nach unserer Sehnsucht. Augustinus sagt einmal wunderbar: "Sitit
sitiri" - Gott dürstet danach, dass wir nach ihm Durst haben. Wir sind
Gesuchte, ehe wir zu suchen beginnen. Deshalb sagt Paulus mit solcher
Gewissheit: "Wir wissen nicht, wie wir beten sollen. Aber Gott tritt für uns
ein durch den Heiligen Geist mit unaussprechlichen Seufzern." Der Herr geht
mir nach bis in die Verirrung, bis in die Wüste meiner Verwirrung, in das
Dunkel meines Suchens. Sehn- sucht nach dem Gebet ist immer schon Antwort auf
Den, der sich nach mir sehnt. Wenn Gott an unser Herz klopft, wenn er uns
sagt, "Gib mir zu trinken", dann sind wir schon Gefundene. Das Gebet: es kann
immer nur Antwort sein auf dieses Gesucht-Sein von Gott.
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