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Katechesen
1997/1998
2. Jahresreihe - 3. Katechese, 15.02.98
Heilige Kirche, Heiliger
Vater |
Heilige Kirche, Heiliger
Vater
Herr, wir bitten Dich um Deinen Heiligen Geist, wir bitten
dich, dass Dein Geist unser Herz öffne, unseren Verstand erleuchte, unseren
Willen stärke. Herr, wir bitten Dich, dass Dein Heiliger Geist uns die Wahrheit
des Glaubens lebendig mache und in uns das Feuer Deiner Liebe entzünde. Amen
Liebe Brüder und Schwestern,
wir bereiten uns auf den Besuch des Heiligen Vaters vor; es sind noch ein
wenig mehr als vier Monate, bis er nach Österreich kommt. Mit der heutigen
Katechese sind es noch vier Katechesen bis zum Papstbesuch. Heute soll die
zweite Eigenschaft der Kirche Thema unserer Betrachtung sein: die Kirche ist
heilig. Der Heilige Vater, die Heilige Kirche: was heißt das?
Manche meinen, angesichts der vielen Reisen des Heiligen Vaters - seine
Österreich-Reise wird die 83. Auslandsreise sein - sollte man lieber vom
"eiligen" Vater als vom Heiligen Vater sprechen. Von der Heiligkeit der Kirche
halten heute viele wenig. Zweifel werden laut, ist sie nicht vielmehr
"scheinheilig"? Oder es steht zumindest der Verdacht im Raum, dass das
Bodenpersonal der Kirche nicht so heilig ist. Aber wer den Vorwurf erhebt, die
Kirche sei "scheinheilig", der erwartet doch irgendwie, dass sie vielleicht
doch heilig sein könnte oder sollte, und dass man eigentlich von ihr auch
erwarten kann, dass sie heilig ist. Worin besteht also die Heiligkeit der
Kirche? Warum nennt das Credo sie heilig?
Ich will zuerst ein wenig versuchen anzunähern, was "heilig" heißt. Dann
schauen wir uns in einem zweiten Schritt an, wie die Kirche heilig ist, obwohl
sie doch voller Sünder ist und aus Sündern be- steht. Und dann zum Schluss
werden wir uns fragen, wie wir heilige Kirche sein können, den Weg der
Heiligkeit gehen können. Alle sind wir auf diesen Weg gerufen, jeder von uns!
1. Wir erinnern uns an das Evangelium am vergangenen Sonntag, als Petrus,
nachdem er den wunderbaren Fischfang erlebt hat, zu Jesus sagt, : "Herr, geh
weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch" (Lk 5, 8). Was hat da Petrus
erlebt? Etwas hat ihn überwältigt. Der Fischfang, aber mehr noch das
Erschrecken vor dem, der das bewirkt hat. Das Staunen vor dem, der vor ihm
steht, eine Erschütterung, die ihn bis ins Innerste trifft. Er ist der
Heiligkeit Gottes begegnet. "Herr, geh von mir weg, ich bin ein sündiger
Mensch."
Ich darf hier eine persönliche Erinnerung bringen, auch wenn sie etwas sehr
Vertrautes und für mich Heiliges nennt und man Heiliges nicht einfach so
erzählen kann: Ich war 1961 bei Padre Pio, ein Kapuziner in Süd-Italien, der
50 Jahre lang die Wundmale, die Stigmaten, an Händen und Füßen und an der
Seite getragen hat, und zu dem zahllose Menschen gepilgert sind, um bei ihm zu
beichten und zu erleben, wie er die Messe feiert. Ich war damals 16 Jahre alt
und habe einen ziemlichen Horror gehabt vor diesen vielen frommen Frauen, die
auf der Wallfahrt mit dabei waren, und die schon ganz begierig waren, das
Wunderbare zu erleben. Mit 16 ist man nicht gerade im Alter für solche Dinge.
Und dann, um 4 Uhr früh, nach langem Anstellen vor der Kirchentür und einem
recht stürmischen Hineindrängen der Pilger, als die Tore geöffnet wurden,
etwas ganz anderes: nicht der Jahrmarkt einer Wallfahrt, sondern unvergesslich
die Messe von P. Pio. Wie lange sie gedauert hat, kann ich mich nicht
erinnern. Sie war sehr lange und gleich- zeitig schien einem die Zeit ganz
kurz. Nachher durfte ich ihm ganz kurz persönlich begegnen und was das war,
lässt sich nicht be- schreiben, man soll es auch letztlich als Geheimnis des
Herzens bewahren. Aber wenn ich diese Stelle im Evangelium lese, wie Petrus
erschrickt vor der Heiligkeit Jesu, dann kann ich es ein wenig von daher
verstehen. Eine Erfahrung von tiefer Erschütterung und gleichzeitig von
unaussprechlicher Freude, die Erfahrung, der Heiligkeit Gottes zu begegnen,
sie zu ahnen, zu berühren, ihr nahe zu kommen.
Die Erfahrung des Heiligen: es ist das Heilige eine andere Welt als das
Profane, das Alltägliche. In der Sprache der Alten, der Bibel, aber auch der
anderen Religionen ist das Heilige etwas Ausgesondertes, abgesondert,
herausgenommen, heraus gehoben, Gott übereignet. Es gehört nicht mehr sich
selbst, es gehört nicht mehr den Menschen, es gehört Gott. Der Tempel ist so
ein heiliger Raum, ausgegrenzt vom Alltag, herausgehoben, Gott geweiht, ihm
übergeben, nicht mehr für den profanen Gebrauch. Ein heiliger Bezirk mit
Vorraum, mit dem Heiligtum und mit dem Aller- heiligsten im innersten
Heiligtum des Tempels, in den in Jerusalem nur einmal im Jahr der Hohepriester
hineingehen durfte.
"Heiliger Raum": hier im Dom erfahren wir ein wenig, manchmal sehr dicht, was
es heißt "heiliger Raum". Oder die kleine romanische Kirche in Taizé -
vielen in Erinnerung. Man tritt ein und spürt, dass man in eine andere Welt
tritt. Die Schwelle, über die man eintritt, lässt einen in einen anderen, einen
heiligen, einen ausgesonderten Raum treten, in dem Gott nahe ist. Wer sich
daher im heiligen Raum wie in einem Kaufhaus benimmt oder wie am Strand oder
wie in einer Sportveranstaltung, wer lärmt und ehrfurchtslos herumgeht,
verletzt etwas Heiliges. Wir empfinden es schmerzlich, wenn Menschen in den
Dom kommen und sich dort benehmen, als wären sie irgendwo draußen. Es tut weh,
wenn das Heilige nicht geachtet wird und wir spüren, dass dem Menschen etwas
fehlt, der kein Gespür dafür hat, dass es ein Unterschied ist, ob man draußen
am Graben ist oder herinnen im Dom. Wie es uns auch weh tut, wenn jemand
etwas, was uns besonders heilig ist, etwas, was uns persönlich ganz wichtig
ist, aussondert, entweiht, nicht achtet, lächerlich macht oder gar verspottet.
Das Heilige bedarf des Schutzes und deshalb sieht auch das Recht vor, dass es
strafbar ist, das Heilige zu profanieren, religiöse Gefühle willkürlich,
willentlich, öffentlich zu verletzen.
Wir sehen, wie wichtig es ist, dass in unserer Zeit heilige Räume offen gehalten
werden. Deshalb dränge ich so darauf, und bitte überall darum, dass unsere
Kirchen offen stehen, nicht damit man ungeniert in sie eintritt, sondern damit
der heilige Raum, der Raum der Gegenwart Gottes Menschen offen steht. Es ist
ein großes Geheimnis in eine Kirche einzutreten, in den stillen weiten Raum,
ganz alleine und zu ahnen, berührt zu werden von der Gegenwart dessen, den wir
im Allerheiligsten verehren.
Heiliger Raum, heilige Zeit, auch das gibt es. Zeiten die heraus- genommen
sind, die Gott gehören, ihm geweiht sind, nicht der Arbeit sondern Gott. Auch
hier tut es weh zu sehen, wenn heilige Zeiten entweiht werden es bleibt ein
tiefer Schmerz, dass der 8. Dezember freigegeben wurde für den Kommerz. Während
wir hier im Dom und in vielen Kirchen der Diözese Gottesdienst gefeiert haben,
wurde rundum das Weihnachtsgeschäft betrieben und viele haben gespürt, hier
geht etwas unwiederbringlich verloren. Nein, es dürfte nicht verloren gehen,
heilige Zeit, Zeit die heraus genommen ist und die Gott gehört.
Heilige Dinge: Dinge die nicht für den profanen Gebrauch sind. Der Kelch und
die Patene, der Altar, die liturgischen Gewänder und Geräte. Es gebietet uns
die Ehrfurcht, dass wir den Kelch der Eucharistie nicht einfach auf einer Party
verwenden oder im Küchengebrauch des Alltags; sie gehören dem Gottesdienst und
gehören damit Gott, sie sind geweiht, ausgesondert, geheiligt. Vielleicht
haben wir zu sehr die Ehrfurcht verloren vor den heiligen Geräten. Auf
Flohmärkten kann man Messgewänder kaufen, wer hat sie dorthin gegeben? Verlust
des Gespürs für das Heilige. Reliquien bei Antiquaren zu kaufen, weil man
vergessen hat, dass sie heilige Dinge sind, die ehrfürchtig gebraucht werden.
Und schließlich das Wichtigste, das anbetungswürdige, eucharistische Brot, der
Herr selbst. Wir verwenden es nicht wie gewöhnliches Brot, und es müsste uns
schmerzen, wenn es verwendet wird wie gewöhnliches Brot, nicht unterschieden.
Es ist das Allerheiligste, weil es der Herr selber ist. Es ist eine
Lieblosigkeit Gott gegen- über, wenn wir das Heilige, das Allerheiligste nicht
ehrfürchtig be- handeln. Wie wird die Eucharistie bei uns behandelt? Wie
empfange ich den Leib Christi?
Und schließlich nicht nur heiliger Raum, heilige Zeit, heilige Dinge auch
heilige Menschen. Zum Andreas-Fest des vergangenen Jahres war ich in Istanbul,
zum ersten Mal in meinem Leben in einem islamischen Land, als Gast des
Patriarchen von Konstantinopel. Am Flughafen, Mekkapilger, auch das habe ich
zum ersten Mal gesehen. Sie waren in weiße Tücher gekleidet, in einer ganz
besonderen, leichten Kleidung, ohne Reisegepäck. In der Armut der Pilger
ausgesondert, abgehoben von den anderen, am Weg nach Mekka um sich zu
heiligen, das heißt, sich Gott ganz zu übergeben. Heilige Menschen, Menschen
die ausgesondert sind, weil sie sich Gott weihen. Als Getaufte sind wir solche
Ausgesonderte, Herausgerufene, Geheiligte. Paulus spricht die Christen an
als von Gott geliebte Heilige. "Kirche" - "Ekklesia" - heißt ja "die
Herausgerufene". Christen sind Menschen, die herausgerufen sind.
Heute wird uns das neu bewusst: Christ sein, Kirche sein, das heißt:
herausgerufen sein, ausgesondert, "Ihr gehört nicht mehr euch selbst", ihr
gehört Gott! Das heißt aber: anders sein! Gerufen sein zu einem Unterschied,
zu einer Andersheit. Christ sein, Kirchesein heißt ausgesondert sein,
geheiligt, abgegrenzt, herausgenommen, Gottgegeben. "Ihr gehört nicht mehr
euch selbst", ihr gehört Gott! Wer aber so herausgerufen ist, der ist anders,
dem ist das Anders sein aufgetragen. Er ist in einem Unterschied zur Welt
gestellt, eben ausgesondert. Es fällt uns schwer, ausgesondert zu sein, wir
wollen nicht anders sein als die anderen.
Das Jüdische Volk hat das Jahrhunderte lang lernen müssen, er- fahren dürfen
anders zu sein. Das erwählte Volk, herausgerufen aus den anderen Völkern, seit
Abraham herausgerufen wurde aus Ur in Chaldäer, seit die Väter, die Söhne
Israels, die Nachkommen Jakobs von Gott zu seinem Eigentumsvolk gemacht
wurden, herausgerufen, ausgesondert, sein Heiligtum, sein heiliges Volk und
damit abgegrenzt von den anderen Völkern. Und weil der Gott Israels heilig
ist, sollen sie auch heilig sein. Deshalb heißt es im Alten Testament, wie ein
Refrain "Seid heilig, weil ich heilig bin" (Lev 11,44f).
Es ist Israel schwer gefallen, wer will schon anders sein? Dieses
Heraus gelöst sein in eine andere Existenz, in ein anderes Leben gestellt sein.
Es fällt ihnen schwer und die Bibel bezeugt auf jeder Seite, wie sehr sich das
Volk Gottes dagegen gewehrt hat. Sie wollen sein, wie alle Völker, sich nicht
unterscheiden müssen.Wie schwer fällt es uns, anders zu sein, Jesu Christi "heiliges Volk" zu sein.
Wie schwer fällt es uns, wenn wir angesprochen wer- den, wie damals Petrus im
Hof des Hohenpriesters von der Magd, "auch du gehörst doch zu diesem
Galiläer!" und wie es Petrus un- angenehm war und er gesagt hat "ich kenne
diesen Menschen nicht"? Wir wollen nicht auffallen, es fällt uns schwer,
dass
man uns sagt "du gehörst doch auch zu diesem Verein", in einer Zeit, in der
dieser Verein, diese Kirche ständig negativ in der Öffentlichkeit, in den
Medien ist. "Auch du gehörst doch dazu!".
Was ist dieses "Ausgesondert sein"? Wir erfahren es heute auf eine ganz neue
Weise. Kirche sein heißt heute ausgesondert sein. Als Christen sind wir
ausgesondert. Aber ist die derzeitige Erfahrung bei uns nicht gerade, dass
die Kirche ganz und gar nicht heilig ist, dass sie eben voller Sünder und
voller Sünden ist, und dass von allen Seiten auf die Kirche gezeigt wird: seht
sie euch nur an, die "scheinheilige" Kirche, die ja in Wirklichkeit unter dem
Mantel der scheinbaren Heiligkeit nur ihre Schwächen und Versagen verbirgt.
Die Kirche heilig, für Gott ausgesondert, ist sie nicht viel mehr die Kirche
der Sünder? (Ausgesondert vielleicht gerade deshalb, weil sie unvollkommen
ist.) Fragen wir also, was es heißt: heilig ist die Kirche. Ist die Kirche
wirklich heilig, also Gott, Jesus Christus ganz gehörig, ganz ihm übereignet?
Ist die Kirche wirklich die Braut Christi, oder ist sie nicht viel mehr als
die Dirne entlarvt, und daher zu Recht kritisiert, verspottet, verachtet?
Dieser Tage erhielt ich einen Brief einer bedrängten, besorgten, traurigen,
zornigen Katholikin. Am Ende ihres langen Briefes schrieb sie: "Schreiben
Sie mir, ob es einen glaubwürdigen Grund gibt, noch in dieser Kirche zu
bleiben."
2. "Heilige Kirche" Fragen wir uns also, was das heißt, dass die Kirche im
Glaubensbekenntnis heilig genannt wird. Es gibt darauf eine klare und
entschiedene Antwort: Ja die Kirche ist heilig, sie ist unzerstörbar heilig.
Das Konzil sagt dazu, das sei ein Glaubenssatz; das ist also eine Gewissheit,
felsenfest, zuverlässig, wie die Gewissheit des Glaubens ist. Warum ist das ein
Glaubenssatz, eine Glaubensgewissheit? Warum ist die Kirche unzerstörbar heilig? Die Kirche ist heilig, nicht aus sich selbst, nicht von uns aus. Das
Konzil sagt, und ich darf diesen Text vorlesen, in der Konstitution über die
Kirche: "Denn Christus, der Sohn Gottes, der mit dem Vater und dem Geist als
‘allein Heiliger’ gepriesen wird, hat die Kirche als seine Braut geliebt,
indem er sich selbst für sie hin- gab, um sie zu heiligen, und er hat sie als
seinen Leib mit sich verbunden sowie mit der Gabe des Heiligen Geistes
erfüllt zur Ehre Gottes." LG 39 (KKK 823). Warum ist die Kirche heilig und
zwar unzerstörbar? Weil Jesus sie rein gewaschen hat. Jesus hat sie
herausgeholt, Gott hat sich der Kirche angenommen, er hat, wie die hl.
Katharina von Siena sagt, sich in sie verliebt, "enamorastiti", sagt sie; "Du
hast dich in sie verliebt und deshalb ist sie schön". Er hat sich in sie
verschaut und deshalb ist sie strahlend schön. Im Hohelied heißt es von der
Braut: "Schwarz bin ich, doch schön, ihr Töchter Jerusalems". Und die
kirchliche Tradition hat dieses Wort aus dem Hohelied immer auf die Kirche
gedeutet. Schwarz ist sie von ihren Sünden, schwarz von ihren Unvollkommenheiten und Makeln und doch ist sie schön, schön weil er sie geliebt
hat. "Ex maculatis immaculata", aus Makelhaftem ist sie makellos, aus Sündern
gebildet ist sie heilig. Christus hat sie gewissermaßen gesund geliebt, er hat
sie geheilt durch seine Liebe und deshalb ist sie heilig, ja unzerstörbar
heilig, weil seine Liebe unzerstörbar ist. Wenn man begreifen will, warum
die Kirche heilig ist, dann geht das nur von der Liebe her. Nur die Liebe kann
begreifen, warum trotz aller Fehler und mit allen Fehlern diese Kirche
heilig ist. Weil er sie liebt, weil er sie mit den Augen der Liebe sieht, und
deshalb sieht er an ihr ihre Schönheit und nicht ihre Unvollkommenheit, sie
ist seine Kirche.
Jetzt stellt sich aber die Frage: wo ist diese Kirche, gibt es sie überhaupt,
sind wir alle Kirche? Kirche sind wir alle, hört man heute oft in unserem
Land. Sind wir diese Kirche, die Christus liebt? Kann man sich vorstellen,
dass
Er diesen Verein liebt, der so kritisiert wird, der so viele Fehler hat? Wo
Menschen auf Seine Liebe antworten, sich auf sie einlassen, dort beginnt die
Kirche, die heilige Kirche in ihrer Schönheit sichtbar zu werden. Wo wir nur
stückhaft, zaghaft, halbherzig, auf die Liebe Christi eingehen, dort wird die
Kirche auch nicht leuchten können. Dort bleibt der Glanz der heiligen Kirche
verborgen, ja verhüllt, verstellt oder sogar entstellt durch uns.
Wenn wir sagen, die Kirche ist heilig, dann bekennen wir zuerst, und das ist
die Glaubensgewissheit, dann bekennen wir: Christus ist der Kirche treu. Da
kann passieren, was will, Er wird seinen Bund nie brechen, Er kann sich nicht
verleugnen. Auch wenn die Glieder der Kirche ihm die Treue wahren, Er wird
treu bleiben. Anders gesagt: nie wird Christus seine Kirche "hängen" lassen.
Christus wird die Kirche nie "hängen" lassen, sie gehört Ihm. In dem vollen
Sinn des Wortes, wie Mann und Frau einander für immer gehören. Er ist ihr
immer treu und deshalb ist es ein Glaubenssatz und eine Glaubensgewissheit,
dass die Kirche unzerstör- bar heilig ist.
Die Kirche ist heilig, aber wir, sind wir heilig? Wir sind am Weg dahin, wir
sind unterwegs. Noch einmal gefragt, können wir sagen: "Kirche sind wir alle"?
Wenn ich Jesus untreu bin, wenn ich nicht nach seinem Evangelium lebe, wenn
ich mich nicht auf seinen Weg einlasse, bin ich dann Kirche, kann ich dann
sagen, "Kirche sind wir alle"? Jesus hat gesagt: Weizen und Unkraut wachsen
zusammen, solange die Zeit dauert und erst am Ende wird Gott selber
auseinander sortieren, durch seine Engel, was Unkraut und was Weizen ist. Bin
ich Weizen in der Kirche oder bin ich Unkraut? Damit meine ich nicht, Unkraut
verdirbt nicht. Leider verdirbt dieses Unkraut nicht in der Kirche, das
Unkraut unserer Sünden. Wenn ich Unkraut bin, dann bin ich nur teilweise
"drinnen", teil- weise aber "draußen".
Der hl. Augustinus sagt zurecht, es
gibt viele die draußen sind und doch in Wirklichkeit drinnen sind. Und viele
die drinnen sind in der Kirche, die aber in Wirklichkeit draußen sind. Kirche
werden wir, Kirche sind wir noch nicht ganz. Maria ist Kirche, die Heiligen
sind Kirche, wir alle sind noch nicht ganz Kirche. Wir sind am Weg dazu und
die Kirche wächst in uns, wenn der Glaube in uns wächst, aber wir können die
Kirche ver- wunden, durch Lieblosigkeit, durch Hartherzigkeit, durch unsere
Sünden. Und oft blutet die Kirche aus vielen Wunden wegen unsere
Lieblosigkeit.
Kommen wir zum Schluss: Wie können wir also der Kirche helfen, dass sie
"heilige" Kirche sei? Ich glaube, wir müssen die Frage umdrehen. Zuerst müssen
wir sagen, wie hilft uns die Kirche heilig zu werden? Ich erinnere mich an P.
Congar, den großen Konzilstheologen, der lange durch schwere Krankheit im
Rollstuhl geprüft wurde, der die letzten Jahre ganz bei den Kranken und Armen
verbrachte und dort dann das Kardinalsbirett mit 90 Jahren be- kam. P. Congar
wurde einmal von einem Journalisten gefragt: "Warum bleiben sie in der
Kirche?" Er hat spontan und direkt darauf geantwortet: "Weil ich ihr alles
verdanke". Sie heiligt mich, Christus hat alles der Kirche in die Hand gelegt,
sie kann es weitergeben an jeden von uns.
Was ist die Kirche für uns? Lebensraum. In ihr finde ich Raum zum leben, in
ihr finde ich Leben.
Was ist die Kirche? Gemeinschaft. In ihr finde ich aus meiner Isolation
heraus.
Was ist die Kirche? Ort der Vergebung. Ich kann in ihr neu anfangen.
Die Kirche ist der Weg, Christus nachzufolgen.
Aber es stimmt auch: ich kann dazu beitragen, dass die Kirche in ihrer
Heiligkeit wächst und sichtbar wird. Sie kennen alle den Text der hl. Therese
von Lisieux, wo sie ihren großen Traum verwirk- licht: "im Herzen der Kirche,
meiner Mutter werde ich die Liebe sein". Die Liebe ist die Seele der Kirche,
von ihr lebt die Kirche. Und die hl. Theresia zitiert Johannes vom Kreuz, der
einmal gesagt hat: der kleinste Akt der reinen Liebe wirkt mehr als alle unsere Werke. Wenn wir also schauen, wie soll die Erneuerung der Kirche
geschehen, die Reform der Kirche, von der soviel die Rede ist? Dann ist eines
sicher: ohne die Liebe geht nichts. Was die Liebe tut, macht die Kirche neu.
Die wirkliche Reform der Kirche kommt daher, dass wir uns einlassen auf die
Liebe.
Viel gäbe es dazu zu sagen. Die Liebe verzeiht, vergebende Liebe. Die
heilige Kirche ist zuerst eine, die erfahren hat, dass Gott ihr verziehen hat,
und wir werden Kirche in dem Maß, wie uns bewusst wird, dass uns verziehen ist.
Und in dem Maß uns das bewusst wird, werden wir die vergebende Liebe
weitergeben. "Die Liebe erträgt alles", sagt der hl. Paulus. Wie viel Hick-Hack
gibt es bei uns in der Kirche, wie viel Streit statt des Ertragens, statt des
einander Tragens und Ertragens? Der Herr trägt uns und erträgt uns. Ein ganz
einfacher Vorschlag: denken wir daran, wenn einem jemand unerträglich ist,
mühsam ist, auf den ‘Wecker’ geht, auf die Nerven geht. Denken wir daran, wie
geht es Gott mit mir? Wie lange erträgt er mich schon in meinen
Unvollkommenheiten, in meinem Ausweichen, in meinem Nein-sagen? Die Liebe
erträgt! Und schließlich: die Liebe im Herzen der Kirche, die Liebe verteidigt
sich nicht selbst, die Liebe rechtfertigt sich nicht selbst. Wie viel
Selbstrechtfertigung, Rechthaberei, wie viel Recht haben wollen und
Besser wissen wollen besteht unter uns? Wenn wir gemeinsam auf den blicken, der
die Kirche geliebt hat, dann wird es uns leichter fallen, einander nicht als
Gegner zu begegnen, nicht unbedingt uns rechtfertigen zu müssen, Recht behalten
zu müssen.
Der Heilige Vater wird in vier Monaten nach Österreich kommen. Er kommt in der
Schwäche seines Alters, seiner angegriffenen Gesundheit. Er kann nur in der
Schwäche der Liebe kommen. Ich sehe in seinem Kommen eine große Einladung an
uns, als Kirche in diesem Land, dass wir erneut lernen, verstehen lernen. Nur
die sich opfernde, hingebende, vergebende, ertragende, geduldige Liebe kann
Menschenherzen gewinnen. Dass das der Weg der heiligen Kirche ist, weil
Christus so die Kirche geliebt hat und sie heute noch so liebt, das sollte
unser Weg sein, selber Kirche zu sein. Wenn wir so alle Kirche sind, dann wird
es mit der Kirche auch gut gehen.
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