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Katechesen
1997
1. Jahresreihe - 4. Katechese, 15.06.97
"Meister, wo wohnst Du?"
"Kommt und seht! " |
"Meister, wo wohnst Du?"
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"Kommt und seht!"
In den letzten Tagen entdeckte ich eine neue Facette, einen
neuen Aspekt an der Bibelstelle, die wir als Vorbereitung auf den
Weltjugendtag betrachten:
"Meister, wo wohnst Du?"
"Kommt und seht! "
Was fanden sie, als sie zu Ihm kamen? Wen fanden sie da? Einen
Mann, der allein lebte. Hatte er keine Kinder, keine Frau, keine Familie?
Seltsam! Ein 30-jähriger Jude, ein Handwerker in einem kleinen Dorf,
unverheiratet, ohne Familie, ohne Frau, ohne Partner. Nach heutigen
Vorstellungen müsste das ein verquerer, verschrobener Mensch sein, einer, der
nicht ganz normal sein kann, weil sich heute viele nicht vorstellen können,
dass ein normaler Mensch ohne Partner lebt. Aber auch zur Zeit Jesu war das,
aus anderen Gründen, ungewohnt. Das allererste Gebot, das in der Bibel steht
(nicht das höchste, aber das erste!) lautet: "Seid fruchtbar und vermehret
euch" (Gen. 1,28).
Ein 30-jähriger Mann in der Blüte seiner Jahre, der nicht
verheiratet ist, keine Kinder gezeugt hat - das ist wirklich schwer
begreiflich! Allerdings gab es in Qumran, nahe beim Jordan, eine religiöse
Gruppierung, die "Essener", die ehelos in einer Art Kloster zusammenlebten.
Vielleicht stand ihnen Johannes der Täufer nahe; er war, wie sie, ehelos
geblieben.
Wen fanden also die zwei Jünger des Johannes? Einen
verklemmten Menschen, dem nur das Alleinsein übrig blieb, weil er zu einer
Partnerschaft unfähig war, aus physischen Gründen (ein "Eunuch" also - auf das
Wort komme ich noch zurück) oder aus psychischen (Hemmungen, Verklemmungen)?
Die beiden Johannesjünger haben Jesus nicht so erlebt. Sonst hätten sie nicht
am nächsten Tag von Ihm sprechen können: "Wir haben den Messias gefunden". Wen
haben sie also vorgefunden? Einen strahlenden, ganz erfüllten Menschen, der
hoffen ließ, dass er die Erfüllung aller Hoffnung bringen werde.
Kann jemand ein erfüllter Mensch sein, ohne seine Sexualität
zu leben, ohne die Beziehung zu einem Partner, ohne die Intimität einer auch
körperlichen Nähe? Viele unserer Zeitgenossen - und wohl auch der Zeitgenossen
Jesu - bezweifeln das. Sie suchen mit allen Mitteln der Phantasie, Jesus zum
Liebhaber der Maria Magdalena zu machen, wenn sie nicht gar die Nähe des
Johannes zu Jesus ("der Jünger, den Jesus liebte") im Sinne einer
gleichgeschlechtlichen Liebe deuten.
Kannte Jesus "die Versuchungen des Fleisches"? Die einhellige
Überzeugung der kirchlichen Tradition ist es, daß Jesus keusch gelebt hat.
Hatte er darum zu kämpfen? Der Hebräerbrief (4,15) scheint das zu sagen: Jesus
sei "in allem wie wir versucht worden, aber ohne zu sündigen". Wie sah die
Keuschheit Jesu aus? Wie lebte Jesus mit den vitalen Kräften der Sexualität
und der Affektivität? Nach dem Glauben der Kirche ist Jesus wahrer Gott und
wahrer Mensch. Hat der Gott-Mensch Jesus mit dem kämpfen müssen, was jedes
Menschen Los ist: seine Triebe zu ordnen, um wirklich Mensch zu sein? Oder war
das für Jesus alles kein Problem, da er ja ohne Sünde, sogar ohne Neigung zur
Sünde war? Eines ist sicher: Sein ehelos-keusches Leben ist für zahllose
seiner Jünger zum Vorbild geworden, sie sind ihm auf diesem Weg nachgefolgt.
Wie kaum ein Punkt wird gerade dieser in und an der Kirche heute in Frage
gestellt. "Zölibat" ist ein Reizwort; viele, auch im "Kernbereich" der Kirche,
stellen ihn in Frage, mit dem Ergebnis, dass manch einer, der den Ruf
verspürt, Jesus auf diesem Weg nachzufolgen, auch von "braven Katholiken"
entmutigt wird, ja fast abgehalten wird, Jesus in der Ehelosigkeit nachzu-
folgen. Schwebt also über dem Christentum ein "Generalverdacht" gegen die
Sexualität? Wenn der Gründer ehelose Keuschheit als seinen Weg gewählt hat,
ist dann nicht unweigerlich unter seinen Anhängern die Vorstellung nahe
liegend, dass die Ehe ein minderer Weg ist, den die Unvollkommeneren gehen,
während die "Vollchristen" wie ihr Meister zu leben suchen? Der Verdacht,
"Jesu Religion", das Christentum, sei "leibfeindlich", ist dann die Folge! Die
Kurzformel für diese Wahrnehmung des Christentums hörte ich einmal von einem
Jugendlichen in einer Erziehungsanstalt: "Religion ist das, was verboten ist."
"Meister, wo wohnst du?"
Wie wohnst du in deinem Leib, mit deinen Gefühlen, mit den Bedürfnissen dieses
Leibes, dem Hunger nach Nahrung, aber auch nach menschlicher Liebe?
"Kommt und seht! "
Wenn es schon nicht möglich ist, das Geheimnis des Menschen zu
ergründen und uns selber ganz zu verstehen, um wie viel weniger können wir das
Geheimnis des Gottmenschen verstehen! Aber wir können auf die Menschen
schauen, die Jesus nach gefolgt sind und sie fragen, wie sie gelebt haben, wie
sie leben. Und wir können in den Spiegel des Evangeliums schauen, in dem Jesus
deutlich sichtbar wird: Das Evangelium und die christliche Erfahrung gemeinsam
zeigen uns den Weg. Schauen wir uns einmal die betreffende Evangelienstelle (Mt
19, 11-12) an, und mit Absicht folge ich hier so nah wie möglich dem
griechischen Text, nicht der geglätteten Einheitsübersetzung:
"Er aber sagte zu ihnen: Nicht alle fassen dieses Wort,
sondern nur die, welchen es gegeben ist. Es gibt nämlich Eunuchen, welche so
aus dem Leib der Mutter geboren wurden, und es gibt Eunuchen, welche zu
Eunuchen gemacht worden sind von den Menschen, und es gibt Eunuchen, welche
sich selber zu Eunuchen gemacht haben wegen des Himmelreiches. Der es fassen
kann, fasse es!"
"Eunuch" war zur Zeit Jesu schon ebenso ein Spott-, ja Schimpfwort wie heute.
Es bezeichnete einen eigentlich zu Verachtenden. War es vielleicht auch ein
Spottwort, das Jesus selbst zu hören bekam? "Ehelosigkeit um des Himmelreiches
willen" : Das bedeutet also ein Opfer von etwas Gutem und Kostbarem, um des
Himmelreiches, d. h., um Jesu willen: Wenn wir uns alle Evangelien- stellen
ansehen, in denen vom "Himmelreich" die Rede ist, dann können wir das zumeist
mit "Jesus" ersetzen. Auf die Frage: "Warum der Zölibat?" gibt es also nur
eine Antwort, einen Grund:
Weil um Jesu willen alle Güter hintangestellt werden können:
- "Wer Vater und Mutter mehr ehrt als mich, ist meiner nicht wert"
- "Wenn du vollkommen sein willst, dann verkaufe alles, was du hast, und folge
mir nach" (nicht nur 20 % , 30 % - sondern alles)
Sogar das Leben kann um Jesu willen hintangestellt werden.
Wenn es also sinnvoll ist, für Jesus sein Leben zu geben, dann kann es auch
sinnvoll sein, für ihn auf die Ehe und die Verwirklichung der eigenen
Sexualität zu verzichten!
Ist dieses Opfer - und es ist ein Opfer - aber nicht unmenschlich? Wird man
dadurch nicht zum "Eunuchen", zum seelischen Krüppel? "Nein", sagt die
christliche Erfahrung. Es gibt hier so viele positive Beispiele, so viele
erfüllte, geglückte Menschenleben. Wir müssen also tiefer fragen: Warum
"gelingt" der Zölibat, warum kann er gelingen? Weil das tiefste Wesen der
menschlichen Leiblichkeit Hingabe ist. Der Leib ist dazu geschaffen, dass ich
mich schenken kann: in Zuwendung, in Zärtlichkeit, in Arbeit, in der
Verausgabung meiner Kräfte für eine Familie, in der sexuellen Hingabe. (Der
Philosoph, der hier wohl das Tiefste gedacht und geschrieben hat, ist Johannes
Paul II. Lesen Sie seine Studie "Als Mann und Frau schuf er sie"!)
Dazu ist unser Leib erschaffen: Anders als beim Tier ist alles
beim Menschen auf Begegnung und Hingabe ausgerichtet: der aufrechte Gang, das
Gesicht, die Augen, der Mund, die Hände, die Geschlechtsorgane! Deshalb gibt
es auch eine wirkliche ganz- menschliche Erfüllung in der Hingabe an Christus,
an Gott: "Einen Leib hast du mir geschaffen, siehe, ich komme, deinen Willen
zu tun". Warum soll nicht gerade der Leib der Ort der Hingabe an Gott sein?
Die Antwort ist das Geheimnis der Eucharistie: "Das ist mein Leib, hingegeben
für euch." "Meister, wo wohnst du?" In einem Leib, der zur Hingabe geschaffen
ist. Die Leiblichkeit Jesu tritt uns im Evangelium immer wieder entgegen: In
Berührungen (bei Heilungen, wenn er Kinder in die Arme schließt, wenn er
seinen Jüngern die Füße wäscht, wenn ihn die Sünderin salbt, ihn mit Tränen
benetzt und seine Füße mit ihren Haaren abtrocknet und küsst, wenn Johannes an
seiner Brust ruht), in seinem Hungern und Dürsten, in seiner Müdigkeit...
Seine Hochschätzung des Leiblichen, insbesondere der Ehe,
zeigt sich bei seinem ersten Wunder bei der Hochzeit von Kana, in der Betonung
der Unauflöslichkeit der Ehe, im Ernstnehmen und Verurteilen des "begehrlichen
Blickes" . . .
"Meister, wo wohnst du?" "Kommt und seht!"
Unser Weg zu Ihm wird ein Weg der Heilung sein, denn wir alle
sind Verletzende und Verletzte, unsere Spur ist eine Wundspur. Jesus ist der
wahre Therapeut, der uns durch die Berührung mit Seinem Leib, der Eucharistie,
heilt und uns im Sakrament der Buße Vergebung und die Erkenntnis der Wahrheit
schenkt.
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